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Von RW

Noch steht die neue Bundesregierung nicht. Zu viele Fragen beantworten die Fraktionen des bürgerlichen Lagers von Union bis zu den Grünen unterschiedlich. Doch in einem Punkt sind sich alle einig.

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) hat ein weiteres Mal seit den 1950er Jahren eine Partei der extremen Rechten den Einzug in den Bundestag geschafft und ist aus dem Stand mit rund 13 Prozent zur drittstärksten Fraktion im Parlament geworden. Ungeachtet der Distanzierung sämtlicher Bundestagsparteien von der AfD weist die Programmatik der Partei auf wichtigen Themenfeldern, insbesondere in der Außen- und Militärpolitik, bemerkenswerte Parallelen zu den politischen Zielen beinahe aller anderen Bundestagsparteien auf. Dazu zählt der Anspruch, nicht nur in der internationalen Politik als „Gestaltungsmacht“ (AfD) aufzutreten – also Weltpolitik zu treiben –, sondern auch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten zu gelangen.“ Die USA sind der wichtigste Bündnispartner Deutschlands“, heißt es im AfD-Wahlprogramm: „Leitbild einer interessengeleiteten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist die Gleichberechtigung beider Partner.“ Ähnliches ist aus der SPD zu hören; Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat kürzlich eine „Veränderung im Kräfteverhältnis in der Welt“ diagnostiziert – und den „Ausfall der Vereinigten Staaten als wichtige Nation“ prognostiziert. Die Zeiten, „in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten“, seien „ein Stück vorbei“, erklärte mit Blick auf die USA Ende Mai auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Wir Europäer müssen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen.“ „Wir stehen vor einem globalen Wettbewerb um Werte und Ordnungen“, schrieb Anfang September Cem Özdemir, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen, in einem Onlinebeitrag für die Fachzeitschrift Internationale Politik: „In Zeiten, in denen diese Werte durch die Vereinigten Staaten und ihren Präsidenten selbst angegriffen werden, sind wir Europäer gefordert.“


„Eine starke Bundeswehr“

[file-periodicals#200]Ein übergreifender Konsens, der von den ökoliberalen Spektren des deutschen Establishments über sozialdemokratische und konservative Milieus bis zu den rechtsextremen Kreisen der AfD reicht, besteht auch in der Forderung nach einer signifikanten Aufrüstung der Bundeswehr. „Die deutschen Streitkräfte“ seien „so zu reformieren“, dass ihre „Einsatzbereitschaft auch bei Einsätzen mit höchster Intensität gewährleistet ist“, heißt es im AfD-Wahlprogramm. „Seit Jahren“ leide die Bundeswehr „unter dem rigorosen Spardiktat konservativer Politiker“, schreibt der Ex-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann: „Eine kontinuierliche Erhöhung des Verteidigungshaushalts ist darum notwendig.“

„Ohne Frage brauchen wir in Deutschland eine starke und leistungsfähige Bundeswehr“, erklärt Grünen-Spitzenkandidat Özdemir, mit Blick auf die zum Teil immer noch friedensbewegte Klientel der Partei vorsichtig, aber offen formulierend: „Unsere Rüstungsausgaben sollten sich daran orientieren, was wir brauchen.“ Auch die FDP fordert „eine moderne Bundeswehr mit einsatzorientierten Strukturen“, die „sowohl zur Bündnis- und Landesverteidigung wie für internationale Einsätze befähigt ist“. Für die Unionsparteien hat die Kanzlerin persönlich die Forderung nach einer massiven Aufrüstung formuliert.1


Bausteine deutscher Außenpolitik sind Militärberatung ...

Um Cem Özdemirs „Werte und Ordnungen“ zu verwirklichen, mischen deutsche Militärs und Berater mit auf der Welt.
Beispiel: Myanmar (dem früheren Burma), derzeit in aller Munde wegen der brutalen Militäroperationen gegen die islamische Minderheit, den Rohingya. Berlin zieht nun eine Ausweitung der Militärbeziehungen in Erwägung. Wie myanmarische Medien übereinstimmend berichten, hat Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker im April mit General Min Aung Hlaing, dem Oberbefehlshaber des Landes, über die Ausbildung myanmarischer Offiziere in Deutschland gesprochen. Min Aung Hlaing besuchte nach dem Gespräch das Gefechtsübungszentrum in Letzlingen, eine der modernsten Einrichtungen dieser Art weltweit. Zudem sind Myanmars Militärs, die die Kontrolle über das Land innehaben, mit dem EU-Militärausschuss im Kontakt; dabei geht es ebenfalls um eine mögliche Ausbildungskooperation.

Die militärpolitischen und rüstungsindustriellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Myanmar reichen bis in die 1950er Jahre zurück. Bereits 1958 wurde in Kooperation mit Rheinmetall eine erste Munitionsfabrik im Norden der damaligen Hauptstadt Yangon gebaut. Zwei weitere Waffenfabriken, eine ebenfalls bei Yangon, die zweite bei Prome, folgten. Das Paradeprojekt ist die Herstellung des deutschen Sturmgewehrs G3 gewesen. Die Lizenz dazu hatte Bonn im Jahr 1960 erteilt. Als Übergangslösung bis zum Beginn der Produktion genehmigte die Bundesregierung 1961 die Lieferung von 10.000 Sturmgewehren und von vier Millionen Schuss Munition. Das G3 wurde schließlich die Standardwaffe der burmesischen Streitkräfte.

Hintergrund dafür, dass Berlin nun den Ausbau der militärischen Beziehungen zu Myanmar in Betracht zieht, sind geostrategische Erwägungen im Machtkampf gegen China.2



... und Rüstungsexporte

Ein anderer Schauplatz deutscher Interessen ist der Nahe Osten. Das Referendum zur Abspaltung der kurdischsprachigen Gebiete des Irak gründet auf jahrelanger Unterstützung der Bundesregierung für die dortige Autonomieregion. Der Barzani-Clan, der die Regionalregierung kontrolliert, unterhält schon seit Jahrzehnten gute Verbindungen zu führenden Politikern von CDU und CSU. Die Autonomieregion selbst wird seit 2005 von Berlin systematisch gefördert – durch wirtschaftliche Hilfen, durch den Aufbau deutscher Institutionen und jüngst durch die Ausbildung und Aufrüstung der Peschmerga zu einer schlagkräftigen Truppe. Geschah Letzteres offiziell, um einen Verbündeten im Krieg gegen den IS zu stärken, so könnten die Peschmerga ihre deutschen Waffen jetzt auch nutzen, um eine Abspaltung des Gebiets bei Bedarf militärisch durchzusetzen. Unter den Augen der Bundeswehr haben sie zudem unter dem Deckmantel des Kriegs gegen den IS sogenannte ethnische Säuberungen in Orten durchgeführt, die bislang nicht zur kurdischen Autonomieregion gehörten. Damit soll beim bevorstehenden Referendum die gewünschte prokurdische Mehrheit gesichert werden.

Im Herbst 2016 teilte die Bundeswehr mit, sie habe seit Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2014 bereits um die 3.400 kurdische Milizionäre ausgebildet und große Mengen an Waffen an die Peschmerga geliefert - darunter 20.000 Sturmgewehre G3 und G36, 20.000 Handgranaten, 440 Panzerfäuste, 1.000 Lenkflugkörper, 50 Maschinengewehre sowie mehr als 13 Millionen Schuss Munition. Im Frühjahr 2017 hieß es, der Gesamtumfang der getätigten Materiallieferungen sei weiter gestiegen und habe nun fast 3.100 Tonnen erreicht. Die Bundeswehr bildet in Erbil nicht nur einfache Soldaten, sondern auch Offiziere aus und stellt mittlerweile eine dreiköpfige Beratergruppe im Peschmerga-Ministerium. Während die Ausbildung der Peschmerga „sozusagen auf der taktischen Ebene durchgeführt“ werde, gehe es „bei der Beratung des Ministeriums darum, auf ministerieller Ebene theoretische Verbesserungsvorschläge“ für die Ausbildungsmaßnahmen zu machen, berichtet die Bundeswehr: Schließlich sollten die Peschmerga „sich in Zukunft selbst ausbilden können“.3

Dass die mögliche Unabhängigkeit der Kurden im Irak eine weitere Mittelmacht auf den Plan ruft, ist bekannt. So hat bereits in der Woche vor dem Referendum die Türkei seine Muskeln spielen lassen und ein Militärmanöver an der Grenze zum Irak durchgeführt. Ausgestattet ist das türkische Heer u. a. mit dem aus deutscher Produktion stammenden Kampfpanzer Leopard 2A4.


Anmerkungen:
1 zitiert nach www.german-foreign-policy.com, 25. 25. September 2017
2 zitiert nach www.german-foreign.poliy.com, 19. 19. September 2017
3 zitiert nach www.german-foreign-policy.com, 21. 21. September 2017


 
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