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unofficial world wide web avantgarde
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Von secarts

Ist sichere Kommunikation überhaupt noch möglich? Seit den Enthüllungen des »Whistleblowers« Edward Snowden wissen wir, wie umfassend der digitale Datenverkehr weltweit überwacht wird.

Snowden, einstiger externer Mitarbeiter des US-Nachrichtendienstes NSA, hatte während seiner Flucht aus den USA, die ihn über Hongkong bis nach Rußland führen sollte, Details zu den großangelegten Überwachungsaktionen nicht nur der US-amerikanischen, sondern auch der britischen Dienste bekannt gemacht. »Soziale Netzwerke« wie Facebook, aber auch Anbieter von »Cloud-Storage«, also internetbasierten Speichermöglichkeiten, werden direkt, über Schnittstellen zu den Diensten, »abgeschöpft«. Aber auch die gesamte digital übertragene Kommunikation, von der nur ein Teil das »world wide web« darstellt, wird großflächig mitgeschnitten: Der britische Dienst GCHQ scheint sich darauf spezialisiert zu haben, wahllos alle digital übermittelten Daten an den »Knotenpunkten« des Internets, von denen Transatlantikkabel abzweigen, aufzuzeichnen. Da etliche der weltweit beliebten Webplattformen, beispielsweise beinahe alle in Europa gebräuchlichen sozialen Netzwerke, über Server in den USA laufen, wird auch ihr »Traffic«, also der Datenverkehr, über den amerikanischen Kontinent geleitet – selbst, wenn die Kommunikationsteilnehmer in Europa, vielleicht gar in derselben Stadt, leben. Der gigantische Neubau des »Data Centers« der NSA im Bundesstaat Utah deutet auf einen ähnlichen Verwendungszweck hin: Die Anlage, die sich über knapp 100 Quadratkilometer erstreckt, soll nach Inbetriebnahme über ein Yottabyte Speicherplatz verfügen – das ist eine Zehn mit 24 Nullen. Damit hätte das »Data Center« ausreichend Kapazität, um alle bisherigen digital erfassten Daten zu speichern. Pro heute auf der Erde lebendem Mensch stünden damit gigantische 140000 Gigabyte Speicher bereit.

Laut Edward Snowden konnten die britischen und amerikanischen Dienste zudem die Verschlüsselung mittels SSL-Zertifikaten »knacken«. Präziser ausgedrückt hieße das wohl: Dank Kooperation mit den Anbietern bieten bewusst eingebaute Sicherheitslücken in den Zufallsgeneratoren solcher Verschlüsselungsmechanismen Möglichkeiten für »Hintertüren«. Doch selbst, wenn eine besonders raffinierte kryptographische Methode den heutigen Fähigkeiten der Geheimdienste widerstehen sollte: Dank der massenhaften Spiegelung sämtlicher übertragener Daten, auch der verschlüsselten, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie ebenfalls entschlüsselt werden können. Kurzum: Es gibt keinerlei Gewähr, irgendwelche digital übermittelte Daten vor dem Zugriff dieser Dienste dauerhaft schützen zu können.

Es hat nicht erst Edward Snowden gebraucht, um dies alles zu ahnen. Das moderne Internet entstammt dem »Arpanet«, einem militärisch-akademischen Forschungsnetzwerk aus den USA. Die Kontrolle der wichtigsten Transatlantikkabel liegen in den Händen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens – dort münden und enden die meiststrapazierten Datenverbindungen zwischen Europa und Amerika. Weder die UNO, noch irgendeine internationale oder gar unabhängige Stelle kontrolliert »das Netz«, die Technik ist weder neutral noch überstaatlich. In einer unter Großmächten aufgeteilten Welt wird selbstverständlich und zuvorderst auch um die internationale Kommunikation gerangelt.

Doch was ist mit den deutschen Diensten? Edward Snowden hat einerseits publik gemacht, wie eng der BND und andere deutsche Stellen mit NSA, GCHQ und Co. zusammenarbeiten, etwa an den gemeinsamen Kriegsschauplätzen oder im »Kampf gegen den Terror«. Andererseits, und dies ging in der medialen Aufregung um den »Whistleblower« etwas unter, ist Deutschland (neben Rußland und der VR China) eines der drei durch die anglo-amerikanischen Dienste meistüberwachten Länder. Gegenüber Verbündeten wie den Benelux-Staaten oder Großbritannien soll die NSA eine Art direkten Zugang eingerichtet haben; die befreundeten Dienste können also womöglich auf die Datenschätze der Amerikaner zugreifen. Dem BND ist dies nicht vergönnt: Trotz aller Kooperation, die Konkurrenz scheint hier ganz eindeutig zu überwiegen.

Ein Gutteil der US-amerikanischen und britischen Aktivitäten in der BRD dürfte ökonomischen Interessen folgen, es handelt sich um die klassische Wirtschaftsspionage im digitalen Zeitalter. Nicht nur E-Mail-Kommunikation von Vorständen und Forschern, auch die Steuerung komplexester, international aufgestellter Produktionsstrecken läuft über das Netz. In Datenbanken von Unternehmen und Universitäten schlummert das Wissen ganzer Nationen und Volkswirtschaften. Hier hat die deutsche Bourgeoisie »schlechte Karten«, ist sie doch auf modernste Technik und internationale Übertragungswege angewiesen, ohne sie selbst unter Kontrolle zu haben. Doch die Rückständigkeit der deutschen Bourgeoisie ist nichts, was zu bemitleiden wäre – könnten sie, wie sie wollten, hätten sie ähnliche Kompetenzen und Fähigkeiten wie NSA und GCHQ.

Globalisierung und imperialistische
Konkurrenz im digitalen Datenverkehr


Und auch die deutschen Dienste versuchen sich selbstverständlich in der Königsdisziplin der Kryptographie. Ob der BND über Möglichkeiten ähnlich derer der NSA oder des GCHQ verfügt, wissen wir nicht – der deutsche »Whistleblower«, der uns dies erzählen könnte, hat sich schließlich noch nicht an die Öffentlichkeit gewagt (und dürfte wohl auch auf weit weniger freundliche Anteilnahme durch die deutschen Massenmedien hoffen als Edward Snowden). Das ostentative Gejammere des BND über seine schlechte Ausstattung, die vielfältig kolportierten und in den Zeitungen hämisch kommentierten »Pannen« – unlängst sollen die Baupläne samt der eingezeichneten Sicherheitsbarrieren und Alarmanlagen des Berliner Neubaus der BND-Geheimdienstzentrale gestohlen worden sein –, all das kann auch Camouflage sein. Lügen gehört in diesem Metier schließlich zum Geschäft; sich als klein, unbedeutend und harmlos darzustellen liegt im ureigenen Interesse der Dienste. Gehen wir also sicherheitshalber davon aus, daß die deutschen Geheimdienste deutlich mehr können, als sie öffentlich zuzugeben bereit sind. Manche ihrer Fähigkeiten werden sie nur in Kooperation mit den westlichen Verbündeten entfalten können, zu anderen sind sie alleine – oder auch in Gegnerschaft zu den Diensten der NATO-Verbündeten – in der Lage.

Die britische und US-amerikanische Wirtschaft und Politik sind selbstverständlich ebenso das Ziel deutscher »Aufklärung«, ganz unabhängig von der Effizienz der BRD-Geheimdienste. Auch wenn es der deutschen Bourgeoisie nicht möglich ist, die internationalen Knotenpunkte der Kommunikation zu kontrollieren – im Zweifelsfalle einer eskalierenden Konfrontation der heutigen westlichen Verbündeten wäre die BRD wohl in der Lage, das bundesweite Netzwerk »abzuklemmen«, also ein separates, abgeschottetes Intranet anstelle eines globalen Netzwerkes zu betreiben. Die Aufteilung des bislang im wesentlichen unter US-Kontrolle stehenden, globalen Internets in verschiedene Einflußsphären – ein amerikanisch-englisches, ein chinesisches, vielleicht auch ein deutsch-europäisches Netzwerk ohne direkte Verbindung zueinander – könnte ein Resultat der fortbestehenden Rivalität der Großmächte bei gleichzeitiger technischer Möglichkeit internationaler Echtzeitkommunikation sein. Die Fäulnis und Stagnation der kapitalistischen Formation kann zwar den Fortschritt auch hier nicht stoppen, wohl aber gegen die objektiven Interessen der Menschheit wenden.

Mehr Sicherheit dank “deutscher Technik”?

Die Aufrufe, auf »deutsche Technik« umzusteigen, deutsche »Krypto-Handys« oder E-Mail-Anbieter statt der amerikanischen Konkurrenz zu wählen, sollten mit einem gewissen Mißtrauen bedacht werden – gegen den BND helfen sie nicht, und die unmittelbare Bedrohung hierzulande geht nicht von NSA und GCHQ aus, sondern von den Exekutivorganen der BRD, die dem Herrschaftserhalt der deutschen Bourgeoisie dienen. Für uns, als politisch aktive Menschen, die selbst in den Fokus der Dienste geraten können, stellt sich die Frage, ob und wie sichere Kommunikation in Zukunft überhaupt noch möglich ist. Die kurze Antwort: Potentiell ist alles, was durch die Datenkabel oder -funknetze geht, nicht sicher. Auch eine Verschlüsselung – so angeraten sie sein mag, um den Diensten ihr Handwerk zu erschweren – schützt nur bedingt: Alles, was algorhythmisiert auswertbar ist, kann auch dementsprechend behandelt werden. Was heute nicht zu knacken ist, wird in einigen Jahren dank höherer Rechenkapazität problemlos zu entschlüsseln sein.

Doch der freiwillige Rückschritt in die Kommunikationssteinzeit ist keine Lösung – würden wir um Facebook, Google oder gar das ganze Internet aus Sicherheitsgründen einen Bogen machen, schlügen wir uns Möglichkeiten zur Agitation freiwillig aus der Hand. Die ausführliche Antwort auf die Frage, was in die Öffentlichkeit gehört, hat uns eine Schrift gegeben, die aus dem Jahr 1848 stammt. Ihre Autoren kannten weder Computer noch Handy, doch an ihrer grundsätzlichen Feststellung hat sich nichts geändert: Die Kommunisten wissen, so das »Manifest der kommunistischen Partei«, nur zu gut, daß alle Verschwörungen nicht nur sinnlos, sondern gar schädlich sind. Wir haben nichts zu verbergen und verkünden unsere Ziele in aller Öffentlichkeit. Dort, wo sensible Daten wie beispielsweise Mitgliedslisten geschützt werden sollen, sollte kein Kontakt zum Internet bestehen*.

Die Perfektion ihrer geheimdienstlichen Mittel wird die Bourgeoisie auf Dauer nicht retten können, wie es auch Gewehre und Polizisten in immer größerer Zahl nicht vermögen. Die Anarchie der Produktion, die den Kapitalismus kennzeichnet, zieht sich auch durch alle anderen Facetten dieser Gesellschaftsformation – für den konkreten Bereich der Überwachung heißt das: Zwar können Computer alle menschliche Kommunikation katalogisieren, verschlagworten und speichern, doch letztlich auswerten und entscheiden müssen schließlich wieder Menschen. Das chaotische Moment steigt proportional zur Masse; mehr Daten verkomplizieren dementsprechend die Überwachung. Ob die nächste Revolution schließlich per Postkarte, E-Mail oder Brieftaube verabredet werden wird, darüber brauchen wir uns derzeit keine grauen Haare wachsen zu lassen – wenn es soweit sein sollte, wird eine Massenbewegung nicht durch Gesinnungsschnüffelei aufzuhalten sein.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf:
www.news.dkp.de - Nachrichtenportal der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).


Anmerkung:
* ...also manchmal besser offline bleiben. Wenn, obendrein, noch zur Sicherheit nächtens die Festplatten aus den entsprechenden Computern ausgebaut werden, sollten diese diebstahlsicher verwahrt sein. Die "analogen" Einbrecher sterben nicht aus und Vorsicht bleibt die Mutter der Porzellankiste. Anm. d. Red.



 


 
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  Kommentar zum Artikel von joe123:
Dienstag, 19.11.2013 - 08:42

Diese De-Mail-Zertifikate von Telekom und 1&1/web.de/gmx wirken mir auch schon wie so eine Nationalisierungsreaktion auf die Produktivkraft Internet. Kommunikationsbarbarei, das ist imperialistisch reproduzierte Kommunikationssteinzeit ... "Die deutschen Internetnutzer haben zwei Möglichkeiten" ...


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Montag, 11.11.2013 - 22:46

Manchmal ist die Realität die beste Satire: Das "Deutschlandnet" soll's richten - Kommentar von Zeit Online von heute:

Ein Schlandnet würde nur der Telekom nützen
Ein deutsches Internet aus Angst vor der NSA? Dumme Idee, sagen Experten. Denn es schützt nicht vor Überwachung und liefert die Nutzer der Telekom aus.

Angst vor der NSA? Der Innenminister hätte da eine Lösung: ein rein deutsches oder europäisches Internet, gebaut mit deutschen Leitungen, deutschen Routern. Klingt doch gut, oder? Die Telekom ist auch schon ganz begeistert.

Der Spiegel schreibt: "Die Deutsche Telekom will … ein rein deutsches Internet bauen. Datenpakete sollen in Zukunft so gelenkt werden, dass sie nur über deutsche Leitungen verschickt werden, wenn sie einen hiesigen Absender und Empfänger haben." Der vermeintliche Sicherheitsgewinn bestünde darin, dass die Daten nicht mehr über Transatlantikkabel und US-Server laufen müssten, wo sie von GCHQ und NSA routinemäßig durchleuchtet werden. Intern arbeite die Telekom bereits "mit großem Eifer" an solchen Lösungen. Mit diversen Netzbetreibern würden Gespräche laufen, "um sie für eine einheitliche Lösung zu gewinnen und Preise für das gegenseitige Nutzen der Leitungen zu vereinbaren".

Auf dem Cyber Security Summit in Bonn sagte Thomas Tschersich, Leiter der IT-Sicherheit der Telekom, gerade: "Wir haben mal nachgesehen. Uns fehlen nur noch drei Peering-Vereinbarungen zu nationalen Providern, dann hätten wir ein nationales Routing realisiert."[...]

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Von dahin bis zur Abkopplung der Domain-Name-Server, die die Adressen in IPs übersetzen, ist es dann auch kein weiter Weg mehr. Dann würden Doppel- oder Vielfachadressierungen derselben Adresse in verschiedenen "Zonen" des "world" wide web möglich; de facto wäre es damit als globaler Standard aufgehoben. Fast forward to history.