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Dossier: Hände weg von China! // Die VR China und die Einflußversuche des dt. Imperialismus
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1950/51: die Befreiung Tibets

Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong vom Tor des himmlischen Friedens die Volksrepublik China aus; mit diesen Worten „das chinesische Volk ist nun aufgestanden“ endeten dreißig Jahre Bürgerkrieg und nationaler Verteidigungskrieg. Die Invasion der japanischen Faschisten konnte 1945 erfolgreich zurückgeschlagen werden, 4 Jahre später wurden auch die Lakaien der Guomindang vertrieben: China war, nach 100 Jahren Unterdrückung und Bekriegung, endlich frei von ausländischen Mächten. Die geschlagenen Guomindang zogen sich nach Taiwan zurück; und neben der Insel Taiwan und den verbliebenen Kleinkolonien Hongkong und Macao war nun Tibet das einzige Territorium Chinas, das 1949 noch nicht befreit und in die Nation eingegliedert war. Tibet konnte 1950/51 durch einen nahezu unblutigen Einmarsch der Volksbefreiungsarmee zurückerobert werden; lediglich in der damaligen Provinz Quamdo kam es zu Gefechten, die allerdings rasch endeten und zur Absetzung des probritischen tibetischen Regenten Dhagza führten. Statt seiner wurde der 16-jährige Dalai Lama, wiewohl inthronisiert, so doch bis dahin noch nicht an den Regierungsgeschäften beteiligt, vorzeitig eingesetzt. Der Fall Quamdos versetzte die feudale Theokratenclique in Lhasa in Furcht: überstürzt und mit ihrem immensen Goldschatz im Gepäck verließen die Anführer der herrschenden Feudalklasse die Hauptstadt und setzten sich vorübergehend an die Grenze ab.

Durch die freiwillige Abschottung vom Rest der Welt und den Versuchen, auch sämtliche Verbindungen zum chinesischen Mutterland zu kappen, herrschte Konfusion in den Regierungsetagen des alten Tibet: wer waren diese Truppen, die unter den Bildern Mao Zedongs und Zhu Des (des Oberkommandierenden der VBA) anmarschiert kamen, und dessen Anführer bei den analphabetischen Bauern zu einem gemeinsamen Volkshelden mythischer Statur namens „Mao Zhu“ verschmolzen waren? Was für einer Ideologie folgten sie, was wollten sie in Tibet ändern? Ging es nur um Wiederherstellung der unterbrochenen Oberhoheit Chinas, die mehr nominell war und sich, wie seit den Jahrhunderten der untergegangenen Qing-Dynastie, auf Kontributionen und offizielle Verkündigungen beschränkte? Könnte man also vielleicht, nach einer kurzen Phase der Unordnung, weiterwirtschaften wie zuvor? Vielleicht trieb diese Überlegung den tibetischen Mönchsadel für kurze Zeit an die indische Grenze in Abwartehaltung, und dann zur Rückkehr nach Lhasa: Man wollte die neuen Herren erstmal in Augenschein nehmen, nichts überstürzen – zu groß wären die Verluste an Macht und Gold, wenn man vorzeitig abrücken würde ...

Der 17 Punkte Vertrag vom 23. Mai 1951 zwischen der Volksrepublik China und der Regierung von Tibet über die Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets

1. Das tibetische Volk soll sich zusammenschließen und die imperialistischen Angreifer aus Tibet vertreiben; das tibetische Volk soll in die große Völkerfamilie des Mutterlandes der Volksrepublik China zurückkehren.
2. Die lokale Regierung Tibets soll die Volksbefreiungsarmee beim Einrücken in Tibet aktiv unterstützen und die nationale Verteidigung festigen.
3. In Übereinstimmung mit der Politik gegenüber den nationalen Minderheiten Gruppen, wie sie im „Allgemeinen Programm“ der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (CPPCC) verankert ist, hat das tibetische Volk das Recht zur Ausübung regional nationaler Autonomie unter der geeinten Führung der Zentralen Volksregierung.
4. Die Zentralbehörden werden das bestehende politische System in Tibet unverändert lassen. Die Zentralbehörden werden außerdem den bestehenden Status, die Funktionen und Befugnisse des Dalai Lama nicht antasten. Die Beamten der verschiedenen Rangstufen sollen ihre Ämter ausüben wie bisher.
5. Der bestehende Status, die Funktionen und Befugnisse des Pantschen Lama sollen erhalten bleiben.
6. Mit dem bestehenden Status, den Funktionen und Befugnissen des Dalai Lama und des Pantschen Lama sind der Status, die Funktionen und Befugnisse des Dreizehnten Dalai Lama und des Neunten Pantschen Lama zu der Zeit gemeint, als zwischen beiden freundschaftliche und friedliche Beziehungen bestanden.
7. Die Politik der religiösen Glaubensfreiheit, wie sie im Allgemeinen Programm der Politischen Konsulatativkonferenz des Chinesischen Volkes (CPPCC) niedergelegt ist, soll wirksam werden. Religion, Sitten und Gebräuche des tibetischen Volkes sollen respektiert und die Lamaklöster geschützt werden. Die Zentralbehörden werden den Klöstern unverändert ihre Einkünfte belassen.
8. Die tibetischen Streitkräfte werden Schritt für Schritt der Volksbefreiungsarmee eingegliedert und Bestandteile der nationalen Verteidigungskräfte der Volksrepublik China werden.
9. Die Sprache in Wort und Schrift sowie das Schulwesen der tibetischen Nationalität sollen in Übereinstimmung mit den heutigen Bedingungen in Tibet Schritt für Schritt entwickelt werden.
10. Die tibetische Landwirtschaft, Viehzucht, Industrie und der Handel sollen schrittweise entwickelt und der Lebensstandard des Volkes in Ãœbereinstimmung mit den heutigen Bedingungen in Tibet schrittweise verbessert werden.
11. Hinsichtlich verschiedener Reformen in Tibet werden die Zentralbehörden keinen Zwang ausüben. Es bleibt der lokalen Regierung in Tibet überlassen, Reformen selbständig durchzuführen, und wenn im Volk Reformwünsche laut werden, sollen sie durch Beratung mit den maßgeblichen Personen in Tibet erfüllt werden.
12. Insofern frühere, dem Imperialismus und der Guomindang zugeneigte Beamte alle Beziehungen zu imperialistischen Kräften und zur Guomindang entschieden abbrechen und weder Sabotage betreiben noch Widerstand leisten, dürfen sie ungeachtet ihrer Vergangenheit im Amt bleiben.
13. Die in Tibet einrückende Volksbefreiungsarmee wird die oben aufgeführten politischen Richtlinien beachten, wird sich bei allen Käufen und Verkäufen anständig verhalten und der Bevölkerung nicht das Geringste, weder Nadel noch Faden, gewaltsam nehmen.
14. Die Zentrale Volksregierung soll die auswärtigen Angelegenheiten des Gebietes Tibet einheitlich handhaben. Mit den Nachbarländern wird friedliche Koexistenz herrschen, und auf der Basis von Gleichheit, gegenseitigem Nutzen und gegenseitiger Achtung der Grenzen und der Souveränität werden mit ihnen faire Wirtschafts- und Handelsbeziehungen aufgenommen und entwickelt werden.
15. Zur Sicherung der praktischen Durchführung dieses Abkommens soll die Zentrale Volksregierung einen Militär- und Verwaltungsausschuss sowie ein militärisches Hauptquartier in Tibet schaffen. Außer dem von der Zentralen Volksregierung entsandten Personal soll möglichst viel einheimisches tibetisches Personal zur Mitarbeit herangezogen werden. Zu dem einheimischen tibetischen Personal, das in dem Militär- und Verwaltungsausschuss mitarbeitet, können patriotische Kräfte aus der lokalen Regierung Tibets, aus verschiedenen Gebieten und aus führenden Klöstern gehören; die Namensliste soll nach Konsultation zwischen den Beauftragten der Zentralen Volksregierung und den verschiedenen in Frage kommenden Behörden aufgestellt und der Zentralen Volksregierung zur Genehmigung vorgelegt werden.
16. Die Kosten für den Militär- und Verwaltungsausschuss, das militärische Hauptquartier und die in Tibet einrückende Volksbefreiungsarmee werden von der Zentralen Volksregierung getragen. Die lokale Regierung Tibets wird die Volksbefreiungsarmee beim Ankauf und Transport von Lebensmitteln, Futter und anderen Dingen des täglichen Bedarfs unterstützen.
17. Dieses Abkommen tritt sofort in Kraft, nachdem die Unterschriften geleistet und die Dokumente gesiegelt sind.

Unterzeichnet und besiegelt von den bevollmächtigten Delegierten der Zentralen Volksregierung: Chef-Delegierter Li Wei-han (Vorsitzender der Kommission für Angelegenheiten der Nationalitäten) Delegierte: Chang Ching-wu, Chang Kuo-hua, Sun Chih-yuan.
Bevollmächtigte Delegierte der Landesregierung Tibets: Chef-Delegierter: KaIön Ngabö Ngawang Dschigme (Ngabö Schape); Delegierte: Dsasag Kemä Sonam Wangdü, Kendrung Tubten Tender, Kentschung Tubten Legmön, Rimschi Samposä Tenzin Döndrub.
Peking, am 23. Mai 1951
Diese Überlegung schien zunächst gerechtfertigt: die chinesische Volksregierung setzte nach der Rückeroberung Tibets ein 17-Punkte-Abkommen auf1 , das unter Berücksichtigung der besonderen, rückständigen Zustände in Tibet nur die nackte Leibeigenschaft in die Geschichtsbücher verbannte, sonst aber wenig zu ändern drohte: der Klerus und seine Klöster, der Adel und seine Landgüter blieben unangetastet, es gab keine Enteignungen und Hinrichtungen. Dass das 17-Punkte-Abkommen im Jahre 1959 einseitig durch die tibetische Feudalklasse gebrochen wurde, was anschließend zu ihrer völligen Absetzung und zu durchgreifenden demokratischen Reformen (wie beispielsweise der tibetischen Landreform) führte, steht auf einem anderen Blatt und hängt dennoch eng mit dem untypischen Einmarsch der VBA zusammen: die alten Herrscher konnten sich, gesetzmäßig aus ihrer historischen Rolle heraus, selbst mit den erst einmal nur minimalen Verlusten nach 1950 nicht abfinden, und insbesondere die Großgrundbesitzer rebellierten gegen das Ende der Leibeigenschaft.
Die Soldaten mit dem roten Stern an der Mütze kamen zwar in friedlicher Absicht und hatten überhaupt nicht vor, den Klerus und Adel selbst abzusetzen. Doch die Boten der neuen Zeit lösten eine Eigendynamik aus, die die tibetische Gesellschaft revolutionierte: die Bauern legten Gebetsmühle und Büßergewand ab und hinterfragten auf einmal die Herrschaftsmuster, die Nachrichten der großen wirtschaftlichen Erfolge aus anderen Teilen der VR China kamen auch in Tibet an, und die sich auch in Tibet etablierende Kommunistische Partei hatte ganz andere Losungen und Vorstellungen als die Boten Han-Chinas aus früheren Zeiten mitgebracht: die Zeit der unumschränkten Herrschaft unter goldenen Buddhastatuen war vorbei, unwiederbringlich.
Der Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee beendete das Mittelalter in Tibet. Auch wenn in der extrem rückständigen Region, nicht zuletzt durch das unwegsame und lange schwer bis gar nicht zugängliche Terrain, nur langsam Fortschritte zu erwarten waren, endete zumindest die absolute, auf religiösen Fanatismus und oftmals nackte Gewalt gestützte Herrschaft der Mönchstheokratie über die Masse des unaufgeklärten, in Armut und Dummheit gehaltenen Volkes. Die Zukunft hielt Einzug in Tibet, und ließ alle Tibeter an ihr teilhaben: die tibetische Kultur und Schrift erfuhr nicht nur Schutz, sondern wurde – dank der Alphabetisierung – endlich zum Allgemeingut. Die Medizin verlängerte die Lebenszeit der Menschen, fortschrittlichere Produktionsmethoden erleichterten den Alltag.
So setzte auch keineswegs eine große Fluchtbewegung ein, als die chinesische Armee eintraf – selbst der Dalai Lama, nach seiner Flucht vor der Volksbefreiungsarmee an die indische Grenze wieder nach Lhasa zurückgekehrt, hielt es noch ganze neun lange Jahre recht gut mit den neuen Herrschern aus – er wurde gar als Vizepräsident in den Nationalen Volkskongress (das chinesische Parlament) gewählt2 . Die chinesische Zentralregierung handelte nach dem Prinzip der Selbstbefreiung und gestattete einem Gremium, dem der Dalai Lama vorstand und das verschiedene religiöse Würdenträger beinhaltete, weitestgehende Autonomie, insbesondere in Fragen Freiheit der Religionsausübung und innerprovinzieller Verwaltung. Die Volksrepublik übernahm nicht einmal die tibetische Polizei, sondern nur die militärische Präsenz an den Grenzen zu Indien und den weiteren Anrainerstaaten.

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1954 in Beijing: von rechts nach links der Dalai Lama, Mao Zedong und der Panchen Lama (Panchen Erdini).
Ein Kapitel, an das der Dalai Lama heute nur noch ungern erinnert wird: die damalige Zusammenarbeit zwischen der Provinzregierung der neuen „Autonomen Region Tibet“ und der Zentralregierung gestaltete sich gewinnbringend für beide Seiten. Der Dalai Lama nahm an einer großen Rundreise durch die Volksrepublik teil, begeisterte sich – laut eigener Aussage – nicht nur für die ungeheuren technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern selbst für den atheistischen Marxismus: „Je mehr ich mich mit dem Marxismus beschäftigte, desto besser gefiel er mir. [...] Der einzige theoretische Nachteil des Marxismus war, soweit ich das beurteilen konnte, dass er auf einer rein materialistischen Sichtweise der menschlichen Existenz beharrte. Damit konnte ich nicht einverstanden sein. [...] Trotzdem äußerte ich den Wunsch, Parteimitglied zu werden.“3
Auch der Vorsitzende Mao Zedong übte keinen schlechten Eindruck auf den jungen Dalai Lama aus: „Ich saß neben ihm und spürte, welche Macht seine Persönlichkeit ausstrahlte. [...] Schon ehe ich China verließ, war ich tief beeindruckt von Mao Zedongs außergewöhnlicher Persönlichkeit. Ich hatte ihn, abgesehen von unseren privaten Zusammenkünften, bei vielen gesellschaftlichen Anlässen getroffen. Seine Erscheinung verriet nichts von seiner geistigen Macht. [...] Er war langsam in seinen Bewegungen und noch langsamer im Sprechen. Geradezu wortkarg, redete er nur in kurzen Sätzen, jeder aber voller Bedeutung und fast immer klar und präzise; beim Sprechen rauchte er unaufhörlich. Dennoch fesselte seine Art zu reden ganz sicher Verstand und Phantasie seiner Zuhörer und erweckte den Eindruck von Wohlwollen und Offenheit. Ich war überzeugt, dass er selbst glaubte, was er sagte, und dass er voller Zuversicht war, alles erreichen zu können, was er beabsichtigte; ich war auch sicher, dass er selbst niemals Gewalt anwenden würde, um Tibet in einen kommunistischen Staat zu verwandeln. Gewiss – die Verfolgungspolitik der chinesischen Funktionäre in Tibet hat mir später meine Illusionen genommen. Aber es fällt mir noch immer schwer zu glauben, dass diese Unterdrückungsmaßnahmen die Billigung und die Unterstützung eines Mao Zedong fanden.“4

Wann immer die anfängliche Begeisterung des Dalai Lama gegenüber der Volksrepublik und ihrer Repräsentanten, die er heute zu relativieren oder wegzureden sucht, in unversöhnliche Feindschaft umschlug: die – moralisch begründete – Zuversicht des jungen Mannes, der sich anfänglich von der Aufbaustimmung in der VR China mitreißen ließ, stieß irgendwann an ihre Grenzen – der Dalai Lama schildert selbst im obigen Zitat, wie ihn die „rein materialistische“ Grundlage des marxistischen Denkens störte. Für einen seit dem 4. Lebensjahr von selbstherrlichen Mönchen in strenger Klausur erzogenen Menschen, der vom Alltagsleben nichts und vom Rest der Welt höchstens durch den Mund eines SA- und SS-Mannes erfahren konnte, musste es ganz sicher äußerst schwer sein, die so von klein auf antrainierten Denk- und Verhaltensmuster abzulegen. Der Dalai Lama entschied sich – entsprechend seiner Klassenlage – für die Vergangenheit, gegen die Zukunft. So mag die persönliche Komponente aussehen, die zum Bruch mit China und ins Exil nach Indien führte. Die tatsächlichen gesellschaftlichen Ursachen waren freilich andere, auch wenn dem Dalai Lama dies selbst – vielleicht bis heute – nicht klar ist.

Denn die Fäden hinter den Kulissen zogen oftmals ganz andere Leute, die den „Ozean der Weisheit“ sicher ebenso sehr manipulierten und nutzten, wie er selbst seine Umgebung zu gebrauchen verstand. Die Familie des Dalai Lama, insbesondere seine Mutter, die als Gebärerin des „Gottkönigs“ eine ganz eigene Verehrung im „alten Tibet“ genoss, aber auch die Brüder, die ebenfalls in der religiösen und staatlichen Hierarchie aufgestiegen waren, stellte einen eigenen Machtfaktor in der Provinz dar, auch nach 1950. Thupten Jigme Norbu und Gyalo Thöndrup, die beiden älteren Brüder des Dalai Lama, nahmen bereits im Jahr 1956 mit der amerikanischen CIA Kontakt auf. Ab 1958 wurde eine durch die CIA in den USA trainierte und bewaffnete Truppe von 400 Guerillakämpfern, die später – was nie geschah – um 3.500 weitere Kämpfer aufgerüstet werden sollte, im nepalesischen Berggebiet stationiert, das überwiegend von Tibetern besiedelt ist. Dort wurden weitere ethnische Tibeter rekrutiert, von der CIA gedrillt und bewaffnet.5 6 Sie konnten „den Chinesen mehrere Male erheblichen Schaden zufügen“, wie der friedliebende Dalai Lama nicht ohne Genugtuung feststellt.7
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Die „Tibetische Exilregierung“ beansprucht ein sogenanntes „Groß-Tibet“, welches rund ein Viertel des gesamten chinesischen Territoriums ausmachen würde, und verlangt wahlweise dessen staatliche Unabhängigkeit oder „weitestgehende Autonomie“ inklusive Demilitarisierung und ethnischer Säuberung von allen Nicht-Tibetern. Das sog. „Groß-Tibet“ hat keinerlei historische Tradition und umfasst simpel zusammengenommen alle Gebiete, in denen Tibeter leben: neben der Autonomen Region Tibet selbst sind dies 4 weitere Provinzen Chinas. In der Provinz Qinghai, die nahezu komplett beansprucht wird, leben nur 22,5% Angehörige der nationalen Minderheit der Tibeter; in der bevölkerungsreichen Provinz Sichuan, das der Dalai Lama zur Hälfte beansprucht, lediglich 1,54%.
Vor dieser schon an militärische Auseinandersetzungen grenzenden Rebellentätigkeit, die durch die zur parasitären Oberschicht gehörenden Angehörigen der Dalai-Lama-Familie inszeniert wurden, war es wiederholt zu Spannungen zwischen dem kleinen, an Leibeigenschaft und absoluter Herrschaft festhaltenden Teil der tibetischen Oberschicht und der bäuerlichen Bevölkerung, die – ermutigt durch die Soldaten der Volksbefreiungsarmee – soziale Reformen anstrebte, gekommen. Auch wenn das 17-Punkte-Abkommen die innenpolitische Souveränität der Provinzialregierung festlegte, war doch die durch die Befreiung und Abschaffung der Leibeigenschaft entstandene Dynamik in der tibetischen Gesellschaft nicht mehr aufzuhalten: die neue Zeit hatte Einzug gehalten, und immer mehr Menschen wollten an ihren Errungenschaften teilhaben. Die Beseitigung der letzten feudalen Relikte war dafür die Grundvorausetzung. Die reaktionären Klassen wehrten sich dagegen, und die Unterstützung durch imperialistische Mächte, zunächst insbesondere die USA, kamen ihnen dabei gelegen. Mit ihrer Rebellenarmee, die unter dem Namen „Religionsschutzarmee“ auf Menschenfang ging, erfasste die Rebellion schließlich 1959 weitere Gebiete des Landes, insbesondere auch Lhasa. Der bis dahin zögerliche und zaudernde Dalai Lama konnte nun schlussendlich mit dem verbreiteten Gerücht, die Chinesen wollten ihn kidnappen, zur Beteiligung überredet werden. Doch es half alles nichts: die Rebellion wurde niedergeschlagen und die Rebellenarmee entwaffnet, wenn sie nicht ins sichere Ausland entkam. Mit ihnen, den geschlagenen alten Kräften Tibets, floh der Dalai Lama. Er hat seitdem China und die Region Tibet nie wieder betreten.

Das heutige Refugium des Dalai Lama heißt Dharamsala und liegt im Bundesstaat Himachal Pradesh, Indien. Dieses von der indischen Regierung 1960 zur Verfügung gestellte Gebiet umfasst den Ort McLeodGanj, rund 10 Kilometer von der eigentlichen Bezirkshauptstadt Dharamsala entfernt, und war früher ein britischer Garnisonsstützpunkt gewesen und bis zur Ankunft des Dalai Lama und seines Gefolges eine Art Geisterstadt – nun hielt die so genannte „Exilregierung Tibet“ dort Einzug, um nicht nur eine geistige, sondern auch eine ganz weltliche Herrschaft über einige Tausend freiwillig exilierte Tibeter und eher unfreiwillig dort lebende Inder anzutreten. Von hier aus sollen sich – bis heute – alle Aktivitäten des Dalai Lama und seiner Getreuen entfalten, die auf die „Unabhängigkeit“ Tibets abzielen: die „Exilregierung“, von keinem einzigen (!) Staat der Welt anerkannt8 , erhebt den Anspruch nicht nur auf die autonome Region Tibet, sondern auch auf weitere Gebiete der Volksrepublik, die – nach ihrer Lesart – zu einem „Groß-Tibet“ gehören.

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg lag der deutsche Imperialismus am Boden – und wäre, bei Umsetzung der von den alliierten Siegermächten erlassenen Bestimmungen, auch dort geblieben. Nach der Konfrontation der westlichen Siegermächte mit der sozialistischen Sowjetunion, nach dem kalkulierten Widererstarken der deutschen Imperialisten ging des darum, das verlorene Terrain wettzumachen, alte Beziehungen wieder herzustellen und so für die kommenden Auseinandersetzungen gerüstet zu sein. Die VR China, unterdessen Teil der sozialistischen Staatengemeinschaft, wurde zum neuen Fokus imperialistischer Mächte. Der Koreakrieg bewies, dass die nackte militärische Drohung, auch mit Atomwaffen, wenig auszurichten in der Lage war.
Heutzutage hat sich der deutsche Imperialismus genügend emanzipiert, um erneut zu zündeln: die „weiche“, verhüllte Form imperialistischer Aggression, also per innerer Schwächung, Unterstützung separatistischer Kräfte und Schürung von Unruhen mittels Hilfsbataillonen, war seit jeher ein besonderes Metier des deutschen Imperialismus. An China konnte nun mit der Hilfe der alten tibetischen Feudaleliten erneut der Hebel angesetzt werden.


Von seinem Exilsitz ausgehend operiert der Dalai Lama seit Ende der fünfziger Jahre unter wohlwollender Duldung durch die indische Regierung. Jawaharlal Nehru, seinerzeit Indiens Ministerpräsident, gab dem Dalai Lama Asyl in Indien unter der Bedingung, auf jegliche politische Aktivitäten zu verzichten und ohne Tibet als eigenständigen Staat anzuerkennen. Das politische Kalkül dahinter war, gegen China, welches die von den Briten gezogene „McMahon-Linie“9 in Assam als indische Grenze zu China nicht anerkennen wollte, Druck aufzubauen. Unterstützt in diesem Grenzkonflikt wurde Indien von der Sowjetunion Chruschtschows und den USA gleichermaßen, der Dalai Lama diente so als „Faustpfand“ für die eigenen territorialen Interessen. Auch heute noch nimmt Indien jährlich 3.000 tibetische Flüchtlinge aus China auf10 , ohne ihnen allerdings irgendwelche Expositionsrechte zu gewähren: So wurde kürzlich ein Protestzug von 100 Tibetern zur chinesischen Grenze blockiert und 30 Demonstranten des „Tibetischen Jugendkongresses“ (TYC) in Neu-Delhi verhaftet. Schließlich hat die indische Regierung kein Interesse an den politischen Phantasien der Exil-Tibeter bzw. einer ihnen geschuldeten Verschlechterung der indisch-chinesischen Beziehungen und verlangt entsprechende Zurückhaltung von den Exilanten. Als Manövriermasse auch für indische Interessen sind sie dennoch nach wie vor brauchbar.11

Der deutsche Imperialismus tritt erneut auf den Plan

[file-periodicals#54]Das Ziel der „tibetischen Exilregierung“, stilecht aufgebaut mit „Außenministerium“, „Ministerpräsident“ u. ä., ist die Unabhängigkeit Tibets – in den Phantasiegrenzen eines „Groß-tibetischen Reiches“ mit beinahe einem Viertel des gesamten chinesischen Territoriums, weit über die tatsächlichen Grenzen der Autonomen Region Tibet hinaus. Der selbsterklärte „Exilherrscher“ Tenzin Gyatso alias 14. Dalai Lama, der sich gerne als „weltliches und geistiges Oberhaupt der Tibeter“ präsentiert und sich dabei herzlich wenig um die vielen nicht-buddhistischen Tibeter, um die Angehörigen anderer, den Dalai Lama nicht anerkennenden buddhistischen Schulen oder gar Angehörigen anderer Nationalitäten in Tibet schert, passt ausgezeichnet in die Strategien imperialistischer Länder gegen die VR China: durch diplomatischen Druck, kalkulierte Unruhen und Guerillakampf soll die Volksrepublik an ihrer Westgrenze mürbe gemacht und sturmreif geschossen werden; der Dalai Lama, der bei manchen gläubigen Tibetern nach wie vor oftmals große religiöse Verehrung genießt, ist die geeignete und willige Marionette für dieses Unterfangen.
Seine – nicht sehr große – weltliche Herrschaft in Dharamsala konnte und kann der Dalai Lama dabei vor allem auch dank deutscher Unterstützung entfalten. Aufgrund möglicher diplomatischer Verwicklungen wurden die Beziehungen zur „Exilregierung“ bisher bevorzugt über die so genannten „Nicht-Regierungs-Organisationen“ („non-governmental organizations“, kurz „NGOs“), die im imperialistischen Waffenarsenal einen festen Platz als Unterwanderungs- und Einflussinstrumente einnehmen, abgewickelt: die FDP-nahe „Friedrich-Naumann-Stiftung“ (FNSt)12 und die „Grünen“-nahe „Heinrich-Böll-Stiftung“ verfügen über Jahrzehnte alte Exklusivbeziehungen zur Clique um den Dalai Lama13 .

Die FNSt beispielsweise organisiert seit Jahren gemeinsam mit der „Exilregierung“ internationale „Tibetkonferenzen“, deren zweite im Jahr 1996 in Bonn zu heftigen diplomatischen Verstimmungen mit der Regierung der VR China und zur Schließung des FNSt-Büros in Beijing führte. Die FNSt ,,berät“ das tibetische Exilparlament nach eigenen Angaben seit 1991 ,,in allen Fragen der politischen Bildung.14 Auch wenn die Forderung des Dalai Lama nach Unabhängigkeit für Tibet selbst in den Augen seiner Auftraggeber unrealistisch erscheint, besteht dennoch die Hoffnung, China zu größeren Autonomiezugeständnissen für Tibet zu zwingen: für Deutschland ergäben sich über die vielfältigen Bande durch die diversen NGOs neue und größere Einflussmöglichkeiten. Wenn die tibetische „Exilregierung“ heutzutage (verbal) von ihren Forderungen nach „Unabhängigkeit“ Abstand genommen hat und „nur“ noch „weitestgehende Autonomie“ für „Groß-Tibet“ innerhalb Chinas verlangt, liegt auch diesem Ansinnen deutsche Vorarbeit zugrunde: der Dalai Lama und seine Clique setzen auf ein deutsches Modell der „Volksgruppen“-Autonomie, das nach völkischen Gesichtspunkten aufgebaut ist – und unter anderem für die italienische deutschsprachige autonome Region Trentino-Alto Adige („Südtirol“) durchgesetzt werden konnte. Schon im Jahre 1993 ergaben sich zwischen dem „Außenminister“ der tibetischen „Exilregierung“ und der „Europäischen Akademie Bozen“ aus dem Alto Adige Kontakte, die zur Gründung eines an die Akademie angeschlossenen „Instituts für Volksgruppenrecht“ führte. Sowohl 1997 als auch 2005 besuchte der tibetische „Exilherrscher“ persönlich Bolzano und fasste das Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit folgendermaßen zusammen: „Südtirol hat für Tibet durchaus Vorbildcharakter“.15

[3-3.jpg]Noch früher als die FDP-nahe FNSt nahmen die deutschen „Grünen“ Kontakte zur „Exilregierung“ auf. Insbesondere die damaligen „Grünen“-Politiker Kelly und Bastian nahmen sich der „tibetischen Sache“ mit geradezu missionarischem Eifer an: 1989 führte Kelly eine „Tibet-Anhörung“ in Bonn durch, zu der Vertreter verschiedenster Parteien aus mehreren Ländern anreisten. Zuvor war es Kelly und Bastian bereits gelungen, den deutschen Bundestag zu einer überfraktionellen Resolution zu bewegen, der nicht nur die „Menschenrechtsverletzungen“ in Tibet verurteilte, sondern gar noch die Unterstützung für die Aktionen des Dalai Lama beinhaltete. Dies war nicht nur eine eklatante Einmischung in innerchinesische Verhältnisse; der spätere Auftritt des Dalai Lama vor dem deutschen Parlament, zu dessen Ehren gar die Flagge der Exilregierung (!) gleichberechtigt mit der Bundesflagge aufgezogen wurde, löste einen außenpolitischen Eklat aus. Bei jener Anhörung vor dem Bundestag kam es nun zu dem, was die Initiatoren aus dem Hauptquartier der „Grünen“ und ihre Männer aus Dharamsala erwarteten: ein antichinesisches Tribunal wurde inszeniert. Da konnten sich – immerhin vor dem deutschen Parlament! – tibetische Separatisten und Rebellenführer die Klinke in die Hand geben; der Chef des militanten „Tibetan Youth Congress“ (TYC) machte gar konkrete Pläne vor der deutschen Volksvertretung: Waffen bräuchte man, um endlich gegen die Chinesen vorzugehen. Eine Vertreterin der Untergrundgruppe war ganz pragmatisch: man müsse „chinesische Häuser anzünden: Sabotage“.16 Weder die vorgebliche Pazifistin Kelly, noch der „Friedensfürst“ Dalai Lama distanzierten sich je davon.
Auch nach dem Tod der beiden grünen Tibetexperten Kelly und Bastian sind die engen Beziehungen zum Dalai Lama nie abgerissen: Die grüne „Heinrich-Böll-Stiftung“ Hessen beispielsweise, die sich dem „Selbstbestimmungsrecht der Tibeter“ widmet und die territoriale Integrität der VR China in Frage stellt, nimmt mit ihren Aktivitäten an einer Kampagne gegen Beijing teil, durch die Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik der VR China „radikalere Aktionen“ androhen.17 „Wir wollen den Chinesen Tibet wieder abnehmen“18 , heißt es im Tibet-Forum, einem Bonner Kampf-Blatt, dessen „Redaktionskoordinator“ bei der Böll-Stiftung referierte. Die Stiftung lud im Jahr 2006 zu einer öffentlichen Diskussion über die „Tibet-Frage“ ein und wollte dort Einwirkungsmöglichkeiten durch „die deutsche bzw. die europäische Politik“ untersuchen. Wie es in einem Aufruf des 14. Dalai Lama heißt, gebühre der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten die „Führung“, um gegen Beijing vorzugehen.

Besondere Zuneigung erfährt der Dalai Lama durch den jüngst abgewählten und nun die Möglichkeiten einer antiparlamentarischen Minderheitsregierung auslotenden CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, der speziell dessen „Bekenntnis zur Gewaltfreiheit“19 lobt und ihm einen „Hessischen Friedenspreis“ verlieh. Die angebliche Gewaltfreiheit geht mit unmissverständlichen Drohungen einher. Die VR China habe sich einem „Wandel“20 zu unterziehen, dekretiert der Exil-Politiker, und könne sonst nicht hoffen, „wirkliche Stabilität zu erlangen“. Nur wenn Beijing den Forderungen nachkommt, werde „die Transformation Chinas glatt und ohne größere Unruhen“ verlaufen, warnt „Seine Heiligkeit“. Roland Kochs Interesse an Tibet rührt aus den 80er Jahren, 1995 ermöglichte Koch dem Dalai Lama einen Auftritt im hessischen Landtag – 10 Jahre später, bei der Übereignung des „Friedenspreises“, ließ Roland Koch vor dem Landtag die exiltibetische Flagge aufziehen.21


Anmerkungen:
1 Siehe hierzu die Infobox.
2 vgl. hierzu: Siren & Gewang, „the 14th Dalai Lama“, China Intercontinental Press, 1997, S. 2.
3 Dalai Lama, Buch der Freiheit, S. 132
4 Dalai Lama, Mein Leben und mein Volk – die Tragödie Tibets, München, 1962, S. 154f.
5 vgl. Goldner, Colin: Dalai Lama, Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg, 1999, S. 133
6 vgl. Historische Koordinaten Chinas-Tibets, China Intercontinental Press, 1997, S. 290
7 Dalai Lama, Buch der Freiheit, S. 281
8 auch nicht von Deutschland, selbst wenn dies oft ganz anders erscheint. Anm. d. Verf.
9 dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 2, S. 265
10 insgesamt leben unterdessen ca. 120.000 Tibeter im ausländischen Exil, die meisten davon in Indien, einige Tausend auch in der BRD. Nicht verwechselt werden dürfen die im indischen Exil lebenden Tibeter mit den seit jeher in den Grenzregionen Indiens, Nepals, und Chinas lebenden Tibetern, die dort traditionell ansässig sind. Anm. d. Verf.
11 vgl. Financial Times Deutschland, 19.3.2008
12 dass Friedrich Naumann, der Namensgeber der FDP-nahen Parteienstiftung, der Erfinder des Begriffes „Nationalsozialismus“ ist, sei nur am Rande hinzugefügt. Friedrich Naumanns Schriften, insb. der „national-soziale Katechismus“ aus dem Jahre 1897 (!), lesen sich streckenweise höchst „modern“ und nehmen einiges am sozialdemagogischen Repertoire vorweg, an dem sich später u. a. die deutschen Faschisten freigiebig bedienten. Anm. d. Verf.
13 siehe www.german-foreign-policy.com, „Die Tibetfrage“ 31.10.2004
14 Buchbesprechung: ,,Tibet im Exil“; www.fnst.org
15 siehe hierzu: www.german-foreign-policy.com, „Schwächungsstrategien I“, 27.09.2007
16 ebenda
17 vgl. hierzu: www.german-foreign-policy.com, „Härtere Gangart“, 18.09.2006.
18 Tseten Norbu: Die Rückeroberung Tibets. Tibet-Forum 1/2000
19 Dalai Lama, „tageszeitung“, 28.07.2005
20 Aufruf des Dalai Lama, 10.03.2004
21 siehe hierzu: www.german-foreign-policy.com, „Schwächungsstrategien I“, 27.09.2007



 
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