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Die SPD hat es nicht leicht. Sie kann gar nicht so schnell einknicken, wie sich die Stimmung in diesem Land nach rechts dreht. Nun hat Sigmar Gabriel mit der »inneren Sicherheit« ein neues »ursozialdemokratisches Thema« entdeckt – doch den Dirigentenstab hat nicht der Vizekanzler in der Hand. Der darf nur mitpfeifen. Seine Idee, ausreisepflichtige sogenannte Gefährder anlasslos in Haft zu nehmen, war schon Makulatur, bevor sie aus ihm herausquoll.

Thomas de Maizière (CDU) ist eben einfach härter. Unterschiedslos alle abgelehnten Asylsuchenden sollen nach den Ordnungsphantasien des Innenministers in Lagern interniert werden, für die er den Euphemismus »Bundesausreisezentren« ersonnen hat. Die FAZ bleibt in ihrem Leitartikel bodenständiger, »Schutzhaft« nennt sie das. Wie 1935. Doch abschieben lassen ist nicht nur eine Maßnahme, es ist eine Ideologie: De Maizière sieht eine »nationale Kraftanstrengung« darin, all jene Flüchtlinge, die man vor zwei Jahren willkommen geheißen hatte, wieder loszuwerden.

Überhaupt, von »Willkommenskultur« sollte niemand mehr reden, denn seitdem ist einiges passiert, nicht zuletzt die Mobilmachung der Sicherheitsapparate. Für die hat die Bescherung bereits am 19. Dezember stattgefunden. An diesem Tag raste ein Attentäter mit einem Lkw in einen Berliner Weihnachtsmarkt, und da war klar: Nun haben sie ihren Notstand. Man muss nicht spekulieren, wie es dem unter Bewachung des Inlandsgeheimdienstes stehenden Islamisten Anis Amri gelang, diese Mordtat durchzuführen: Es war ein »V-Mann« des Verfassungsschutzes, der den Terroristen nach Berlin chauffierte. Diesem verkündete Amri schon im April 2016, »Anschläge in Deutschland begehen zu wollen«. Mit diesem Wissen beendete der Dienst im September die Observierung. Im Dezember schlug Amri zu. Die Schubladen des Innenministeriums, in denen es eng zu werden drohte, können nun um all die Pläne, die dort ihrer Durchführung, Umsetzung und Vollstreckung harrten, erleichtert werden.



»In einer Zeit weltweiter Wanderungsbewegungen«, schreibt de Maizière, benötige die BRD die »Führungsrolle«. Ihr erstes, aber sicher nicht letztes Opfer ist die Unschuldsvermutung. Mit dem »Nafri« ist der politisch korrekte Negerbegriff gefunden worden, um zum Halali auf die geltenden Gesetze zu blasen. Und Gabriel darf sich sicher sein: Das Land, bei dessen Umbau zum Polizeistaat er tatkräftig mitwirken möchte, wird ihm dies nicht danken.

Wenn der letzte »Nafri« nach gemeinsamer »Anstrengung« abgeschoben ist, wird es mit den Gemeinsamkeiten auch schon wieder vorbei sein. Und der Apparat wird neue Ziele finden – solche, die den »sozialen Frieden« bedrohen zum Beispiel: Ist denn Streik nicht auch Terror, gegen die Wirtschaft? Irgendwann trifft es auch wieder die Sozialdemokraten. Denn denen hat ihre Servilität noch niemals genützt.


Tageszeitung junge Welt, 4.01.2017

 
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