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BONN (26.11.2012) - Mit einem aktuellen Internet-Schwerpunkt zu ihrer Geschichte erinnert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) an ihre Gründung vor 60 Jahren. Die Institution ist am 25. November 1952 errichtet worden - nach dem Modell der "Reichszentrale für Heimatdienst" aus der Weimarer Republik. Während die Bundeszentrale behauptet, ihre Vorgängerin habe vor allem "republikfreundliche Kräfte" unterstützt, zeigt eine aktuelle Untersuchung über die Vor- und Frühgeschichte der bpb, dass die Reichszentrale faktisch gegen den Versailler Friedensvertrag opponierte und deutsch-völkische Politikmodelle bewarb. Bundesinnenminister Gustav Heinemann widersetzte sich deshalb den Bemühungen des Bundeskanzleramts, die Reichszentrale faktisch neu zu gründen: Sie habe, wenn auch wohl ungewollt, "den Nationalsozialismus gesinnungsmäßig vorbereitet", urteilte das Innenministerium; in der Bundesrepublik dürfe man sie deshalb nicht zum Modell nehmen. Nach Heinemanns Rücktritt hatte, wie die Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges berichtet, das Kanzleramt mit seinen Neugründungsplänen jedoch freie Bahn. Beim Aufbau der Bundeszentrale - als "Bundeszentrale für Heimatdienst" - sowie ihr angegliederter Organisationen kamen einstige Nazis zum Zuge. Die bpb betreibt heute eine einflussreiche politische Bildungsarbeit - im Unterschied zu anderen westlichen Demokratien freilich nicht als unabhängige gesellschaftliche Institution, sondern in der Position einer der Obrigkeit unterstellten Bundesbehörde.

Staatskontrolliert

Mit einem aktuellen Internet-Schwerpunkt erinnert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) an ihre Gründung, die sich am gestrigen Sonntag (25. November) zum sechzigsten Male jährte. Die Einrichtung hat laut "Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung" vom 24. Januar 2001 die Aufgabe, durch "Maßnahmen der politischen Bildung" sowohl das "Verständnis für politische Sachverhalte" als auch das "demokratische Bewusstsein" zu fördern und darüber hinaus auch "die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken". Zu diesem Zweck ist sie 1952 als Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums gegründet worden. Für ihre Arbeit, die von 160 Mitarbeitern verrichtet wird, erhält sie dieses Jahr 33,971 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt. Die Aktivitäten der bpb werden laut dem Erlass aus dem Jahr 2001 "von einem aus 22 Mitgliedern des Deutschen Bundestages bestehenden Kuratorium kontrolliert"; an den Kuratoriums-Sitzungen nehmen Vertreter des Bundesinnenministeriums teil.1

Für Demokratien ungewöhnlich

Wie die bpb selbst einräumt, ist die Tatsache, dass der Staat und die Parteien die politische Bildung der Bürger durchführen, "in westeuropäischen Demokratien sehr ungewöhnlich": "In anderen Ländern" nähmen in aller Regel von der Obrigkeit nicht kontrollierte "gesellschaftliche Gruppierungen (...) politische Bildungsaufgaben wahr". Die bpb stellt fest: "Deutschland hat eine andere Tradition."2 Dabei hat die staatliche Tätigkeit der Bundeszentrale beträchtliche Wirkung. Ihr Jugendmagazin "fluter", das kostenlos bezogen werden kann, erscheint viermal jährlich in einer Auflage von 250.000. In einer Auflage von 800.000 veröffentlicht die bpb die ebenfalls kostenlos erhältlichen "Informationen zur politischen Bildung", mit denen vor allem der schulische Geschichts- und Politikunterricht beinahe flächendeckend versorgt wird. Auch im Fernsehen ist die bpb mittlerweile aktiv: Das Comedyquiz "Ahnungslos", dessen zweite Staffel im September 2012 auf ProSieben gesendet und von 900.000 Zuschauern gesehen wurde, ist mit Unterstützung der Bundeszentrale entstanden. Individuell bindet die Bundeszentrale ebenfalls ein breites Publikum ein: Die Zahl der Eigen- und Kooperationsveranstaltungen, die sie pro Jahr durchführt und finanziert, beziffert sie auf 500.

Republikfreundlich?

Wie die Bundeszentrale für politische Bildung nun anlässlich ihres 60-jährigen Jubiläums schreibt, beriefen sich ihre Gründer im Jahr 1952 auf das Vorbild der "Reichszentrale für Heimatdienst" aus der Zeit der Weimarer Republik. Diese wurde damals ebenfalls von einem parlamentarischen Kontrollgremium überwacht, sie publizierte "in regelmäßigen Abständen Zeitschriften und Handreichungen zu tagesaktuellen politischen Fragen" und belieferte Multiplikatoren mit Informationen und Material. Ganz wie später die bpb habe sie nach dem Ende des Kaiserreichs "die Deutschen auf ihre Rolle im demokratisch verfassten Staat" vorbereiten sollen, schreibt die Bundeszentrale.3 Sie sei in den 1920er und den frühen 1930er Jahren vor allem "ein Instrument zur Verbreitung von Kenntnissen über die Demokratie" gewesen: "Die Reichszentrale schulte Redner und unterstützte republikfreundliche Kräfte".4 Der bpb zufolge war ihre Vorgängerin damit ein unverdächtiges Modell.

Die deutsche Volksgemeinschaft

Im Gegensatz zur offiziösen Darstellung der Bundeszentrale legt eine aktuelle Untersuchung über die Vor- und Frühgeschichte der bpb die krass nationalistische Orientierung der Reichszentrale für Heimatdienst offen. "Vornehmste Aufgabe" einer "Volksaufklärung", wie sie von der Reichszentrale betrieben wurde, sei es, "die im Deutschen wurzelnde starke Liebe zur Heimat aufs engste mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft, der Not- und Schicksalsverbundenheit aller deutschen Stämme, Stände und Staatsbürger und mit einem gesunden und berechtigten Nationalbewußtsein zu verknüpfen", heißt es in einem 1926 verfassten programmatischen Text des Leiters der Institution, Richard Strahl. Es sei eine "heilige Pflicht", die "unmöglichen und unerträglichen Bedingungen, die der Versailler Vertrag noch immer dem Vaterlande auferlegt", erträglich zu gestalten. Dazu sei zum Beispiel die "Unterstützung des Deutschtums an unseren bedrohten Grenzen imOsten, Norden und Westen" in Angriff zu nehmen; ein "lebendiger Kreislauf geistigen Lebens" müsse zwischen den "Zellen des Deutschtums in der Welt" und den "Urzellen in der Heimat" gewährleistet werden. Wie die Autorin der aktuellen Studie, die Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges, bestätigt, sind in den Äußerungen von Strahl, der "die Ausrichtung der von der Reichszentrale betriebenen 'Volksaufklärung' maßgeblich prägte", die zentrale Rolle der Kritik am Versailler Vertrag sowie die Bedeutung von "Themen wie (Auslands-)Deutschtum" und "grenzlandpolitischen Fragen" deutlich erkennbar.5

"Den Nationalsozialismus vorbereitet"

Hentges beschreibt die heftige Debatte, die der Neugründung der Organisation als "Bundeszentrale für Heimatdienst" im Jahr 1952 vorausging - "Bundeszentrale für politische Bildung" heißt sie erst seit 1963. Demnach wandte sich das Bundesinnenministerium unter Gustav Heinemann Mitte 1950 entschieden gegen die Pläne des Bundeskanzleramts und des dort tätigen Ministerialdirigenten Hans Globke, die Reichszentrale als Bundeszentrale faktisch wiederzuerrichten. Carl-H. Lüders, persönlicher Referent des Innenministers, legte im Juni 1950 in einer Stellungnahme die Positionen seines Hauses dar. "Die Aufgabe der Erziehung zum demokratischen Staatsbürger", hieß es darin, sei bei der Weimarer "Reichszentrale" faktisch von der "Propagierung der Regierungspolitik" überlagert worden. "Überdies erwecken die Schriften (der Reichszentrale, d.Red.) zum Teil den Eindruck, daß die Reichszentrale ungewollt den Nationalsozialismus gesinnungsmäßig vorbereitet hat (Steigerung des Nationalbewußtseins, Anerkennung der Staatsautorität, Unterordnung des Einzelnen in die Gemeinschaft)".6 Im Namen des Innenministeriums forderte Lüders, die politische Bildung nicht erneut dem Staat zu übertragen, sondern nichtstaatliche Organisationen wie etwa Gewerkschaften, Bürgerrechtsvereine oder Studentenverbände mit ihr zu betrauen. Nach Heinemanns Rücktritt am 9. Oktober 1950 hatte das Bonner Kanzleramt jedoch freie Bahn.

Vordenker

Beim Aufbau der Bundeszentrale für Heimatdienst und mit ihr verbundener Organisationen kamen zahlreiche vormalige Nationalsozialisten zum Zuge. Ein plastisches Beispiel bietet das "Ostkolleg", das 1957 gegründet und an die Bundeszentrale angegliedert wurde, um deren "antikommunistische Aufklärung und Werbung mit Massenwirkung" zu verstärken. "In der Phase der konzeptionellen Vorbereitung spielte Prof. Dr. Gerhard von Mende eine entscheidende Rolle", schreibt Hentges: Mende "legte Denkschriften zur Errichtung eines solchen Ostkollegs vor, nahm Einfluss auf die Entwicklung der Konzeption, auf die Auswahl der Referenten" und schließlich auch auf die Auswahl der "Mitglieder des Direktoriums".7 Mende, der am 3. November 1933 in die SA eingetreten war, hatte führende Positionen im "Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete" inne - ab 1939 zunächst als Leiter des Referats Kaukasien/Turkestan, ab 1943 dann als Leiter der Führungsgruppe III Fremde Völker. "Er war vor allem damit befasst", schreibt Hentges, "den Kontakt zwischen den antirussischen bzw. antisowjetischen Kriegsgefangenen und Emigranten herzustellen und zu vertiefen." Als Teilnehmer eines Nachfolgetreffens der Wannsee-Konferenz kam Mende allerdings nicht als offizieller Leiter des Ostkollegs in Frage - was seine "entscheidende Rolle als konzeptioneller Vordenker" des einstigen "Ostkollegs" der bpb laut Hentges nicht verschleiern kann.

Bitte lesen Sie auch unsere Rezension zu dem Band Staat und politische Bildung über die "Bundeszentrale für Heimatdienst".


Anmerkungen:
1 Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung; www.bpb.de
2 Statt nationalistischer Propaganda europäische Verständigung; www.bpb.de 16.11.2012
3 Die Reichszentrale für Heimatdienst 1918-1933; www.bpb.de 24.07.2012
4 Viel mehr als dicke Bücher; www.bpb.de 21.11.2012
5, 6, 7 Gudrun Hentges: Staat und politische Bildung. Von der "Zentrale für Heimatdienst" zur "Bundeszentrale für politische Bildung", Wiesbaden 2013. S. auch unsere Rezension



 
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