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ATHEN/BERLIN (04.02.2010) - Die Europäische Union gibt deutschen Forderungen nach und oktroyiert Griechenland beispiellose Einschnitte im Staatshaushalt. Die Folge sind Stellenabbau, Lohnkürzungen und Steuererhöhungen in erheblichem Umfang. Ursache ist die Sorge Berlins, das griechische Haushaltsdefizit könne zu einer gravierenden Krise führen und den Euro belasten. Wirtschaftskreise spekulieren sogar über ein Ende der europäischen Währungsunion. Die griechische Regierung muss nun alle zwei bis drei Monate in Brüssel vorsprechen und dramatische Kürzungen ihrer Staatsausgaben nachweisen. IWF-Finanzhilfen, wie sie die Bundesregierung außereuropäischen Staaten immer wieder aufdrängt, schließt Berlin aus: Sie wären mit Bedingungen gegenüber der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main verknüpft. Die Forderung, Athen müsse drastische Sparmaßnahmen ergreifen, hindert Berlin nicht daran, Griechenland den Kauf von teuren Kriegsflugzeugen aufzunötigen: Der deutsche Außenminister verlangte zu Wochenbeginn in der griechischen Hauptstadt die Anschaffung von Kampffliegern, Modell Eurofighter (Sitz des Herstellers: Hallbergmoos in Deutschland). Das Berliner Spardiktat ist äußerst umstritten. Ein Wirtschaftsnobelpreisträger wirft der Bundesregierung "Defizit-Fetischismus" vor und rechnet damit, dass die Maßnahmen wirkungslos verpuffen.

Das Diktat

Die Europäische Union oktroyiert Griechenland bislang beispiellose Einsparungen im Staatshaushalt. Wie die EU-Kommission am gestrigen Mittwoch in Brüssel mitteilte, muss Athen sein Haushaltsdefizit von 12,7 Prozent bis 2012 auf 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken. Der "Euro-Stabilitätspakt", der 1997 auf deutsches Drängen zustande kam, sieht ein maximales Defizit von drei Prozent vor. Mehrere EU-Staaten verstoßen dagegen, darunter auch Deutschland, dessen Defizit dieses Jahr sechs Prozent erreichen könnte. Griechenland wird jetzt als erster Staat zu Etatkürzungen gezwungen. Seine Regierung muss alle zwei bis drei Monate in Brüssel vorsprechen und die diktierten Einsparungen nachweisen. Dazu zählen insbesondere der Abbau von Arbeitsplätzen beim Staat, die Kürzung von Löhnen und die Erhöhung von Steuern, jeweils in erheblichem Umfang. Das US-Wirtschaftsforschungsinstitut High Frequency Economics hält einen Anstieg der offiziellen Arbeitslosenquote von derzeit 9,3 Prozent auf 16 Prozent für möglich.1

Die Exportwalze

Tatsächlich ist die griechische Schuldenexplosion nicht nur Ergebnis der Weltwirtschaftskrise, sondern auch Ausdruck kontinentaler ökonomischer Kräfteverschiebungen. Wie die Wirtschaftspresse urteilt, haben sich die Länder der Eurozone in den vergangenen Jahren "wirtschaftlich weit auseinandergelebt". Während insbesondere die südeuropäischen Länder Portugal, Italien, Griechenland und Spanien - als "PIGS-Länder" bezeichnet - größere Konzernerlöse durch Lohnerhöhungen an die Beschäftigten weitergegeben hätten, habe Deutschland mit harter Niedriglohnpolitik seinen Unternehmen Geschäftsvorteile verschafft.2 Weil sich die deutschen "Arbeitnehmer-Heere mit niedrigen Lohnzuwächsen zufriedengeben, überrollt die Exportwalze erneut die europäischen Konkurrenten", heißt es in einem Kommentar.3 Vor der Einführung des Euro habe man sich mit der Abwertung der eigenen Währung verteidigen können; "im gemeinsamen Währungsraum gibt es gegen Angriffe mit sinkenden Lohnstückkosten und Produktivitätsfortschritten keine Gegenwehr". Deswegen seien die Leistungsbilanzen der "PIGS-Länder" "tief in die roten Zahlen" gerutscht.4 Weil Deutschland aufgrund der woanders fehlenden Abwehrmöglichkeiten weiterhin per Export Erlöse einstreichen könne, sei es "Gewinner und Profiteur der gemeinsamen Währung".5

Der Euro

Genau deswegen ist jedoch Experten zufolge der Euro nun in Gefahr: Die wirtschaftlichen Divergenzen in der Eurozone lassen die wirtschaftspolitischen Interessen auseinanderstreben. Dies führt nicht nur zu beträchtlichen Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich (german-foreign-policy.com berichtete6); die Währungsunion insgesamt "droht unregierbar zu werden, der Euro gerät in Gefahr", warnt ein Währungsexperte von der Bonner Universität.7 "Eine gemeinsame Währung kann nicht funktionieren, wenn die zwangsvereinigten Länder sich wirtschaftlich zu weit auseinanderentwickeln", schreibt die deutsche Wirtschaftspresse8 - und empfiehlt, um den für die Bundesrepublik vorteilhaften Euro zu retten, den "PIGS-Ländern" dramatische Kürzungen bei den staatlichen Ausgaben, wie die EU-Kommission sie jetzt der griechischen Regierung verordnet hat. Tatsächlich hat sich die EU-Kommission mit ihrem jetzigen Diktat Forderungen der deutschen Bundesbank und der deutschen Kanzlerin gebeugt, die bereits im Dezember 2009 auf entsprechenden Maßnahmen bestanden hatten.9

Die Rüstungsindustrie

Bemerkenswert ist, dass Berlin sich dem dramatischen Spardiktat zum Trotz monetären Hilfen für Athen entschieden widersetzt und gleichzeitig von der griechischen Regierung teure Käufe bei der deutschen Rüstungsindustrie verlangt. Überlegungen, die Finanzschwierigkeiten Griechenlands durch einen Kredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zu lösen, werden von der Bundesregierung brüsk zurückgewiesen: Ein IWF-Kredit wäre an Bedingungen geknüpft und brächte Einschränkungen für die Arbeit der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main mit sich - ein Umstand, den die Bundesrepublik Drittstaaten gewöhnlich zumutet, selbst jedoch nicht ertragen will. Zugleich drängt Berlin Athen zum Kauf von Kriegsflugzeugen. Griechenland soll Kampfflieger vom Typ Eurofighter kaufen, die von einem Rüstungskonsortium mit Sitz in Hallbergmoos (Bayern) hergestellt werden. Deutsche Bemühungen, das teure Militärflugzeug auch an Kunden im Ausland zu verkaufen und damit die Gewinne der kerneuropäischen Rüstungsindustrie zu erhöhen, hatten in den vergangenen Jahren bereits zu heftigen Auseinandersetzungen geführt (german-foreign-policy.com berichtete10). Zu Wochenbeginn verlangte der deutsche Außenminister bei einem Besuch in Athen, die dortige Regierung solle sich ungeachtet ihrer akuten Finanznot für den Eurofighter entscheiden.11

Nicht nur Griechenland

Wirtschaftskreise warnen, die Zwangsmaßnahmen gegen Griechenland könnten Vorbild für gleichgerichtete Schritte etwa gegen Portugal und Spanien sein. "Die Peripherie der Euro-Zone, ob es nun Griechenland, Italien, Portugal oder Spanien ist, hat sehr große Probleme mit dem Budgetdefizit, aber auch mit ihrer Wettbewerbssituation", erklärte kürzlich ein prominenter US-Ökonom - die Folgen der Niedriglohnpolitik Berlins bleiben in der Tat keinesfalls auf Griechenland beschränkt.12 Portugal hat mittlerweile auch Sparmaßnahmen in die Wege geleitet - gezwungenermaßen.

Fetischisten

Scharfe Kritik an dem von Berlin durchgesetzten Spardiktat übt der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2001, Joseph Stiglitz. Stiglitz zufolge drohen die Maßnahmen, die Berlin und Brüssel völlig unabhängig vom Willen der demokratisch gewählten Regierung in Athen erzwingen, das Wachstum deutlich zu verlangsamen, die Steuereinnahmen zu senken und das Haushaltsdefizit noch weiter zu vergrößern. Wie der Ökonom erklärt, sind vergleichbare Programme zuletzt in Ostasien gescheitert und drohen jetzt in Irland gleichfalls ihr Ziel zu verfehlen. "Es gibt Leute in der EU, die Defizit-Fetischismus betreiben und eine gewisse Befriedigung daraus ziehen, grob zu sprechen", urteilt Stiglitz in unverkennbarer Anspielung auf die EU-Hegemonialmacht - Deutschland.13

Dieser Artikel erschien am 04.02.2010 auf www.german-foreign-policy.com unter dem Titel "Das Ende der Souveränität (II)". Der I. Teil und III. Teil des Artikels lassen sich auf www.german-foreign-policy.com nachlesen.


Anmerkungen:
1 Greece's Austerity Sparks a Warning; The Wall Street Journal 02.02.2010
2 Euroland abgebrannt; WirtschaftsWoche 18.01.2010
3 Der wahre Teuro; WirtschaftsWoche 18.01.2010
4 Euroland abgebrannt; WirtschaftsWoche 18.01.2010
5 Der wahre Teuro; WirtschaftsWoche 18.01.2010
6 s. dazu Zweite Liga und Am längeren Hebel
7 Euroland abgebrannt; WirtschaftsWoche 18.01.2010
8 Der wahre Teuro; WirtschaftsWoche 18.01.2010
9 s. dazu Das Ende der Souveränität
10 s. dazu Die Eurofighter-Mafia
11 Westerwelle vertraut Griechenland; Deutsche Welle 02.02.2010
12 EU übernimmt Kontrolle über Griechenlands Finanzen; Spiegel Online 03.02.2010
13 Greece's Austerity Sparks a Warning; The Wall Street Journal 02.02.2010



 
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