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Am 21.Juni 1978 fand in der argentinischen Stadt Cordoba ein Fußballspiel zwischen der BRD und Österreich statt. Es ging in die (nach BRD-Sicht) Geschichte ein, als das letzte Spiel des BRD-Bundestrainers Helmut Schön, dessen Mannschaft 1974 im eigenen Land Weltmeister geworden war. Helmut Schön hatte den bereits in der Zeit des Naziregimes aktiven Sepp Herberger 1964 beerbt und in den 14 Jahren seiner Zeit als Nationaltrainer bei Weltmeisterschaften einen ersten, einen zweiten und einen dritten Platz erreicht, bei Europameisterschaften einen Sieg und eine Vizetitel (dank eines grandios verschossenen Elfmeters von Uli Hoeneß). Wir stellen dies einmal so ausführlich dar, weil diese Darstellung in der BRD sehr beliebt ist, um das eigentlich Bedeutsame dieses Spiels unter den Rasenteppich zu kehren...

[mp3]Das Thema Helmut Schön ist dabei eigentlich nur in einer Hinsicht interesant:
Ähnlich wie bei SPD-Vorsitzenden hat sich die Halbwertzeit von BRD-Fußball-Bundestrainern in der jüngeren Vergangenheit deutlich verkürzt. Während die ersten drei Trainer in der insgesamt 85jährigen Geschichte des DFB 55 Dienstjahre zusammenbringen (inkl. der sieben Jahre 1942-1949, in denen keine Länderspielen erfolgten), schafften die letzten drei (ohne Löw) jeweils nur zwei, bzw. vier Dienstjahre.

Zurück nach Cordoba: Die BRD spielte eine mehr als unansehnliche Weltmeisterschaft. In den bisherigen fünf Spielen hatte man dreimal 0:0 gespielt (gegen Polen, Tunesien und Italien), einmal ein 2:2 gegen die Niederlande erreicht und in der Vorrunde Mexico besiegt. Mit einem Sieg und vier Unentschieden bestand nun die Chance, durch einen hohen Sieg mit mindestens 5 Toren Abstand gegen Österreich bei gleichzeitigem Unentschieden der Niederlande gegen Italien doch noch in das Endspiel einzuziehen und am Ende gar den Weltmeistertitel zu verteidigen.

Österreich hatte vorher überhaupt nur zweimal in einer WM-Endrunde mitgespielt und die ersten zwei Spiele dieser sogenannten 2.Finalrunde verloren (0:1 gegen Italien und 1:5 gegen Niederlande). Damit war das Spiel sportlich gesehen für Österreich völlig unwichtig, sie waren in jedem Fall bereits ausgeschieden. Und überhaupt: Wer war Österreich: ein kleines, popeliges Land mit vielen Bergen und Kuhhirten, was wollten die überhaupt im Fußball machen, schon gerade gegen uns deutsche (Fußball-)Großmacht...

Fünf Tore in 90 Minuten, heißt alle 18 Minuten eins. Und so ging es auch los, in der 19.Minute schießt Rummenigge das 1:0; alles klar, jetzt nur noch vier. Italien ging zeitgleich in Führung, aber es war noch nichts verloren. Bis zur Halbzeit geschah nicht mehr viel. Jetzt aber mal langsam aufdrehen dachten wir. In der 50.Minute gleichen die Niederlande aus, das gewünschte Unentschieden im anderen Spiel scheint zu stehen. Nun müssen „unsere“ aber mal langsam die nächsten vier Dinger bei den „Schluchtenscheißern“ reinmachen ! Und da fällt schon das nächste deutsche Tor !: In der 60.Minute schießt Berti Vogts sein einziges Tor in insgesamt 96 Länderspielen, allerdings auf der falschen Seite -> Eigentor für Österreich. Es fällt im nächsten Spielabschnitt noch ein Tor für Österreich, der Frankfurter Hölzenbein gleicht für die BRD aus, 2:2 in der 72.Minute.

Da zwischenzeitlich auch die Niederlande gegen Italien in Führung gingen, war die Hoffnung auf die Endspielteilnahme der BRD dahin. Lagsam fanden sich die deutschen Zuschauer etwas frustriert damit ab, dass die BRD mit dann 5 Unentschieden und einem Sieg das (spätestens seit 2006 so beliebte) „kleine Finale“ um den 3.Platz erreichen würde. Immerhin war man bei sechs Weltmeisterschaften nach dem 2.Weltkrieg nur einmal nicht unter den besten Vier gelandet und diese Serie würde jetzt immerhin noch halten.

Und dann passiert es, zwei Minuten vor Schluss rennt doch so ein Österreicher fast von der Mittellinie mit dem Ball durch die ganze deutsche Abwehr und schießt in die rechte Ecke ein. Völlig ungläubig schauten alle auf den Fernseher. Österreicher ! Für die es um nichts mehr geht, die mit Sieg oder Niederlage den 4.Platz in dieser Gruppe haben, sind die verrückt ? Unsere Mannschaft lässt sich von Österreichern kurz vor Schluss so einen einschenken, was ist los mit unseren (noch) Weltmeistern ? Der letzte offizielle Sieg einer österreichischen Auswahl gegen Deutschland/ BRD liegt 58 Jahre zurück ! Allgemeine Fassungslosigkeit macht sich breit und dann pfeift der Schiedsrichter ab, „wir“ sind ausgeschieden ! Gegen Österreich ! Jahrelang hieß es in Deutschland nur: Die Schmach von Cordoba...

Am Abend bekamen wir dann über die Nachrichten (stundenlange Vor- und Nachberichte gab es damals noch nicht) mit, das in Österreich eine Art erneute Staatsgründung erfolgt sein muss. In überschwänglichen Jubel feierte man den (sportlich bedeutungslosen) Sieg über den großen, aggressiven Nachbarn, der sich im Faschismus das Land einverleibt hatte. Wie ein Freund mir beschrieb: „Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Österreich eine eigene Nation und kein Teil Deutschlands ist, dann war dies ausgelöst durch dieses Spiel in Cordoba 1978.“ Und so spürt man dies immer wieder, wenn man Österreichern begegnet. Wenn man etwas intensiver ins Gespräch kommt, fällt immer wieder dieses Wort: Cordoba. Und dies erklärt auch, warum so viele Deutsche das Spiel gerne als das letzte Spiel von Helmut Schön beschreiben und nicht als das, was es eigentlich war.

Nachtrag:
Ich habe die Angelegenheit ausschließlich aus Sicht eines diesbezüglich „normalen deutschen Jungen“ erlebt. So normal wie all diejenigen, die heute mit allerlei Fähnchen und schlecht riechenden Nationalsymbolen herumlaufen. Es gab damals wirklich keine einzige Fahnen an Autos, es gab auch kein einziges beflaggtes Fenster, es wurde auch grundsätzlich bei der Hymne nicht mitgesungen, weder von Publikum, noch von Spielern. Unanständig fand meine Oma immer nur, das einige Spieler bei der Hymne Kaugummi kauten...

Aus heutiger Sicht ist in den 30 Jahren so Einiges passiert. Was Deutschland betrifft, nichts Gutes. Die DDR wurde einverleibt, die Bundeswehr trampelt in diversen Bundeswehreinsätzen über den Erdball, Arbeitslosigkeit, soziale Lage, Schwäche der fortschrittlichen Kräfte. Und da wo nichts Positives vorangekommen ist, da passt es, das massenhaft Fahnen geschwenkt werden und man zur „Normalität“ zurückgekehrt sein möchte. Normal wäre gewesen, dass die BRD gegen Österreich gewinnt, mindestens mit zwei Toren. Das wird auch für das Spiel am 16.Juni in Wien so gesehen, es ist auch so. Alles andere als ein Sieg der deutschen Mannschaft wäre eine Überraschung. Aber Überraschungen sind ja immer das Netteste im Leben, Ich habe vorsorglich schon einmal ein paar Sylvesterraketen besorgt!

Der gute österreichische Freund hat mir gesagt, dass er sich auch nichts sehnlicher wünscht, als das Ausscheiden der österreichischen Nationalmannschaft in der Vorrunde. Allerdings hat die Sache durch die Gruppenauslosung einen Haken: Wenn Österreich gegen Deutschland spielt, ist er sehr ausnahmsweise für einen österreichischen Sieg. Am besten würde es ihm gefallen, wenn es wieder so kommt wie in Cordoba: Österreich gewinnt und beide scheiden dennoch aus ! Das ist sehr unwahrscheinlich, aber es ist nicht unmöglich. Und dann könnten wir beiderseits das Feuerwerk in den Himmel schießen, weil wir am Ende sozusagen beide erfolgreich den eigenen Truppen die Niederlage gewünscht haben!

Ach wie schön ist Cordoba!

 
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  Kommentar zum Artikel von Comandante:
Freitag, 20.06.2008 - 01:02

verfluchter mist. zum glück hab ich mir zeitgleich das queens of the stone age konzert angeschaut, sonst wäre ich endlos wütend gewesen!


  Kommentar zum Artikel von paulina:
Mittwoch, 18.06.2008 - 09:23

bittebittebitte, PORTUGAL...!!! seufz! ich kann kein schwarzrotgold mehr sehen!!


  Kommentar zum Artikel von hw:
Montag, 16.06.2008 - 18:25

In diesem Zusammenhang sei noch eine Passage aus dem Aufruf des Zentralkomitees der KPÖ anlässlich der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland kurz zitiert:

Volk von Österreich! Wehre Dich! Mach die Losung zur Tat: Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Montag, 16.06.2008 - 18:18

Sport ist bekanntlich Politik. Und uns als Marxisten in der Tradition der deutschen KP, ihres Gründers Karl Liebknecht, ist klar: der Hauptfeind, der im eigenen Land steht, gehört angegriffen. Oder, wie Lenin sagte, ihm ist in jedem Falle die Niederlage zu wünschen. Sport ist Politik - deswegen gelten dort, trotz "unpolitischer" Fassade, keine anderen Gesetze. Ob WM in Deutschland, oder deutsches Team zur EM im Ausland: es ist eine Veranstaltung unserer Bourgeoisie, zur Sedierung der Massen, zur außenpolitischen Inszenierung und Stilisierung, zur Durchdrükung reaktionärer Maßnahmen (Fan-Kriminalisierungen, Polizeigroßeinsätze, etc...).Auf den wirtschaftlichen Aspekt, die Profitsteigerung bei Fanartikeln, Karten, Fernsehzuschlägen, muss ich sicher nicht dezidiert hinweisen.
Den Bourgeois also auch in diesem, so vorgeblichen "unpolitischen" Falle die Niederlage (im wahrsten Sinne...) zu wünschen ist also nur konsequent und vernünftig. Den hübschen Nebeneffekt, den flaggenschwenkenden deutschvölkischen Mob ab heute Abend eventuell nicht mehr ertragen zu müssen, nehm' ich da gerne mit.

Zugegeben: Im Falle des Sieges der Kroaten fiel es mir schwer, dem Ustashastaat meine Symphatien zu schenken. Dennoch: Nicht über den Sieg Kroatiens, sondern über die Niederlage der Deutschen hab ich mich gefreut.

Bei Österreich ist die Sache für mich viel eindeutiger. Also: Cordoba reloaded. Nicht, weil ich dieses oder jenes Team besser oder netter finde, sondern einfach, weil ich unserer hochnäsigen, siegestrunkenen Bourgeoisie wenigstens an diesem kleinen, so unbedeutend scheinenden Abschnitt der Front mal eine Niederlage gönne. Und weil die Ösis den Sieg gegen den erdrückenden und selbstgefälligen Nachbarn mehr als verdient haben!


P.S.: der Hinweis auf die WM im damals faschistischen Argentinien ist natürlich richtig. Zu "El Flaco" Menotti hatten wir auch mal einen guten Artikel on board: siehe HIER!


 j Kommentar zum Artikel von jürg:
Montag, 16.06.2008 - 12:04

Ich mag das Gerede über das Wunder von Cordoba nicht mehr hören. Fussballerisch war es ein höchst durchschnittlicher Match, wie er typisch war für die Siebzigerjahre (sprich: Standfussball. Krankl gibt das heute selbst zu). Wenn jetzt wieder über Cordoba rhabarbert wird, sollten Kommunisten etwas anderes in Erinnerung rufen: Dass sich damals die Fussballwelt in Argentinien von einer faschistischen Diktatur (Videla) zum Stelldichein laden liess und das niemanden störte. Was mich an dieser WM allein begeisterte, war die Tatsache, dass Luis Cesar Menotti den Generälen den Handschlag verweigerte.


  Kommentar zum Artikel von hw:
Montag, 16.06.2008 - 09:05

Naja...
In unserer Gruppe ist's nicht schwer ein Fußballpatriot zu sein.
Als ich beim Vorbereitungsspiel gegen Nigeria im Stadion war, hab ich jedenfalls zu Nigeria gehalten. Auch wenn man als österreichischer Kommunist Patriot ist, muss man nicht zwangsläufig bei diesem Fußball-Hype dabei sein. Andere Mannschaften (die leider gestern ausgeschiedenen Tschechen, Rumänien, etc.) sind mir halt sympathischer, und der ganze Nationalelf-Hype (Hicke-Hacke, Das Fieber der Christl Stürmer o.ä.) hängt mir auch schon zum Hals hinaus.

Nichtsdestoweniger:
In dieser Gruppe mit den katholisch-fundamentalistischen Polen, die Ustascha-Kroaten und den Piefke gilt: Immer für Österreich.


  Kommentar zum Artikel von Comandante:
Sonntag, 15.06.2008 - 20:57

wie kann man sich als österreicher nur wünschen, dass es uns aus der vorrunde raushaut?
gut unsere stärken sind andere, so wurden wir 2. im medaillen ranking bei den letzten olympischen winterspielen, was für ein land mit 8 millionen einwohnern echt ein wahnsinn ist, aber deshalb auf ein versagen der österreicher hoffen, ist schwachsinn.
selbst wenn man bedenkt, dass der teamtrainer sehr sehr umstritten ist, und nicht die besten spieler einberufen hat (z.b. wurde der beste österreichische spieler, paul scharnen nicht einberufen), sondern oft auf jene zurückgeriffen hat, die "brave" schleimige spieler sind, sollte man auf jedenfall zu unserem team helfen.
bei deutschland ist es natürlich etwas anderes, aber das steht eh detailiert in diversen fußball artikeln hier auf secarts beschrieben


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