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Vor 70 Jahren, am 3. April 1938, fand im Wiener Praterstadion ein Fußballspiel statt, das in offiziellen Länderspielstatistiken des ÖFB fehlt. Die Auswahl der "Ostmark" trat, formell freundschaftlich, gegen das Team des Deutschen Reiches an. Das Spiel ging als "Anschlussspiel" in die Geschichte ein - und so war es auch gedacht. Am 12. März 1938 war die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert, am 13. März wurde der "Anschluss" Österreichs an Deutschland verkündet, am 10. April sollte es darüber eine "Volksabstimmung" geben. Im Sinne der Inszenierung derselben wollten die Nationalsozialisten auch das Fußballspiel durchgeführt wissen. Doch es kam anders.

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Matthias Sindelar, der "Papierene", Schütze des 1:0
Die österreichische Mannschaft, obwohl mit Heimrecht und somit Dressenwahl ausgestattet, trat nicht in ihren traditionellen weiß-schwarzen Heimtrikots an, sondern in rot-weiß-rot, wie Kapitän Matthias Sindelar es sich gewünscht haben soll. In weiß-schwarz spielten die Deutschen. Klar gemacht war, dass die nationalsozialistischen politischen Führungen in Berlin und Wien ein freundschaftliches Remis sehen wollten. Das österreichische Team, im Prinzip von vornherein zu favorisieren und das ganze Spiel über deutlich überlegen, hielt sich zunächst daran. Sindelar und seine Kollegen vernebelten äußerst auffällig Chance um Chance - und dies tatsächlich mit Absicht, wie dem Wiener Publikum auf den Rängen und auch den Nazigrößen auf der Ehrentribüne schnell bewusst wurde. Doch dem österreichischen Mannschaftskapitän ging es dabei nicht um die Einhaltung der nationalsozialistischen Vorgabe, sondern um die Demütigung der deutschen Elf und somit der NS-Herrschenden. Der Halbzeitstand ergab daher das geforderte Unentschieden, 0:0.

In der 62. Spielminute war's aber mit dem Spaß vorbei - Sindelar verwertete einen Abpraller nach einem Schuss von Franz Binder zum 1:0 und feierte den Treffer provokativ vor der Ehrentribüne. Nur neun Minuten später stellte Sesta aus einem Freistoß aus gut 40 Metern Entfernung auf 2:0, gleichbedeutend mit dem Endstand. Die Niederlage der DFB-Elf war eine Niederlage der NS-Propaganda. Im Gegensatz zu Schuschnigg und den "christlichsozialen" Austrofaschisten kapitulierte das ÖFB-Team, in dem mit Hans Mock allerdings auch ein SA-Mann stand, nicht vor dem Nationalsozialismus. Sindelar, damals bester und populärster Spieler in Österreich, der sich in weiterer Folge auch weigerte, für das "gesamtdeutsche" Team zu spielen, bezahlte das am 23. Januar 1939 vermutlich mit seinem Leben. Sein Tod durch Kohlenmonoxidvergiftung aufgrund eines angeblich defekten Kamins ist bis heute Gegenstand von Spekulationen, letztlich deutet vieles auf eine weitere nationalsozialistische Inszenierung hin.

Die ÖFB-Elf und die beinahe 60.000 Zuschauer im Wiener Prater waren nicht unbedingt Gegner des "Anschlusses" Österreichs an Deutschland - dafür hatten schon Jahrzehnte deutschnationaler Propaganda der Bürgerlichen und der Sozialdemokratie in Österreich gesorgt (nur die österreichischen Kommunisten waren bereits in den 20er Jahren gegen den "Anschluss"). Aber die Fußballer und die Wiener waren keine unbedingten Freunde des NS-Regimes. Und im Rahmen von Länderspielen, ob man sich nun zur eigenständigen österreichischen Nation bekennt oder nicht, ist der Österreicher bis heute vor allem eines: antideutsch.

Das "Anschlussspiel" zu einem österreichischen Widerstandsakt aufzubauschen, ist fehl am Platz. Derartiges befördert bloß den Opfermythos. Der österreichische Widerstand gegen die deutsch-faschistische Fremdherrschaft 1938-1945 spielte sich anderswo ab - in der Illegalität und später im Partisanenkampf, getragen vor allem durch die österreichischen Kommunisten, aber auch durch ehrliche Sozialdemokraten und antifaschistische Bürgerliche. Erst in diesem Kampf und im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich ein tieferes Nationalbewusstsein der Österreicher und mit Folgerichtigkeit wurde die deutsche Annexion vom März/April 1938 noch vor dem Ende des Krieges von der provisorischen demokratischen Regierung Österreichs für nichtig erklärt. Zu diesem Zeitpunkt, im April 1945, war Wien bereits von der Roten Armee befreit worden. Nicht zuletzt mit Unterstützung der Sowjetunion wurde Österreich als selbständiger Staat wiederhergestellt.

Das österreichische Fußballteam konnte nach 1945 nicht mehr an seine großen Erfolge der Zwischenkriegszeit anknüpfen, auch wenn 1954 noch einmal ein dritter Platz bei der Weltmeisterschaft erreicht wurde. Dass in den letzten Jahren von manch "linksliberaler" Seite immer wieder versucht wird, die Person Sindelar durch Arisierungsvorwürfe bezüglich eines Kaffeehauses in den Schmutz zu ziehen, ist niederträchtig. Hätte es 1938 mehr Menschen mit der Aufrichtigkeit eines Matthias Sindelar gegeben, der sich deutlich und mutig gegen den NS-Faschismus und Antisemitismus positionierte, wäre die Geschichte Österreichs bis 1945 und danach nicht nur eine andere, sondern auch eine ruhmvollere gewesen. Nämlich auch abseits des Fußballplatzes.

Österreich spielte mit: Platzer (Admira), Sesta (Austria), Schmaus (Vienna), Wagner (Rapid), Mock (Austria), Skoumal (Rapid), Hahnemann (Admira), Stroh (Austria), Sindelar (Austria), Binder (Rapid), Pesser (Rapid); Tore: Sindelar (62.), Sesta (71.).

 
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  Kommentar zum Artikel von hw:
Mittwoch, 16.04.2008 - 15:57

Also wenn's gegen das Altreich geht, halte auch ich immer zu den "unseren"!

... sunst kloraweise net!


  Kommentar zum Artikel von Stephan:
Mittwoch, 16.04.2008 - 13:47

"beim em spiel hoffe ich jedoch, dass ihr uns vom platz schießts, dieser teilweise auftretende, völlig dumpfe hurra-patriotismus geht mich so was von an!"
häh?!?
hast Du die letzte WM verfolgt?



  Kommentar zum Artikel von secarts:
Mittwoch, 16.04.2008 - 13:44

"beim em spiel hoffe ich jedoch, dass ihr uns vom platz schießts, dieser teilweise auftretende, völlig dumpfe hurra-patriotismus geht mich so was von an!"

Ohhh... was meinst du, was HIER abgehen wird, bei der EM? "Deutschland, Deutschland über alles", "steht auf, wenn ihr Deutsche seid", erigierte Fahnen und volksgemeinschaftliche Fremdkörper gewalttätig aussondern inklusive... Dagegen kommen mir die austrischen Schüttelreime grad noch herzerwärmend naiv vor!

Nein, wir müssen uns schon darauf einigen, dass sowohl dasösterreichische Team als auch das der BRD durch eine uns gleichermaßen symphatische andere Mannschaft deklassierend eliminiert wird. Welche dies sein könnte, wäre sicher mal was für 'ne Umfrage!


[Und ich darf hier schonmal dran erinnern, dass es selbstverfreilich auch wieder eine Link ...jetzt anmelden! kompiliert durch unseren Genossen Chefmathematiker, geben wird!]


  Kommentar zum Artikel von Comandante:
Mittwoch, 16.04.2008 - 13:06

ich selber wusste bis vor kurzem gar nicht, dass je so ein spiel stattgefunden hat, geschweige, dass wir die piefkes putzt ham. aber sehr schön wie ich meine, hat ja auch der arbeiterverein rapid wien die nazipropaganda etwas gedemütigt, wie sie deutscher meister wurden.

beim em spiel hoffe ich jedoch, dass ihr uns vom platz schießts, dieser teilweise auftretende, völlig dumpfe hurra-patriotismus geht mich so was von an!

die vorläufige spitze dieses dumpfsinns ist der "offizielle" schlachtruf, den das mit abstand am meisten gehörte radio in österreich (ö3) kreiert hat und sogar im fernsehn ala karaoke gezeigt wird. hier einige auszüge:

Hicke Hacke Hicke Hacke HOI HOI HOI!
Hicke Hacke Hicke Hacke HOI HOI HOI!

Hey Hey Hicke, Hey Hicke Hey
Hebt alle hoch den Schal
Hey Hey Hicke – jetzt kommt Rot Weiß Rot
Wir holen den Pokal
Uh lala la la – la uh lala- la la – Hicke!!!


ok, das ist vielleicht nur bescheuert, aber an welche "schlachtrufe" vergangener zeiten erinneren folgende zeilen:

Die Wadeln hart wie Edelstahl, die Kondition schon prächtig
Die Dribbletechnik einwandfrei, die Taktik äußert mächtig
Naja, dann kömma eh ganz locker auf das Schlachtfeld wandern
Der Haken an der Sache ist: ich rede von den andern!