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Von secarts

Die Linkspartei Niedersachsen hat am 13. Februar auf einem Landesparteitag einen bislang festen Bestandteil ihrer Programmatik über Bord geworfen. Anträge, das allgemeine Bleiberecht, also den Schutz vor willkürlichen Abschiebungen, in das zu beschließende Kommunalwahl-Rahmenprogramm aufzunehmen, sind abgeschmettert worden. Die Delegierten sprachen sich in Osnabrück mit knapper Mehrheit gegen einen "sofortigen Abschiebestopp und ein Bleiberecht für alle Geflüchteten" aus. Der letzte Parteitag hatte diese Forderungen noch ausdrücklich aufgestellt.

Warum gibt die Landespartei so leichtfertig basics linker Politik, die letztlich gar nur eine bürgerlich-demokratische Forderung nach juristischer Gleichheit sind, vorauseilend auf? Das, was in Thüringen unter Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) längst Regierungspraxis ist, nämlich harte Abschiebepolitik, wird nun de facto im Wahlprogramm einer Oppositionskraft, die nicht einmal mehr im Landtag vertreten ist, akzeptiert. Wem soll sich hier angebiedert werden? Handelt es sich um einen Kotau vor der "Regierungsfähigkeit" oder um eine illusionäre Strategie, an rechte Wählerschichten anzudocken? Dies war, wenn es mit einem Schwenk zur nationalen Frage verbunden war, für linke Kräfte stets eine Strategie des sicheren Selbstmordes.

Denn es geht hier nicht um eine naive "Refugees-welcome"-Romantik, sondern um die grundlegende marxsche Erkenntnis, dass die juristische Gleichheit der Arbeitenden erst von rein ständischer oder landsmannschaftlicher Gewerksvereinsmeierei zu sozialem Kampf führen kann. Solange es Nebelwände von Ungleichheiten durch Gesetzestexte gibt, bleibt das Schauspiel des Klassenkampfes dahinter verborgen. Das hatte Lenin seinerzeit festgestellt. Gilt das nicht mehr? Muss der Klassenkampf für eine Art Standortpolitik in nationalem Rahmen "überwunden" werden? Sollen sich deutsche Arbeiter neben dem, vermutlich drastisch schlechter bezahlten, "Fremdarbeiter" dadurch besser geschützt fühlen, dass über dem Haupt des Kollegen ein Damoklesschwert mit der Aufschrift "Abschiebung angedroht!" baumelt?

Diese unglaubliche Strategieänderung durch die Hintertür zielt letztlich auf die Bundespartei, auf die kompromisslose Haltung in der Asylfrage, aber auch auf das kategorische Nein zu Kriegseinsätzen.

Die soziale Frage ist und bleibt die entscheidende; die Bewegung auf das tote Gleis des Kampfes um "Souveränität" für die BRD - sei es bei der "Grenzsicherung", sei es bei "Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe", sei es beim Ertüchtigen gegen imperialistische Konkurrenz - zu führen heißt: die Linke entwaffnen, in die Irre führen, zum Burgfrieden mit der Bourgeoisie zu ermuntern. Ein klarer Trennungsstrich wird nötig sein, wenn der Gleichheitsanspruch, der Internationalismus - und die Grundlage jedes gewerkschaftlichen Kampfes, der mehr als Trade-Unionism sein soll - erhalten bleiben soll.


Ausschnitte aus einem Interview aus der jungen Welt vom 18. Februar:

Es ist ganz offensichtlich, dass sich eine Gruppe um unsere niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Herbert Behrens hier Mehrheiten organisiert haben. Aus welchen Gründen auch immer. Ich fürchte aber Schlimmes. Das ist ein Generalangriff in Richtung der Bundespartei. Hier soll die Forderung nach einem allgemeinen Bleiberecht liquidiert werden. [...]

Es wichtig, Forderungen zu vertreten, die nicht die Selektionsmechanismen der herrschenden Klasse begünstigen. Anderenfalls würden wir die Politik der Ausgrenzung und Spaltung ja mit betreiben, wenn wir Flüchtlinge in »gute« und »schlechte« einteilen würden. Es ist für uns genauso eine Grundsatzfrage wie die der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen. Wir dürfen einer imperialistischen BRD ja auch nicht gestatten, irgendwo militärisch einzugreifen. Da gibt es genausowenig Graustufen wie in der Flüchtlingsdebatte. [...]

Die marxistisch fundierten und links-humanistischen Kräfte in der Partei müssen sich darauf einstellen, dass es rund um die Bundestagswahlen 2017 zu einem Generalangriff auf manche unserer Kernpositionen kommen wird. Wir müssen uns also darauf vorbereiten, dass wir gezwungen sein könnten, organisiert – in sehr kurzer Zeit und schmerzhaft für die andere Seite – die Partei zu verlassen. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und politischen Handlungsfähigkeit. Das wird nicht jeder gerne hören, aber ich sehe keine Perspektive, als sich auch diese Option faktisch offenzuhalten.
(Hervorhebung v. m.)1


Anmerkung:
1 »Eine Frage der politischen Handlungsfähigkeit« Die Linke Niedersachsen hat ihre Forderung nach einem allgemeinen Bleiberecht gekippt. Gespräch mit Peter Strathmann, Interview: Markus Bernhard. Tageszeitung junge Welt, 18.02.2016



 
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  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Sonntag, 21.02.2016 - 20:49

In einer E-Mail stellt Herbert Behrens heute morgen klar, wem die Meinung des Landesverbandes Niedersachsen "gehört":

"Genossinnen und Genossen,
der individuelle Austausch über zwei Interviews in der jungen Welt
unseren Parteitag betreffend soll nicht über den Kreisverbände-Verteiler
erfolgen. Das gilt ebenfalls für alle anderen individuellen Statements,
Kommentare usw.
Es ist nicht möglich, Inhalte zu blockieren, aber Autorinnen und
Autoren. Das sei hiermit angekündigt. Eine Diskussion über diesen
Verteiler soll es nicht geben, dass haben wir schon vor langer Zeit im
Vorstand beschlossen. Bitte beachtet diesen Beschluss.
Mit solidarischem Gruß
Herbert Behrens"


Dies zur Einschätzung der Lage.


  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Samstag, 20.02.2016 - 14:12

... und wer sich jetzt so fühlt, als sei er von der guten Tante Anja vereimert worden, hat sich nicht getäuscht. Zur Beschlußlage der 1. Sitzung des 5. Parteitags am 7. und 8. Februar 2015 gehört in der Flüchtlingsfrage folgendes: "Abschiebungen sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen und unter keinen Umständen zu akzeptieren. Wir verlangen von der Landesregierung, einen sofortigen und dauerhaften Stopp aller Abschiebungen aus Niedersachsen zu erlassen." und: "Auf Bundesebene fordern wir die Abschaffung rassistischer Sondergesetze für Geflüchtete, ein dauerhaftes Bleiberecht für alle Geflüchteten sowie die gleichberechtigte Teilhabe aller Geflüchteten am Bildungssystem, am Arbeits- und Wohnungsmarkt. Geflüchteten sind dieselben Rechte und Pflichten einzuräumen wie Nicht-Geflüchteten. Vergangene Asylrechtsverschärfungen durch SPD, Grüne, CDU und FDP sind zurückzunehmen." Ganz hier: Link ...jetzt anmelden! [externer link]. Im Leitantrag steht: "DIE LINKE heißt Geflüchtete ehrlich willkommen und will dazu beitragen, dass sie hier menschenwürdig leben können." - Abgelehnt vom LPT wurde folgende Ergänzung: "Sie fordert das Bleiberecht für alle und ist strikt gegen jede Abschiebung.“ Weiter: "Antifaschismus ist für uns nicht nur ein allgemeingültiges Bekenntnis, sondern ein Grundsatz, der sich auch in der tagtäglichen Auseinandersetzung um die Aufnahme von Geflüchteten bewahrheiten muss." - Abgelehnt wurde ein Antrag, der den Satz wie folgt geändert hätte: "Antifaschismus ist für uns nicht nur ein allgemeingültiges Bekenntnis, sondern ein Grundsatz, der sich auch in der tagtäglichen Auseinandersetzung um die Aufnahme, Integrationsangebote und das zeitlich unbeschränkte Bleiberecht, sowie sofortige Arbeitserlaubnisse für alle Geflüchteten bewahrheiten muss." Weiter: "DIE LINKE begrüßt und unterstützt die Arbeit der vielen Freiwilligen, kämpft aber weiterhin dafür, dass diese nur eine Ergänzung zu einer deutlich verstärkten hauptamtlichen und professionellen Struktur darstellen. Sie unterstützt lokale Initiativen, die sich z.B. durch Blockaden gegen Abschiebungen wehren." - Hier wurde abgelehnt, dieses um den Nebensatz "..., weil wir gegen jede Abschiebung sind." zu ergänzen. Die Antragshefte liegen hier: Link ...jetzt anmelden! [externer link]. Ich glaube, diese Beispiele haben gezeigt, wohin die Reise gehen soll, wie man das macht in einer sozialdemokratischen Partei und wie Anjas Trick funktioniert, den Gegnern derartiger Liebedienereien den Popanz des Abstrakten und Weltfremden unterzujubeln. P.S.: Wer mit dem hier zitierten Material arbeiten will, sollte sich mit Screenshots absichern. Onkel Herbert hat einen Elektro-Knecht, der seine sonstige Unfähigkeit gern mit Dummdreistigkeit kompensiert und auch vor Manipulationen auf Seiten - selbst auf fremden - nicht zurückschreckt. #DieLinke #Bleiberecht #theDiether


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Samstag, 20.02.2016 - 00:41

Anja Stoeck, Landessprecherin der Linken Niedersachsen, bezieht gegen die im zitierten Interview getroffene Analsye:

»Das ist realistisch-radikale linke Politik«
Landessprecherin der niedersächsischen Linkspartei wehrt sich gegen Vorwurf, Bleiberecht kippen zu wollen. Gespräch mit Anja Stoeck


Im Nachgang zum niedersächsischen Linke-Landesparteitag, der am vergangenen Wochenende in Osnabrück stattfand, kommt es zu innerparteilichen Streitigkeiten bezüglich der Flüchtlingspolitik. So kritisierte etwa Peter Strathmann, Delegierter und Sprecher des Ortsverbandes Göttingen, im jW-Interview der Donnerstagausgabe, dass die Partei Die Linke Niedersachsen ihre Forderung nach einem allgemeinen Bleiberecht gekippt habe. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?

Ich sehe keine innerparteilichen Streitigkeiten, sondern eine durch gute Debatten erzielte Klärung zum Bleiberecht. Den Vorwurf kann ich ansonsten natürlich nicht verstehen. Die Forderung nach einem generellen Bleiberecht gab es meiner Meinung nach so nie, sondern immer in bezug auf Flüchtende. Die Delegierten haben weise und mit großer Mehrheit – und anders als in Herrn Strathmanns Wahrnehmung – für eine eindeutige Formulierung im Kommunalwahlprogramm unserer Partei votiert: »Mit einem klaren Nein zu jeglicher Begrenzung der Einwanderung zeigt sie, dass die Hilfe für Menschen in Not eine Selbstverständlichkeit sein soll.« Und an anderer Stelle: »Asyl ist ein Grundrecht, das unabhängig davon ist, ob Menschen vor Krieg und Zerstörung, Umweltkatastrophen oder wirtschaftlicher Not fliehen. Die Abschiebung von hilfesuchenden Menschen lehnen wir grundsätzlich ab. Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen, Kriegen und politischer Verfolgung geflohen sind, dürfen nicht abgewiesen oder abgeschoben werden. Wir fordern die Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl und kämpfen gegen die Illegalisierung von Flüchtlingen, gegen Abschiebungen, gegen jede Form von Sondergesetzen wie die Residenzpflicht sowie gegen Sammellager.« Das sind doch ganz klare Aussagen. [...]
Link ...jetzt anmelden! [externer link]


  Kommentar zum Artikel von tolpatchow:
Freitag, 19.02.2016 - 12:30

Stimme Toto zu. Es muss eine alternative geben, sonst geht alles in die Privatisierung. Das gab es schon viel zu oft! Es liegt aber nicht nur an der DKP allein. Es tut sich ja viel auf den Straßen, beste Bedingungen so gesehen.


  Kommentar zum Artikel von Toto:
Donnerstag, 18.02.2016 - 11:40

Na, da gibt es noch mehr als nur Hannover... Ein Beispiel wäre Göttingen, siehe Göttinger Linke. Das ist ein Wählervereinigung zwischen Linkspartei, DKP, eine lokale antifaschistische Bürgerinitiative und Einzelpersonen.

Es wird hoffentlich ein antifaschistisch und sozialprogressiven Wahlkampf in Göttingen werden... Göttingen ist in der Parteiauseinandersetzung eine fast-halbe-halbe-Gruppe, dabei ist der marxistisch-leninistische Flügel klar in der Hauptfeind-Vertreter.


" Die marxistisch fundierten und links-humanistischen Kräfte in der Partei müssen sich darauf einstellen, dass es rund um die Bundestagswahlen 2017 zu einem Generalangriff auf manche unserer Kernpositionen kommen wird. Wir müssen uns also darauf vorbereiten, dass wir gezwungen sein könnten, organisiert – in sehr kurzer Zeit und schmerzhaft für die andere Seite – die Partei zu verlassen. "

Das ist ein entscheidender Satz. Da kann ich mir nicht, in wieweit in der Linkspartei diese Kräfte existieren und sich darauf tatsächlich vorbereiten.

Auf der anderen Seite ist die Zeit bis 2017 Bundestagswahlen den Zeitrahmen, womit die DKP sich vorbereiten kann, ihren ideologischen Profil zu schärfen und ihre organisatorische Fähigkeit solche Situation aufzunehmen. Und das unabhängig davon, ob in der Linkspartei eine organisierte Herangehensweise an der Frage einer möglichen Umsturz in der Linkspartei stattfindet oder nicht.

Es ist die Aufgabe der DKP auf ALLEN Ebenen sich auf diesen Fall vorzubereiten. Das heißt noch verschärften Auseinandersetzung um die Partei, aber wie gesagt, nicht nur in ideologisch-politischer Hinsicht, sondern auch organisatorisch und das in erster Linie nach Außen gerichtete Aufgabe.

Die Frage lautet, kann die DKP eine realistische antifaschistisch-antikapitalistischen Alternative für die Linksparteiler geben? Kann Sie dies nicht nur deklaratorisch von sich behaupten, sondern auch politisch-praktisch vorweisen und sei es nur in Ansätze?!

Die DKP muss sich in beiden Fragen, in der es bei der Linkspartei quitscht, beweisen. Antifaschismus und Antimilitarismus!


  Kommentar zum Artikel von Toto:
Donnerstag, 18.02.2016 - 11:32

Na, da gibt es noch mehr als nur Hannover... Ein Beispiel wäre Göttingen, siehe Göttinger Linke. Das ist ein Wählervereinigung zwischen Linkspartei, DKP, eine lokale antifaschistische Bürgerinitiative und Einzelpersonen.

Es wird hoffentlich ein antifaschistisch und sozialprogressiven Wahlkampf in Göttingen werden... Göttingen ist in der Parteiauseinandersetzung eine fast-halbe-halbe-Gruppe, dabei ist der marxistisch-leninistische Flügel klar in der Hauptfeind-Vertreter.


  Kommentar zum Artikel von MARFA:
Mittwoch, 17.02.2016 - 22:39

Krass, die sind sowas von auf Talfahrt. Bin ich froh da raus zu sein

...Aber immerhin gibt es in Niedersachsen ja eine Alternative bei der Kommunalwahl zur Abschiebelinken:
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