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Besser spät als nie? Die der IG Metall nahestehende Otto-Brenner-Stiftung widmet sich der Querfront (OBS-Arbeitspapier 18, »Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerkes«), die im letzten Jahr, zum Beispiel auf den »Montagsmahnwachen«, sichtbar geworden sei. Exemplarisch stellt die von Wolfgang Storz verantwortete Arbeit Jürgen Elsässer und Ken Jebsen mit ihren Projekten Compact-Magazin und KenFM heraus.

»Die Akteure handeln für sich, sind jedoch auch als ein publizistisch-politisches Netzwerk anzusehen«, heißt es in der Studie. Politisch sehen sich diese Kräfte »überwiegend jenseits klassischer Rechts-links-Schemata«, als Teil eines Milieus, dessen Angehörige »einen möglichst homogenen Nationalstaat und tradierte Lebensweisen wertschätzen und demokratisch-liberale Gesellschaftsentwürfe ablehnen«. So weit eine klassisch kulturpessimistische, »wertkonservative« Weltsicht. Ähnliche Meinungen finden sich auch an der Basis der CDU oder in der Bild, die vom »Netzwerk« gern als Feinde bezeichnet werden. Doch andere Aspekte kommen hinzu: »Der ebenfalls identitätsstiftende ›Feind‹ sind ›die da oben‹, also herrschende nationale und internationale Eliten«. Dies wiederum sind Elemente, die als links wahrgenommen werden: Herrschafts- und Kapitalismuskritik.

Hier wird es problematisch, weil die Studie in der Totalitarismustheorie, also der Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus, gefangen bleibt und »positive Anmerkungen über die heutigen Verhältnisse« und »positive Bekenntnisse« zur herrschenden Gesellschaftsordnung zum Prüfstein erhebt. Doch die benannten Kräfte üben keine radikale Kapitalismuskritik. »Nationale Eliten« werden gerade nicht attackiert, höchstens dann, wenn sie als dem US-Kapital hörig eingestuft werden. Deutschland wird durchgehend als »nicht souverän«, als kolonialisiert dargestellt, dementsprechend ist bei Jebsen wie Elsässer nicht die Bourgeoisie der Gegner, sondern deren angebliche »Fremdsteuerung« durch die USA. Mit Kapitalismuskritik hat das nichts zu tun. Diese Rhetorik dockt an »nationalbolschewistische« Argumentationsfiguren der 20er Jahre an, die ebenfalls die nationale vor die soziale Frage hieven wollten – und meist in der Propagandamaschine der NSDAP landeten. Eine Abgrenzung zwischen antikapitalistischer Herrschaftskritik und rechter (Sozial-)Demagogie wäre seitens der Forscher notwendig gewesen.

Der hauptsächliche Mangel der Untersuchung ist jedoch ihre fehlende Aktualität, und dies nicht nur, weil die »Mahnwachen« inzwischen bedeutungslos geworden sind. Der Publizist Elsässer hat seinen Marsch fortgesetzt und ist tief im rechten Sumpf gelandet. »Wahnsinn! Antifa-Mafia schützt dunkelhäutige Kinderbelästiger im Freibad«, »Meißen wehrt sich: 500 demonstrieren gegen Asylwahnsinn«, »So wird das deutsche Volk abgeschafft« – nur ein kurzer Überblick über einige von ihm in den letzten Wochen auf seinem Blog produzierten Schlagzeilen. Distanz zu ordinären rassistischen Schmähschriften ist nicht mehr erkennbar. Von einer Querfront-Konzeption, die in linke Strukturen einbricht, kann daher kaum noch gesprochen werden.

Bereits seit Dezember letzten Jahres ist ein Briefwechsel zwischen Elsässer und Yavuz Özoguz, dem Macher von muslim-markt.de, öffentlich. Die der iranischen Regierung nahestehende Webseite zählte einst zum Compact-Netzwerk. Laut Elsässer war es Özoguz, der ihm 2012 eine Reise zum iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ermöglichte. Özuguz wirft ihm nun Nähe zu Pegida vor: »Du stands(t) ein gegen Bänker und gegen das angelsächsische Imperium.« Aber: »Dass ausgerechnet Du einmal Chefredakteur des neuen Stürmers werden würdest, hätte ich mir niemals erträumen lassen!« Elsässer fühlte sich bemüßigt, die Pegida-Aufmärsche, auf denen er (bei der Leipziger »Legida«) selbst geredet hatte, zu verteidigen: »Hier entsteht eine Volksbewegung gegen unsere US-gesteuerte Regierung«. Es ist die vermeintliche Masse der Teilnehmer, die den Geschäftsmann vom Querfrontler zum »Nein zum Heim«-Agitator mutieren ließ. Bei Pegida ginge es, so Elsässer, nicht gegen den Islam, »sondern um die unkontrollierte Zuwanderung«. Auch diese Erscheinungsform eines gesellschaftlichen Rechtstrends ist mittlerweile in den Hintergrund gerückt – und von noch radikaleren und gewalttätigeren Kampagnen gegen Flüchtlingsunterkünfte abgelöst worden.

Weil die Anhängerschaft Elsässers und Jebsens Schnittmengen aufweist, nimmt es nicht wunder, dass sich Jebsens Projekt ähnliche Widersprüche beinhaltet. Auf der Facebook-Seite KenFM wird am 4. August 2015 im Beitrag »Die Asyl-Destabilisierung« von Alexandra Bader mittels Umweg über Österreich fabuliert: »Geradezu hysterische Appelle, sich persönlich für Flüchtlinge zu engagieren (nur rund 20 Prozent sind dies tatsächlich), zielen darauf ab, allen ein schlechtes Gewissen zu machen«. Verantwortlich seien »verdeckte und offene Interventionen der USA«. Auch hier klare Opferrollen: »Österreich und Deutschland, die auch heute zu den Hauptbetroffenen der Flüchtlingswellen gehören, haben Hunderttausende Opfer der amerikanischen Destabilisierung des Balkans aufgenommen und tun dies auch heute noch, obwohl man diese Menschen jetzt als ›Wirtschaftsflüchtlinge‹ bezeichnen muss, die kein Recht auf Asyl haben.« Unterschiede zu Elsässers Überfremdungstheorie, die ironischerweise zuerst vom rechten »prozionistischen« Blog Politically Incorrect (dort nicht mit antiamerikanischer, dafür gegen »Links-Grün« gerichteter Deutung) ersonnen wurde, sind kaum mehr feststellbar. Diese Beliebigkeit korrespondiert mit einer Absetzbewegung von Teilen der »Mahnwachen« hin zu Pegida. Auch für Jebsens Strategie deutet sich daher – bei ausbleibendem Erfolg auf der Suche nach prominenten bündniswilligen Linken – das Scheitern an.
Haben wir es also nach den Worten von Storz mit einer »eigenständigen ›Gegenöffentlichkeit‹ jenseits der traditionellen Massenmedien« zu tun? Für eine stabile, institutionalisierte Querfrontbewegung gab es bislang in Deutschland nur in kurzen Übergangsphasen, in den frühen zwanziger und frühen dreißiger Jahren, Raum. Es spricht nichts dafür, dass sich dies geändert haben sollte. Die wahre Zielgruppe dieser Kräfte ist nicht »das Volk«, wie es ein Elsässer stets behauptet. Es ist das deutsche Kapital, und zwar das ganz große. Die handelnden Akteure wissen dies, zumindest als vom Umsatz abhängige Geschäftsmänner, die immer dort anzutreffen sind, wo gesellschaftliche Mehrheiten zu erwarten sind. Unter den obwaltenden Kräfteverhältnissen liegen diese momentan rechts; dort, wo bislang noch jedes dieser in sich widersprüchlichen Konzepte ein Ende fand.

Die Studie zum Download: http://kurzlink.de/OjtOLWKBk


Dieser Artikel ist in der Tageszeitung junge Welt am 26.8. erschienen.


 


 
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  Kommentar zum Artikel von Rainer:
Sonntag, 13.09.2015 - 21:36

Die schmierige Figur Jebsen brüstet sich bei Facebook damit die OBS-Studie weggeklagt zu haben. Tatsächlich gibt's die nicht mehr zum Download. Statt dessen eine Erklärung von der Stiftung zur Zuruckziehung wegen eines Rechtsstreites : Link ...jetzt anmelden! [ externer link]