Äquidistanz ist ein Schlagwort, das beÂnutzt wird, um die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen. Es charakterisiert ein Verhalten, bei dem man – vor allem im Ukraine-Konflikt – zu Putin und RussÂland den „gleichen Abstand“ hält wie zu Deutschland und den USA, eine Macht sei so „schlimm“ wie die andere. EigentÂlich Jacke wie Hose, wir machen nix. Und wenn wir was machen, dann forÂdern wir von allen Parteien, dass sie endlich Frieden halten sollen. Und wenn sie nicht auf uns hören, sind wir verstimmt.
Diese Darstellung ist insofern überÂtrieben, als es durchaus Kräfte gibt, die wenigstens den Putsch in Kiew und seiÂne Unterstützung durch den deutschen Imperialismus und die unsägliche Hetze gegen Russland bekämpfen. Dies ist als Bündnisplattform auch vertretbar und geeignet. Der Geschmack wird aber dann bitter, wenn man darauf besteht – in anbiedernder Weise an die Herren hierzulande – sich auch von Russland zu distanzieren und dies zur VorbedinÂgung für Bündnisse macht.
Das Eine ist die Bündnisfrage. Etwas anderes ist die Frage, die sich KommuÂnisten stellen müssen, nicht zuletzt weÂgen des Anspruchs, den das „Manifest“ an uns stellt: „
Einsicht in die BedingunÂgen, den Gang und die allgemeinen ReÂsultate der proletarischen Bewegung.“
Russland imperialistisch?[file-periodicals#183]Das wichtigste Argument der linken Gegner einer Unterstützung Russlands im gegenwärtigen Konflikt, der ja nicht nur die Ukraine umfasst, ist die AussaÂge, Russland sei ein imperialistisches Land. Und so sie sich als Kommunisten verstehen, legen sie dann die Kriterien an
1, die Lenin in seiner Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ als bezeichnend für die Entwicklung des Kapitalismus zum Monopolkapitalismus/Imperialismus angibt. Man stellt fest, es gibt MonoÂpole in Russland, es gibt Kapitalexport aus Russland, es gibt dort auch die VerÂschmelzung von Industrie- und BankÂkapital zum Finanzkapital, da die groÂßen Industriekonglomerate auch gleich noch selbst Banken haben; man stellt schablonenhaft fest, dass die russischen Konglomerate und Russland selbst in die Neuaufteilung der Welt eingreifen. Und resümiert dann schließlich, dass wir den einen Imperialisten, auch wenn er schwächer wäre, doch nicht gegen den anderen verteidigen könnten.
Die Vertreter dieser Linie vergessen, dass die Schlussfolgerung falsch ist den schwächeren nicht gegen den stärkeÂren Imperialisten zu verteidigen. So haÂben z. B. die meisten kommunistischen Parteien die Versuche der Sowjetunion unterstützt, nach dem Machtantritt des deutschen Faschismus 1933 ein System der kollektiven Sicherheit zu schaffen, das sich gegen die aggressiven faschisÂtischen Mächte Deutschland, Italien und Japan richtete und eine Allianz mit Frankreich und Großbritannien einÂschloss. Widersprüche zwischen ImÂperialisten auszunutzen, bedeutet in konkreten Fällen üblicherweise, den einen Imperialisten gegen den anderen zu unterstützen, mindestens den einen Imperialisten weniger unter Feuer zu nehmen als den anderen.
Deswegen ist schließlich auch die Festlegung eines Hauptfeindes in einer gegebenen historischen Situation von einiger Bedeutung. Schließt ein soziaÂlistisches Land mit einem imperialistiÂschen Land ein Bündnis, bedeutet das nicht, dass die Arbeiterklasse dieses Landes auch mit der Bourgeoisie dieÂses Landes ein Bündnis geschlossen hat
2. Auf heute übertragen, bedeutet das etwa: Wenn der Gen. Fidel Castro Russland und Putin verteidigt, hat die Kritik der Arbeiter und Kommunisten Russlands an Putin und den russischen Verhältnissen keineswegs aufzuhören.
Die Besonderheit Russlands
Wichtiger aber als bei der AuseinanderÂsetzung um den heutigen KlassenchaÂrakter Russlands und der Feststellung, Russland sei ein imperialistisches Land, ist folgendes: Die Vertreter dieser Linie vergessen, dass – ebenso wie es nach einer proletarischen Revolution eine Transformationsperiode vom KapitalisÂmus zum Sozialismus geben muss – auch im Fall einer siegreichen KonterÂrevolution eine TransformationsperioÂde vom Sozialismus zum Kapitalismus unvermeidlich ist.
Die Vertreter dieser Linie vergessen weiter, dass der alte Imperialismus, der sich auf eigener kapitalistischer GrundÂlage entwickelt hat, grundverschieden ist von einem Kapitalismus, der auf den Trümmern des Sozialismus errichtet wird. Der Unterschied ist, dass dort die Bourgeoisie als Klasse sich erst wieder formieren muss. Sie war zwar auch im Sozialismus vorhanden und konnte sich dank des Revisionismus ideologisch Raum verschaffen, durfte sich aber im Sozialismus nicht offen als Bourgeoisie zu erkennen geben.
Die Bourgeoisie, die keine sein durfteMit Chruschtschow gelangten in der Sowjetunion die Arbeiteraristokratie und -bürokratie an die Macht – zwar von den Arbeitern der SU bezahlt, aber auf die Seite des Imperialismus überÂgegangen. Die Arbeiteraristokratie war sozial-imperialistisch, sozialistisch in Worten, imperialistisch in der Tat, sich mit dem Imperialismus „arrangierend“, objektiv das Geschäft des ImperialisÂmus machend, wie es Lenin den „HelÂden“ der II. Internationale gelegentlich vorgehalten hatte. Die Sowjetunion selbst war kein imperialistisches Land. Darin bestand der Fehler der SozialimÂperialismus-Theorie
3: Der Begriff sozialimperialistisch, wie Lenin ihn z. B. gegen genau charakterisierte Teile der deutschen Arbeiteraristokratie verÂwandte, charakterisierte eine ideologiÂsche Position und keinen spezifischen Gesellschaftstyp.
Unter der Obhut der ArbeiterarisÂtokratie wurde in den staatlichen UnÂternehmen und in den KollektivwirtÂschaften durch Ausrichtung an Markt und Profit Bourgeoisie ausgebrütet. Es entstand zwar Bourgeoisie, aber sie konnte sich nicht offen als BourgeoiÂsie entwickeln. Die Herren der neuen Bourgeoisie saßen oft in den Leitungen von Wirtschaft, Verwaltung, von ParÂtei und Jugendverband, mussten sich aber bis zum Sieg der Konterrevolution tarnen als Funktionäre im Dienst der Arbeiter und Bauern
4. Das war es, was die Freunde der Sowjetunion gerÂne übersahen und was besonders durch die Theorie von der Unumkehrbarkeit des Sozialismus zementiert wurde.
Nach dem Sieg der KonterrevoluÂtion und in der Etappe der Aufteilung der Beute unter die Imperialisten und die neue Bourgeoisie in Russland und den anderen Nachfolgestaaten der SowÂjetunion wurden diese Kräfte zum Teil Kompradorenbourgeoisie und zum Teil nationale Bourgeoisie. Dieser UnterÂschied wird durch den Begriff Oligarchen gerade verdeckt.
Putin als Vertreter der nationalen BourgeoisieDie Imperialisten, die Gorbatschow und Jelzin unterstützten, hatten für das wieÂder kapitalistisch werdende Russland nicht die Rolle einer neuen Großmacht vorgesehen, denn das hätte geheißen, einen neuen imperialistischen KonÂkurrenten heranzuziehen. Sie hatten Russland die Rolle einer Halbkolonie zugedacht, die es permanent zu destaÂbilisieren galt, um den freien Zugriff auf die Rohstoffe und Märkte dieses LanÂdes durch die westlichen Monopole zu ermöglichen. Dritte Wege hat der ImpeÂrialismus nicht im Programm – davon zu schwadronieren ist den sozialdemoÂkratischen Diversanten oder Träumern vorbehalten.
Putin ist zunehmend zu einem VerÂtreter der nationalen Bourgeoisie geÂworden, der den Ausverkauf Russlands an den Imperialismus und die EinkreiÂsung durch den Imperialismus stoppen will, was sich z. B. am Fall Chodorkowski zeigt – einem Komprador großen Stils, und beim Vorgehen auf der Krim.
Insofern ist im derzeitigen UkraineÂ-Konflikt statt Äquidistanz zum ImperiaÂlismus und zu Russland die Solidarität mit Russland und Putin angebracht. Das war auch unsere Haltung 1999 zu Jugoslawien/Milosevic. Wir schrieben damals:
„In diesem Sinn war das interÂnationale Proletariat und insbesondere das deutsche Proletariat wieder verÂpflichtet, der jugoslawischen BourgeoiÂsie den Sieg zu wünschen im Kampf geÂgen die vom deutschen Imperialismus angezettelte Aggression der NATO, ihren massiven Widerstand gegen die Hetze der Imperialisten zu verteidigen. Erst dieser Widerstand hat die AggresÂsivität und Verlogenheit des deutschen Imperialismus enthüllt und seine friedÂliche und humanitäre Maske herunterÂgerissen.“
5Wir werden anhand der UntersuÂchung des Kampfs um das russische Öl und Gas die hier getroffenen AusÂsagen versuchen zu untermauern (sieÂhe
KAZ 349).
Quellen und Anmerkungen:
1 Zum Beispiel in „Arbeit und Zukunft“ vom 6.9.2014
2 Vgl. Gen. Togliatti/Ercoli auf dem 7. WeltÂkongress der Kommunistischen InternaÂtionale
3 Zu deren Vertretern auch der Verfasser zählte.
4 Und auch nach dem Sieg der KonterÂrevolution war die Suche nach der verÂlorenen Bourgeoisie durchaus schwierig – vgl. Corell, Polen im Fadenkreuz des Imperialismus, KAZ 225, Dezember 1991
5 Thesen zu Imperialismus und NationalisÂmus in Jugoslawien, KAZ Nr. 294