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[1.jpg]Bundestag feiert Viktor Juschtschenko, heißt es, in der Journaille. Und wüßte man es nicht besser, man könnte es beinahe glauben und sich freuen. Doch es ist wie im alten China: dort kamen die Tributpflichtigen einmal im Jahr zum Sohn des Drachen, um den Kotau vor dem Reich der Mitte zu leisten.
So poetisch sind die heutigen Machthaber nicht mehr, aber der Vorgang ist ganz ähnlich: Nicht zuletzt durch deutsche Hilfe, durch in deutschen "Thinktanks" ausgebrütete Strategien, durch deutsche PR-Profis und durch deutsche Finanzhilfe hat sich Viktor Juschtschenko im Machtkampf mit dem alten Präsidenten Kutschma und seinem Zögling Janukowitsch durchsetzen können. Und es ist nicht zuletzt ein Triumph deutschen Kapitals, das mit diesem Coup d'Etat den Einfluß der traditionell starken russischen Mächte in der Ukraine gebrochen hat.
Wo 1917 und 1945 der deutsche Imperialismus im Schlamm steckenblieb und es nicht vermochte, die "Kornkammer Europas" zu knacken, ist es seinem sanften Bruder 2004 endlich gelungen: die UdSSR ist weg, die Russen demoralisiert - die Teutonen kommen.

Ach, was haben sie geschrien, die Heuchler: die "orangene Revolution", die gegen Filz und Korruption antrat, für die Menschenrechte und das Individuum. Dieselbe alte Platte, die während des Krieges gegen Jugoslawien schragelte; dieselbe, die zu den sehr analogen Vorgängen in Georgien vorwärts und rückwärts gespielt wurde. Wir wissen alle, wie es da heute aussieht: die neuen Machthaber, ihres Zeichens ebenfalls mal gegen "Korruption und Filz" angetreten, sind längst verhasster als ihre nicht minder unschuldigen Vorgänger. Und - Viktor Juschtschenko, der strahlende Held der Freiheit, wird in spätestens zwei Jahren das gleiche Schicksal erleiden.

Doch noch ist die Welt in Ordnung: Kutschma und Kamarilla, Herrscher von Russlands Gnaden, sind vertrieben. Die ach so symphatische Opposition, die wochenlang in der Kälte Kiews ausharrte, hat obsiegt. Und nun sind sie gekommen, um sich zu bedanken, Bericht zu erstatten und Rapport zu leisten. Diese ekelhafte Schmierenkomödie wird leidlich ausgewalzt; uns allen kommen die Tränen.
Juschtschenko zieht denn auch alle Register, denn sein Dank kommt wahrlich von Herzen. Er lobt die Weisheit deutscher Investoren, die hoffentlich bald vom derzeit vierten auf den ersten Platz rücken würden. Das, mein lieber neuer Präsident, wird sicher kein Wunschdenken bleiben.
Und er verspricht, die Modernisierung fortzuführen, er verspricht Privatisierung und die "Priorität des Menschen vor dem Staat". Da nimmt der Mann kein Blatt vor den Mund; tatsächlich dürfte unter seinem Regiment kaum einer der immer noch existierenden ehemals sowjetischen Staatsbetriebe erhalten bleiben. Und die "Prioritäten des Menschen vor dem Staat" dürften wohl in etwa so aussehen wie hier, nur auf noch weitaus niedrigerem Niveau: immer weniger Sozialleistungen, immer mehr sich völlig selbst überlassene Arme.

Nun, die neuen wahren Herren der Ukraine haben von Moskau nach Berlin gewechselt; den Ukrainern dürfte es dadurch kaum besser ergehen. Genauso wie im Kosovo, in Serbien und in Georgien werden sich die einstigen Heilsbringer als raffgierige, miese Ganoven in zweireihigem Zwirn entpuppen.
Deutschland mag "zum Zeichen der Verbundenheit" heute Orange, die Farbe der "demokratischen Revolution" in der Ukraine tragen. Die Ukraine selbst wird in Zukunft Schwarz-Rot-Senf tragen müssen.

 
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  Kommentar zum Artikel von Stephan:
Donnerstag, 10.03.2005 - 06:41

Eine pikante Note erfährt der Besuch noch durch die Visa-Affäre, mit der die Unionsparteien versuchen, Außenminister Fischer unter Druck zu setzen. Man kann ja Fischer einiges vorwerfen, manches durchaus mit Recht, aber ein Volk zum einen in Orange gewandet als legitime Nachfolger der französischen Revolution und den tapferen Montagsdemonstranten in der damaligen DDR zu preisen, zum anderen jedoch eine verstärkte Visaausgabe als Anfang des Unterganges zu sehen, bedarf doch einer gewissen Fähigkeit zur verzerrten Weltsicht, wie man sie seltenst so offen antrifft.

Vielleicht wird die Inthronisation Juschtschenkos ja als Aufstand der Zwangsprostituierten und Schwarzarbeiter in die Geschichtsbücher eingehen, bis dahin können wir staunend ob dieser Offenheit erkennen, was der rechte deutsche Bürger wirklich über die Ukrainer denkt. So sehr scheint sich die Einstellung seit damals nicht gewandelt zu haben.