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Von eva

Der Kaukasus-Krieg hat in der bürgerlichen Öffentlichkeit die Frage nach der "Rückkehr zum Kalten Krieg" aufgeworfen. Diese Öffentlichkeit wäre nicht die bürgerliche, würde sie ein paar grundlegende Dinge verstehen:
  • Russland ist nicht die Sowjetunion. Der Kalte Krieg war eine Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus, wobei der Sozialismus in Gestalt der Sowjetunion auf "friedliche Koexistenz" setzte – ein Hauptgrund dafür, dass der kalte Krieg niemals ein heißer wurde ... (auch ein Hauptgrund, da nicht klassenkämpferisch im Leninschen Sinne, für die erfolgreiche Konterrevolution - das aber hier nur nebenbei).
  • Russland ist keine Beute mehr: Nach der Zerschlagung der Sowjetunion haben sich die Imperialisten über die Konkursmasse hergemacht. Diese Zeiten sind vorbei.
  • Russland steht als kapitalistischer Staat wieder auf und beginnt, an seine vorsozialistische Geschichte als Großmacht anzuknüpfen: Es schiebt eigene Monopole zusammen, sucht sich die ausländischen Anteilseigner genauer aus und lässt sich von den GUS-Kollegen, die zuweilen immer noch die bevorzugten Handelsbedingungen aus Sowjetzeiten genießen, nicht mehr länger auf der Nase herumtanzen.

Das ist nicht der "Rückfall in den Kalten Krieg", sondern ein Vorwärts in den heißen, den nächsten Weltkrieg, bei dem ein weiterer Gegner im Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf den Plan tritt bzw. zu treten droht - zum großen Ärgernis der imperialistischen Staaten, die genug damit zu tun haben, sich die Beute untereinander abzujagen bzw. gegen die Konkurrenz abzusichern. Jetzt erwächst ihnen aus der ehemaligen Beute gar ein weiterer Konkurrent - das muss natürlich mit allen Mitteln verhindert werden, und zwar möglichst bereits auf dem Beuteterritorium (GUS) selbst, bevor Russland es wagt, ex-sowjetisches Gebiet aus naheliegenden historischen Gründen zu beanspruchen oder gar zu überschreiten!

Und so bläst man angesichts des Georgien-Krieges zum scheinbaren Unisono-Halali gegen die russische Besetzung georgischen Territoriums - mit den heuchlerischsten Argumenten gegen die angeblich so "zynischen" und "rücksichtslosen Großmachtinteressen" Russlands. Zunächst schien vergessen zu sein, wer den Krieg und mit wessen Unterstützung begonnen hat, vergessen scheinbar auch, dass man im eigenen Lager durchaus ein paar "Widersprüche" hat, wenn es um den Umgang mit Russland (NATO-Russland-Rat), die weitere NATO-Osterweiterung etc. geht: Ist seit einiger Zeit die USA die treibende Kraft bei der militärischen Integration der SU-Nachfolgestaaten über das sogenannte "Partnership-for-Peace" Programm als Vorstufe einer NATO-Mitgliedschaft, bei der Gründung der GU(A)AM (Georgien, Ukraine, (Armenien,) Aserbeidschan, Moldawien) als kaukasisches Bündnis u.a. Gegenwicht zu Russland und der GUS, so konnte der deutsche Imperialismus aus den historisch gewachsenen Handelsstrukturen mit der Sowjetunion insbesondere im Rohstoff-Pipeline-Geschäft eine lukrative Kontinuität entwickeln, die den Konkurrenten (USA, England, Frankreich, Italien) in dieser Dimension bisher nicht vergönnt war und ist. Entsprechend beläuft sich der deutsche Handel mit Ost- und Südosteuropa auf 150 Mrd. € im ersten Halbjahr 2008, das Zweieinhalbfache im Vergleich zum deutschen US-Handel im gleichen Zeitraum!

Entsprechend hatte Deutschland auch bisher wenig Interesse, Russland mit weiteren NATO-Mitgliedschaften (Georgien, Ukraine) zu reizen. "Abhängig" möchte man nämlich von Russland auch nicht werden, wie die Eindämmungsversuche gegen Russland beschönigend begründet werden, und beteiligt sich daher fleißig an Pipelineprojekten, die russisches Territorium meiden (z.B. Nabucco-Pipeline).

Die etwas andere Interessenlage des deutschen Imperialismus kam auch schon nach wenigen Tagen zum Vorschein, nämlich als es um die Diskussion um die Aussetzung des NATO-Russland-Rates, den Ausschluss Russlands aus der G-8 und eventuell zu beschließende Sanktionen gegen Russland ging: Hier setzte Deutschland offen auf die "Konsultations"-Karte (das Handelsblatt spricht von "täglichen Telefonaten mit Moskau" seitens Außenminister Steinmeier) und sich damit, Stand Ende September 2008, durch: keine nennenswerten Sanktionen, kein Ausschluss aus der G-8 und möglichst baldige Fortführung des NATO-Russland-Rates. "Die US-Regierung etwa war nach Ansicht von Beobachtern froh, dass die EU das Krisenmanagement in Georgien übernommen hat. 'Die EU konnte wirkungsvoller vermitteln, als Washington das tun konnte', sagt der US-Außenpolitikexperte Charles Kupchan. Berlin und Paris seien dabei Hauptansprechpartner für Amerika gewesen – nicht der enge US-Verbündete London." (FTD, 3.9.2008). Wie schön für Deutschland, dass man diesen deutlichen Punktesieg dem Munde des Konkurrenten entnehmen kann ... Der eigene spricht dabei eine durchaus noch deutlichere Sprache: "Washington weiß allerdings sehr wohl, dass die Europäer in strategisch wichtigen Fragen – man denke etwa an die Atomverhandlungen mit Iran – eine Führungsrolle übernommen haben", so der Leiter der Denkfabrik "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP), Volker Perthes im Handelblatt vom 16.9.2008.

Besonders spannend zu beobachten ist die Klaviatur politischer Initiativen bei der Absteckung von Einflusssphären, im imperialistischen Neusprech "Vermittlung" genannt: Hier liefert sich der deutsche mit dem französischen Imperialismus ein bisher noch nicht entschiedenes Kopf-an-Kopf-Rennen. War Sarkozy der erste, der mit einem 6-Punkte-"Friedensplan" punkten konnte, flog aus dem Auswärtigen Amt ebenfalls ein Trumpf auf den Tisch: Da beide Kriegsparteien, Georgien und Russland, aber auch die USA, jede Verantwortung für den Kriegsbeginn ablehnen, sieht sich Deutschland in der "Pflicht", Licht ins Lügendickicht zu bringen und eine "internationale Untersuchung zum Beginn des Krieges, die bei der Klärung der Schuldfrage helfen soll", einzusetzen (Handelsblatt, 9.9.08). Und wer lanciert einen solchen Vorschlag besser als der Diplom-Vermittler Steinmeier?

Auch gegen den US-Gefolgsmann Saakaschwili hat man schon ein As im Ärmel – die Oppositionsführerin Nino Burdschanadse, die sich für einen "Dialog mit dem Kreml" einsetzt (vgl. FTD, 9.9.08) und damit weit kompatibler ist mit der deutschen "Doppelstrategie": einerseits die Verurteilung und Zurückdrängung russischen Einflusses im geostrategisch so wichtigen Kaukasus und andererseits "Dialogbereitschaft" zur Absicherung der ökonomischen Interessen. Mit Burdschanadse wäre wohl auch der NATO-Beitritt Georgiens weiter erfolgreich hinauszuzögern und damit Versuche der USA im Kaukasus vereitelt, dort die eigene Dominanz auszudehnen, wie die Konrad-Adenauer-Stiftung bereits Ende 2006 warnte. Zugleich wird mit georgischen Streitkräften emsig weiter kooperiert (das überlässt man nicht den USA allein), im Rahmen deutscher NATO-Kontingente hatte man sie schon für Besatzungsaufgaben im Kosovo ausgebildet ... Seit dem Waffenstillstand von 1994 mischen deutsche Soldaten bereits im Rahmen der UNOMIG in der Kodori-Schlucht (faktische Grenze zwischen Abchasien und Georgien) mit.

OSZE und EU sollen die Befriedung im Kaukasus nun gemeinsam richten: Damit ist die USA draußen und Russland zwar über die OSZE drinnen, allerdings unter Verzicht auf die Präsenz eigener Friedenstruppen in den Pufferzonen um Abchasien und Georgien, mit denen es den bereits Anfang der neunziger Jahre ausgehandelten Waffenstillstand verteidigt. Das schaut nach weiterer Stärkung der EU unter deutscher Führung aus...

Nun könne man doch froh sein, so eine Reihe sich links Verstehender, dass sich die USA mit ihrem kriegstreiberischen Aggressionskurs im Kaukasus-Krieg nicht durchgesetzt hat, sondern – was immer auch an eigenen Interessen dahinter stehen mag – ein Kurs der Deeskalation... Tatsächlich darf man "froh" sein, wenn der Kampf um die Neuaufteilung der Welt nicht unmittelbar (welt-)kriegerisch ausgetragen wird. Allerdings spiegelt dieses "Froh sein" vor allem unsere eigene Schwäche wider bzw. die weitgehende Führungslosigkeit der Arbeiterklasse beim Kampf gegen die eigene Bourgeoisie. Damit beherrscht letztere das Feld, insbesondere bei der Neuaufteilung der Welt nach eigenem Gutdünken mitzumischen und ich dabei auch noch erfolgreich einen friedlichen Anstrich zu geben...

Die andere Variante sich links Verstehender ist die einseitige Orientierung auf den jeweils aggressivst erscheinenden Akteur (zumeist die USA, die sich zunehmend mehr militärischer denn ökonomischer oder politischer Hebel beim Ausbau bzw. der Absicherung ihrer Einflusssphären bedient). Als Marxisten wissen wir aber und müssen es wissen: Wenn es um die Neuaufteilung der Welt geht, gibt es keine Schafe, sondern nur noch Wölfe! Und dann reicht es nicht mehr, den stärksten, aggressivsten, reaktionärsten Wolf zu bekämpfen (wie die Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg)...

"Jalta ist vorüber!" sagt Sarkozy und meint damit die Grenzziehungen, die zwischen der Sowjetunion und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs beschlossen wurden. Die Worte hören wir wohl und wissen sie zu deuten: Grenzen werden nicht mehr gemeinsam mit dem sozialistischen Gegner ausgehandelt, sondern – wie in vorsozialistischer Zeit – wieder munter von einzelnen Imperialisten, mit oder ohne Bündnispartner, verschoben - je nach dem, was das Kräfteverhältnis gerade zulässt.

Es riecht nach dem nächsten großen Krieg. Brecht sagte nach dem Zweiten Weltkrieg: "Die Kapitalisten wollen keinen Krieg. Sie müssen ihn wollen". Und in diesem nächsten Weltkrieg wird die Maske des "ehrlichen Maklers" des deutschen Imperialismus gefallen sein, und er wird ihn an jener Front eifrig (mit-)führen, an der ihm die meiste Beute winkt. Nur die eigene Arbeiterklasse kann ihm dabei in den Arm fallen. Dazu muss sie verstehen, was er tatsächlich tut und vorhat statt "froh" darüber zu sein, wenn er 'mal keinen Krieg (mit-)macht ...