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BEIJING/BERLIN/WARENDORF (22.08.2008) - Die Bundeswehr nutzt die Olympia-Medaillengewinne deutscher "Sportsoldaten" zu PR-Zwecken. Fast ein Drittel des deutschen Olympia-Kontingents in Beijing besteht aus Athleten der deutschen Armee. Das Militär ist nach eigenen Angaben der größte öffentliche Förderer des deutschen Spitzen- und Leistungssports, der vom Bundesverteidigungsministerium jährlich mit zweistelligen Millionenbeträgen finanziert wird. Die politisch-militärische Führung in Berlin misst dem Sport hohe Bedeutung für die Steigerung der physischen und psychischen Belastbarkeit von Soldaten in Kriegssituationen bei. Daneben dient vor allem die Förderung des Spitzensports der Imagepflege gegenüber Truppe und Gesellschaft. Die Sportförderung ermöglicht es der Bundeswehr, die Verzahnung militärischer Stellen mit zivilen Einrichtungen weiter voranzutreiben. Dies kommt unter anderem in der engen Kooperation des Militärs mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zum Ausdruck.

Positives Ansehen

Den deutschen Militärsportlern hat Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung bei seinem Besuch in Beijing am vergangenen Wochenende persönlich und im Namen aller Bundeswehrangehörigen zu ihren Erfolgen gratuliert. Laut Angaben der Streitkräfte betonte er dabei, "dass die sportlichen Erfolge auch zum positiven Ansehen der Bundeswehr und der Bundesrepublik Deutschland im In- und Ausland beitragen".1 Zu diesem Zeitpunkt gingen sieben der 22 bis dahin von deutschen Athleten gewonnenen olympischen Medaillen auf das Konto von Sportlern der Bundeswehr, die Dienstränge vom Gefreiten bis zum Unteroffizier bekleiden.2 Ihr Anteil am Medaillenspiegel entsprach fast genau ihrem Anteil an der deutschen Olympia-Equipe: 127 von insgesamt 440 deutschen Olympiadeteilnehmern sind Militärangehörige.3

Unersetzlich

Das Bundesverteidigungsministerium fördert den deutschen Spitzen- und Leistungssport nach eigenen Angaben mit 25 Millionen Euro jährlich; für die kommenden Jahre ist eine Aufstockung dieser Summe um 3,4 Millionen Euro geplant. Finanziert werden damit 700 Dienststellen für "Sportsoldaten", die in 16 über die Bundesrepublik verteilten "Sportfördergruppen" erfasst werden. Die olympischen Disziplinen stehen dabei im Vordergrund: Wer in die "Sportfördergruppen" der Bundeswehr aufgenommen wird, entscheidet vor allem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), an dessen "Stützpunkten" die Athleten trainieren. Mit Blick auf die Olympiade in Beijing bezeichnete DOSB-Präsident Thomas Bach die Bundeswehr kürzlich als "unersetzliche(n) Teil der Mannschaft".4

Sensomotorische Funktionen

Die Sportförderung dient der Bundeswehr nicht nur zur Imagepflege im In- und Ausland und zur Erhöhung der eigenen Attraktivität - wehrpflichtige Leistungssportler können ihren Dienst bei einer der "Sportfördergruppen" ableisten. Sie hat auch unmittelbare militärische Bedeutung. Laut der Zentralen Dienstvorschrift (ZDV) 3/10 der deutschen Streitkräfte ist die Sportausbildung "in ihrer pädagogischen Gesamtwirkung zu sehen" und zielt auf "den ganzen Menschen": Dieser soll zu einem "physisch und psychisch leistungsfähige(n) Soldat(en)" geformt werden, der körperlichen "Belastungen" ebenso gewachsen ist wie "Gefühlsregungen oder Stress". Systematisch eingeübt wird die "exakte Koordination zwischen Muskel- und Nerventätigkeit" in Verbindung mit einer "hohen Wahrnehmungsleistung": "Da der Soldat in einer hochtechnisierten Armee immer mehr zum Bediener technischer Systeme wird, müssen gerade an seine sensomotorischen Funktionen (...) besondere Anforderungen gestellt werden."5

Weit in den zivilen Bereich

Daneben ermöglicht es die Sportförderung dem Militär, "weit in den zivilen Bereich hinein zu wirken", heißt es in einer Selbstdarstellung der Streitkräfte.6 Insgesamt verfügt die Bundeswehr über mehr als 600 Sportplätze und Sporthallen sowie über rund 50 Schwimmhallen, die in Kooperation mit dem DOSB und anderen Sportverbänden genutzt werden.7 Allein die 1957 unter dem Kommando des vormaligen NS-Generals und Kriegsverbrechers Max Josef Pemsel 8 gegründete "Sportschule der Bundeswehr" in Sonthofen (Bayern) und Warendorf (Nordrhein-Westfalen) besitzt nach eigener Aussage "alle Anlagen und Einrichtungen, die sie befähigt, einen reibungslosen Ausbildungs-, Trainings- und Wettkampfbetrieb" in nahezu allen Disziplinen durchzuführen.9 In Warendorf finden regelmäßig Deutsche Meisterschaften etwa im Schwimmen statt; nach Dienstschluss können Schulen und Vereine aus der Umgebung die Sportanlagen kostenlos nutzen. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Sportschule 2003 wurde sogar ein Logo entwickelt, das das Wappen Warendorfs mit dem der Militäreinrichtung vereint.10

Wehrmedizin

Gleichzeitig profitieren die Streitkräfte von der Kooperation mit zivilen Institutionen wie dem Deutschen Sportbund (DSB). Dieser überprüft jährlich 65.000 Soldaten hinsichtlich ihrer sportlichen Fähigkeiten und verleiht ihnen bei entsprechenden Ergebnissen das "Deutsche Sportabzeichen". Es darf, wie die Bundeswehr mitteilt, als "offizieller Orden" von allen Militärangehörigen "an der Uniform getragen werden".11 Das an der Warendorfer Sportschule angesiedelte "Sportmedizinische Institut der Bundeswehr" erhielt bereits 1981 den Status eines lizenzierten Untersuchungszentrums des DSB; wie der Sanitätsdienst des deutschen Militärs mitteilt, hatte dies "eine wesentliche Erweiterung des Untersuchungsspektrums zur Folge, da nun Spitzenathleten nicht nur aus dem militärischen, sondern auch aus dem zivilen Bereich in das Untersuchungsgut einbezogen werden konnten". Auf diese Weise sei eine "Nahtstelle zwischen der zivilen und militärischen Sportmedizin und Sportwissenschaft" geschaffen worden, "die sich über die rein fachlichen Aspekte hinaus positiv für die Darstellung der Wehrmedizin auswirkte".12

Integration

Die von der Bundeswehr nach eigener Aussage angestrebte "gesellschaftspolitische Integration"13 wird zügig vorangetrieben. Neben Geheimdiensten14, Polizeidienststellen15, Einrichtungen des Katastrophenschutzes16 und dem Gesundheitswesen17 ist auch der Sport zum Exerzierfeld einer umfassenden "zivil-militärischen Zusammenarbeit" geworden.


Anmerkungen:
1 Bundesminister der Verteidigung besucht Peking; www.streitkraeftebasis.de 16.08.2008
2 Deutscher Medaillenspiegel; www.streitkraeftebasis.de 17.08.2008
3 Nominierte Bundeswehrsportler für die Olympischen Spiele 2008; www.streitkraeftebasis.de 24.07.2008
4 Die Olympia-Truppe; www.streitkraeftebasis.de 29.07.2008. Prominente Sportler wie der Fahnenträger der deutschen Olympiamannschaft in Beijing, Basketballprofi Dirk Nowitzki, der Rennrodler Georg Hackl oder der ZDF-Moderator Rudi Cerne sind ehemalige oder aktive "Sportsoldaten".
5, 6, 7 Grundsätze der Sportausbildung; www.streitkraeftebasis.de
8 Max Josef Pemsel (1897-1985), Generalleutnant, Träger des Bundesverdienstkreuzes, 1941 Chef des Generalstabes des XVIII. Gebirgsarmeekorps beim General der Gebirgstruppen und Militärbefehlshaber im von Deutschland besetzten Serbien, Franz Böhme, Unterzeichner eines Befehls v. 19.10.1941, wonach als "Sühne" für 10 tote und 24 verwundete deutsche Soldaten 1.600 Serben, insbesondere Juden, Sinti und Roma zu erschießen sind (Nürnberger Dokument NOKW-560), 1944 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet; Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt/Main 2005, S. 453; Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Berlin (DDR) 1965, S. 229.
9 Die Sportschule der Bundeswehr; www.streitkraeftebasis.de
10 Spaß am Sport - 25 Jahre Sportschule der Bundeswehr in Warendorf; www.streitkraeftebasis.de 22.05.2003
11 Das Deutsche Sportabzeichen; www.streitkraeftebasis.de
12 Geschichte des Sportmedizinischen Institutes der Bundeswehr; www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de
13 Grundsätze der Sportausbildung; www.streitkraeftebasis.de
14 s. dazu Lobbyarbeit und Verschmelzung
15, 16 s. dazu Innerer Notstand und Ansprechstellen
17 s. dazu Medizinische Kriegsvorbereitungen



 
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