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Als der „Erfinder“ der Olympischen Spiele, der französische Humanist Baron Pierre de Coubertin, sein Werk 1894 in Angriff nahm, wollte er auch die Deutschen dabeihaben. Nicht aus Sympathie, sondern weil er ein Sportfest, an dem die beiden „Erzfeinde“ zu friedlichem Wettstreit zusammenkamen, für nützlich hielt. Weil die Einladung nach Berlin zum ersten Olympischen Kongreß unbeantwortet blieb, machte er sich in Paris auf den Weg zur deutschen Botschaft, um eine zweite abzugeben. Niemand wußte dort, an wen man ihn mit seinem Anliegen verweisen sollte und hielt – kein preußisches Wunder – den Militär-Attaché für die richtige Adresse. Das war ein gewisser von Schwartzkoppen, der als „Führungsoffizier“ eines französischen Agenten später traurige Berühmtheit erlangen sollte und über Nacht nach Berlin zurückbeordert wurde. Er hatte den Verdacht auf den jüdischen Hauptmann Dreyfus gelenkt und damit einen der größten Skandale der neueren französischen Geschichte ausgelöst. Daran zu erinnern scheint unumgänglich, wenn man die jüngsten deutschen Schritte im Hinblick auf die nächste Olympiade verfolgt.

In Peking werden 2008 die XXIX. Spiele gefeiert. Die Zahl hat einen bitteren Schönheitsfehler: Drei Olympiaden – 1916, 1940 und 1944 – konnten nicht stattfinden, weil Deutschland Weltkriege angezettelt hatte und die Jugend in Schützengräben verblutete, statt sportlich die Kräfte zu messen. Auf das alles muß verwiesen werden, wenn das Geschehen der vorolympischen Gegenwart zur Kenntnis genommen wird. Zum Beispiel: Die deutsche Bundesregierung beschäftigt einen „Beauftragten für Menschenrechte“ namens Günter Nooke, der seine Kompetenz für solche Fragen zum Beispiel als Vorstandsmitglied der Räuber-Treuhand nachwies, die bekanntlich das Menschenrecht auf Arbeit im Osten Deutschlands drastisch reduzierte.

Dieser „Beauftragte“, der bislang kein Thema ausließ, von dem er hoffte, sich damit profilieren zu können, beantwortete der „Welt“ am 9. August die Frage, was er von einem Boykott der Spiele in Peking halte, wie ihn USA-Senatoren vorgeschlagen haben. Nein, er halte nichts davon, versicherte er und fuhr fort: „Wenn man meint, Olympische Spiele dürften nicht in China stattfinden, dann sollten wir den Funktionsträgern in den Nationalen Olympischen Komitees und im IOC deutlicher sagen, daß sie nach anderen Kriterien über die Vergabe der Spiele entscheiden müssen. Die Situation der Menschenrechte muß künftig eine wichtigere Rolle spielen.“

Coubertin wäre fassungslos gewesen, wenn er diese Nooke-Botschaft noch gehört hätte. Vielleicht nicht zu fassungslos, weil er ja schon mit Schwartzkoppen seine Erfahrungen gemacht hatte, aber der operierte schließlich „verdeckt“, während der deutsche Regierungsbeamte Nooke keinerlei Hemmungen hat, dem von Coubertin vor 113 Jahren gegründeten Internationalen Olympischen Komitee anzuraten, nach welchen Kriterien es künftig Olympische Spiele vergeben soll. Ich habe keine Hemmungen, festzustellen: Selten zuvor hat sich eine Regierung derart dreist ins olympische Geschehen eingemischt. Zugegeben: Einmal erlebte ich eine noch ärgere Intervention. Das war im Winter 1980 in einem alten, aber legendären Hotel in der amerikanischen Kleinstadt Lake Placid, wo der USA-Außenminister Cyrus Vance das IOC aufforderte, Moskau die Olympischen Sommerspiele 1980 wegzunehmen.

Daß daraus nichts wurde, war dem damaligen IOC-Präsidenten, dem irischen Lord Killanin, zuzuschreiben, der Vance wissen ließ: „Und wenn ich der einzige aus dem Westen sein sollte – ich bin in Moskau!“ Mit ihm waren damals viele aus dem Westen gekommen – die Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht, deren Regierung den Boykott erzwang. Und nun wieder? Nooke könnte man ignorieren. Aber auch Sportführer haben sich gemeldet. Zwar nicht, um zu boykottieren, nein, sie raten zu moderneren Methoden. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), und sein Leistungssportdirektor Schwank kehrten im Sommer aus Peking zurück. Am 16. August stand in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wenn Vesper ... eine Menge Baustellen erwähnt, dann meint er nicht nur jene Wettkampfstätten, an denen noch gewerkelt wird. Eine dieser Baustellen ist die Menschenrechtssituation in China, auf die Vesper, ehemaliger Spitzenpolitiker der Grünen häufig angesprochen wird. ,Wir reagieren nicht nur auf die öffentliche Diskussion‘, versicherte er ,wir handeln proaktiv‘. Das DOSB-Präsidium habe schon im Mai eine Erklärung zu den Menschenrechten im Gastgeberland verabschiedet ... Und die deutschen Athleten sollen, so Schwank, nicht ohne entsprechende politische Vorbereitung nach China reisen, um sich der besonderen Situation in dem Riesenland bewußt zu sein.“

Achtung! Das sollte zweimal gelesen werden: Der – eigentlich für die sportliche Vorbereitung der Olympiamannschaft zuständige – deutsche Leistungssportdirektor plant, was man der DDR-Sportbewegung seit 17 Jahren mindestens jede Woche einmal vorwirft, nämlich die Athleten vor jeder Olympiareise politisch geschult zu haben. In Potsdam hat ein Professor Teichler Berge von Akten aufgetürmt, mit denen er das vergeblich zu beweisen versuchte. So Exaktes wie die Ankündigung des Herrn Schwank fand er bislang kaum, und wenn er es gefunden haben sollte, verband er es immer mit dem Hinweis, daß dies in der Bundesrepublik völlig unvorstellbar gewesen wäre. Das also gilt nun nicht mehr.

Auch wie man sich solch olympisches Polittrainingslager vorstellt, verriet der Generaldirektor des DOSB der FAZ: „Die Öffnung des Landes für Journalisten und andere Olympiagäste bezeichnete Vesper als ,schleichendes Gift‘, das die chinesische Gesellschaft positiv verändern werde.“ Das sollte man sogar dreimal lesen! Die Bundesrepublik Deutschland müht sich um das „schleichende Gift“, das China verändern soll! Was dieser Vesper da ankündigte, hatte nicht einmal Cyrus Vance auszusprechen gewagt, als er vor 27 Jahren dem IOC seine politischen Forderungen vortrug. Der wollte nur die Moskauer Spiele verlagern oder verschieben, die führenden Männer des Deutschen Olympischen Sportbundes aber wollen gleich die Gesellschaft des Gastgeberlandes verändern!

Die „Frankfurter Rundschau“ wollte den Zeitungs-Ortsrivalen noch übertreffen und wählte folgende Überschriften: „Das schleichende Gift der kurzen Freiheit – Die DOSB-Spitze ... setzt beim Thema Menschenrecht auf die gesellschaftlichen Folgen der politischen Lockerungen während der Spiele 2008.“



Fußnote: Ich habe vor Jahren eine Coubertin-Biographie publiziert und glaube Auskunft geben zu können, wie der Baron auf diese unolympischen deutschen Attacken reagiert hätte. Das ließe sich mit einem Wort beschreiben: massiv!


 
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