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Oleguer Presas, 27 Jahre alt, ist ein katalanischer Fußballprofi, seit 2001 und noch bis 2010 beim FC Barcelona engagiert. Am 7. Februar 2007, erschien in der Zeitung „Berria“, der einzigen vollständig in baskischer Sprache erscheinenden Tageszeitung, ein Interview mit Oleguer, das in Spanien für einige Aufregung sorgte.

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Oleguer Presas
Oleguer habe, so der Vorwurf, seine Sympathie mit der ETA zum Ausdruck gebracht und die Freilassung eines verurteilten Terroristen gefordert. In Wirklichkeit hat Oleguer, der schon zuvor als Unterstützer sozialistischer und linker Befreiungsbewegungen aufgefallen ist, berechtigte Kritik am bürgerlichen Zentralstaat und seinen Organen geübt. Konkret bezog sich Oleguer auf den ETA-Aktivisten Iñaki de Juana Chaos, der 1987 zu nicht weniger als 3.000 Jahren Haft verteilt worden war. Vor drei Monaten trat de Juana in den Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen der baskischen Gefangenen in den spanischen Gefängnissen sowie im Allgemeinen gegen die spanische Justiz zu protestieren. Gegenwärtig wird de Juana in einem Madrider Krankenhaus zwangsernährt. Oleguer forderte nun wörtlich seine Freilassung „aus gesundheitlichen Gründen, weil auch Politiker und Wirtschaftsbosse in der Vergangenheit bei angeschlagener Gesundheit bereits entlassen wurden.“ Es sei offenkundig, dass im angeblichen Rechtsstaat Spanien keine Gleichberechtigung herrsche. In weiterer Folge präzisierte Oleguer, dass es ihm weniger um die konkrete Person, sondern um die allgemeine Kritik an Justiz und Politik gegangen sei.

Verwerflich? – „Ja“, meinte Oleguers Ausrüster, der spanische Sportartikelhersteller Kelme, und kündigte sofort den Vertrag mit dem katalanischen Fußballer. „Nein“, meinten die Fans des FC Barcelona: Beim 2:0 gegen Racing Santander am 11. Februar, wurde Oleguer in der 84. Minute eingewechselt – und von den 80.000 Zuschauern im Stadion Camp Nou begeistert empfangen und bejubelt. „Wir sind auf deiner Seite!“, versicherten Transparente katalanischer Fans. Oleguer war schon zuvor politisch kein unbeschriebenes Blatt – und als solcher den bürgerlichen und nationalistischen Kräften Spaniens schon länger ein Dorn im Auge. Oleguer ist nicht nur ein ausgezeichneter Spieler in der Defensive des FC Barcelona, sondern auch ein durchwegs politisch engagierter Mensch. Es genügt ihm nicht, Fußballprofi zu sein - daneben schloss er vor ziemlich genau einem Jahr sein Universitätsstudium der Ökonomie ab, gegenwärtig studiert er noch Geschichte und Philosophie. Er hat Kontakt zur autonomen Hausbesetzerszene Barcelonas und beteiligte sich in der jüngeren Vergangenheit selbst an Aktionen, in deren Zuge er im Jahr 2003 einmal verhaftet wurde.

Oleguer selbst ist Sozialist, jedoch nicht im Sinne der sozialdemokratischen „Sozialistischen Partei“ von Premierminister Zapatero, sondern im revolutionären Sinn. Oleguer tritt unmissverständlich für Freiheit und Selbstbestimmung, ja für die Unabhängigkeit eines sozialistischen (!) Kataloniens und des Baskenlandes ein – absurd, dass Oleguer gegenwärtig in den deutschsprachigen Massenmedien immer als nationalistischer Separatist bezeichnet wird: die Nationalisten sitzen in Madrid, in Barcelona und Bilbao hingegen die Freiheitskämpfer. Oleguer setzt sich für die katalanische Selbstbestimmung mit seinen Möglichkeiten ein: Im Kampf der katalanischen Sportverbände um internationale Anerkennung ist er eine zentrale Figur. Im vergangenen Herbst führte er eine katalanische Auswahl aufs Feld zum Spiel gegen eine baskische um Gaizka Mendieta.

Das Match unter dem Motto „Zusammen für den Frieden“ endete solidarisch 2:2. Weiters trat Oleguer auch schon als Autor in Erscheinung. Im März 2006, kurz vor dem Triumph des FC Barcelona in der Champions League, erschien sein Buch „Der Weg nach Ithaka“. Darin spannte er den zeitlichen Bogen von seiner schwierigen und belasteten Kindheit bis zum Meisterschaftssieg 2005, inhaltlich widmete er sich aber nicht nur persönlichen Reflexionen, er gute Kontakte zur zapatistischen Bewegung in Chiapas unter Subcomandante Marcos. – Unterm Strich ist Oleguer also ein Unbequemer: für die nationale spanische Bourgeoisie, für die Konservativen wie für die Sozialdemokraten, für die Herrschaft des Madrider Zentralstaates, für die imperialistische Unterdrückungsideologie und -realität.

Als politischer Fußballer ist Oleguer in guter Gesellschaft. Diego Maradona, in den frühen 1980er Jahren ebenfalls beim FC Barcelona aktiv und vermutlich der beste Spieler aller Zeiten (da mag sich Pelé produzieren, wie er will) ist seit einigen Jahren ein prominenter Unterstützer des antiimperialistischen Kampfes in Lateinamerika und Befürworter des Sozialismus. Er gilt als Anhänger Fidel Castros und Hugo Chavez’. Bei der Protestkundgebung (mit Chavez) beim Amerika-Gipfel in Buenos Aires im November 2005 hatte Maradona einen viel bejubelten Auftritt als Redner gegen die Herrschaft des US-Imperialismus und insbesondere gegen die Politik der Bush-Regierung.
Der „Star“ unter den linken Fußballern ist aber freilich der Italiener Cristiano Lucarelli, bekennender Kommunist und Kapitän des Serie- A-Klubs AS Livorno. In jener Stadt, wo 1921 auf Initiative von Antonio Gramsci und Palmiro Togliatti die Kommunistische Partei Italiens gegründet wurde, ist freilich der gesamte Verein ein linkes Aushängeschild: Legendär sind die antifaschistischen Fans der „Brigate Autonome Livornesi“, die mehr gegen Rassismus und Neofaschismus in den Fußballstadien tun als jede „Fair Play“-Kampagne der Verbände (das durfte im September 2006 auch ein rechtsextremer Oberösterreicher, der am Rande des UEFA-Cup-Spiels des FC Pasching gegen Livorno die italienischen Fans provozieren wollte, am gebrochenen Unterkiefer spüren). Auf den Tribünen im Stadion von Livorno tauchen schon mal das Konterfei von W. I. Lenin auf den Fantransparenten auf, was Herrn Bertinotti wohl missfallen mag. Zurück zu Oleguer und zum FC Barcelona. Auch dieser Verein ist höchst politisch, wenn auch nicht in jenem Grad wie der AS Livorno. Den stetigen Kampf gegen den Hauptgegner Real Madrid begreifen die Fans seit Jahrzehnten als Kampf gegen den Faschismus (auch nach dem Tod Francos) und gegen den spanischen Zentralismus. Und dass der Lokalrivale, der treffend „Espanyol Barcelona“ heißt, als Symbol des „spanischen Kataloniens“ bei den Katalanen kein Leiberl hat, ist klar. Während des Spanischen Bürgerkrieges wurde der Klubpräsident des FC Barcelona, der im republikanischen Widerstand aktiv war, durch Franco-Schergen ermordet. Nach dem Sieg des Faschismus wurde der Verein von Franco-Getreuen okkupiert, umbenannt und die katalanischen Farben wurden aus dem Klubemblem entfernt. Doch die katalanischen Fans ließen sich auch unter der Herrschaft des Faschismus ihren Verein nicht nehmen – im Gegenteil: der FC Barcelona („CF Barcelona“ lautete die faschistische Umbenennungsvorgabe) blieb erstrecht und umso mehr Symbol des antifaschistischen Widerstandes der Völker Spaniens, insbesondere des katalanischen.

Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass Oleguers jüngste Kritik an der spanischen Staatsmacht bei den Anhängern des FC Barcelona auf begeisterten Widerhall stößt. Noch mehr Zuspruch wird Oleguer absehbar aber wohl bei einem Auswärtsmatch erhalten: Wenn er für den FC Barcelona das nächste Mal im Stadion von Athletic Bilbao einläuft, werden die baskischen Fans vermutlich einen gegnerischen Spieler bejubeln wie nie zuvor. Und dies mit vollem Recht.

TIBOR ZENKER ist Autor und Publizist in Wien

 
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