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Wenn selbst ein Subjekt wie Michail Gorbatschow, das einst über die Köpfe der Verantwortlichen hinweg beim gemütlichen Datscha-Plausch mit Helmut Kohl die DDR an die BRD verscheuerte, Unmut über die durchweg negative Konnotation deutscher Berichterstattung über Russland verspürt, muss einiges im Argen liegen...

Die Putin-nahe, deutschsprachig erscheinende Internetzeitung www.russland.ru berichtet unter dem Titel "Negative Berichterstattung über Russland – Pressefreiheit in Deutschland "made in USA"?" über die deutsche Medienoffensive gegen das Russland Putins - unter Federführung des Springer-Konzerns:
"Eine der in Russland üblichen Katastrophen mit giftigem Wodka wird zum Notstand hochstilisiert, obwohl dessen Ausrufung nur den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit erleichtern sollte. Schafft es eine NGO nicht, die bürokratischen Spielregeln des Gastlandes einzuhalten, wird daraus flugs eine Verbannung gestrickt. Straft Russland ukrainischen Gas-Klau ab, schwärzt die Mehrzahl deutscher Journalisten Putin als Erpresser an. Erschwitzt Ex-Kanzler Gerhard Schröder unseren warmen Platz am sibirischen Ofen, verrät der „Gas-Promi“ deutsche Werte. " [www.russland.ru]

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Auch wenn im Artikel so manches verquer geht - unübersehbar bleibt die sich stetig verschlechternde Beziehung der BRD zu Russland. Der deutsche Imperialismus schwankt bei der Wahl seiner notwendigen Bündnispartner; das taktische Techtelmechtel der Schröder-Regierung, das noch zur "Männerfreundschaft" hochstilisiert wurde, ist einer neuen Eiszeit gewichen - oder auch einem neuen "Kalten Krieg":
"Der weltweit agierende Konzern [Springer-Konzern, Anm. von mir] will die Refinanzierung „unabhängigen und kritischen Journalismus ermöglichen“ und fordert daher folgerichtig „die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft“ (Essential 5) [dies bezieht sich auf die "journalistischen Leitlinien des Springer-Konzerns, Anm. von mir] und „die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus“ (Essential 4) von seinen Angestellten. Der Verlag macht gute Geschäfte in Russland, seitdem er das Riesenreich in Form der Sowjetunion nicht mehr verdammen muss. Dass man im Springer-Verlag dennoch das junge politische Russland unter Präsident Putin ablehnt, machte dieser Tage Michael Stürmer, Chefkorrespondent der "Welt", klar. Der ehemalige politischer Berater von Helmut Kohl prüfte, ob die Russlandpolitik des Berliner Auswärtigen Amts den „Test der kalten Wirklichkeit“ besteht. “Öl, Gas und Pipelines sind die Mittel einer russischen Grand Strategy“ für Gegenwart und Zukunft. „Energie ist, wie früher die Panzer der Roten Armee, die entscheidende Machtwährung.“ Mit derlei stürmischen Vergleichen befreit uns Springers „Welt“ vom Ende des Kalten Krieges. Ganz im Gegenteil – wir sind wieder mitten drin, denn „gemessen an der Grand Strategy der Moskowiter und ihrem Umgang mit Macht“ sind deutsche Fantasien, man müsse Russland einbinden, „Kindergartenspiele“, so Stürmer, der von 1988 bis 1998 Direktor des Forschungsinstituts für Internationale Politik und Sicherheit war.

Am Beispiel der neuen Probleme um das Shtokman-Erdgas warnt Stürmer, Deutschland komme der amerikanischen Energiestrategie in die Quere. „Ob die wirtschaftliche Suppe die politischen Kalorien wert ist, sollte man sich in Berlin gut überlegen.“ Fast im Sinne von „lieber tot als rot“ wird behauptet, es bedürfe zur Sättigung keiner Suppe im Teller, wenn dem die US-Flagge eingebrannt ist.

Diese Art der Berichterstattung über Russland entspringt dem dritten springerschen Essential: Die NATO ist zu unterstützen und in der „freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika gilt Solidarität“. Damit verpflichtet die Springer AG zur Teilnahme an amerikanischer Außenpolitik, sofern sie Deutschland thematisiert. Das ist problematisch. Denn für weitere Aussöhnung zwischen Russland und (EU-verankertem) Deutschland kann im Hause Springer dann nur noch der schreiben, der gegen Essential 3 verstößt."
[www.russland.ru]

Neben dem Springer-Konzern, an dessen Ehrhaftigkeit und Verbundenheit an die eigenen Grundsätze hier appeliert wird, ist die deutsche Medienoffensive allerdings noch weit umfassender. Dass in einer angeblich freien Medienlandschaft alle maßgeblichen Blätter zu den wichtigsten Themen synchron schwingen, sollte zu denken geben - die bürgerlichen Medien sind einerseits zwar Monopolsprachrohre, die durchaus verschiedene ökonomisch-politische Interessen formulieren und darüber gelegentlich in Widerspruch geraten (Deutschlands Heil im Osten oder im Westen?), andererseits artikulieren sie ab einem bestimmten Punkt immer auch den gefundenen Kompromiß der Monopole, wie er in der staatlichen Außenpolitik umgesetzt wird: so muss und wird auch die Berichterstattung über die deutsche Kehrtwende gegenüber Russland auf einem Niveau bleiben, das nicht an die wahren Gründe rührt:
"Laut Markus Lotter, Verfasser einer Bayern-Kolumne für Welt.de, hat inzwischen sogar der sonst furchtlose Uli Hoeneß vom FC Bayern Angst vor der „Russen-Mafia“. Der Manager, den viele fürchten, hat wohl regelmäßig die schaurig lustigen Russland-Geschichten des Focus-Korrespondenten Boris Reitschuster gelesen. Kein anderer Journalist ist derzeit in der Lage, mit warmen und heimatverbundenen Worten den ‚Bösen Iwan’ ins Russlandbild der Deutschen zu tätowieren.
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Auch der „taz“ gefriert gelegentlich der Blick nach Osten. Nach der Hinrichtung der Journalistin Anna Politkowskaja hiess es auf der ersten Seite „Leichen pflastern Putins Weg“. So mag man im täglichen Kampf um die verkäuflichste Schlagzeile bestehen - differenzierte Berichterstattung bleibt auf der Strecke.
" [www.russland.ru]

Was bleibt? Das Wissen um die prinzipielle Unfähigkeit des Imperialismus, zu einer tatsächlichen Aussöhnung und Verbrüderung der Nationen in der Lage zu sein. Der deutschen imperialistischen Politik geht es - wen wundert's - nur um die Interessen des deutschen Imperialismus. Das ist im Jahre 2006 nicht anders als 1914 oder 1939/41.

"Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte als Gastredner bei der Landesversammlung der bayrischen Jungen vom Leder gezogen – kurz vor Wladimir Putins Anfrage In Dresden, was die Bundesregierung von einer russischen Beteiligung an der Telekom halte. ‚Dank’ des Mords an Anna Politkowskaja fiel es Bundeskanzlerin Merkel wohl nicht schwer, dies Anliegen als Signal zur falschen Zeit abzuwehren. Mitglieder des Aufsichtsrates der Telekom legten jüngst nach, als die Pläne in die Öffentlichkeit durchsickerten. "Industrie-Imperialismus" und "Machtpolitisch motivierter Angriff einer russischen Clique" zitierte das „Handelsblatt“ die russische Stimmung unter deutschen Spitzenmanagern - russische Oligarchen seien für das Unternehmen eine weitaus schlimmere Bedrohung als amerikanische Heuschrecken." [www.russland.ru]

Das sind deutliche Worte. Die Quintessenz des Artikels geht denn aber völlig nach hinten los, wenn die Autoren die Gründe für die deutsche Kehrtwende nach Schröders Abgang in den USA verorten - die neue Merkelsche transatlantische Kooperation wird zur erneuten Einflußnahme der Vereinigten Staaten in die deutsche Außenpolitik umgedeutet.
Es ist nicht George W. Bush, der die Deutschen zur Aggressivität gegen Russland aufstachelt; es ist der deutsche Imperialismus selbst, der in verschiedenen Bündnissen erprobt, welche Partner am meisten Nutzen versprechen. Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen; ebenso schnell, wie die einstige "strategische Partnerschaft" zwischen der BRD und den USA zugrunde gehen - und wiederauferstehen - konnte, kann auch das Verhältnis zu Russland jederzeit von taktischer Allianz (gegen die USA) zu nackter Feindseligkeit (gemeinsam mit den USA) kippen.

Selbst die dickste "Männerfreundschaft" degradiert und pervertiert in der kapitalistischen Normalität zur lausigen Ganovenabsprache - doch selbst die sprichwörtliche Ganovenehre, die es verbietet, nach einem gemeinsamen Deal den Partner um der Beute willen abzumurksen, geht den Gaunern in Nadelstreifen und Abendkostüm ab.

 
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