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Mit einem Großmanöver in der Ostsee bringt sich die Bundeswehr gegen Russland in Stellung. Das Szenario der unter der Bezeichnung "Northern Coasts" firmierenden Übung erinnert stark an den Konflikt in der Ukraine. Trainiert wird die Entsendung einer EU-Interventionstruppe in ein fiktives Land, dessen Einheit von "Separatisten" bedroht ist, die ihrerseits von einem "militärisch starken" Drittstaat unterstützt werden. In der Folge kommt es laut Drehbuch zu "immer intensiveren Konfrontationen" bis hin zu gegenseitigen "Seeblockaden". Unter anderem beinhaltet das Manöver die Landung deutscher und niederländischer Marineinfanteristen an einer von feindlichen Streitkräften kontrollierten Küste mit dem Ziel, im Hinterland liegende Ortschaften einzunehmen. Bei "Northern Coasts" handelt es sich um eine sogenannte Einladungsübung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, die nach eigenem Bekunden einen "besonderen Stellenwert" für die Truppe hat. Dieser resultiere daraus, dass nicht nur "NATO-Partner", sondern auch die "neutralen Ostseeanrainer" Schweden und Finnland maßgeblich beteiligt seien, heißt es.

Einladungsübung

Bei der am heutigen Freitag zu Ende gehenden Militärübung "Northern Coasts 2017" handelt es sich laut Bundeswehr um das "größte jährlich stattfindende Manöver in der Ostsee". Deutschland gehört dabei zu den wichtigsten Truppenstellern; beteiligt sind nach offiziellen Angaben insgesamt mehr als 50 Kriegsschiffe und U-Boote, rund 20 Flugzeuge und Hubschrauber sowie 5.000 Soldaten. Bei dem als "Einladungsübung" des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Volker Wieker, firmierenden Manöver trainieren indes nicht nur Militärangehörige aus NATO-Staaten den sogenannten Seekrieg; maßgeblich involviert sind zudem die formal neutralen Ostseeanrainer Schweden und Finnland. Hieran zeige sich, dass "Northern Coasts" "nicht irgendeine Übung" sei, sondern einen "besonderen Stellenwert" habe, erklären die deutschen Streitkräfte.1

Krieg in der Ostsee

Das dem Manöver zugrunde liegende Szenario erinnert stark an den Konflikt in der Ukraine. Dem Drehbuch zufolge fanden in dem fiktiven Staat "Vena", dessen Gebiet einen Teil Südschwedens umfasst, zwei Militärputsche statt, die das Land "politisch destabilisiert" haben: Während Teile des Militärs und der Polizei der Staatsführung die Gefolgschaft verweigern, proklamieren "Separatisten" im Süden von "Vena" eine "Gegenregierung". In dieser Situation sähen nun das "militärisch starke Königreich Jumus" und das mit diesem verbündete Land "Sarka" die "Gelegenheit", sich drei zu "Vena" gehörende Ostseeinseln anzueignen, heißt es. Wie die Planer von "Northern Coasts" weiter ausführen, unterstützten "Jumus" und "Sarka" zu diesem Zweck die im Süden "Venas" operierenden "Separatisten" und nähmen sogar einen zwischenstaatlichen Krieg billigend in Kauf: "Aus den Scharmützeln entwickeln sich immer intensivere Konfrontationen bis hin zu gegenseitigen Seeblockaden." An diesem Punkt der Eskalation sieht das Drehbuch die Entsendung einer EU-Interventionstruppe nach "Vena" vor, um die Aggressoren in Schach zu halten. Die sich daraus ergebende Frontstellung entspricht der des "Kalten Krieges", denn das fiktive "militärisch starke Königreich Jumus" umfasst exakt zwei wesentliche Staaten des einstigen "Warschauer Vertrags" - die Sowjetunion und Polen.2

Anlandung und Häuserkampf

Den Manöverberichten der Bundeswehr zufolge trainierten die deutschen Streitkräfte bei "Northern Coasts" insbesondere die Durchführung sogenannter amphibischer Operationen - die Landung an fremden Küsten und die Eroberung im Hinterland liegender Ortschaften. So stand etwa in den vergangenen Tagen auf dem Truppenübungsplatz Putlos (Schleswig-Holstein) der "Häuserkampf" auf dem Programm. Zum Einsatz kamen dabei Angehörige des "Seebataillons" der deutschen Kriegsmarine, einer auf die Kriegsführung in "küstennahen Bereichen" spezialisierten Sondereinheit (german-foreign-policy.com berichtete3). Wie das deutsche Militär mitteilt, seien die Marineinfanteristen zunächst "angelandet" und "lautlos" in das "Operationsgebiet" eingedrungen, wo sie dann einen "konzentrierten Angriff" vorgetragen hätten: "In schnellen Angriffswellen drangen die deutschen Seesoldaten in die Ortschaft ein und nahmen Haus um Haus." Nach Angaben der deutschen Streitkräfte habe man sich dabei an dem "alte(n) militärische(n) Grundsatz" "je näher an der Realität du übst, umso besser" orientiert: "Es wurde scharf geschossen."4

Gemischte Schützenreihen

Zudem nutzte die Bundeswehr das Manöver, um die Integration niederländischer Kampfeinheiten in die Truppe weiter voranzutreiben. Eine entsprechende Militärkooperation, die insbesondere die Unterstellung niederländischer Verbände unter deutsches Kommando beinhaltet, war bereits 2013 von den Verteidigungsministerien beider Staaten vereinbart worden (german-foreign-policy.com berichtete5). Bei "Northern Coasts" übten den deutschen Streitkräften zufolge denn auch Marineinfanteristen aus den Niederlanden gemeinsam mit Angehörigen des "Seebataillons" das Vorgehen im Rahmen "amphibischer Operationen": "In gemischten Schützenreihen von vier bis acht Soldaten hocken sie nebeneinander, immer abwechselnd ein Deutscher und dann ein Niederländer. Seite an Seite, nur wenige Meter voneinander entfernt. Mehr internationale Zusammenarbeit geht nicht."6

Konkurrenzfähige Vorbereitung

Schon 2016 hatte der seinerzeit bei "Northern Coasts" als "Verbandsführer" fungierende Kapitän zur See Jörg-Michael Horn auf die Bedeutung der "Partnerschaft mit den Niederlanden in der amphibischen Kriegsführung" hingewiesen. Die deutsche Marine sei "gut beraten, sich durch Kooperation mit anderen Nationen weitere Fähigkeiten zu erschließen", erklärte der Offizier - schließlich gehe es darum, innerhalb der NATO "konkurrenzfähig" zu bleiben. Zudem ließ Horn durchblicken, dass sich "Northern Coasts" primär gegen Russland richtet. Man veranstalte zwar "kein Säbelrasseln in der Ostsee", sorge allerdings dafür, dass "Alliierte und Partner für Eventualitäten vorbereitet bleiben", sagte er in einem von der Bundeswehr publizierten Interview.7

Internationaler bewaffneter Konflikt

Unterdessen hat die deutsche Kriegsmarine damit begonnen, einen "Aufstellungsstab" für ein künftiges "multinationales Hauptquartier" im Ostseeraum ("Baltic Maritime Component Command/BMCC) einzurichten. Die Dienststelle, die im Marinekommando Rostock angesiedelt ist, firmiert unter der Bezeichnung "German Maritime Forces/DEU MARFOR" und soll die deutschen Seestreitkräfte nach eigenem Bekunden befähigen, selbständig "große Verbände im Einsatz und Gefecht zu führen".8 Wie der Leiter des "Aufstellungsstabes", Kapitän zur See Volker Herbert Blasche, unlängst erklärte, gehe es dabei primär um "Landes- und Bündnisverteidigung" - "bis hin zu einem internationalen bewaffneten Konflikt".9


Anmerkungen:
1, 2 Northern Coasts 2017: "Game of Thrones" in der Ostsee. www.bundeswehr.de 08.09.2017.
3 Siehe dazu Das Multitool der Marine.
4 Northern Coasts 2017: Integration mit scharfem Schuss. www.marine.de 15.09.2017.
5 Siehe dazu Unter deutschem Kommando.
6 Northern Coasts 2017: "In da House!". www.marine.de 19.09.2017.
7 "Solche Manöver sind das Salz in der Suppe des Seemanns." Im Gespräch mit Kapitän zur See Jörg-Michael Horn. www.marine.de 05.09.2016.
8 DEU MARFOR: Die Ausgestaltung des neuen maritimen Hauptquartiers nimmt konkrete Formen an. www.marine.de 13.07.2017.
9 Interview mit Leiter Aufstellungsstab DEU MARFOR. www.marine.de 06.09.2017.



 
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