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Illkirch statt Washington: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Dienstag eine Reise in die USA abgesagt. »Die Aufklärung der aktuellen Vorgänge um den Oberleutnant Franco A.« stehe im Vordergrund, teilte ein Sprecher mit. Der Offizier A. hatte sich eine Identität als syrischer Flüchtling erschlichen und mutmaßlich Anschläge geplant, um diese später Asylsuchenden in die Schuhe zu schieben. Auf seiner Todesliste sollen sich unter anderem Exbundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas (SPD) befunden haben.

Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) weitet sich die Neonaziaffäre zur handfesten Verschwörung aus: Das RND spricht von nunmehr fünf Verdächtigen, die in der Armee eine Zelle gebildet haben sollen. Am Mittwoch will von der Leyen die Brigade in Illkirch, in der Franco A. seinen Dienst tat, besuchen. Dessen Gesinnung soll bereits 2014 bekannt gewesen sein; Vorgesetzte schirmten ihn allerdings ab. Am Dienstag nachmittag hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen A. und einen weiteren Mann wegen des »Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat« an sich gezogen.

Diese rasche Entwicklung dürfte von der Leyen nicht ungelegen kommen: Noch am Dienstag morgen musste sie Kritik einstecken, weil sie von »falsch verstandenem Korpsgeist« bei der Armee gesprochen hatte. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte eine Entschuldigung, der Chef des Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, war »schockiert«. Sollte sich herausstellen, dass sich beim Bund ein »Nationalsozialistischer Untergrund« gebildet hat, dürfte sich die Ministerin gerne in der Rolle der Aufklärerin sonnen.

Dabei ist Besorgnis beim Blick auf das deutsche Offizierskorps nicht erst seit diesen neuesten Erkenntnissen angeraten. Diejenigen, die die Armee kommandieren, haben sich in einem elitären Dünkel eingerichtet, der nach bürgerlich-parlamentarischen Maßstäben als antidemokratische Parallelgesellschaft bezeichnet werden muss. Im 2014 erschienenen Buch »Armee im Aufbruch« empfehlen Offiziersstudenten der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr »Mut, Treue oder Ehre« als »permanenten Gegenpol« zu einem System, das sich in Dekadenz ergeben habe und nach »Selbstverwirklichung, Konsumlust, Pazifismus und Egoismus« strebe. Nicht unvorstellbar, dass manche Offiziere es nicht bei reaktionärer Verbitterung belassen, sondern Hand anlegen wollen: indem der Untergang einer sowieso als todgeweiht betrachteten Republik beschleunigt wird.

Die Widersprüche zwischen Parlament und Apparat treten seit Beginn der »Flüchtlingskrise« offen zutage. Teile von Armee- und Polizeiführung haben schon 2015 in internen Schreiben, sogenannten »Non-Papers«, radikale Überlegungen zum Umbau des Staates angestellt, die bereits die Qualität von Putschplänen erreichten: Die Bundespolizei sei zur Grenzschließung »nach dem geltenden Aufenthaltsrecht verpflichtet; gegenteilige Weisungen der Bundesregierung sind rechtswidrig«, drohte damals ein »hochrangiger Sicherheitsmann aus dem Bundesapparat«. Auch juristische Expertisen, um die Bundesregierung wegen »illegaler Einschleusung von Ausländern« vor Gericht zu bringen, wurden erstellt. Der »tiefe Staat« – das ist die Exekutive selbst.

Und so ist es für einen aufstrebenden Rechten, der in diesem Lande praktisch etwas verändern will, gar nicht nötig, parteipolitisch aktiv zu werden, zu demonstrieren oder große Reden zu schwingen. Eine Karriere im Staatsapparat ist viel erfolgversprechender.


Tageszeitung junge Welt, 3.5.2017 - jetzt abonnieren!

 
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