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Wie geht eigentlich ein sozialistischer Staat mit Religion um? Religion ist Opium des Volkes (das ist die Formulierung von Marx – hier liegt die Betonung auf dem Reflex auf das Elend, auf dem Fusel, mit dem das Volks sich betäubt) und Opium fürs Volk – da geht es um die Religion als Herrschaftsinstrument (Lenin hat beide Formulierungen, je nachdem was er betonen wollte, verwendet). Zu erkämpfen bzw. zu verteidigen ist im Kapitalismus und im Sozialismus die Religionsfreiheit. Das bedeutet: Die Religion wird zur Privatsache – strikte Trennung von Staat und Kirche. keine Privilegien für den Klerus – das Kirchenrecht, das zusätzlich zum bürgerlichen Recht besteht, wird abgeschafft. Kein Verbot von Religionen, wer reaktionäre und konterrevolutionäre Arbeit tut, wird bestraft und verfolgt, egal ob er religiös ist oder nicht. Recht auf Religionslosigkeit. Kinder werden in der Schule nicht mehr religiös erzogen, auch sollen Inhaber von religiösen Ämtern Kinder nicht mehr unterrichten dürfen. Einrichtungen wie Kitas, Krankenhäuser, Pflegeheime dürfen nicht mehr in der Hand der Kirche sein. Von Menschen in diesen Berufen darf kein religiöses Bekenntnis verlangt werden. Usw. Die Religionsfreiheit bedeutet auch Toleranz, und unsere Arbeitsgruppe ist etwas unsicher, was toleriert werden muss und was nicht. Wir halten es nicht für sinnvoll, dieses Problem auf dieser Konferenz zu diskutieren, wollen nur die Themen nennen, mit denen wir uns dann wohl herumschlagen müssen: Es geht um Taufe, rituelle Beschneidung, Schächtung, Kopftuch…

Da geht es wohl weniger darum, was man jeweils gut oder gerade noch erträglich findet. Sondern es geht darum, dass man die Religion nicht bekämpfen kann, sie wird mit menschengerechten Verhältnissen verschwinden, und nur so. Wenn man allzu viel verbietet, erreicht man überhaupt nichts, sondern stärkt eher die auf der Religion daherkommende Reaktion (das ist ähnlich wie das Verbot von Alkohol und anderen Drogen). Wobei wir hier und heute sowohl gegen antisemitische als auch antiislamistische Angriffe auf Sitten und Gebräuche wie Beschneidung und Schächten vorgehen müssen, wie sie von angeblichen Menschen- und Tierfreunden immer wieder vorgetragen werden.

Für die Behandlung der islamischen Religion ist ein sehr schönes Beispiel der Bericht von Clara Zetkin von 1926 über den mohammedanischen Frauenclub in Tiflis im Kaukasus1, der von den Kommunisten gegründet wurde. Der hieß also mohammedanischer Frauenclub, aber in dem Bericht steht von Religion kein Wort. Das ist einfach ein Zugeständnis gewesen, damit die Frauen überhaupt kommen. Und die Frauen waren sehr froh und dankbar, dass ihnen von der Sowjetmacht die Befreiung ermöglicht wurde – sie waren Eigentum der Männer gewesen, wurden geschlagen, waren Arbeitstiere gewesen. Sollte man mit diesen Frauen über Religion, Verschleierung usw. reden? Nein, sondern wie man gemeinsam weiter für den Sozialismus kämpft, darüber wurde geredet.

Sind Christentum und Islam sowieso der gleiche reaktionäre Mist? Nein, aber sie sind verschiedener reaktionärer Mist. Das Christentum ist nicht besser als der Islam und umgekehrt, sie haben nur verschiedene Funktionen. Erst mal zum Christentum. Marx schrieb im „Kapital“, dass das Christentum und namentlich der Protestantismus die der entwickelten Warenproduktion (also der bürgerlichen Gesellschaft) entsprechendste Religionsform ist. Warum die Betonung des Protestantismus: die Reformation war eine Bewegung des frühen Bürgertums und der Bauern gegen die Feudalmacht Kirche. Die protestantische Kirche war nie Feudalmacht sondern immer treue Dienerin der Bourgeoisie (und in Deutschland wegen des Verrats der Bourgeoisie auch der anderen Feudalmacht, des Adels). Der katholischen Kirche blieb nichts als sich anzupassen, was ihr bis heute nicht so ganz gelungen ist. Natürlich hat es die protestantische Kirche viel einfacher, weil sie national organisiert ist, kein übernationales Oberhaupt hat, und dadurch kann sie sich sehr gut den Interessen des nationalen Kapitals/des jeweiligen Imperialismus anpassen.
Die katholische Kirche stolpert ständig über ihre eigenen Füße (Zölibat etc., die Fakten sind ja bekannt). Das heißt natürlich nicht, dass die protestantische Kirche fortschrittlicher ist als die katholische! Was soll denn an einer Dienerin des Imperialismus (die sich obendrein noch aktiv an der Zerschlagung der DDR beteiligt hat) fortschrittlich sein? (Das schließt natürlich nicht aus, dass christliche Arbeiter, christliche Demokraten dennoch für den gemeinsamen Kampf zu gewinnen sind – obwohl, nicht weil sie Christen sind). Im Islam gab es niemals eine Reformation. Das lag daran, dass in den islamischen Ländern niemals eine so starke Bourgeoisie gewachsen ist, dass sie hätte eine Reformation durchsetzen können (Bestrebungen dazu waren da, konnten sich aber nicht durchsetzen). Daraus erklärt sich auch das kuriose Phänomen des nach wie vor im Islam geltenden Zinsverbots, um das sich die muslimischen Kapitalisten und Banken mit allen möglichen Tricks herumschummeln. So blieb der Islam eine feudalistische Angelegenheit, auch verbreitet in Ländern mit schwacher Bourgeoisie, in nicht imperialistischen Ländern, abhängigen Ländern, Halbkolonien.
Da aber der Feudalismus ausgedient hat, der Erdball durch den Imperialismus beherrscht wird, dessen Macht nur durch die sehr viel schwächer gewordenen sozialistischen Ländern eingeschränkt wird, ist jeglicher Feudalismus immer nur in irgendeiner Form dem Imperialismus zu Diensten. Ebenso können auf mittlerer kapitalistischer Entwicklungsstufe stehengebliebene Länder wie Iran oder Türkei auch nur in Abhängigkeit vom Imperialismus (von welchem auch immer) agieren, aber für die Macht der eigenen, der Kompradorenbourgeoisie, den Islam als Herrschaftsinstrument nutzen. Das Christentum ist also nicht besser als der Islam, sondern beide eignen sich als Herrschaftsinstrument für den Imperialismus – das Christentum in den imperialistischen Metropolen – Europa und USA –, der Islam in abhängigen, kolonialen und halbkolonialen Ländern, in der arabischen Welt und in Teilen von Afrika und Asien. Was von beiden soll uns denn da besser gefallen? Eine Kennzeichnung des Islam als rückständig gegenüber dem Christentum ist wissenschaftlich nicht haltbar, und zugleich ist es eine Spielart imperialistischer Arroganz, ob das die Vertreter dieser Anschauung nun wollen oder nicht.

Aus all dem folgt für unseren aktuellen Kampf: So wie früher in die Einheitsfront auch die christlichen Arbeiter einbezogen wurden („Einheitsfront der sozialdemokratischen, kommunistischen, christlichen und parteilosen Arbeiter“), so wie im demokratisch-antifaschistischen Kampf natürlich auch immer die antifaschistischen Christen willkommen waren, müssen wir heute entsprechend die Arbeiter jeglicher religiöser Überzeugung ansprechen und ebenso die an alle möglichen Heilslehren glaubenden antifaschistisch gesinnten Kleinbürger. Wir diskutieren im Rahmen dieser Kämpfe nicht über Religion, außer die Religion wird reaktionär-politisch (das treffen wir häufig bei Esoterikern an). Für uns besteht der demokratische Kampf nicht darin, Mohammed-Karikaturen zu malen und uns dabei toll und aufklärerisch zu fühlen. Der beste Kampf gegen Religionen ist der gemeinsame Kampf gegen den Hauptfeind im eigenen Land. (Ende des Exkurses)

Warum sind die Unterschiede zwischen
Antisemitismus und Antiislamismus so wichtig?


Zurück zu den Unterschieden zwischen Antisemitismus und Antiislamismus. Warum ist es so wichtig, diese Unterschiede zu untersuchen?

Da muss man zuerst mal eine wichtige Gemeinsamkeit nennen:
Beide sind für die jeweilige außenpolitische Hauptrichtung des deutschen Kapitals wichtig. Um es kurz zu sagen: Wenn es eher um Kolonialkriege geht, dann ist im Moment der Antiislamismus angesagt. Er liefert alle Vorwände (Terrorgefahr), in alle möglichen Gegenden der Welt mit der Bundeswehr einzumarschieren. Er liefert viele Vorwände bei dem Versuch, dem US-Imperialismus, teilweise auch dem französischen Imperialismus in verschiedenen abhängigen Ländern den Rang abzulaufen. Gefährlich ist angesichts der derzeitigen Lage die oft wiederholte Behauptung, der Antiislamismus habe den Antisemitismus abgelöst. Der Antisemitismus ist dann für den deutschen Imperialismus notwendig, wenn es um die direkte zwischenimperialistische Konfrontation geht. Nach 1945 ging das deutsche Kapital in dieser Hinsicht erstmal auf Tauchstation – das war außenpolitisch sehr lange Zeit notwendig, um wieder gut auf die Beine zu kommen. Philosemitismus war angesagt, verbunden mit der Behauptung, die Vernichtung der Juden sei unbegreiflich und unfassbar – womit sie auch unbestrafbar und unbekämpfbar wurde. Erst unter der Schröder/Fischer-Regierung seit 1998 wurden schon lange vorhandene Abkoppelungsbestrebungen gegenüber den USA in die Realität umgesetzt (z.B. hat die BRD ständig den Jugoslawien-Konflikt verschärft, und damit die USA sogar in den Krieg gegen Jugoslawien getrieben). Begleitet wurde das von antisemitisch-antiamerikanischen Andeutungen. So beklagte Gregor Gysi nach der rüden Zurückweisung der Forderungen ehemaliger Zwangsarbeiter durch Kanzler Schröder, dass man „einen aufkommenden neuen Antisemitismus“ spürt, „obwohl die meisten der Betroffenen keine Juden sind.“ Erst unter Merkel wurde das zurückgefahren, und der Antiislamismus nahm zu.

Jetzt zu den Besonderheiten des deutschen Antisemitismus: In keinem anderen Land ist die Geschichte so eng mit der antisemitischen Ideologie verbunden, wie in Deutschland. Nirgendwo sonst wurde er jemals als staatstragende Ideologie derart gründlich umgesetzt – auch nicht in faschistischen Ländern – wie hier während des Faschismus. Keine Bourgeoisie hat ihre Verbrechen zur Aufrechterhaltung und Ausdehnung ihrer Macht bisher so weit getrieben wie die deutsche, nämlich Millionen von Menschen zu entrechten, zu vertreiben und schließlich zu ermorden, nur weil sie lt. faschistischer Definition Juden waren.

Deshalb ist es gerade in Deutschland besonders gefährlich, den Antisemitismus für erledigt zu halten. Das ist eine Illusion und eine Verharmlosung des deutschen Imperialismus. Es ist nicht zu erwarten, dass der 3. Weltkrieg, auf den die Bourgeoisie zusteuert, von Seiten des deutschen Imperialismus menschlicher und vorsichtiger geführt wird als der 2.Weltkrieg. Auch den Opfern der Judenvernichtung wird diese Verharmlosung nicht gerecht – noch hat der Antiislamismus, so grausam wie er ist, keine Menschenvernichtungsmaschine wie die Shoa hervorgebracht. Schon deshalb darf beides nicht gleichgesetzt werden.

Kleine Chronologie des Wechselspiels
dieser Feindbilder seit Ende der 90er Jahre
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„Während der Regierungszeit der sozialgrünen Koalition (ab 1998) verstärken sich die Abkoppelungsversuche der BRD von den USA. Die BRD beweist erstmals ihre Kriegsfähigkeit und bombardiert Jugoslawien. Im Gefolge all dessen wird der Antisemitismus mehr und mehr wieder salonfähig und wird mehr oder weniger verhohlen auch Bestandteil des Verhaltens der Bundesregierung.“

„Der CDU-Politiker Hohmann hält eine Aufsehen erregende antisemitische Rede, weitere CDU-Politiker – Koch, Schönbohm, Wertebach, Rüttgers, Diepgen, Merz usw. – verlassen offen die konservativ-demokratische Plattform und kämpfen mehr oder weniger verhohlen gegen Merkel.“
„In der Zeit ab Ende der neunziger Jahre macht sich vor allem der Schriftsteller Martin Walser zum Vorkämpfer gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin und trägt – subtil unterstützt von Bundeskanzler Schröder – wesentlich zur Salonfähigkeit des Antisemitismus bei. »Ein Schriftsteller darf so etwas sagen, ein Bundeskanzler nicht«, hatte Schröder verlauten lassen und damit ein sehr deutliches Signal an alle antisemitischen Kräfte ausgesandt. Im Jahr 2002 kommen faschistische Hilfstruppen zum ersten Mal massiv mit Palästinensertüchern auf die Straße. Der Anlass ist der Besuch des israelischen Präsidenten, gegen den die NPD und »Freie Kameradschaften« in Berlin demonstrieren.

Die MHP (Graue Wölfe), die sich immer mehr islamisch gibt, kann sich unter staatlichem Schutz weiter konsolidieren. Sie wird von den bundesdeutschen staatlichen Stellen verharmlost. Das hat makabre Konsequenzen. Zum Beispiel: Die Aleviten, die vor allem in der Türkei viele Opfer durch die »Grauen Wölfe« zu beklagen hatten, hatten sich immer geweigert, sich mit dieser Faschistenbande an einen Tisch zu setzen. Aber in dieser Zeit der SPD-Grünen Regierung wird ein ungeheurer Druck auf die Aleviten in der BRD durch den Grünen-Politiker Cem Özdemir ausgeübt, der es schließlich schafft, dass sich die Konföderation der Aleviten-Gemeinde (AABF) mit ihren Mördern an einen Tisch setzt.

In der FDP schiebt sich eine neue Generation in den Vordergrund, die das Erbe der Alt-Nazis in der FDP der 50er Jahre antritt – Westerwelle und Möllemann – und die konservativ-demokratischen Politiker der FDP, Genscher und Lambsdorff, ablöst. Möllemann macht mit offenem Antisemitismus Wahlkampf und kann sich zeitweise auch als Querfront-Politiker profilieren. Das fing damit an, dass er die Selbstmordattentäter verteidigt hat und wörtlich sagte: „Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt … Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors.“

Trotz seiner bekannten antisemitischen Schlagseite durfte Möllemann im Frühjahr 2002 im wöchentlichen Wechsel mit Gregor Gysi eine Kolumne im Neuen Deutschland schreiben.“ (Dazu ein aktueller Einschub: Möllemann und Westerwelle sind inzwischen aus verschiedenen Gründen von uns gegangen. Lange hielt sich das Gerücht, dass auch die FDP an sich verstorben sei. Das ist nun offenbar nicht der Fall, und auch um entsprechende Nachfolger müssen wir uns keine Sorgen machen, sie heißen Kubicki und Lindner und wer noch alles.)
„Die neuen außenpolitischen Rücksichten der Merkel-Regierung erfordern ein Zurückfahren des offenen Antisemitismus und Antiamerikanismus, außen- und innenpolitische Erfordernisse verlangen den »Kampf gegen den islamischen Terror«. Die faschistischen Hilfstruppen werden entsprechend diesen Schwankungen des deutschen Imperialismus immer bunter, vielfältiger und widersprüchlicher, aber nicht ungefährlicher.“

In dieser Zeit taucht auch die Pro-Bewegung auf, die mit Israel-Fahnen ankommt und gegen Moscheen usw. kämpft – die alte Nazi-Bewegung (NPD usw.) muss die Pali-Tücher wieder einpacken.

Pegida: Beides ist vorhanden, Antisemitismus und Antiislamismus, der Antiislamismus sogar vereinzelt mit Israel-Fahnen Gerade im Schoß von Pegida, AFD usw. bleiben beide Strömungen – Antisemitismus und Antiislamismus nebeneinander erhalten. Die letzten Landtagswahlen haben nun eine neue – und sehr realistische – Sortierung der faschistischen Kräfte vorgezeichnet: Die Verwandtschaft zwischen AFD und CSU ist inzwischen kein Geheimnis mehr, wurde bereits am Wahlabend von den Wahlforschern der Bourgeoisie zugegeben. Wieweit sie imstande sind, im Bedarfsfall von dem zurzeit sehr starken Antiislamismus auf offenen Antisemitismus umzusteigen, kann heute noch nicht gesagt werden. Der ungeheure Pragmatismus dieser durch AFD und CSU verkörperten Strömung ist immer für eine Überraschung gut. Und auch ob sich hier letztendendes die faschistische Bewegung konzentrieren wird, ist noch nicht ausgemacht (und eine antifaschistische Bewegung wäre auch durchaus imstande, diesen Prozess zumindest zu verzögern).

Antisemitismus heute
Zum Antisemitismus heute – im Unterschied zu früher


Es haben sich zwei Arten von salonfähigem Antisemitismus entwickelt:

1.) Den Holocaust haben wir hinter uns, wir sind geläutert und sind die Besten, die Juden sollen endlich aufhören, von uns Geld zu verlangen. (Diese Abart wird oft auch „sekundärer Antisemitismus“ genannt.)

2.) Kampf gegen Zionismus, „Israel-Kritik“
Was ist eigentlich Zionismus? Zionismus ist die Bestrebung, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten (theoretisch ausgearbeitet von Theodor Herzl). Dieses Ziel ist eigentlich erreicht, v. a. durch die antisemitische Aggression des Hitlerfaschismus, die sehr viele Menschen zur Einwanderung nach Palästina mehr oder weniger gezwungen hat. Tatsächlich hat die zionistische Idee erst mit dem Hitlerfaschismus wirklich Massen ergriffen. Der Zionismus zieht sich durch alle Klassen und Schichten und somit auch durch alle Ideologien. So gab es eine sehr starke mit der Arbeiterbewegung verbundene zionistische Bewegung, die während der 40er Jahre der Kibbuz-Bewegung einen starken Aufschwung gegeben hat (Kibbuz – das ist ein zionistischer, utopisch-sozialistischer Versuch, sich aus dem Kapitalismus herauszuhalten und kommunistische Einheiten zu bilden. Die Kibbuz-Bewegung war zeitweise sogar recht erfolgreich, ist aber dann doch vom Kapitalismus eingeholt worden.) Auch heute muss man davon ausgehen, dass der Zionismus sich durch die verschiedenen Klassen und Schichten zieht. In Israel gibt es eine antizionistische Strömung, die stockreaktionär ist und den Holocaust für eine berechtigte Strafe Gottes hält.

Antizionismus bedeutet Gegnerschaft zu Israel, in der Konsequenz Auslöschung Israels.
Zur Israel-Kritik: Da gibt es einen Standartsatz: Es muss doch erlaubt sein, Israel zu kritisieren. Das ist übelste Demagogie, da es natürlich nicht verboten ist, Israel zu kritisieren – schon das ist ein übler Angriff auf Israel, ein Angriff, der nur Israel gilt und keinem anderen Staat. Die Frage ist, warum man überhaupt Israel kritisieren will – was ist der Inhalt der Kritik? Natürlich haben wir auch Israel kritisch zu sehen, in erster Linie wegen der gefährlichen Illusionen der israelischen Staatsführung über den deutschen Imperialismus. Aber das ist keineswegs der Inhalt der Kritik derjenigen, die fordern, endlich Israel kritisieren zu dürfen. Warum ist all das Fortsetzung des Antisemitismus:
Israel wird anders behandelt als alle anderen Staaten, Israel ist der Jude unter den Staaten. Und nur ein antizionistischer Jude ist ein guter Jude (das findet hier in unserem Land statt und hat schon nichts mehr mit „Israelkritik“ zu tun).

Ein typisches Argument, das schon immer den Antisemitismus begleitet hat, kommt auch hier oft zum Tragen: Die Juden seien selbst schuld am Antisemitismus. Das wird dann heute eher so ausgedrückt: Israel ist selber schuld, wenn der Antisemitismus stärker wird (auch ein Phänomen, das auf keinen anderen Staat der Welt zutrifft). Ein weiteres Beispiel: Als Möllemann seinerzeit ein Flugblatt verbreitet hat, auf dem Sharon und Friedmann angegriffen wurden, wurde dies auch Jahre später noch von „seriösen“ Medien (z. B. Tagesschau) als „israelkritisches Flugblatt“ bezeichnet. Friedmann ist nicht mal israelischer Staatsbürger! Man sieht: der Judenstern klebt unsichtbar und doch sichtbar dran, auch wenn sich die vermeintliche Rasseeigenschaft zurzeit keiner zu sagen traut. Und dementsprechend wurde Friedmann von der Berliner Staatsanwaltschaft vor einigen Jahren öffentlich an den Pranger gestellt (natürlich ging es um Sex und Koks, worum denn sonst) und gesellschaftlich für viele Jahre vernichtet, seine sehr populäre Sendung „Vorsicht Friedmann“ in mehreren dritten Programmen wurde eingestellt.

Wenn nun die Bayerische Staatsregierung deutsche Staatsbürger nach Abstammungskriterien wie in den Nürnberger Rassegesetzen sortieren will, dann ist schon ein Teil des Weges zum Original-Antisemitismus als besondere rassistische Ideologie geebnet. Zurzeit bekommt der Antisemitismus seine Nahrung hauptsächlich aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt, weiteres dazu später.
Nur eins soll jetzt schon dazu gesagt werden: Wie auch immer man zu dem israelisch-palästinensischen Konflikt steht, ob man unseren Ausführungen zum Zionismus und zur Israel-Kritik nun zustimmt oder nicht – Leitlinie in unseren Kämpfen sollte doch immer Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ sein. Und der Hauptfeind ist nicht Israel und nicht der Zionismus. Wenn wir uns darüber einig sind, sollten Differenzen in diesen Fragen – Israel und Zionismus – uns nicht gegeneinander aufbringen, so wie es leider heute oft in der demokratischen Bewegung der Fall ist.


Teil I erschien am 31.07. auf secarts.org, Teil III am 14.08.2016.

Anmerkungen:
1 Clara Zetkin, Im mohammedanischen Frauenclub, in: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften Bd. 3, Berlin 1960, S. 211 ff.
2 Die Zitate in dieser Chronik sind entnommen aus dem Referat „Thesen zur Entwicklung der ‚Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlands’ (F. J. Strauß) in Westdeutschland bis 1989/90 und in Westdeutschland und einverleibter DDR ab 1989/90“, siehe www.gegen-den-hauptfeind.de/texte/2010/sammlungsbewegung/



 
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