Medienberichten zufolge will Bundespräsident Joachim Gauck nicht für eine zweite Amtszeit antreten. Das Alter und diverse Gebrechen, unken die Medien. Eine tragische Zuneigung zum Militär und intellektuelle Überforderung, meint secarts.org. Zum Anlass des Abschieds an dieser Stelle sechs Kommentare und Portraits, die im Laufe der Jahre in der Tageszeitung junge Welt erschienen sind. Gaucks Mission, die Wehrertüchtigung des deutschen Volkes, wird ihn selbst überleben. Da sind wir sicher. Am 12. Februar 2017 wird die Bundesversammlung Gaucks Nachfolger wählen. Und auch da sind wir sicher: Noch schlimmer geht es immer.
www.secarts.org Redaktion
• Garnisonspfaffe des Tages: Joachim GauckDas deutsche Staatsoberhaupt hat die Unergründlichkeit zum Herrschaftsstil erhoben. Seit Monaten spielt der Präsident mit der Verwirrung, die er bezüglich seines Nachfolgers stiftet. Macht er weiter, macht er nicht? »Jede Entscheidung wird eine schwere sein«, befand Joachim Gauck. Wahrlich, es ist nicht einfach, so ein Divendasein.
So sehr der Mann auch mit der eigenen Unentbehrlichkeit kokettiert: in ein, zwei Dingen ist er sehr entschieden. Er mag Russland nicht, das ist bekannt. Das große Land im Osten gehört für ihn nicht zu Europa, es ist – neben dem noch schlimmeren China – Hort der Unfreiheit, außerdem herrscht dort Putin. Wenn Gauck nicht gerade öffentlich sinniert, ob die BRD auch ohne ihn auskommen könne, drischt er auf den Russen ein. Erst am Montag bat er die »Menschenrechtsaktivistin« Ljudmila Alexejewa ins Schloss. Die bestätigte, was er geahnt hatte. Sie habe ein »düsteres Bild« gezeichnet, so
dpa. Klar, sie hat das »Große Verdienstkreuz« der BRD sowie den »Sacharow-Preis« des EU-Parlaments gewonnen. Da muss man das so machen.
Doch Gauck ist einer für die starken Gefühle, und so ist da nicht nur Hass, sondern auch Liebe. Ozeanische, grenzenlose Liebe. Für das deutsche Militär. Seit er im Amtssitz Bellevue residiert, hat der Präsident keine Gelegenheit ausgelassen, den Deutschen »mehr Verantwortung« zu predigen. »Dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen«, dröhnte der Garnisonspfaffe schon 2012.
Am Dienstag nahm Gauck in Schottland am Gedenken an die Toten der Skagerrakschlacht teil. Am 31. Mai 1916 waren bei dem Seegefecht zwischen Großbritannien und Deutschland über 8.000 Soldaten umgekommen. Auch damals ging es schon um »die Freiheit«, um die des Kapitalverkehrs. »Glückssucht« war allerdings noch unbekannt. (sc)
junge Welt, 01.06.2016
• Wanderprediger des Tages: Joachim GauckChina hat bislang unverschämtes Glück gehabt. Seit vier Jahren ist Joachim Gauck deutscher Präsident, die Volksrepublik hatte er stets gemieden. Nun allerdings ist diese wundervolle Zeit vorbei: Der »erklärte Antikommunist« (
Bild) wollte »Defizite in der chinesischen Politik« ansprechen und hielt am Mittwoch vor der Tongji-Universität in Shanghai »eine Rede, die sich deutlich von denen anderer europäischer Staats- und Regierungschefs unterscheidet«.
Das kann man sich vorstellen. Bei diesem Mann, dem wohl selbst der morgendliche Brötchenkauf zu einer Mischung aus staatsbürgerlicher Weihestunde und Grundkurs im evangelischen Erwachsenenkatechismus gerät, ist Diplomatie gleichbedeutend mit bramarbasieren.
Gauck gab, so weiß es Hofpostille
Bild, seine liebsten Kalendersprüche zum besten: »Das menschliche Verlangen nach Freiheit bricht sich immer wieder Bahn.« Mit gewohnter Gravität umriss der Denker hinter der Waschbrettstirn nur die ganz großen Themen: »Manche fragen sich, wie der Wohlstand gleichmäßiger verteilt werden kann.« In China natürlich, denn hierzulande wurde das Problem gelöst: Das reichste Prozent der Deutschen besitzt ein Drittel alles Privatvermögens.
Die
taz, von der
Bild nur noch durchs »Binnen-I« zu unterscheiden, flankiert den Auftritt ähnlich rührselig: »Gauck trickst Chinas Stasi aus«. Das allerdings wird ihm wohl genausowenig gelungen sein, wie es ihm vor der »Wende« mit ihrem ostdeutschen Pendant glückte. Die DDR ging, das muss ab und an wiederholt werden, völlig ohne Gaucks Zutun unter.
Die Chinesen werden – wohlerzogen, wie sie sind – den Auftritt dieser deutschen Naturgewalt in Würde erduldet haben. Nach präsidialer Ansprache, so die
Bild, hätten ein paar Studenten gesagt, »dass Gaucks Rede ihnen helfe, Deutschland noch besser zu verstehen«. Das ist ebenso höflich wie vernichtend. (sc)
junge Welt, 24.03.2016
• Christenmensch des Tages: Pfarrer GauckDie BRD darf sich glücklich schätzen, denn einen Hohepriester braucht dieses Land nicht, es hat ja einen Bundespräsidenten: Joachim Gauck. Der hauptberufliche Pfarrer kennt das Spielchen aus der Bibel: guter Gott, strafender Gott. Heute einen auf Nächstenliebe machen, und morgen wieder Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Am Freitag war der zornige Rache-Jahwe des alten Testamentes angesagt: Im Radiointerview mit dem
WDR hat sich das Staatsoberhaupt, das sich aus der Tagespolitik heraushalten sollte, für »Begrenzungsstrategien« beim Zuzug von Flüchtlingen ausgesprochen. Das sei »moralisch und politisch geboten«. Denn: Wenn in der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl für Solidarität schwinde und »eine kollektive Identität sich entwickeln würde, die immer nur schreit: Das Boot ist voll«, dann gebe es eben auch »ein moralisches Problem und nicht nur ein politisches«, so der protokollarisch höchstrangige Deutsche.
Wenn die Bevölkerung auf rassistische Propaganda hereinfällt (»das Boot ist voll«), dann ist das Boot also wirklich voll? Gegen Rassismus geht man vor, indem man die Forderungen der Rassisten umsetzt?
»Begrenzungsstrategie« klingt nach Taubenvergrämung, nach Vertilgung des schädlichen Riesenknöterichs oder nach Einhegung eines Fressfeindes, der ein ganzes Biotop bedroht. Es ist ein Euphemismus für das, was das Grundgesetz nicht kennt, nämlich die berühmte »Obergrenze« im Asylrecht. Und es meint nichts anderes als: Das Land so unattraktiv machen, dass die Leute lieber verhungern oder irgendwo im Krieg verrecken, als die Reise gen Westen anzutreten. Es hört sich nur etwas netter an.
Wenn die AfD mal an die Macht kommen sollte, Frauke Petry Kanzlerin wird und Lutz Bachmann Justizminister, dann muss Gauck sich nicht sorgen. Er kann bleiben. Als oberster Garnisonspfarrer und als Präsident. Einen besseren finden die nie. (sc)
junge Welt, 06.02.2016
• Echter Gauck des Tages: Queen zu blauem PferdeKleine Geschenke sollen die Freundschaft erhalten, heißt es. Nicht so in diesem Fall: Über ein von Joachim Gauck dargebotenes Präsent war Elisabeth II. »not amused«. So sagen würde die Queen dies nie, der berühmten britischen Höflichkeit wegen. Doch der Schreck saß ihr sichtbar tief in den Knochen, als sie des Bildes gewahr wurde, das ihr der Bundespräsident zu übereignen gedachte.
Zunächst versagte die Adlige darin, sich selbst, auf einem Pferde sitzend, zu erkennen – das ist verständlich, erinnert doch die rührend naive Zeichnung an ein Mischwesen aus kindlichem Körper mit greisem Kopf. Auch der verschrobene Sonderling, der Pferd und Queen durch eine nicht näher spezifizierte, lebensfeindliche Wüstenei zerrt, weckte bei Elisabeth II. keine Assoziationen – obwohl doch, wie Gauck beteuerte, ihr eigener Vater, Georg VI., daselbst abgebildet sei. Mit der Farbgebung des Tieres, eines Ponys mit ungesund langgezogenem Hals, konnte sich die derart beschenkte ebenfalls nicht anfreunden: Sie wisse ganz genau, dass Pferde nicht blau seien, werden die Worte der Herrscherin des United Kingdom zitiert. Kurzum: ein echter Gauck, ein echter Fauxpas.
Die Künstlerin Nicole Leidenfrost, 41, hat das Gemälde »Pferd in Royalblau« geschaffen. Sie berichtet von den Gepflogenheiten des Auswärtigen Amtes, das eine ganze Liste willfähriger Künstler vorhält, um Staatsgäste, wohl ihrer Wertschätzung durch die BRD entsprechend, passend zu beschenken. Vermutlich hat die Queen noch Glück gehabt. Sollte Wladimir Putin kommen, wird vielleicht Volksbühnen-Intendant Frank Castorf beauftragt werden, ein Arrangement in Kunstblut und Erbrochenem anzufertigen.
Oder aber Gauck besinnt sich auf die eigenen Fertigkeiten. Handsignierte Pickelhauben könnten so für Understatement sorgen. Denn merke: Alles, was der Mann tut, ist todernst gemeint. (sc)
junge Welt, 27.06.2015
• Gaucks Kriegserklärung
Der Präsident zum AntikriegstagGauck ist mehr als ein Grüßaugust«, kommentiert die
ARD am Dienstag fast beiläufig eine Zäsur in der Geschichte der BRD. Einen Tag zuvor hatte sich der Bundespräsident endgültig vom repräsentativen Verfassungsorgan, das Ehepaaren zur diamantenen Hochzeit gratuliert, Hundertjährigen eine Tasse schenkt und kinderreichen Familien den Paten stellt, zum obersten Feldherren des Landes brutalisiert. Der Anlaß dazu bot sich mit dem 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen. Mit den Schüssen auf die polnische Westerplatte hatte Deutschland den Zweiten Weltkrieg entfesselt. Mit Gaucks verbalen Gewehrsalven endet 75 Jahre später die europäische Nachkriegsordnung.
Beim deutschen Staatsoberhaupt werden Kriege nicht vom Zaun gebrochen, nicht aus bestimmten Interessen geführt. Sie »beginnen«, wie eine Naturkatastrophe, wie ein schlimmes Unwetter. 75 Jahre später nutzt der erste Mann des Staates sein ganzes auf der Kirchenkanzel eingeübtes Repertoire, um das Gedenken an 1939 für einen neuen Marschbefehl zu pervertieren. »Wir glaubten und wollten daran glauben, daß auch Rußland Teil des gemeinsamen Europa werden könne«. Allein, die schöne Hoffnung trog: Rußland will gar nicht Teil dessen werden, was Gauck für seinesgleichen hält. »So war es ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert wurden, daß am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird«. Das geografische Europa kann er damit nicht gemeint haben, denn vom Ural bis zum südwestlichsten Punkt des Kontinents in Portugal sind es rund 5400 Kilometer. Die nach Putsch und Bürgerkrieg verwüstete Ukraine, an deren Ostgrenze auch die von Gauck und seinen Amtsvorgängern kaputtzivilisierte Welt endet, liegt vom Ural aus gesehen 2000 Kilometer westlich.
Kontinente werden kühn vermessen, Grenzen neu gezogen, Opfer und Täter erst zu solchen in des Pfarrers gestaltender Hand. Keine Erwähnung wert sind ihm die 27 Millionen Toten, die die Sowjetunion im Weltkrieg zu beklagen hatte. Mit ihrem Blut war auch die Befreiung Polens bezahlt worden. Doch Rußland hat sich disqualifiziert. Gauck muß umsortieren: »Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur der Vorangegangenen«, sagt er mit Blick auf Polen. Und meint: Sie war viel schlimmer. Zogen doch die braunen Gewitterwolken nach wenigen Jahren so plötzlich wieder ab, wie sie gekommen waren, während die Sowjets, Putins Vorgänger, ganze vier Jahrzehnte bleiben sollten.
Kriege beginnen mit Erklärungen: »Auch die Europäische Union muß angesichts der neuen Herausforderungen zusammenstehen«, beschwört Gauck das nächste Unternehmen Barbarossa: »Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.«
Und wir müssen uns jetzt überlegen, was wir sagen wollen, wenn uns unsere Kinder und Enkel einst fragen werden, wie wir uns dazu verhalten haben.
junge Welt, 03.09.2014
• Gauck zwischen Maidan und TiananmenIn der Diplomatie ist alles ein Statement. Bundespräsident Joachim Gauck hat, falls ihm dies nicht bekannt sein sollte, einen Stab, der um die internationalen Kniffe und Gepflogenheiten weiß. Insofern ist es ein Signal, daß der formal höchste Deutsche der Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Sonnabend beiwohnen will. Denn noch nie zuvor hat Gauck an einer solchen Zeremonie im Ausland teilgenommen. Poroschenko ist nicht nur der legitime Staatschef, soll dieser Schritt bedeuten: Er ist mehr, ein enger Freund und Partner, und die Verhältnisse in Kiew und der Ukraine sind so normal, daß sie einen solchen Besuch zulassen.
Obwohl die ukrainische Luftwaffe Angriff um Angriff auf die eigene Bevölkerung fliegt und der »Schokoladenoligarch« Poroschenko nur in Teilen des Landes und nur unter dem Schutz bewaffneter Neonazis gewählt werden konnte, die noch immer den zentralen Platz der Hauptstadt als Heerlager besetzt halten, muß man sich um die Zurechnungsfähigkeit des deutschen Staatsoberhauptes keine Sorgen machen: Dessen Amnesie ist hochpolitisch und nur selektiv. Geht es gegen die Rotchinesen, ist »Dissident« Gauck wieder in seinem Element. »Bis heute wird in China jegliche Diskussion der damaligen Ereignisse unterdrückt«, sagte er am Dienstag mit Blick auf die Niederschlagung des Aufstands auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im Jahr 1989. Das war vor genau 25 Jahren. Das passende Symbolbild kennt mittlerweile jedes Kind. Ein todesmutiger Bürger, der seinen Leib gegen eine Kolonne Panzer in Stellung bringt. Daß die Militärfahrzeuge geparkt dastanden, tut dabei nichts zur Sache, auf den Blickwinkel des Fotografen kommt es an. Hunderte, bis zu tausend Tote soll es damals gegeben haben. Diese Zahl könnte realistisch sein. Etliche der Opfer von 1989 waren chinesische Polizisten und junge Rekruten, von einem bewaffneten Mob gelyncht, verbrannt und an Brücken stranguliert.
1989 starben Menschen. 2014 sterben Menschen. Die OSZE hat am Dienstag öffentlich gemacht, daß die Kiewer Putschregierung Luftangriffe auf die ostukrainische Stadt Lugansk geflogen hat. Poroschenko soll, so berichtete es
RIA Nowosti, gegenüber US-Botschafter Pyatt eine Zahl von 2000 Toten im Rahmen seines »Antiterroreinsatzes« gegen die russischsprachige Bevölkerung des eigenen Landes als »akzeptabel« bezeichnet haben.
Soll vom Tiananmen schweigen, wer von Lugansk, Mariupol und Odessa nicht reden will? Man kann niemanden, auch Pastor Gauck nicht, bei einer Moral packen, die nicht die seine ist. China ist Gegner und Konkurrent, Poroschenko ein Lakai des Westens und der Bundespräsident hauptamtlicher Prediger für »mehr globale Verantwortung«. Unterhalb von Weltpolitik macht es dieses erstarkte Deutschland, das vor Kraft schon wieder kaum laufen kann und erneut von Feinden umzingelt sein will, nicht mehr.
junge Welt, 05.06.2014