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Von secarts

Medienberichten zufolge will Bundespräsident Joachim Gauck nicht für eine zweite Amtszeit antreten. Das Alter und diverse Gebrechen, unken die Medien. Eine tragische Zuneigung zum Militär und intellektuelle Überforderung, meint secarts.org. Zum Anlass des Abschieds an dieser Stelle sechs Kommentare und Portraits, die im Laufe der Jahre in der Tageszeitung junge Welt erschienen sind. Gaucks Mission, die Wehrertüchtigung des deutschen Volkes, wird ihn selbst überleben. Da sind wir sicher. Am 12. Februar 2017 wird die Bundesversammlung Gaucks Nachfolger wählen. Und auch da sind wir sicher: Noch schlimmer geht es immer.

www.secarts.org Redaktion






• Garnisonspfaffe des Tages: Joachim Gauck

Das deutsche Staatsoberhaupt hat die Unergründlichkeit zum Herrschaftsstil erhoben. Seit Monaten spielt der Präsident mit der Verwirrung, die er bezüglich seines Nachfolgers stiftet. Macht er weiter, macht er nicht? »Jede Entscheidung wird eine schwere sein«, befand Joachim Gauck. Wahrlich, es ist nicht einfach, so ein Divendasein.

So sehr der Mann auch mit der eigenen Unentbehrlichkeit kokettiert: in ein, zwei Dingen ist er sehr entschieden. Er mag Russland nicht, das ist bekannt. Das große Land im Osten gehört für ihn nicht zu Europa, es ist – neben dem noch schlimmeren China – Hort der Unfreiheit, außerdem herrscht dort Putin. Wenn Gauck nicht gerade öffentlich sinniert, ob die BRD auch ohne ihn auskommen könne, drischt er auf den Russen ein. Erst am Montag bat er die »Menschenrechtsaktivistin« Ljudmila Alexejewa ins Schloss. Die bestätigte, was er geahnt hatte. Sie habe ein »düsteres Bild« gezeichnet, so dpa. Klar, sie hat das »Große Verdienstkreuz« der BRD sowie den »Sacharow-Preis« des EU-Parlaments gewonnen. Da muss man das so machen.

Doch Gauck ist einer für die starken Gefühle, und so ist da nicht nur Hass, sondern auch Liebe. Ozeanische, grenzenlose Liebe. Für das deutsche Militär. Seit er im Amtssitz Bellevue residiert, hat der Präsident keine Gelegenheit ausgelassen, den Deutschen »mehr Verantwortung« zu predigen. »Dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen«, dröhnte der Garnisonspfaffe schon 2012.

Am Dienstag nahm Gauck in Schottland am Gedenken an die Toten der Skagerrakschlacht teil. Am 31. Mai 1916 waren bei dem Seegefecht zwischen Großbritannien und Deutschland über 8.000 Soldaten umgekommen. Auch damals ging es schon um »die Freiheit«, um die des Kapitalverkehrs. »Glückssucht« war allerdings noch unbekannt. (sc)

junge Welt, 01.06.2016



• Wanderprediger des Tages: Joachim Gauck

China hat bislang unverschämtes Glück gehabt. Seit vier Jahren ist Joachim Gauck deutscher Präsident, die Volksrepublik hatte er stets gemieden. Nun allerdings ist diese wundervolle Zeit vorbei: Der »erklärte Antikommunist« (Bild) wollte »Defizite in der chinesischen Politik« ansprechen und hielt am Mittwoch vor der Tongji-Universität in Shanghai »eine Rede, die sich deutlich von denen anderer europäischer Staats- und Regierungschefs unterscheidet«.

Das kann man sich vorstellen. Bei diesem Mann, dem wohl selbst der morgendliche Brötchenkauf zu einer Mischung aus staatsbürgerlicher Weihestunde und Grundkurs im evangelischen Erwachsenenkatechismus gerät, ist Diplomatie gleichbedeutend mit bramarbasieren.

Gauck gab, so weiß es Hofpostille Bild, seine liebsten Kalendersprüche zum besten: »Das menschliche Verlangen nach Freiheit bricht sich immer wieder Bahn.« Mit gewohnter Gravität umriss der Denker hinter der Waschbrettstirn nur die ganz großen Themen: »Manche fragen sich, wie der Wohlstand gleichmäßiger verteilt werden kann.« In China natürlich, denn hierzulande wurde das Problem gelöst: Das reichste Prozent der Deutschen besitzt ein Drittel alles Privatvermögens.

Die taz, von der Bild nur noch durchs »Binnen-I« zu unterscheiden, flankiert den Auftritt ähnlich rührselig: »Gauck trickst Chinas Stasi aus«. Das allerdings wird ihm wohl genausowenig gelungen sein, wie es ihm vor der »Wende« mit ihrem ostdeutschen Pendant glückte. Die DDR ging, das muss ab und an wiederholt werden, völlig ohne Gaucks Zutun unter.

Die Chinesen werden – wohlerzogen, wie sie sind – den Auftritt dieser deutschen Naturgewalt in Würde erduldet haben. Nach präsidialer Ansprache, so die Bild, hätten ein paar Studenten gesagt, »dass Gaucks Rede ihnen helfe, Deutschland noch besser zu verstehen«. Das ist ebenso höflich wie vernichtend. (sc)

junge Welt, 24.03.2016



• Christenmensch des Tages: Pfarrer Gauck

Die BRD darf sich glücklich schätzen, denn einen Hohepriester braucht dieses Land nicht, es hat ja einen Bundespräsidenten: Joachim Gauck. Der hauptberufliche Pfarrer kennt das Spielchen aus der Bibel: guter Gott, strafender Gott. Heute einen auf Nächstenliebe machen, und morgen wieder Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Am Freitag war der zornige Rache-Jahwe des alten Testamentes angesagt: Im Radiointerview mit dem WDR hat sich das Staatsoberhaupt, das sich aus der Tagespolitik heraushalten sollte, für »Begrenzungsstrategien« beim Zuzug von Flüchtlingen ausgesprochen. Das sei »moralisch und politisch geboten«. Denn: Wenn in der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl für Solidarität schwinde und »eine kollektive Identität sich entwickeln würde, die immer nur schreit: Das Boot ist voll«, dann gebe es eben auch »ein moralisches Problem und nicht nur ein politisches«, so der protokollarisch höchstrangige Deutsche.

Wenn die Bevölkerung auf rassistische Propaganda hereinfällt (»das Boot ist voll«), dann ist das Boot also wirklich voll? Gegen Rassismus geht man vor, indem man die Forderungen der Rassisten umsetzt?

»Begrenzungsstrategie« klingt nach Taubenvergrämung, nach Vertilgung des schädlichen Riesenknöterichs oder nach Einhegung eines Fressfeindes, der ein ganzes Biotop bedroht. Es ist ein Euphemismus für das, was das Grundgesetz nicht kennt, nämlich die berühmte »Obergrenze« im Asylrecht. Und es meint nichts anderes als: Das Land so unattraktiv machen, dass die Leute lieber verhungern oder irgendwo im Krieg verrecken, als die Reise gen Westen anzutreten. Es hört sich nur etwas netter an.

Wenn die AfD mal an die Macht kommen sollte, Frauke Petry Kanzlerin wird und Lutz Bachmann Justizminister, dann muss Gauck sich nicht sorgen. Er kann bleiben. Als oberster Garnisonspfarrer und als Präsident. Einen besseren finden die nie. (sc)

junge Welt, 06.02.2016



• Echter Gauck des Tages: Queen zu blauem Pferde

Kleine Geschenke sollen die Freundschaft erhalten, heißt es. Nicht so in diesem Fall: Über ein von Joachim Gauck dargebotenes Präsent war Elisabeth II. »not amused«. So sagen würde die Queen dies nie, der berühmten britischen Höflichkeit wegen. Doch der Schreck saß ihr sichtbar tief in den Knochen, als sie des Bildes gewahr wurde, das ihr der Bundespräsident zu übereignen gedachte.

Zunächst versagte die Adlige darin, sich selbst, auf einem Pferde sitzend, zu erkennen – das ist verständlich, erinnert doch die rührend naive Zeichnung an ein Mischwesen aus kindlichem Körper mit greisem Kopf. Auch der verschrobene Sonderling, der Pferd und Queen durch eine nicht näher spezifizierte, lebensfeindliche Wüstenei zerrt, weckte bei Elisabeth II. keine Assoziationen – obwohl doch, wie Gauck beteuerte, ihr eigener Vater, Georg VI., daselbst abgebildet sei. Mit der Farbgebung des Tieres, eines Ponys mit ungesund langgezogenem Hals, konnte sich die derart beschenkte ebenfalls nicht anfreunden: Sie wisse ganz genau, dass Pferde nicht blau seien, werden die Worte der Herrscherin des United Kingdom zitiert. Kurzum: ein echter Gauck, ein echter Fauxpas.

Die Künstlerin Nicole Leidenfrost, 41, hat das Gemälde »Pferd in Royalblau« geschaffen. Sie berichtet von den Gepflogenheiten des Auswärtigen Amtes, das eine ganze Liste willfähriger Künstler vorhält, um Staatsgäste, wohl ihrer Wertschätzung durch die BRD entsprechend, passend zu beschenken. Vermutlich hat die Queen noch Glück gehabt. Sollte Wladimir Putin kommen, wird vielleicht Volksbühnen-Intendant Frank Castorf beauftragt werden, ein Arrangement in Kunstblut und Erbrochenem anzufertigen.

Oder aber Gauck besinnt sich auf die eigenen Fertigkeiten. Handsignierte Pickelhauben könnten so für Understatement sorgen. Denn merke: Alles, was der Mann tut, ist todernst gemeint. (sc)

junge Welt, 27.06.2015



• Gaucks Kriegserklärung
Der Präsident zum Antikriegstag


Gauck ist mehr als ein Grüßaugust«, kommentiert die ARD am Dienstag fast beiläufig eine Zäsur in der Geschichte der BRD. Einen Tag zuvor hatte sich der Bundespräsident endgültig vom repräsentativen Verfassungsorgan, das Ehepaaren zur diamantenen Hochzeit gratuliert, Hundertjährigen eine Tasse schenkt und kinderreichen Familien den Paten stellt, zum obersten Feldherren des Landes brutalisiert. Der Anlaß dazu bot sich mit dem 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen. Mit den Schüssen auf die polnische Westerplatte hatte Deutschland den Zweiten Weltkrieg entfesselt. Mit Gaucks verbalen Gewehrsalven endet 75 Jahre später die europäische Nachkriegsordnung.

Beim deutschen Staatsoberhaupt werden Kriege nicht vom Zaun gebrochen, nicht aus bestimmten Interessen geführt. Sie »beginnen«, wie eine Naturkatastrophe, wie ein schlimmes Unwetter. 75 Jahre später nutzt der erste Mann des Staates sein ganzes auf der Kirchenkanzel eingeübtes Repertoire, um das Gedenken an 1939 für einen neuen Marschbefehl zu pervertieren. »Wir glaubten und wollten daran glauben, daß auch Rußland Teil des gemeinsamen Europa werden könne«. Allein, die schöne Hoffnung trog: Rußland will gar nicht Teil dessen werden, was Gauck für seinesgleichen hält. »So war es ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert wurden, daß am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird«. Das geografische Europa kann er damit nicht gemeint haben, denn vom Ural bis zum südwestlichsten Punkt des Kontinents in Portugal sind es rund 5400 Kilometer. Die nach Putsch und Bürgerkrieg verwüstete Ukraine, an deren Ostgrenze auch die von Gauck und seinen Amtsvorgängern kaputtzivilisierte Welt endet, liegt vom Ural aus gesehen 2000 Kilometer westlich.

Kontinente werden kühn vermessen, Grenzen neu gezogen, Opfer und Täter erst zu solchen in des Pfarrers gestaltender Hand. Keine Erwähnung wert sind ihm die 27 Millionen Toten, die die Sowjetunion im Weltkrieg zu beklagen hatte. Mit ihrem Blut war auch die Befreiung Polens bezahlt worden. Doch Rußland hat sich disqualifiziert. Gauck muß umsortieren: »Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur der Vorangegangenen«, sagt er mit Blick auf Polen. Und meint: Sie war viel schlimmer. Zogen doch die braunen Gewitterwolken nach wenigen Jahren so plötzlich wieder ab, wie sie gekommen waren, während die Sowjets, Putins Vorgänger, ganze vier Jahrzehnte bleiben sollten.

Kriege beginnen mit Erklärungen: »Auch die Europäische Union muß angesichts der neuen Herausforderungen zusammenstehen«, beschwört Gauck das nächste Unternehmen Barbarossa: »Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.«
Und wir müssen uns jetzt überlegen, was wir sagen wollen, wenn uns unsere Kinder und Enkel einst fragen werden, wie wir uns dazu verhalten haben.

junge Welt, 03.09.2014



• Gauck zwischen Maidan und Tiananmen

In der Diplomatie ist alles ein Statement. Bundespräsident Joachim Gauck hat, falls ihm dies nicht bekannt sein sollte, einen Stab, der um die internationalen Kniffe und Gepflogenheiten weiß. Insofern ist es ein Signal, daß der formal höchste Deutsche der Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Sonnabend beiwohnen will. Denn noch nie zuvor hat Gauck an einer solchen Zeremonie im Ausland teilgenommen. Poroschenko ist nicht nur der legitime Staatschef, soll dieser Schritt bedeuten: Er ist mehr, ein enger Freund und Partner, und die Verhältnisse in Kiew und der Ukraine sind so normal, daß sie einen solchen Besuch zulassen.

Obwohl die ukrainische Luftwaffe Angriff um Angriff auf die eigene Bevölkerung fliegt und der »Schokoladenoligarch« Poroschenko nur in Teilen des Landes und nur unter dem Schutz bewaffneter Neonazis gewählt werden konnte, die noch immer den zentralen Platz der Hauptstadt als Heerlager besetzt halten, muß man sich um die Zurechnungsfähigkeit des deutschen Staatsoberhauptes keine Sorgen machen: Dessen Amnesie ist hochpolitisch und nur selektiv. Geht es gegen die Rotchinesen, ist »Dissident« Gauck wieder in seinem Element. »Bis heute wird in China jegliche Diskussion der damaligen Ereignisse unterdrückt«, sagte er am Dienstag mit Blick auf die Niederschlagung des Aufstands auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im Jahr 1989. Das war vor genau 25 Jahren. Das passende Symbolbild kennt mittlerweile jedes Kind. Ein todesmutiger Bürger, der seinen Leib gegen eine Kolonne Panzer in Stellung bringt. Daß die Militärfahrzeuge geparkt dastanden, tut dabei nichts zur Sache, auf den Blickwinkel des Fotografen kommt es an. Hunderte, bis zu tausend Tote soll es damals gegeben haben. Diese Zahl könnte realistisch sein. Etliche der Opfer von 1989 waren chinesische Polizisten und junge Rekruten, von einem bewaffneten Mob gelyncht, verbrannt und an Brücken stranguliert.

1989 starben Menschen. 2014 sterben Menschen. Die OSZE hat am Dienstag öffentlich gemacht, daß die Kiewer Putschregierung Luftangriffe auf die ostukrainische Stadt Lugansk geflogen hat. Poroschenko soll, so berichtete es RIA Nowosti, gegenüber US-Botschafter Pyatt eine Zahl von 2000 Toten im Rahmen seines »Antiterroreinsatzes« gegen die russischsprachige Bevölkerung des eigenen Landes als »akzeptabel« bezeichnet haben.

Soll vom Tiananmen schweigen, wer von Lugansk, Mariupol und Odessa nicht reden will? Man kann niemanden, auch Pastor Gauck nicht, bei einer Moral packen, die nicht die seine ist. China ist Gegner und Konkurrent, Poroschenko ein Lakai des Westens und der Bundespräsident hauptamtlicher Prediger für »mehr globale Verantwortung«. Unterhalb von Weltpolitik macht es dieses erstarkte Deutschland, das vor Kraft schon wieder kaum laufen kann und erneut von Feinden umzingelt sein will, nicht mehr.

junge Welt, 05.06.2014

 
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  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Mittwoch, 19.06.2019 - 02:38

Nochmal zu Gauck, dem personifizierten Mundgeruch des deutschen Imperialismus, - nach seiner Amtszeit und seine Papageienfunktion gut reflektierend -, die jW heute: Rotlicht: Toleranz Von Arnold Schölzel Der erste Chef der »Stasi«-Unterlagenbehörde von 1990 bis 2000 und spätere Bundespräsident Joachim Gauck (2012 bis 2017) hat ein Buch über Toleranz geschrieben. Großinquisitoren predigen gern Nächstenliebe. Im Gauck-Werbemagazin Spiegel durfte das Maskottchen der deutschen Reaktion am Sonnabend erläutern, worum es ihm geht: um eine »erweiterte Toleranz in Richtung rechts«. Die hat Gauck stets praktiziert. Sein geistiger Ziehvater war ein Onkel, der als Theologe 1931 Mitglied der NSDAP geworden war. Der mutmaßliche Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke erfreute sich, wurde kurz nach Erscheinen des Spiegel-Interviews bekannt, der »erweiterten« Toleranz des Staates seit mehr als 25 Jahren. Gaucks Idee erinnert an Versuche, Absolutadjektive wie »schwanger«, »tot« oder »dreieckig« zu steigern. Die Forderung führt zurück in die klerikale Diskussion über Toleranz, d.h. vor jene Zeiten, seit denen Meinungsfreiheit rechtlich garantiert ist. Eine »Erweiterung« hätte einen Sinn, wenn z.B. das Strafrecht für Nazis teilweise aufgehoben werden soll. Es könnte ein alter Traum des Erzantikommunisten sein. Der lange Weg des Begriffs Toleranz vom neutralen lateinischen »Dulden«, meist im Sinne von »Erdulden« körperlicher Schmerzen, bis zum Grundrecht in neuzeitlichen Verfassungen ist mit Millionen Opfern des klerikalen Fanatismus gepflastert. Im Mittelpunkt des theologischen Kopfzerbrechens über »Toleranz« stand die Frage: Müssen Glaubensabweichler, Häretiker, Ketzer, Juden, Moslems und Heiden totgeschlagen werden oder nicht? Soll die »Toleranz« für einige von ihnen erweitert werden oder nicht? Es bedurfte fast 1.500 Jahre europäischer Geschichte und der geistigen Umwälzung durch Renaissance und Aufklärung, um in erbitterter Auseinandersetzung mit den Pfaffen aller Konfessionen den weltlichen Begriff durchzusetzen. Innerkirchlich und für andere angeblich monotheistische Religionen gilt: Glaube und Toleranz sind unvereinbar. Die Duldungspraxis kann dabei vielfältig sein. Was mit Häretikern zu tun sei, darüber waren sich die Autoritäten der Papstkirche und der Protestanten lange Zeit einig: Da hilft nur Gewalt. Das galt für den Kirchenvater Augustinus ebenso wie für Thomas von Aquin und Martin Luther. Dieser führte die Eindeutschung »tollerantz« ein, brach mit bereits praktizierten Formen und wollte Juden, Täufer sowie aufständische Bauern ins Jenseits befördern. Konfessionsvielfalt sei »geistliche Tyranney«. Erst ein Theoretiker des Liberalismus wie John Locke in England und der große Frühaufklärer Pierre Bayle in Frankreich diskutierten Toleranz als politisches und verfassungsrechtliches Problem. Im 18. Jahrhundert bekämpften insbesondere französische Denker das monotheistische Christentum als Inbegriff der Intoleranz. Gotthold Ephraim Lessing kündigte in seinem »Nathan der Weise« (1779) ein humanistisches Ende der religiösen Toleranzdiskussion an, Johann Wolfgang von Goethe meinte: »Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.« Geblieben sind in heutigen Debatten u.a. das von Karl Popper strapazierte »Paradox der Toleranz«, die Frage nach dem Umgang mit Intoleranten. Popper meinte damit angeblich Faschisten und Kommunisten gleichermaßen. In den 60er Jahren prägte Herbert Marcuse den Begriff der »repressiven Toleranz«, der nicht zuletzt die Poppersche Rechtfertigung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse beschrieb. Entscheidend scheint heute, die verfassungsrechtliche Garantie auf Meinungsvielfalt zu erhalten und zu verteidigen. Sie ist unter dem Diktat von Finanz- und Medienmonopolen stark gefährdet. Sie arbeiten gemeinsam mit der äußersten politischen Reaktion daran, den Spielraum für Nationalismus und Faschismus zu »erweitern«. Gaucks Forderung gehört dahin. Link ...jetzt anmelden!


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Sonntag, 19.06.2016 - 15:32

Der Vollständigkeit halber auch der siebte - und vermutlich letzte, aber die Hoffnung stirbt zuletzt - Text zu Joachim Gauck, der in der jungen Welt das Walten des wunderlichen Mannes in den Mittelpunkt rückte. jW vom 7.6.:

Keine zweite Gauck-Amtszeit:
Ja, ist denn schon Weihnachten?


Uniformfetischismus, Geschichtsklitterung, »fehlende intellektuelle Tiefe«: Danke, Joachim Gauck. Für fünf Jahre mit klaren Feindbildern


Monatelang hat Joachim Gauck das Land auf die Folter gespannt. Tritt der Präsident zu einer zweiten Amtszeit an? Festlegen wollte er sich lange nicht, aber gern darüber reden. Nun weiß die Welt Bescheid – nein, er werde nicht erneut kandidieren, so das Staatsoberhaupt am Montag in einer Erklärung – und die Diskussion verlagert sich: Wer wird Nachfolger? Darüber kann bis zum Frühjahr 2017 trefflich gestritten werden.

Das ist taktlos, denn noch sitzt Gauck im Schloss Bellevue, während das politische Berlin in einen unwürdigen Schacher um seinen Posten verfällt. Dabei wäre dieser Zeitpunkt der richtige, um das Wirken des Mannes, der ein eigenes Verb geprägt hat, Revue passieren zu lassen. Vor seiner Zeit als Präsident saß Gauck einem Amt vor, das zum Synonym für modernes Denunziantentum wurde – der »Stasi-Unterlagenbehörde«. Wer zu DDR-Zeiten mit den Staatsorganen zu tun hatte, konnte nach 1990 oft seine Sachen packen. Zigtausende Ostdeutsche waren auf diese Art »gegauckt« worden.

Im Jahr 2000 gab der Chefinquisitor den Posten ab. Die folgenden Jahre verdingte er sich als Berufsredner, tingelte durch die Provinz und hielt verbissen antikommunistische, deutschtümelnde Reden – klassische Karriere als Rechtspopulist, würde man heute sagen. Die Oder-Neiße-Grenze, für ihn ein sowjetisches Verbrechen: »Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.«

Kein Wunder, dass die Erwartungen hoch flogen, als es Gauck, nach einer erfolglosen Kandidatur im Jahr 2010, nach zwei Jahren noch ins Amt schaffte. Die Junge Freiheit jauchzte: »Die verbliebenen Rechten und Konservativen (…) erhoffen sich, dass Gauck den Staatsschlitten bei rasender Fahrt von der tödlichen Piste bugsiert.«

Diese Erwartung konnte er nicht erfüllen. »Fehlende intellektuelle Tiefe« attestierte ihm Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Zielgruppe, die der gelernte Pastor jahrelang als Politprediger unterhalten hatte, ist oft direkt zur AfD oder zu Pegida weitergezogen – Gauck aber saß in Amt und Würden fest. So blieb ihm nur, die »Glückssucht« der Bevölkerung zu geißeln und klarzumachen, wessen Pfaffe er nun ist: der der Garnison. Die Bundeswehr, sie sollte Gaucks späte, große Liebe werden.

Die Linke, die wohl vergessen hat, dass die Funktion des 2010 von Grünen und der SPD aufgestellten Gauck nur die eigene Demütigung war, schwelgt in Blütenträumen. Die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger haben am Montag die beiden Parteien aufgefordert, »einen gemeinsamen Kandidaten« zu benennen. Dominic Heilig, Sprecher des »Forums demokratischer Sozialismus« in Der Linken, hofft im Neuen Deutschland auf ein »Wunder«.

Wenn es mit der Regierung nicht mehr klappt, dann vielleicht wenigstens mit dem Grüßaugust.


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  Kommentar zum Artikel von retmarut:
Mittwoch, 15.06.2016 - 00:09

... und zudem noch ein hartgesottener Reaktionaer. Waere kaum Veraenderung zum bisherigen. Ist allerdings kein Pfaffe.


  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Dienstag, 14.06.2016 - 23:01

Ich bin für Beckenbauer! - Ein guter Libero findet seine Aufgaben wie von selbst.


  Kommentar zum Artikel von arktika:
Dienstag, 14.06.2016 - 14:44

Zu langweilig! Bessere Idee: Stelle für ein Jahr kommissarisch besetzen und in der Zeit alle Kohle und Personal in die Klontechnologie stecken. Schaf Dolly lebt zwar nicht mehr, und bei den Mammuts hat's auch nicht so ganz geklappt, aber ... Ein neuer Versuch und tata, tata: Franz Josef Strauß ist wieder auferstanden. (Für die, die ihn nicht mehr kennen: Das war mal so eine Art Regionalkönig in Bayern, volkstümlich, trinkfest, politisch über jeden Zweifel erhaben, von seinen AnhängerInnen geliebt) Der wäre doch ein würdiger und charismatischer Nachfolger von Gaucki. Toppt ihn in allem und eine gewisse Intelligenz konnte man ihm leider nie absprechen.


  Kommentar zum Artikel von tolpatchow:
Dienstag, 14.06.2016 - 12:35

Naja die reaktionären Typen sind klar, einer schlimmer als der nächste. Aber was ist denn mit der Option Rot-Rot-Grün? Damit wird ja partiell geliebäugelt. Es kämen aber vrmtl nur "integrative" Figuren jenseits der drei Parteien infrage schätze ich. Oder doch EU-Schulz, diese Flasche??


  Kommentar zum Artikel von Rainer:
Dienstag, 14.06.2016 - 11:20

@mmp1994 :


  Kommentar zum Artikel von mmp1994:
Dienstag, 14.06.2016 - 09:49

Die AfD ist ja wohl 2017 noch nicht so weit. Aber ein deutschvölkischer Alleingänger wär mir auch nicht sympathischer, selbst wenn er gegen die USA tönt. Herr Gauland sucht ja auch noch einen Gnadenhof


  Kommentar zum Artikel von 128101:
Dienstag, 14.06.2016 - 08:45


An unfähigen und kriechenden Transatlantikern besteht kein Mangel im Land....


  Kommentar zum Artikel von FPeregrin:
Montag, 13.06.2016 - 23:15

Ein Kriegs-Sabberer muß es sein; das halte ich für sicher!


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