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Von RW

Ein Willy Brandt wäre vermutlich niemals Bundeskanzler geworden, wenn er nicht die Möglichkeit gehabt hätte, Asyl in Schweden oder Norwegen zu erhalten. Er wäre von den Nazischergen in irgendeinem der zahllosen Konzentrationslager der Ermordung ausgeliefert worden. Willy Brand war einer von Hunderttausenden, denen die Aufnahmebereitschaft von über 80 Ländern das Überleben ermöglichte.

Als Konsequenz daraus formulierte der Parlamentarische Rat bei der Erarbeitung des Grundgesetzes einen einfachen Satz in den Artikel 16 des Grundgesetzes: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Die Erkenntnis sollte nicht lange halten. Die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl und die damit inhergehende Entrechtung von Geflüchteten haben in Deutschland bereits seit den 1970er Jahren eine lange Tradition. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Entwicklungen und Veränderungen des Asylrechts in Deutschland gegeben werden.

In den 1970er Jahren beantragte erstmals eine größere Zahl an Geflüchteten, vor allem aus Asien und Afrika, Asyl in Deutschland. Es kam zu Engpässen bei der Aufnahmekapazität in den Aufnahmestellen für Geflüchtete. Im Zuge dessen kamen die ersten Bestrebungen auf, das Asylrecht zu beschränken. Da das Grundrecht nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann, beschränkten sich die Restriktionen vorerst auf das Asylverfahren an sich. So wurde versucht, das Asylverfahren zu
beschleunigen, den Grenzübertritt in die BRD zu erschweren, die Kriterien für das Recht auf Asyl zu verschärfen, abgelehnte Geflüchtete schneller abzuschieben und die Lebensumstände dieser zu verschlechtern.
Ziel war, eine abschreckende Wirkung auf Menschen zu erwirken, welche gezwungen sind, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Ende der 1970er Jahre wurden die neuen restriktiven Verwaltungsvorschriften vom Bundesinnenministerium erlassen.
Als Nächstes wurde 1980 die Rechtswegegarantie mit dem sogenannten Beschleunigungsgesetz
aufgehoben. Dies hatte zur Folge, dass die Entscheidungsgewalt über Asylanträge den einzelnen Beamten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) übertragen und die Widerspruchsmöglichkeiten beseitigt wurden.
1982 wurde dann das Asylverfahrensgesetz eingeführt, welches Gerichtsverfahren beschleunigte
und die Regelunterbringung in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften sowie die „Residenzpflicht“ einführte.

Die Residenzpflicht ist eine Auflage für in Deutschland lebende Asylbewerber und Geduldete. Sie verpflichtet die Betroffenen, sich nur in dem von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufzuhalten.

Umfangreiche Gesetze werden „Paket“ genannt

Paket – das klingt nicht unfreundlich, das klingt nach einer anständigen Versorgung des Adressaten.
Im Fall des Asylpakets II ist das ein falscher Eindruck. Versorgt wird damit die Angst vor den Flüchtlingen; und anständig ist in diesem Paket wenig. Es ist ein Sammelsurium von untauglichen und missgriffigen Vorschriften. Es ist der Versuch der Regierungspolitik, Stärke dadurch zu demonstrieren, dass man elementare Rechte schwächt. Vor 23 Jahren hat die Politik, um Flüchtlingszahlen zu senken, das Asylgrundrecht verkleinert. Jetzt verkleinert sie, ohne dies ausdrücklich als Grundgesetzänderung zu benennen, weitere Grundrechte.
Die Gesetzesbegründung müsste pointiert wie folgt lauten: „Grundrechte der Flüchtlinge sind aus Seife. Sie werden daher durch häufigen Gebrauch kleiner. Wenn viele Flüchtlinge sie in Anspruch nehmen, bleibt davon wenig übrig.“ Das Asylpaket suspendiert für bestimmte Flüchtlinge den Schutz der Familie. Der Rechtsschutz wird praktisch aufgehoben. Insgesamt wird der Schutz von Leben und Gesundheit von Flüchtlingen relativiert.

Heribert Prantl, www.süddeutsche.de, 25. Februar 2016
Ebenso wurde die medizinische Versorgung stark eingeschränkt. Geflüchtete hatten nunmehr keinen Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung oder Operationen. Ab 1986 galt für Geflüchtete dann ein
fünfjähriges Arbeitsverbot. Zudem wurden die Regelungen für die Unterbringung in so genannten Gemeinschaftsunterkünften verschärft und die Anerkennung von Asylanträgen, die sich auf Notsituationen oder kriegerische Auseinandersetzungen beriefen, ausdrücklich ausgeschlossen.
Zudem wurden so genannte Visasperren eingerichtet, um zu verhindern, das Geflüchtete mit dem Flugzeug nach Deutschland einreisen konnten.

1987 wurde dann das Asylverfahrensgesetz völlig neu gefasst. Nun wurde z. B. die Androhung von Folter im jeweiligen Herkunftsland nicht mehr als Grund für die Anerkennung eines Asylantrags gewertet. 1990 erzwang das Bundesverwaltungsgericht allerdings, dass Folter wieder als Asylgrund zählt.
Den Höhepunkt der Beschneidung der Rechte von Geflüchteten bildete dieÄnderung des Grundgesetzes im Mai 1993. Zeitgleich mit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen und andernorts verabschiedeten CDU, CSU, FDP und SPD mit 521 gegen 132 Stimmen den sogenannten Asylkompromiss. Dem Rassismus, der sich ausgebreitet hatte, wurde damit eine gesetzliche Legitimation zugesprochen.
Die Konsequenzen dieses Kompromisses waren für die Betroffenen weitreichend. So wurde ab 1993 ein Großteil der Geflüchteten vom Asylverfahren ausgeschlossen. Es gab zwar nach wie vor den Grundsatz, dass „politisch Verfolgte Asylrecht genießen“, aber es wurden massive Einschränkungen eingeführt. Auch fanden 1993 Einschnitte im Asylbewerberleistungsgesetz statt. Geflüchteten standen nur noch 80 Prozent Sozialleistungen zu. Sie erhielten außerdem erst dann einen Arbeitsplatz, wenn dieser nicht von einem deutschen oder einem Unionsbürger besetzt werden kann. Zeitgleich setzte eine Angleichung der Flüchtlingspolitik in den einzelnen EU-Staaten ein.

[file-periodicals#187]Mit dem Abkommen von Schengen und weiteren Verträgen auf EU-Ebene wurde die Grundlage für das gesamteuropäische Grenzregime gegen Flüchtlinge geschaffen, das sich insbesondere durch eine massive Abschottung nach Außen, einer Ausweitung von Kontrolle und Überwachung und der stetigen Vorverlagerung der Außengrenzen profiliert. Eine der EU-Regelungen ist die sogenannte „Drittstaatenregelung“, die 1997 mit dem Abkommen von Dublin (Dublin I) in Kraft getreten ist. Diese besagt, dass Geflüchtete, die aus „sicheren“ Drittstaaten kommen, sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen können. Gleichzeitig wurden alle umliegenden Länder rund um Deutschland als „sichere“ Drittstaaten benannt. Somit können Menschen, welche Deutschland auf dem Landweg erreichen in die umliegenden Staaten zurückgeschoben werden, wo sie ihren Asylantrag stellen müssen. Wer auf dem Luftweg Deutschland erreicht, kann seitdem auf den Flughäfen festgehalten und dort für sogenannte „verkürzte Verfahren“ untergebracht werden.

Die Einführung des sogenannten „Dublin II“-Gesetzes 2003 legte fest, dass grundsätzlich das Land für den Asylantrag zuständig ist, welches Geflüchtete in der EU zuerst betreten („Verursacherprinzip“). Aktuell wird die Dublin III-Regelung angewandt. Im Juni 2013 hat das Europäische Parlament dann neue Vorschriften für ein gemeinsames europäisches Asylsystem herausgegeben.
Seit 2013 kommt es in Deutschland wieder zu massiven rassistischen Krawallen und Übergriffen auf Unterkünfte, in denen Geflüchtete leben. Einmal mehr stellt sich die Frage, in welcher Wechselwirkung alltäglicher und staatlich legitimierter Rassismus sich gegenseitig beeinflussen und miteinander wirken. Die schon weitgehende Entrechtung der Geflüchteten soll mit den beschlossenen Einschränkungen weiter vorangetrieben werden. Ausgrenzung, Abschottung und Abschiebung haben in Deutschland eine lange Tradition, welche sich fortsetzen wird, bis das Recht auf Asyl so eingeschränkt ist, dass es faktisch nicht mehr existiert.

Im Februar 2016 wurde nun das sogenannte Asylpaket II vom Bundestag beschlossen, das eine weitere Einschränkung des Rechts auf Asyl und damit für schutzsuchende Menschen bedeutet.

Es braucht Widerstand und Protest, um diese Tradition zu brechen und grenzenlose Solidarität aufzubauen. Es gilt damals wie heute: Alle Menschen sollten das Recht haben, dort zu leben, wo auch immer sie wollen.


 
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