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www.secarts.org dokumentiert an dieser Stelle einzelne Beiträge einer aktuellen Diskussion, die in der Zeitung Unsere Zeit und der Zeitschrift Theorie und Praxis über das strategische Konzept der "antimonopolistischen Demokratie" geführt werden.
Wir, als überparteiliche Webseite und nicht parteigebundene Diskussionsplattform, begrüßen die breite Diskussion dieser für die gesamte Linke wichtigen Fragen. Wir machen uns als Redaktion von secarts.org nicht gemein mit allen Standpunkten der Debatte. Eine Veröffentlichung weiterer Diskussionsbeiträge behalten wir uns vor.


www.secarts.org-Redaktion.


Mit Lenin zur„Antimonopolistischen Demokratie"?


Die 2009 veröffentlichte Schrift „Den Gegenangriff organisieren", allgemein als „84er Papier" bekannt, provozierte kontroverse Debatten in der DKP. Unter anderem kam es auch zu einem Schlagabtausch um die Frage nach möglichen Übergängen zum Sozialismus und konkret zur Zielstellung einer „Antimonopolistischen Demokratie". Der Anlass war, dass die Autoren des Papiers die Position vertraten, die Voraussetzung für eine mögliche Vergesellschaftung von Banken sowie einer Demokratisierung der Wirtschaft sei die „politische Macht im Staat durch das Proletariat und seine Bündnispartner, d. h. der Sozialismus"1.
Willi Gerns sah darin einen Angriff auf die programmatische Orientierung der DKP auf antimonopolistische Übergänge2; Widerspruch erntete Gerns wiederum von Björn Blach3.
Kontrovers wird über diese Frage auch international diskutiert. So hat die KP Griechenlands (KKE) in ihren bemerkenswerten „Thesen über den Sozialismus" von 2008 eine dezidiert kritische Position bezogen, gegen eine „antimonopolistische Herrschaft" als Stadium zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in der die politische Macht zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse liege4.
Die Programme der DKP von 1978 und von 2006 hingegen beschreiben den Weg zum Sozialismus in mehreren abgegrenzten Etappen:
  1. (Abwehr-)Kämpfe zur Verteidigung des Erreichten,
  2. „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt" mit „tief greifender Umverteilung des Reichtums von oben nach unten" und
  3. Antimonopolistisch-demokratische Umgestaltungen. In dieser Etappe soll es zur „Zurückdrängung der Allmacht des Monopolkapitals und zur Erweiterung der Einflussnahme der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten" kommen. Auf diesem Wege soll schließlich der Weg zum Sozialismus freigemacht werden 5.

Lenin als theoretischer Wegbereiter der „Antimonopolistischen Demokratie"?

Die Theorie der DKP zur antimonopolistischen Demokratie wird (u. a. durch Gerns) auch mit direktem Bezug auf Lenin begründet. Die Texte Lenins werden dabei so interpretiert, dass sich aus ihnen die Notwendigkeit von Übergangsstufen zum Sozialismus ableiten lassen. Im Wesentlichen werden dabei die „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution" und die Schriften Lenins aus der Phase der „Doppelherrschaft" (Februar bis Oktober 1917) in Russland angeführt. Ist es zulässig, Lenin zum Kronzeugen für die Theorie der antimonopolistischen Demokratie zu machen? Das möchte ich im Folgenden kurz untersuchen.

Lenins „Zwei Taktiken"

Lenins Text erschien im Juli 1905, also inmitten der revolutionären Ereignisse. Er charakterisiert die bevorstehende Revolution als bürgerlich-demokratisch. Die Lage in Russland sei aber im Unterschied zu früheren bürgerlichen Revolutionen dadurch gekennzeichnet, dass die Bourgeoisie aufs Engste mit dem feudalistischen Zarismus verflochten sei und dementsprechend nur das Proletariat und die Bauernschaft die Haupttriebkräfte der bürgerlich-demokratischen Revolution sein könnten.
Damit wandte sich Lenin zum einen gegen ultralinke Positionen, die propagierten, dass die sozialistische Umwälzung das unmittelbar nächste strategische Ziel sein müsse. Ihnen hielt er entgegen, dass der Weg über eine demokratische Republik sowohl aus objektiven ökonomischen als auch aus politischen Gründen (wegen der mangelnden Reife des subjektiven Faktors) der einzig gangbare Weg zum Sozialismus sei6.

[file-periodicals#136]Vor allem aber — und darauf bezieht sich auch der Titel — greift Lenin die Taktik der Menschewiki in der Revolution an. Diese hatten in Übereinstimmung mit den theoretischen Haupttendenzen der
II. Internationale argumentiert, dass zwischen der bürgerlichen Revolution und der sozialistischen Revolution zwingend eine längere Etappe der Entwicklung des Kapitalismus liegen müsse. Deshalb müsse die Arbeiterklasse ihre Interessen zugunsten der Bourgeoisie zurückstellen. Lenin sprach hingegen von einem einheitlichen und permanenten revolutionärem Prozess des „Hinüberwachsens der bürgerlich-demokratischen in die sozialistische Revolution". Dabei löste er die Frage der Staatsmacht — nach Lenin die Hauptfrage jeder Revolution — auf neue Weise: Er wies nach, dass die siegreiche bürgerlich-demokratische Revolution, in der das Proletariat als Hegemon auftritt, nicht wie früher zur Eroberung der Macht der Bourgeoisie, sondern zur revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft führen müsse. Und ein solcher Sieg müsse sich unvermeidlich auf den bewaffneten Aufstand stützen, nicht auf diese oder jene, auf „legalem", „friedlichem Wege" geschaffene Einrichtungen7.

Bezogen auf die Frage nach antimonopolistischen Übergängen heute heißt das: Lenins Schrift bezieht sich auf eine gänzlich andere Phase der gesellschaftlichen Entwicklung. Es geht in Russland 1905 um die Frage des Übergangs von einer halbfeudalen zu einer sozialistischen Ordnung, davon kann im bürgerlich-demokratischen, imperialistischen Deutschland von heute keine Rede sein. Zudem halten wir fest: Lenin betont, dass beide Übergänge nur revolutionär und auf dem Weg der „Diktatur einer Klasse über eine andere" möglich seien.

Lenins Schriften aus der Phase der „Doppelherrschaft"

Die bürgerliche Revolution in Russland ließ dann bekanntlich bis zum Februar 1917 auf sich warten. In dem guten halben Jahr bis zur siegreichen Oktoberrevolution widmete sich Lenin in seinen Schriften schwerpunktmäßig der Staatsfrage und der Klassenanalyse der „Doppelherrschaft". Gemeint ist damit der „überaus eigenartige, in dieser Form in der Geschichte noch nie dagewesene Zustand"8 der Koexistenz zweier Regierungen (und Staatsgewalten): Die Provisorische Regierung der Bourgeoisie, die sich auf den alten Staatsapparat stützt und auf der anderen Seite „eine noch schwache, … aber erstarkende Regierung des Proletariats und der Bauern: die Sowjets". Diese bezeichnete Lenin als „Keimform einer neuen Staatsmacht"9. Lenin betonte, dass er die Doppelherrschaft für eine historische Ausnahme hielt10. Zugleich hob er hervor, dass diese nur von sehr kurzer Dauer sein kann. Das Land befand sich in einem Zustand der extremen Spannung: Bourgeoisie und Proletariat strebten nach Aufhebung der Doppelherrschaft, indem beide die Machtfrage für sich entscheiden wollten. Insofern kann eine Doppelherrschaft nur ein „Übergangsmoment in der Entwicklung der Revolution" sein, denn „zwei Staatsgewalten können in einem Land nicht lange bestehen. Eine von ihnen muss verschwinden"11.

Zugleich machte Lenin deutlich, dass in dieser Phase Übergangsforderungen wie nach der Nationalisierung von Grund und Boden und der Banken gestellt werden müssten, und dass diese prinzipiell in einer revolutionären Demokratie auch umsetzbar seien12. Die „revolutionär-demokratische" Regierung aus Menschewiki und Sozialrevolutionären entpuppte sich jedoch als Etikettenschwindel. Denn: „Die Herrschaft der Bourgeoisie ist mit wahrhaft revolutionärer, wirklicher Demokratie unvereinbar. Man kann im 20. Jahrhundert in einem kapitalistischen Land nicht revolutionärer Demokrat sein, wenn man Angst hat, zum Sozialismus zu schreiten"13.
Den Hauptgrund dafür machte Lenin erneut in der Frage der Staatsmacht aus: Grundlegende demokratische (antimonopolistische) Umgestaltungen erforderten zwingend eine neue revolutionäre Staatsmacht. Diese mit Hilfe des alten bürgerlichen Staatsapparats durchführen zu wollen, bezeichnet Lenin schlicht als „große Illusion, … ein Betrug am Volke"14. Lenin kommt deshalb zu dem apodiktischen Schluss, dass man von der Herrschaft der Monopole aus „nicht vorwärts schreiten kann, ohne zum Sozialismus zu schreiten. Es existierten „keinerlei Zwischenstufen" mehr auf der „historischen Stufenleiter zwischen staatsmonopolistischem Kapitalismus und Sozialismus"15.

Fazit:

Die Theorie der antimonopolistischen Demokratie als Zwischenstufe zwischen staatsmonopolistischem Kapitalismus und Sozialismus steht vielfach im direkten Widerspruch zu Lenin. Zugleich ist klar, dass der Ansatz dadurch nicht a priori falsch ist. Auf der Grundlage einer sorgfältigen Klassenanalyse könnte man schließlich zu dem Ergebnis kommen, dass Lenins Schlussfolgerungen heute keine Gültigkeit mehr haben. Eine solche Untersuchung gibt es aber bis heute nicht.


Quellen und Anmerkungen

Aus "Theorie und Praxis #25", "Die 'antimonopolistische Demokratie' - richtiges strategisches Ziel für die DKP?"

1 „Den Gegenangriff organisieren —die Klasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus mobilisieren!" (ursprüngliche Fassung vom Oktober 2009), http://www. kommunisten.eu/index.php?option=com_ content&view=article&id=610:den-gegen angriff-organisieren-die-klasse-gegen-denkapitalismus-und-fuer-den-sozialismusmobilisieren&catid=83:thema-1&Itemid= 182
2 http://www.kommunisten.eu/index.php? option=com_content&view=article&id= 633:braucht-die-dkp-eine-neue-strategische-orientierung-willi-gerns&catid=83: thema-1&Itemid=182
3 http://www.kommunisten.eu/index.php? option=com_content&view=article&id= 682:abwehrkaempfe-fuehren-sozialismuspropagieren-bjoern-blach&catid=83:the ma-1&Itemid=182
4 KP Griechenland: Thesen über den Sozialismus, Thesen 27 und 29, 2008. http:// anstoss.dkp-berlin.info/publikationen/k2 _2009.pdf Die KKE bestreitet keineswegs die Notwendigkeit einer Bündnispolitik, die versucht, die objektiven Widersprüche zwischen der Monopolbourgeoisie und anderen Klassen jenseits der Arbeiterklasse zu nutzen.
5 Programm der DKP; Kapitel IV, S. 9f
6 W. I. Lenin: Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution; In: LAW II, S. 32f
7 Ebd. S. 63
8 W. I. Lenin: Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution; In: LAW III, S. 77
9 W. I. Lenin: Ãœber die Doppelherrschaft; In: LAW III, S. 67f
10 Ebd.
11 Lenin: Die Aufgaben des Proletariats; S. 77
12 W. I. Lenin: Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll; In: LAW III; S. 414
13 Ebd. S. 439f
14 W. I. Lenin: Eine der Kernfragen der Revolution; In: LAW III, S. 454
15 Lenin: Die drohende Katastrophe; S. 442f


* Der Autor "Thomas Kurth" kann aus beruflichen Gründen seinen Namen nicht nennen. Er will sich jedoch nicht hinter dem Pseudonym verstecken, sondern er möchte die Diskussion führen, die im Herausgeberkreis von T&P differenziert betrachtet wird. Der Kontakt zu diesem Autor kann gerne über die Redaktion vermittelt werden.


 
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