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Dossier: Das Spiel ist aus //
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Von Toto Lyna

Im Moment wird die Gerichtsverhandlung gegen den ägyptischen Ex-Präsidenten, Hosni Mubarak, seine Söhne und ehemaligen Funktionäre des ägyptischen Staates live übertragen. Das Bild, den gestürzten ägyptischen Ex-Präsidenten auf einem Krankenbett in einem Käfig vor einem Gericht seines eigenen Landes zu sehen ist mit Sicherheit ein historischer Moment in der Geschichte der arabischen Völker und der Welt. Dem Angeklagten droht die Todesstrafe. In der Anklageschrift wird nicht nur Mubarak Mord an Hunderten Ägyptern vorgeworfen, vielmehr werden auch andere Verantwortliche angeklagt, u.a. von Vodafone, die mittels Internet-Abschaltung das Regime in den ersten Tagen der Revolution unterstützen wollten. Die Nebenklage-Vertreter der Opfer zählen mehr als 100 Anwälte und Anwältinnen. Die Gerichtsverhandlung findet in einer Zeit, in der sich die Lage in Ägypten zuspitzt, statt. Eine Zuspitzung zwischen der Revolution und der Konterrevolution, die ihren Ausdruck in Demonstrationen und den Gewaltausbrüchen der letzten Wochen findet. Die Gerichtsverhandlung ist eindeutig ein Höhepunkt in der juristischen Abrechnung mit dem alten Regime Ägyptens, sie ist aber gleichzeitig ein Ausdruck von Machtverschiebungen innerhalb der ägyptischen Bourgeoisie selbst. Die deutschsprachige Informationszeitschrift zum Mittleren Osten spricht von einem „jähen Ende von Mubaraks Crony Capitalists“. (Quelle: Inamo, Nr. 65 Seite 8) Dort wird folgendes über Teile der ägyptischen Bourgeoisie berichtet: „Sie [die Crony Capitalists] wurden wegen des Verdachts auf Verschwendung öffentlicher Gelder angeklagt.“ Oder „Mittlerweile ist auch das Vermögen von Hosni Mubarak und seine Söhnen Gamal und Alaa eingefroren.“ (Inamo, nr. 65 Seite 9). Das Vermögen anderer ägyptischen Kapitalisten ist ebenfalls festgesetzt worden, sie selbst stehen vor Gericht. Auf der anderen Seite steht ein anderer Teil der ägyptischen Bourgeoisie, auf freien Fuß: hier seien die zwei Finanziers der ägyptischen Muslimbrüder, Hassam Malek und stellvertretende Vorsitzende der Muslimbrüder, Khairat al-Shater, genannt; beide haben ein Verfahren zur Rückgabe ihres konfizierten Eigentums erhoben (inamo, Nr. 65 Seite 9-10). Andere ägyptische Kapitalisten genießen Anerkennung in der ägyptischen Gesellschaft aufgrund ihrer „Opposition“ zum Regime Mubarak.

Die ägyptische Bourgeoisie unterteilt sich in militärische und zivile Gruppen. Der Umgang mit dem ägyptischen Militär gehört wohl zu der meist diskutierten Frage innerhalb der ägyptischen und internationalen Linken. Gehört das Militär zu den Revolutionären, oder ist es ein Gegner der Revolution? Mit welcher Taktik geht man mit den Militärs um? In den vergangenen Monaten und Wochen spitzte sich die Situation zwischen den Demonstranten und der Militärführung zu. Die alte Parole „Das Volk und die Armee sind eine Hand“ wird laut Kommunistischer Partei von den streikenden Arbeitern nicht geteilt. Aber, grundsätzlich, wie sieht die Klassenzusammensetzung des Militärs aus? Die Führung der ägyptischen Militärs gehört zur kapitalistischen Klasse Ägyptens. Die Armee unter Kontrolle ihrer Generale ist der größte Arbeitergeber Ägyptens mit mehreren Millionen Arbeitskräften. Die wirtschaftliche Tätigkeit des Militärs erstreckt sich von Herstellung von Waffen einfacher Art über Straßenbau, Immobilien und weitere Bereiche des Wirtschaftslebens. Dieses Wirtschaftstreiben der Militärs wird von einem Teil der oberen Offiziere geführt. Es handelt sich dabei zwar um keine Eigentumsrechte, aber um praktische Besitztümer. In einer korrupten Gesellschaft werden die verwalteten Aufgaben zu einem Besitzverhältnis, ein Teil des Militärs sorgt für die Zeit nach der Rente für Privatisierungen ihrer Unternehmen in ihre persönliche Hand, sodass hier unmittelbar ersichtlich wird, worum es bei der „Verwaltung“ des Eigentums des ägyptischen Staates durch die Militärführung geht. Ein anderer Teil des ägyptischen Militärs gehört zu den Nutznießern der US-amerikanischen Militärhilfe, die über Jahre hinweg auf insgesamt mehrere Dutzend Milliarden Dollar zu beziffern ist. Die Militärhilfe ging selbstverständlich zu guten Teilen zurück in die USA, seit der Einkaufskorb des ägyptischen Militärs nicht mehr, wie einstmals, in der Sowjetunion gefüllt wurde. Die US-Militärhilfen blieben jedoch höher als dier Ausgaben für Rüstungsgüter aus den USA, und so entstand eine Schicht in der militärischen Führung, die starke Beziehungen zu US-Militärs und Konzernen unterhält, sie wurde regelrecht vom Handel mit den USA und ihrer Militärhilfe anhängig. Das heißt: neben der traditionellen Teilung der Armee in bourgeoise Führung, kleinbürgerliche mittlere Offiziere und die proletarische und bäuerliche Soldaten gibt es eine weitere Trennlinie zwischen nationaler und Kompradoren-Bourgeoisie.
Damit kann auch die Frage nach dem Umgang mit dem Militär beantwortet werden: wenn man davon ausgeht, dass die ägyptische Revolution einen national-demokratischen Charakter hat, lautet die Strategie: Die Ausnutzung der Widersprüche innerhalb der militärischen Führung zur Erreichung wichtiger Zwischenziele der Revolution wie zur Entmachtung eines Teils der ägyptischen Bourgeoisie, die mit den Imperialisten zusammenarbeitete und unter Mubarak stark verdiente, entspricht der momentane Praxis der Revolutionäre. Gleichzeitig gilt es, die mittlere Offiziersriege zu neutralisieren oder auf die Seite der Revolution zu gewinnen.

Die ägyptische „zivile“ Bourgeoisie und ihre Vernetzung mit dem Staat ist lehrbuchreif. Ich schreibe zivile Bourgeoisie in Anführungszeichen, da ein großer Teil der neuen zivilen ägyptischen Kapitalisten eben ursprünglich aus dem Militär stammt. In Ägypten kann vielleicht von zwei Generationen von Kapitalisten gespriochen werden: Zum einen die alte, traditionsreiche Bourgeoisie, die ihr Eigentum vor der Enteignung aus den Zeiten Nassers retten konnte. Als Beispiel kann hier die reichste ägyptische Familie, die Sawaris, mit 35 Milliarden Dollar Besitz dienen. Und zum anderen die neue Bourgeoisie aus dem Militär, die ihre Machtpositionen im Staat nutzte und reichlich Kapital durch monopolistische Rechte verdiente, z.B. Hussein Salem, ein ehemaliger Geheimdienstler mit Exclusivlizenz zur Erdgasexport nach Israel.

Die Verschmelzung der ägyptischen zivile Bourgeoisie mit dem Staat ist exzellent, die Beziehungen werden in einem Artikel der Stiftung Wissenschaft und Politik folgendermaßen charakterisiert: „Sie [die Wirtschaftskernelite; Anm. des Autors] werden bei der öffentlichen Auftragsvergabe bevorzugt, erhalten günstige Kredite öffentlicher Banken und verdienen an Handelsgeschäften, für die ihnen von der politischen Führung exklusive Lizenzen gewährt wurden. Als Gegenleistung beteiligen diese Unternehmer ihre „Patrone“ an ihren Gewinnen und versichern ihnen ihre Loyalität.“
Die Wirtschaftseliten beteiligten sich unmittelbar an der Macht und stellten politisches Personal, vom Minister bis hin zu Führungspositionen in der National Demokratischen Partei(NDP) Mubaraks. Hier sei der „Stahlbaron“ Ahmed Ezz erwähnt, dessen Unternehmen 2008 70 % des in Ägypten verkauften Stahls produzierten. Er war Vorsitzender des Sekretariats für Organisatorische Angelegenheiten, sowie Mitglied des Generalsekretariats der NDP. Ebenso auch Mohamed Mansour, ein GM-Lieferant in Ägypten, der als Transportminister fungierte. Die Liste der personellen Überschneidungen zwischen Staat und Kapital lässt sich ergänzen, aber dazu komme ich später. Die Macht dieser Wirtschaftskernelite ist in Ägypten „strukturell“, wie der SWP-Mitarbeiter schreibt. Er begründet dies mit Nicht-Erpressbarkeit dieser Kapitalisten, da 1. ihr Kapital zum Teil außerhalb Ägyptens investiert ist, sodass ihre Abhängigkeit vom ägyptischen Staaten gemindert ist. 2. Besitzen diese Kapitalisten Beziehungen zu ausländischen Banken und Konzernen, sodass sie nicht von Kreditvergaben öffentlicher Banken oder der Vergabe von Investitionsgeldern abhängig sind. Die Rede ist hier also von zentralen Figuren der ägyptischen zivilen Bourgeoisie, dessen Eigentum von mehreren Millionen Dollar bis auf 35 Milliarden Dollar geschätzt wird.

Beginnen wir der Mansour-Familie: sie ist die zweitreichste Familie Ägyptens und ihr Eigentum wird auf mehrere dutzend Milliarden Dollar geschätzt. Ihren Reichtum verdankt sie einer exklusiven Lizenz zum Vertrieb von General Motors-Produkten noch aus den Zeiten Anour Saadats. Heute wird die MansourGroup von den Söhnen des Lutfi Mansour verwaltet, dazu gehört Mohamed Mansour der ehemalige Transportminister Ägyptens. Nach seinem Studium in der USA übernahm er die Firma von seinem Vater und lieferte General Motors-Produkte nach Ägypten und in der zwischenzeit auch nach Libyen, Irak und im Moment gar noch in weitere sechs afrikanische Staaten und nach Russland. Er ist Betreiber von IBM, Hewlett Packard, Microsoft und Compaq in Ägypten. Er ist an der Credit Agricole in Ägypten beteiligt, eine Tochterbank aus Frankreich. Mohamed Mansour war zeitweilig Mitglied der US-amerikanisch-Ägyptischen Wirtschaftskammer und auch Präsident der US-amerikanisch-Ägyptischen Handelskammer. Sowie der ehemalige Transportminister Ägyptens, sein persönliches Eigentum schätzt Forbes auf etwa 2 Milliarden Dollar. Alles in allem ein Kapitalist, der engste Beziehungen zum US-Kapital pflegt. Während der revolutionären Kämpfe schlossen seine Läden oder brannten aus. Heute befindet er sich in London und wird in Ägypten verfolgt wegen Wirtschaftsverbrechen. Sein Eigentum ist eingefroren1.

Yassin Mansour, der Bruder von Mohamed, ist ebenfalls mit dem US-Kapital eng verbunden. Er ist Gründer und Chef von ManFood – Eine Firma, die McDonalds in Ägypten führt. Sein Eigentum wird auf 1,8 Mil. (MILLIARDEN oder MILLIONEN??) Dollar geschätzt. Er ist wegen Korruptionsverdachts angeklagt, auch er befindet sich in der britischen Hauptstadt, ebenso wie sein Bruder. Die Familie ist als Ganzes eng mit dem US-Kapital verbunden und wird aus verschiedenen Gründen seit der Revolution verfolgt.2

Ein weiteres Beispiel ist die Familie Al-Magrabi, hier sei Ahmad Al-Maghrabi genannt. Seine Familie ist an der Credit Agricole beteiligt, er war Vorsitzender und Miteigentümer der französischen Hotel-Kette Accor, bis er ein Ministeramt antrat. Gegen ihn lief eine Anklage wegen Korruption, er wurde am 26.Mai von einem Gericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Anfang Juli wurde er schließlich freigesprochen. Ob das das Ende ist, weiß ich nicht. Jedenfalls löste der Freispruch eine neue Welle der Wut und Proteste in Ägypten aus.3

Einer der einflussreichsten ägyptischen Kapitalisten unter dem Ex-Präsidenten ist ohne Wenn und Aber der Sohn Mubaraks gewesen, Gamal Mubarak. Sein Reichtum ist zwar nicht vergleichbar mit der Sawaris oder Mansour (alleine auf ägyptischen Banken soll er aber 200 Millionen ägyptische Sterling besitzen), aber er gehörte zu den engsten Männern Mubaraks. Zum einen als Sohn, aber auch als designierter Nachfolger und hoher Funktionär der Nationaldemokratischen Partei. Er galt deswegen als der Mann der ägyptischen Neokapitalisten. Gamal studierte an der amerikanische Universität in Kairo Mangement und arbeitete später sechs Jahre für die Bank of Amerika als stellvertretender Geschäftsführer für Europa, Afrika und den Nahen Osten. Er wurde zwar ab 1994 selbständiger Kapitalist, aber seine Beziehungen zu den USA blieben eng. Gamals befindet sich im Gefängnis, sein Eigentum ist eingefroren.4

Mohamed Rashid gehörte der alten ägyptischen Regierung als Handels- und Wirtschaftsminister von 2006 bis 2011 an. Rashid hatte seine Weiterbildung als Manager in den USA absolviert und ist Aktienbesitzer und Vorstandsmitglied des Britisch-Niederländischen Konzerns Unilever. Während seiner Amtszeit sorgte er für die Anpassung der ägyptischen Wirtschaft an die Anforderungen der internationalen Wirtschaft. Der Ex-Minister ist auf der Flucht und wurde am 25.6.2011 zu fünf Jahren, in Abwesenheit zusätzlich zu einer Geldstrafe, verurteilt.5

Auf der anderen Seite gibt es aber ägyptische Kapitalisten, die zu den Profiteuren der ägyptischen Revolution gehören. An erster Stelle ist die reichste Familie Ägypten zu nennen: Die Sawaris besitzen als eine Familie mehr als 35 Milliarden Dollar, sie beherrschen den ägyptischen Konzern Orascom. Die Familie hat besondere Beziehungen zum deutschen Kapital, auch wenn sie nicht unmittelbar mit ihm verdrahtet ist wie die ägyptischen Pro-US-Kapitalisten. Samih Sawaris besuchte die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo und studierte an der TU Berlin, sein Bruder Naguib Sawaris besuchte ebenfalls die Deutsche Evangelische Oberschule und studierte in der Schweiz. Naguib war auch Präsident der Deutsch-Arabischen Handelskammer und ist Begründer der Freien Ägyptischen Partei, einer liberalen Partei. Naguib Sawaris offenbarte bereits vor dem Abgang Mubarak seine Opposition.

Aber auch andere Personen, wie das führende Mitglied der liberalen Wafd-Partei und einziger Gegenkandidat Mubaraks bei den Präsidentschaftswahlen 2008, Munir Fakhri-Abdel-Nur, haben guten Chancen, sich in Ägypten zu stabilisieren. Seine Partei ist Mitglied der liberalen Internationale, die von der deutschen FDP unterstützt wird, er und seine Partei besitzen beste Beziehungen zur Friedrich-Naumann-Stiftung. Vom Sturz des Pro-US-Präsidenten profitierten auch führende Mitglieder und Financiers der Muslimbrüder wie Khairat Al-Shater (Stellvertretender Vorsitzender) und Hassan Malek. Auch hier hat die Bundesrepublik, wie schon seit Anfang der Revolte, ihren Finger mit Hilfe des deutschen Parteienstiftungswesens im Spiel.

Alles in Allem muss man feststellen, dass das Personal des US-amerikanischen Kapitals in Ägypten aus dem öffentlichen Leben und aus ihren Machtpositionen hinausgesäubert wird. Dagegen hat das BRD-nahe Personal die Revolution zwar nicht mit einem strukturellen Sieg, aber ohne Schaden und teilweise mit Verbesserungen überstanden. Damit kann die Gerichtsverhandlung gegen Mubarak und seine Männer als Ausdruck von Verschiebungen der internationalen Kräfteverhältnisse in Ägypten interpretiert werden: Es entspricht dem Abwärtstrend der USA, aber auch dem Vormarsch der BRD.


Der Autor ist Mitglied der SDAJ Göttingen.


Anmerkungen:
1 weitere Informationen:
- http://english.ahram.org.eg/NewsContentP/3/6724/Business/Mohamed-Mansour-A-tarnished-captain-of-industry.aspx
- http://www.mansourgroup.com/Mohamed-Mansour
- http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Egyptian_billionaires
- http://www.forbes.com/forbes/2011/0228/focus-egypt-mansour-general-motors-history-crosshairs.html
2 weitere Informationen:
- http://www.gn4me.com/gn4me/details.jsp?artId=3912332
- http://www.mansourgroup.com/Yasseen-Mansour
- http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Egyptian_billionaires
3 weitere Informationen:
- http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/minister_aegypten_haft_1.10715270.html
- http://de.wikipedia.org/wiki/Ahmed_al-Maghrabi
- http://www.bbc.co.uk/arabic/middleeast/2011/07/110705_egypt_exministers.shtml
4 weitere Informationen:
- http://en.wikipedia.org/wiki/Gamal_Mubarak
- https://webspace.utexas.edu/jmb334/www/documents/article.ASJ.2008.pdf
- http://www.ahram.org.eg/457/2011/02/28/25/64884.aspx
5 weitere Informationen:
- http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-13916180
- http://www.mfti.gov.eg/english/minister.htm
- http://en.wikipedia.org/wiki/Rachid_Mohamed_Rachid



 
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