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Dossier: Das Spiel ist aus //
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BERLIN (12.05.2011) - Mit dem diesjährigen "Arabisch-Europäischen Menschenrechtsdialog" offenbart das Auswärtige Amt in diesen Tagen den Zynismus der deutschen Menschenrechtspolitik. Die Veranstaltung, die am gestrigen Mittwoch begonnen hat, ist offiziell der "Verhütung der Folter" gewidmet. Westliche Staaten, darunter die Bundesrepublik, haben sich in den letzten Jahren immer wieder folternder arabischer Repressionsbehörden bedient; die aktuelle Kritik richtet sich nur gegen diese. Bei früheren "Menschenrechtsdialogen" ging es um "Migration" und "Wanderarbeiter". Zwar sterben bis heute tausende Flüchtlinge beim Versuch, aus arabischen Staaten in die EU einzureisen; Thema der Debatten bei den "Dialogen" waren jedoch nicht die tödlichen Folgen der europäischen Migrationsabwehr, sondern vielmehr die Lage der Flüchtlinge in Westafrika und Nahost. Während am heutigen Donnerstag in Berlin diskutiert wird, wie die Folter bekämpft werden kann, schlägt die Regierung Bahrains die dortige Demokratiebewegung gewohnt brutal nieder - mit stillschweigender Billigung auch der Bundesrepublik. Die "Kumpanei mit den Diktatoren" in den arabischen Ländern werde von Deutschland zumindest zum Teil "weitergeführt werden", sagen Experten ungeschminkt voraus. Die Berliner Außenpolitik selbst entlarvt ihre Menschenrechtssparte damit einmal mehr als PR-Abteilung, deren Aktivitäten ansonsten folgenlos sind.

Menschenrechtsprobleme

Der "Arabisch-Europäische Menschenrechtsdialog", der am gestrigen Mittwoch begonnen hat und bis zum morgigen Freitag andauert, findet bereits zum sechsten Male statt. Beteiligt sind Nationale Menschenrechtsinstitutionen aus einigen europäischen1 und arabischen2 Staaten. Der "Dialog", der 2007 zum ersten Mal durchgeführt wurde und mindestens einmal jährlich stattfindet, ist Teil der sogenannten Menschenrechtspolitik Berlins und der EU. Die Bundesrepublik ist mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte vertreten. Über die Zielsetzung des Projektes erklärt das Institut, die EU führe "Menschenrechtsdialoge mit Ländern, in denen schwerwiegende Menschenrechtsprobleme identifiziert werden".3 Dazu gehörten auch die arabischen Staaten.

"Wenn man foltern lassen will..."

Wie das Auswärtige Amt mitteilt, befasst sich der diesjährige "Dialog" mit dem Thema "Verhütung der Folter". Diverse westliche Länder, darunter auch die Bundesrepublik, verfügen in Sachen Folter über umfangreiche Erfahrungen mit den arabischen Staaten. Diese rühren aus der Folterkooperation im sogenannten Anti-Terror-Krieg her; vor allem die CIA verschleppte dabei - unter Billigung und Mitwirkung auch Berlins - Gefangene in Länder, deren Repressionsbehörden für ihre Folterpraxis bekannt sind.4 Darüber berichtete ein ehemaliger CIA-Mann: "Wenn man ein ernsthaftes Verhör will, schickt man einen Gefangenen nach Jordanien. Wenn man sie foltern lassen will, schickt man sie nach Syrien. Wenn man möchte, dass jemand auf Nimmerwiedersehen verschwindet, schickt man ihn nach Ägypten."5 Berlin sorgte mehrfach durch Untätigkeit und mutmaßlich auch durch aktive Schritte dafür, dass Verdächtige in Syrien oder im zum entsprechenden Zeitpunkt von Syrien dominierten Libanon in Haft genommen wurden.6 Dort waren Beamte deutscher Behörden, unter anderem des BKA und des BND, direkt oder indirekt bei Verhören präsent. Diese Praxis, für die bis heute in Deutschland niemand zur Verantwortung gezogen worden ist, ist nicht Untersuchungsgegenstand des aktuellen "Menschenrechtsdialogs".

Hilferufe ignoriert

Bereits mehrfach thematisiert wurde bei den vergangenen "Dialogen" die Menschenrechtssituation mit Blick auf "Migration" (2008) und "Wanderarbeiter" (2009). Über den "Dialog" 2008 berichtet das Deutsche Institut für Menschenrechte, man habe "unter anderem über den Flüchtlingsschutz" diskutiert. "Berichte über Flüchtlinge aus Westafrika und in Jordanien" hätten "anschaulich" klar gemacht, "wie unterschiedlich die Situation in den einzelnen Staaten ist".7 Mit keinem Wort verweist das Institut auf die dramatische Situation an den EU-Außengrenzen, insbesondere im Mittelmeer, wo jedes Jahr tausende Flüchtlinge ums Leben kommen. Allein seit Jahresbeginn sind dem UNHCR zufolge mehr als 1.200 Bootsflüchtlinge, die in den arabischen Ländern Nordafrikas mit Kurs auf Europa in See stachen, ertrunken. Über die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr urteilen unabhängige Menschenrechtsorganisationen: "Europa nimmt das Sterben im Mittelmeer in Kauf".8 Zuletzt machten Berichte die Runde, denen zufolge mehr als 60 Flüchtlinge ums Leben kamen, nachdem europäische Kriegsschiffe ihre Hilferufe ignoriert und sie damit ihrem Schicksal überlassen hatten. Auch dies ist nicht Gegenstand des aktuellen "Menschenrechtsdialogs".

Säuberungen

Dasselbe gilt für die jüngsten Ereignisse auf der Arabischen Halbinsel, ganz besonders in Bahrain. Die Demokratiebewegung, die sich in Bahrain wie in einer Vielzahl arabischer Staaten Bahn brach, ist von den Repressionskräften des Landes brutal niedergeschlagen worden - mit Hilfe von Soldaten und Polizisten aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar, sämtlich - wie Bahrain selbst - Partner Deutschlands und des Westens am Persischen Golf. Berichten zufolge sind bislang mindestens 25 Demonstranten zu Tode gekommen, vier starben binnen nur weniger Tage in Haft, vier Todesurteile wurden verhängt, über 1.000 tatsächliche oder mutmaßliche Oppositionelle sind weiterhin interniert - bei einer Gesamtbevölkerung von rund 1,2 Millionen Menschen. "Täglich werden schiitische Dörfer gesäubert", heißt es in Berichten, "Miliztruppen riegeln die Siedlungen ab und durchkämmen die Häuser. Wohnungen werden niedergebrannt, nach einigen Berichten sogar Moscheen."9

Kumpanei

Die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Bahrain bleibt für die dortige Regierung, was den Westen angeht, ohne Folgen. Ursache ist, dass aus Gründen der Rohstoffsicherung und der Geostrategie auch Berlin seine besonders enge Kooperation mit den Golfdiktaturen aufrechterhalten will (german-foreign-policy.com berichtete10). Empörte Äußerungen aus dem Auswärtigen Amt müssten keinesfalls ernstgenommen werden, urteilt Guido Steinberg, von 2002 bis 2005 Referent im Bundeskanzleramt, seitdem Mittelostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): "Bei einigen Staaten" sei die "Forderung nach demokratischen Reformen nur Rhetorik"; dies gelte ganz besonders "für die ressourcenreichen Staaten am Golf". Man könne, sagt Steinberg voraus, "davon ausgehen", dass die "traditionelle Politik der Kooperation, in einigen Fällen Kumpanei mit den Diktatoren vor allem am Golf weitergeführt werden wird".11

PR-Projekt

Währenddessen diskutieren europäische und arabische Menschenrechtsinstitutionen noch bis zum morgigen Freitag im Auswärtigen Amt über die "Verhütung von Folter" - eine Debatte, die bereits ein Blick auf die staatliche Kumpanei am Golf als folgenlos erweist. Der "Menschenrechtsdialog" erfüllt dennoch seinen Sinn: als geschicktes PR-Projekt, das geeignet ist, auf zynische Weise von der tiefen Verstrickung der Bundesrepublik in die Verbrechen abzulenken.


Anmerkungen:
1 Dänemark, Irland, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Norwegen.
2 Jordanien, Marokko, Ägypten, Tunesien, Algerien, Mauretanien, Qatar. Beteiligt ist zudem eine palästinensische Organisation.
3 Menschenrechtsdialog; www.institut-fuer-menschenrechte.de
4 s. dazu Abgleiten in die Barbarei (II) und Schweigeboykott
5 Dick Marty: Alleged secret detentions in Council of Europe member states. Council of Europe, Parliamentary Assembly, Committee on Legal Affairs and Human Rights, AS/Jur (2006) 03 rev, 22 January 2006
6 s. dazu Die Folterer, Deutsch-syrischer Herbst und Der gemeinsame Nenner Repression (II)
7 Dritter arabisch-europäischer Dialog, Mai 2008 in Rabat; www.institut-fuer-menschenrechte.de
8 Noch mehr Tote im Mittelmeer; www.proasyl.de 10.05.2011
9 Bahrains Königshaus schürt den Hass; www.zeit.de 05.05.2011
10 s. dazu Maschinenpistolen und Munition und Kampf der Titanen
11 "Ein Problem für die Glaubwürdigkeit der Amerikaner"; www.dradio.de 13.04.2011



 
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