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WIEN/ANTWERPEN/BERLIN (22.12.2010) - In Kooperation mit deutschen Organisationen treiben mehrere Parteien der äußersten europäischen Rechten die Bildung internationaler Bündnisse voran. Die österreichische FPÖ kündigt den Ausbau ihrer Beziehungen zur schnell erstarkenden US-amerikanischen Tea Party-Bewegung an. Erst vor wenigen Tagen haben Funktionäre der Partei gemeinsam mit führenden Mitgliedern des belgischen Vlaams Belang Israel besucht, um ihr Image vom Ruch des Antisemitismus zu befreien. Beide Parteien stehen in der Tradition der NS-Kollaboration; sie profitieren von der erneuten Durchsetzung der deutschen Hegemonie in Europa und gehören seit Jahren zu den stärksten Rechtsaußen-Parteien auf dem Kontinent. In ihre aktuellen Bündnis-Bestrebungen beziehen sie die deutsche pro-Bewegung ein. Parallele Strukturen entstehen, ebenfalls unter Einschluss deutscher Kräfte, unter der Leitung des niederländischen Rassisten Geert Wilders. Damit konkurrieren zwei rassistisch gewirkte Parteien-Netzwerke um die Vorherrschaft in der europäischen Rechten - jeweils mit deutscher Beteiligung.

Ein Persilschein

Die österreichische FPÖ kündigt den Ausbau ihrer Beziehungen zur US-amerikanischen Tea Party-Bewegung an. Er werde im kommenden Jahr in die Vereinigten Staaten reisen und sich dort mit Vertretern der Bewegung treffen, teilt der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache mit. Es handle sich um eine "hochinteressante Basisbewegung direkt aus der unzufriedenen Bevölkerung", erklärt Strache über die rassistisch durchwirkte Tea Party.1 Erst vor wenigen Tagen ist der FPÖ-Chef aus Israel zurückgekehrt, wo er sich gemeinsam mit führenden Mitgliedern des Vlaams Belang und der Schwedendemokraten zu Gesprächen mit rechten Politikern aufgehalten hatte. Ihre Reise zielte nicht nur darauf ab, das internationale Netzwerk der äußersten europäischen Rechten zu erweitern; sie sollte vor allem auch das Image der beteiligten Parteien vom Ruch des Antisemitismus befreien. Die Teilnehmer unterzeichneten eine "Jerusalemer Erklärung" zwecks gemeinsamen Kampfs gegen den "fundamentalistischen Islam". Vertreten war auch die deutsche Partei "Die Freiheit".

Großdeutschland: "Den Kontinent einigen"

Die beiden maßgeblichen Parteien der inzwischen wieder heimgekehrten Israel-Delegation stehen in unmittelbarer Tradition zur NS-Kollaboration. Die FPÖ ist im österreichischen Parteienspektrum die Partei des sogenannten Dritten Lagers, des Milieus, das seit dem 19. Jahrhundert den Anschluss an Deutschland favorisiert.2 Entsprechend sammelten sich bei der Gründung der Partei im Jahr 1956 zahlreiche frühere Naziaktivisten, die zuvor den Anschluss an das NS-Reich betrieben hatten. Die zwei ersten Parteivorsitzenden der Jahre 1956 bis 1978 waren zuvor in der SS aktiv gewesen; von diversen späteren FPÖ-Politikern sind lobende Worte über NS-Organisationen und -Aktivisten überliefert. NS-Deutschland habe versucht, "den Kontinent zu einigen", erklärte einst der nun auch nach Israel gereiste FPÖ-Vordenker Andreas Mölzer.3 Heute profitiert die Partei davon, dass sich Wien immer enger an die EU-Hegemonialmacht Deutschland bindet und sich damit den Strategien des Dritten Lagers annähert. Die Bundesrepublik verfügt über beherrschenden Wirtschaftseinfluss in Österreich4 und über exklusive politische Beziehungen im Land5. Davon profitieren stark der FPÖ nahe stehende Teile des österreichischen Establishments. Auf solcher Grundlage erzielte die Partei bei der Nationalratswahl 2008 17,5 Prozent der Stimmen und erreichte bei der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2010 sogar 26,2 Prozent.

"Germanisches" Bündnis gegen Frankreich

Auch der Vlaams Belang wurzelt letztlich in der Kollaboration mit dem Deutschen Reich. Teile der Flämischen Bewegung, die die nördliche, niederländischsprachige Hälfte Belgiens abspalten und in einen eigenen Staat ("Flandern") transformieren wollten, kollaborierten bereits im Ersten Weltkrieg mit den Deutschen und führten dies im Zweiten Weltkrieg fort. Berlin sollte den Sezessionisten, die auf ein "germanisches" Bündnis mit dem Reich setzten, den benötigten Rückhalt für eine Trennung vom französischsprachigen Südbelgien und für die Loslösung aus der französischen Einflussphäre verschaffen.6 Zur Sezession Flanderns kam es jedoch kriegsbedingt nicht mehr. Auch nach 1945 setzten die NS-Kollaborateure ihre politische Tätigkeit fort, zunächst in der Partei Volksunie, dann in deren Nachfolgeorganisationen Vlaams Blok und Vlaams Belang. Über einen der maßgeblichen NS-Kollaborateure, Staf de Clercq, erklärte der führende Kopf des Vlaams Belang, Filip Dewinter, vor einigen Jahren, er sei "einer der historischen Anführer der Partei". Das sei "Teil der Geschichte der Flämischen Bewegung. Wir stammen von dieser Bewegung ab."7 Der Vlaams Belang erzielt in Flandern bereits seit den 1990er Jahren um die 20 Prozent und war bis vor kurzem die bedeutendste Partei des flämischen Separatismus.8 Seine prodeutsche Haltung profitiert davon, dass Flandern ökonomisch sehr eng mit der Bundesrepublik verbunden ist: Im Jahr 2009 kamen 80 Prozent aller belgischen Exporte nach Deutschland aus Flandern; insbesondere der Antwerpener Hafen besitzt hohe Bedeutung für die deutsche Industrie. Die Ausweitung des deutschen Einflusses in Europa geht entsprechend mit einer Förderung prodeutscher Tendenzen in Flandern einher.

Deutscher Verbündeter gesucht

FPÖ und Vlaams Belang sind schon seit Jahren auf der Suche nach einem Kooperationspartner in der Bundesrepublik. Ursache ist zum einen, dass für ein Parteienbündnis der äußersten Rechten auf europäischer Ebene eine verbündete Organisation im mit Abstand bevölkerungsreichsten EU-Staat unverzichtbar ist, um größeren kontinentalen Einfluss zu gewinnen. Außerdem sind beide Parteien aufgrund ihrer prodeutschen Ausrichtung auf einen deutschen Partner angewiesen. Allerdings gibt es in der Bundesrepublik keine Partei der äußersten Rechten, die echten Einfluss hätte; die NPD ist zu offen nationalsozialistisch orientiert und kommt weder für die FPÖ noch für den Vlaams Belang in Frage. Beide bemühen sich deswegen seit einigen Jahren, die Organisationen der pro-Bewegung ("pro Köln", "pro NRW") als ihre Verbündeten aufzubauen. Die FPÖ hat angekündigt, als eine Art Aufbauhilfe für pro NRW ein gemeinsames Büro in Nordrhein-Westfalen zu etablieren. Pro NRW hat zwar nicht an der aktuellen Israel-Reise teilgenommen, aber die "Jerusalemer Erklärung" noch im Nachhinein unterzeichnet - ein Schritt, der belegt, dass die pro-Bewegung an den Beziehungen nach Israel und an dem Persilschein in Sachen Antisemitismus teilhaben will.

Parallelstrukturen

Nicht zu den österreichisch-flämisch-deutschen Bündnisstrukturen gehört die Partei "Die Freiheit", die zwar am Israel-Besuch von FPÖ und Vlaams Belang teilgenommen, sich aber sogleich von den Mitreisenden distanziert hat. "Die Freiheit", kürzlich in Berlin unter anderem von CDU-Dissidenten aus der dritten Reihe gegründet, kooperiert mit Geert Wilders und seiner rassistischen Partij voor de Vrijheid (PVV). Ebenso wie dieser sucht sie sich von der extremen Rechten abzugrenzen, um ihre Koalitionsfähigkeit nicht zu verlieren. Wilders arbeitet zur Zeit am Aufbau eines internationalen Bündnisses, das parallel zu den Bündnisstrukturen von FPÖ und Vlaams Belang verläuft und in das "Die Freiheit" einbezogen werden soll. Beide Bündnisstrukturen konkurrieren zur Zeit miteinander. Sie könnten nur dann fusionieren, wenn es den Epigonen der österreichischen und flämischen NS-Kollaborateure gelänge, sich vom Ruch des Rechtsextremismus und des Antisemitismus zu lösen und damit koalitions- und regierungsfähig zu werden - wie Geert Wilders bereits heute in den Niederlanden. Genau dies war das Ziel ihrer Reise nach Israel.

Unter deutscher Hegemonie

In Europa wachsen damit, in erheblichen Teilen zurückgehend auf die alte NS-Kollaboration, prodeutsche Strukturen der äußersten Rechten heran, die sich zunehmend um Regierungsfähigkeit bemühen. Unter der deutschen Hegemonie, die sich in den letzten Jahren in Europa immer stärker herausgebildet hat, finden sie bislang günstige Bedingungen vor. Über weitere, auf die ehemalige NS-Kollaboration zurückgehende Strukturen der äußersten Rechten, die zuletzt besondere Erfolge verzeichnen konnten - etwa in Italien und Ungarn, begünstigt durch die deutsche Hegemonie -, berichtet german-foreign-policy.com Anfang Januar.


Anmerkungen:
1 Strache reist zu Tea-Party-Vertretern in die USA; derstandard.at 12.12.2010
2 Das "Dritte Lager" ist neben dem katholisch-konservativen und dem sozialdemokratischen das dritte der traditionell bedeutenden politischen Milieus in Österreich.
3 s. dazu Europa der Rechtsextremisten (II)
4 Deutschland stellt ein Viertel der Direktinvestitionen in Österreich, nimmt fast ein Drittel aller österreichischen Exporte ab und liefert 40 Prozent aller österreichischen Importe.
5 s. dazu Unheimlicher Anschluss, Unheimlicher Anschluss (II) und Mafiotische Züge
6 s. dazu Anschlusspläne. Zur Flämischen Bewegung s. auch unsere Rezension des Bandes Völkische Wissenschaften und Politikberatung im 20. Jahrhundert von Michael Fahlbusch und Ingo Haar.
7 Between Haider and a hard place; Haaretz 28.08.2005
8 Bei den belgischen Parlamentswahlen am 13. Juni 2010 wurde die separatistische Nieuw-Vlaamse Alliantie, gleichfalls eine (spätere) Abspaltung von der Volksunie, stärkste Partei und ließ den Vlaams Belang deutlich hinter sich zurück.


 
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