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HANOI/BERLIN (22.03.2010) - Berlin hat 2010 zum "Vietnam-Jahr" ausgerufen und forciert in diesen Wochen seine Einflussarbeit in dem südostasiatischen Staat. Nach der kürzlich beendeten Vietnam-Reise des deutschen Entwicklungsministers wird jetzt in Hanoi ein "Institut für deutsches Recht" gegründet, das die Annäherung der rechtlichen Rahmenbedingungen unterstützt. Auch wird ein Wirtschaftssymposium mit dem ehemaligen deutschen Kanzler Schröder stattfinden. Ein neues "Alumniportal" eröffnet deutschen Unternehmen Kontakte zu vietnamesischem Fachpersonal mit Kenntnis der deutschen Sprache und mit Deutschland-Erfahrung. Hintergrund der Bemühungen ist nicht nur das trotz der Krise anhaltende Wirtschaftswachstum Vietnams, sondern auch die tradierte Rivalität des Landes zur Volksrepublik China. Deren südliche Nachbarn stünden vor der Wahl, sich angesichts des chinesischen Aufstiegs entweder Beijing unterzuordnen oder sich mit einer anderen Macht zu verbünden, urteilen Regierungsberater in der deutschen Hauptstadt. Berlin setzt sich für die zweite Variante ein.

Vietnam-Jahr 2010

Berlin hat den 35. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Vietnam im kommenden September zum Anlass genommen, um das "Vietnam-Jahr 2010" auszurufen. Begleitet von einem kulturellen Rahmenprogramm, das schon im Januar begonnen hat und bis Jahresende andauert, stehen eine Reihe von Veranstaltungen auf der Tagesordnung, die Exportgeschäfte und Investitionen deutscher Unternehmen fördern. So hat letzte Woche in Frankfurt am Main ein "Vietnam Business Forum" stattgefunden, das deutsche Firmen zu Geschäften in Vietnam animieren sollte. In wenigen Tagen wird in Hanoi ein "Institut für deutsches Recht" gegründet, das die Annäherung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Vietnam unterstützt. Im April wird ebenfalls in Hanoi ein Wirtschaftssymposium mit dem ehemaligen deutschen Kanzler Gerhard Schröder stattfinden. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung preist auf einer Konferenz in der vietnamesischen Hauptstadt die "soziale Marktwirtschaft" Marke BRD als "Ordnungsmodell für Vietnam" an.1

Boomstaat

Die Wirtschaftsfördermaßnahmen zielen zunächst darauf ab, deutschen Unternehmen lukrative Aufträge im trotz Wirtschaftskrise boomenden Vietnam zu verschaffen. Während im vergangenen Jahr im Westen das Wachstum einbrach, erreichte es in dem südostasiatischen Land immerhin gut fünf Prozent. Vietnam gilt mit seinen mehr als 86 Millionen Einwohnern nicht nur als immer noch attraktiver Standort für die Billiglohnproduktion vor allem der westlichen Textilindustrie, sondern in zunehmendem Maße auch als ein recht aussichtsreicher Absatzmarkt. Anfang März hat der EU-Handelskommissar Hanoi besucht und sich mit der dortigen Regierung darauf geeinigt, Gespräche über ein bilaterales Freihandelsabkommen aufzunehmen. Um die Ausgangsposition der deutschen Unternehmen zu verbessern, nutzt Berlin nicht nur die üblichen Förderinstrumente, sondern auch die sogenannte Entwicklungshilfe.

Ansprechpartner

Entwicklungsminister Dirk Niebel, der vor zwei Wochen Vietnam bereiste, hat in Hanoi unter anderem das "Alumniportal Deutschland" in Betrieb genommen. Als "Alumni" bezeichnet Berlin Fachkräfte im Ausland, die in Deutschland studiert oder sich anderweitig fortgebildet haben und deshalb über gute Kenntnisse der deutschen Sprache und über Deutschland-Erfahrung verfügen. Mehr als 100.000 "Alumni" leben in Vietnam - vor allem, weil die DDR enge Beziehungen zu dem südostasiatischen Land unterhalten hat. Das "Alumniportal" ist eine Online-Plattform, mit deren Hilfe die "Alumni" dem Entwicklungsministerium zufolge "untereinander sowie mit deutschen und einheimischen Unternehmen, Organisationen und Institutionen Kontakt aufnehmen, sich vernetzen und Kooperationen beschließen" können.2 "Deutschland hält Kontakt zu wichtigen Ansprechpartnern für die deutsche Wirtschaft, die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit in Vietnam", resümiert Niebel den Nutzen des Projekts, das unter anderem von "Entwicklungs"-Organisationen getragen wird.

Konzerne entwickeln

Auch mit unmittelbaren Finanzzuweisungen unterstützt das Entwicklungsministerium die Stellung deutscher Unternehmen in Vietnam. So hat es die Hälfte eines 400.000-Euro-Projekts finanziert, mit dem der deutsche Metro-Konzern einige seiner Zulieferer fortgebildet hat. Das Unternehmen, das im vergangenen Jahr trotz der Wirtschaftskrise einen Gewinn von mehr als einer halben Milliarde Euro erzielte, hätte die Maßnahme wohl auch eigenständig bezahlt, berichtet die Presse3; jedoch erhöhte die Berliner Entwicklungshilfe den Profit des Konzerns und stärkte Metro gegenüber der Konkurrenz. Das Projekt ist noch von Niebels Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) beschlossen worden. Ähnlich profitiert Siemens. Die Firma bemüht sich um den Auftrag zum Bau einer U-Bahn-Linie in Ho-Chi-Minh-Stadt. Das deutsche Wirtschaftsministerium hat bereits 85 Millionen Euro für die U-Bahn bereitgestellt, die KfW-Bank will noch in diesem Jahr einen Kredit von 155 Millionen Euro zur Verfügung stellen.4 Vietnam verlangt jetzt im Gegenzug gegen eine Auftragsvergabe an Siemens weitere Entwicklungsmittel sowie Ausbildungsprogramme für das U-Bahn-Personal. Deutsche "Entwicklungshelfer" würden dann Vietnamesen in die Bedienung von Siemens-Bahnen einweisen und dem Münchner Konzern die Kosten für die Trainingsprogramme sparen.

Tor nach Südostasien

Bei alledem geht es für Berlin nicht nur um Unterstützung für deutsche Unternehmen, sondern auch um geostrategische Aspekte. In Südostasien nimmt der Einfluss Chinas seit einigen Jahren deutlich zu. Ein Indikator dafür ist das Anwachsen des Handels. Hatte beispielsweise Vietnam im Jahr 1995 Waren im Wert von rund 720 Millionen US-Dollar aus China importiert, so erreichten die Einfuhren aus der Volksrepublik im Jahr 2008 bereits 16,2 Milliarden US-Dollar. Damit ist China die Nummer eins unter den Lieferanten Vietnams und stellt gut ein Fünftel der vietnamesischen Importe. Ähnlich verhält es sich in den übrigen Staaten Südostasiens.5 Der erstarkende Wirtschaftseinfluss Beijings in den südlich angrenzenden Staaten geht einher mit dem ökonomischen Ausbau Südwestchinas, darunter die Provinz Yunnan, die traditionell als Tor des Landes nach Südostasien gilt. Yunnan wird zur Zeit durch neue Infrastrukturprojekte mit den südlichen Grenznachbarn verbunden; eine weitere Zunahme des chinesischen Einflusses dort scheint nur eine Frage der Zeit.

Gegenmacht

Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Studie schreibt, baue China nicht nur seine Wirtschaftsbeziehungen nach Südostasien systematisch aus. Beijing bemühe sich zugleich, die Region politisch zu stabilisieren, und setze sich dafür ein, "dass der Einfluss anderer Großmächte in Grenzen gehalten und nach Möglichkeit sogar zurückgedrängt werden soll".6 Am Beispiel aktueller Auseinandersetzungen um die Nutzung des Flusses Mekong beschreibt die SWP die Alternativen, über die die Staaten Südostasiens gegenüber Beijing verfügen. "Sie können sich mit der Großmacht arrangieren, um dafür entsprechende Gegenleistungen zu bekommen", urteilen die Regierungsberater von der SWP. "Oder sie versuchen, durch Zusammenschluss untereinander eine Gegenmacht aufzubauen". "An Gewicht gewinnen könnte eine solche Koalition", schreibt die SWP, "indem sie eine oder mehrere andere Großmächte einbindet."

Künftige Konflikte

Das kaum verhüllte Angebot, sich mit den westlichen Mächten gegen Beijing zu verbünden, kann an die traditionellen Rivalitäten zwischen China und Vietnam anknüpfen, das bis heute über einigen Einfluss in Kambodscha und in Laos verfügt und sich als historische Gegenmacht zu China begreift (german-foreign-policy.com berichtete7). Damit zeichnet sich ein deutscher Beitrag zu künftigen Konflikten in Asien deutlich ab.


Anmerkungen:
1 Deutschland in Vietnam 2010; www.deutschland-in-vietnam.de
2 Kooperation, Karriere, Vernetzung: Niebel eröffnet das "Alumniportal Deutschland" in Vietnam; www.bmz.de 08.03.2010
3 Hilf dir selbst, dann hilft die Niebel; www.ftd.de 10.03.2010
4 Heiße Eisen in Ho-Chi-Minh-Stadt; www.ftd.de 20.03.2010
5 Die Exporte Chinas nach Kambodscha stiegen von 51 Millionen US-Dollar (1995) auf 1,18 Milliarden US-Dollar (2008), die Exporte nach Laos von 48 Millionen (1995) auf 290 Millionen (2008), die Ausfuhren nach Myanmar von 618 Millionen (1995) auf 2 Milliarden (2008) und die Ausfuhren nach Thailand von 1,75 Milliarden (1995) auf 16 Milliarden (2008).
6 Gerhard Will: Der Mekong: Ungelöste Probleme regionaler Kooperation; SWP-Studie S7, März 2010
7 s. dazu Der Gegenspieler


 
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