Auf den Tag vor 59 Jahren wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet - heute ist die DDR Geschichte. Als erster sozialistischer Staat auf deutschem Boden erlebte sie 1989 ihren 40. Jahrestag; zum 41. sollte es nicht mehr kommen: fünf Tage vorher wurde Deutschland "wiedervereinigt". Seitdem gibt es nur noch die BRD, und der Sieger des Systemwettstreits wähnt sich in all seiner Hybris am "Ende der Geschichte". Ist das Ende der DDR auch das Ende des Sozialismus..?
40 Jahre DDR, das waren 40 Jahre Beweis, dass ein anderes Deutschland möglich ist. Nach dem Ende der DDR ist es zu einem beliebten Hobby - nicht nur der Bürgerlichen, mit denen wir ein solches Thema schon gar nicht zu diskutieren haben, sondern auch innerhalb der Linken - geworden, oftmals einseitig anhand der inneren Probleme der DDR nach den Gründen des Scheiterns dieses sozialistischen Experiments zu forschen. Dies mag angebracht sein. Ungenügend ist es dennoch.
Eine weitere Fragestellung, unerlässlich zur Analyse von 40 Jahren DDR und nun beinahe 20 Jahren Realkapitalismus auf dem gesamten "vereinigten" deutschen Territorium, wird zu oft vernachlässigt: was tat die westdeutsche Arbeiterklasse, um die DDR - als Ergebnis des Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung, als Lehre aus deutschem Faschismus und Welteroberungswahn - zu schützen? Die DDR geriet, spätestens seit den 60er Jahren, auch in der westdeutschen Arbeiterbewegung in eine Art "Vergessenheit": ein anderer, fremder Staat, bei den Fortschrittlicheren; eine "Zone" und eine "so genannte", bei den Verhetzten; aber allemal weit weg und nicht nur anders, sondern außerhalb der alltäglichen Kämpfe.
Die Rolle der DDR, die diese ganz objektiv - das geflügelte Wort vom "dritten Verhandlungspartner" am Tische bei den BRD-Tarifkämpfen spielt genau hierauf an - kraft ihrer Existenz in den westdeutschen Klassenkämpfen spielte, wurde nicht reflektiert; bestenfalls wurde (mit einem sozialistischen Staat wie mit vielen anderen) Solidarität geübt, schlimmstenfalls wurde (auch von links, mit dem Vorwurf, es hätte eine kapitalistische - oder gar "faschistische"! - Restauration stattgefunden) bekämpft, meistens jedoch ignoriert. Es war die BRD, es war der deutsche Imperialismus, der die DDR vernichtete und letztendlich annektierte - innere Probleme des Sozialismus haben dieses Vorgehen erleichtert, den Todesstoß hat der Deutschen Demokratischen Republik allerdings die Bundesrepublik Deutschland versetzt. Möglich war dies, weil die westdeutsche Arbeiterbewegung nicht in der Lage war, den deutschen Imperialismus daran zu hindern.
Zum 59. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik sei daran erinnert: nichts hat, nur weil es fortschrittlich ist, automatisch Bestand. Der Untergang der DDR (und des gesamten europäischen sozialistischen Lagers) und die damit einhergehende Veränderung der nationalen und internationalen Kräfteverhältnisse hat nicht nur dem größten Teil der DDR-Bürger objektiv Nachteile verschafft, sondern auch die gesamtdeutsche Arbeiterbewegung für lange Zeit - und bis heute - paralysiert. Die realen Auswirkungen dieser historischen Niederlage bekommen wir alle, ob nun politisch bewußt denkend oder nicht, täglich am eigenen Leibe zu spüren: sei es verschärfter sozialer Druck, sei es Verarmung ganzer Landstriche und Bevölkerungsteile, sei es das Wiedererstarken des deutschen Imperialismus mit Soldaten um den halben Erdball. Als es die DDR noch gab, war all dies nicht in dieser Schärfe möglich; auch die Monopolbourgeoisie hatte Rücksicht zu nehmen auf den Sozialismus vor der Haustür, der attraktiv hätte werden können für eine pauperisierte Arbeiterklasse im Westen. Und nicht zuletzt die Vergrößerung des BRD-Territoriums und die damit zusammenhängende Beseitigung der Systemalternative an der Ostgrenze ermöglichte den Beginn des dritten Anlaufs um die Weltmacht, der Deutschlands schimmernde Wehr knapp 20 Jahre nach Ende der sozialistischen DDR als Besatzer in das ehemalige Jugoslawien und nach Afghanistan, zu eigenen Protektoraten in Afrika, als "Schutzmacht" vor Israels Küsten führte. Und der die "Vereinigung" Europas unter Führung imperialistischer Staaten möglich machte - genau nach Lenins Worten:
wenn überhaupt möglich, dann nur reaktionär.
68 Jahre nach der absoluten militärischen Niederlage Deutschlands sind im Wesentlichen alle Ziele des deutschen Imperialismus, die die Faschisten einst mit brutalster Gewalt erzwingen wollten, doch noch erreicht worden: die Zerschlagung der Sowjetunion, die Errichtung einer europäischen Hegemonie unter deutscher (Mit-) Dominanz, globale Militärpräsenz und Rücknahme aller von den einstigen Siegermächten im Ersten (und nun auch derer des Zweiten) Weltkriegs auferlegten Hemmnisse. Die DDR war 40 Jahre lang ein ganz real existierendes Hindernis für den dritten Anlauf um den sonnigsten Platz auf Erden.
Innerhalb Deutschlands ist die annektierte DDR nach wie vor ein "Fremdkörper": nicht nur als (künstlich durch "Rückbau" erzeugte) deindustrialisierte Zone, die heutzutage, wieder unabhängig geworden, irgendwo tief unter Platz 100 im internationalen Ranking der Industrieländer stünde, nachdem die DDR in den 80er Jahren dort einmal weltweit den 10. Platz einahm; sondern auch, was die gesetzliche Ungleichstellung ihrer Bewohner angeht: Ein Viertel weniger Lohn, Arbeitslosigkeit in manchen Gebieten an 40 Prozent, Verödung durch ökonomisch erzwungene Abwanderung und dementsprechend auch infrastruktureller Kahlschlag ganzer Gebiete. Wo heutzutage Ortschaften geschlossen und Bären und Wölfe wieder angesiedelt werden, hatte die DDR einst eine Geburtenquote weit über BRD-Standard. Dort wuchs und wächst nicht zusammen, "was zusammen gehört", dort werden innerimperialistische Kolonialzustände geschaffen, die selbst dem bürgerlichen Ideal der Gleichheit vor dem Gesetz (Stichwort Ost- und Westlohn) Hohn sprechen: die einstige DDR ist eine unterdrückte Nation innerhalb einer Unterdrückernation geworden. Das Gefälle zwischen Ost und West innerhalb Deutschlands ist nicht einfach ein quantitativer sozialer Unterschied zwischen zwei Provinzen des gleichen Landes, sondern qualitative und juristisch fixierte Kluft. Die kulturellen Unterschiede, die nach wie vor ausgeprägte "Ost-" und "Westmentalität" sind die Indizien, die den wachsenden oder zumindest unverändert existierenden Graben, die ökonomische "Mauer" sozusagen, belegen.
Zum Jahrestag der Gründung an die DDR zu erinnern heißt nicht, in Nostalgie zu verfallen, oder gar die Uhr um 20 Jahre zurückdrehen zu wollen. Die DDR ist Geschichte, und wird in dieser historischen Form nicht wieder entstehen können - und sollen. Wir, als Kommunisten, Sozialisten, konsequente Demokraten, haben zu analysieren: was haben 40 Jahre DDR gebracht, was bescherte uns die Niederlage? Und wie wird in Zukunft zu handeln sein, um alte Fehler zu vermeiden und Neue, unweigerlich kommende, nicht zu Gründen des Untergangs zu machen? Und eine Lehre, die schon heute, wo viele andere Ursachen der Niederlage sicherlich noch nicht hinreichend geklärt sind, unbedingt gezogen werden muss, ist diese: Nichts, was nicht immer wieder neu erkämpft wird, kann Bestand haben. Neben der dialektischen Negation, die den Weg eröffnet für die Lösung des Widerspruchs und das Erreichen einer neuen, höheren Ebene (mit neuen Widersprüchen), gibt es auch die mechanische Negation, die schlichte Zerstörung, den Rückfall in bereits überwundene Zustände (mit alten, aber umso heftiger und lähmender auftretenden Widersprüchen). Der historische Materialismus kennt Tendenzen zur Progressivität der Entwicklung, aber keinen Zwang dahin - der Mensch macht die Geschichte, und der Kampf um Fortschritt ist der Sieg der einen Klasse über eine überlebte andere.
Dieses System, in dem wir heute leben, ist an seine Grenzen gestoßen, und kein Aderlass und kein räuberischer "Neuerwerb" an Territorium oder Menschen wird das Siechtum mehr als temporär aufzuhalten vermögen. Was an seiner statt kommt, liegt in unserer Hand. Die DDR, als Teil unserer Geschichte, als Errungenschaft der Arbeiterbewegung, als Ergebnis des Sieges über den Faschismus, ist Teil unseres Erbes, das uns zeigt, dass Sozialismus möglich ist. Sie war vielleicht nicht der beste denkbare Sozialismus. Das beste bisher existierende Deutschland war sie allemal.