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Spätestens seit der Einverleibung der DDR 1989/90 versuchen viele Gewerkschaftsführer in der BRD mit Lohnsenkungs-Tarifverträgen krampfhaft nachzuweisen, dass die Stabilisierung des kapitalistischen Ausbeutungssystems auf diesem Wege möglich ist. Ergebnis dieser Bemühungen sind Hunderte sogenannter Sanierungs-, Standort-, Zukunftssicherungs-, Härtefall-, Notfall- und mit anderen Phantasie­namen bedachte Tarifverträge. In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung wird nachgewiesen, dass bereits 75 Prozent aller tarifgebundenen Betriebe Differenzierungs- und Öffnungsklauseln nutzen. Wie in vielen Betrieben bekannt, geht es dabei u. a. um die Vereinbarung von niedrigeren Einstiegstarifen, der Kürzung/Aussetzung von Jahressonderzahlungen, dem Aussetzen von Tariflohnerhöhungen, der Kürzung tariflicher Grundvergütungen, um Kürzung und Aussetzung von Urlaubsgeld, befristete Arbeitszeitverkürzung, um variable Arbeitszeiten und in 26 Prozent aller Betriebe um Arbeitszeitverlängerung.

[file-periodicals#55]Bei Letzterem wird die Liste gewerkschaftli­cher Lohnopfer um ein weiteres ergänzt: Un­entgeltliche Verlängerung des Arbeitstages und der Arbeitswoche zur „Sicherung der Arbeits­plätze", zur „Standortsicherung"! Für die Gewerkschaftsführung ist dabei das Wichtigste, dass in diesen Verträgen der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen während der Ver­tragslaufzeit steht. Arbeiter und Angestellte werden damit per Tarifvertrag gezwungen, für den gleichen Arbeitslohn über Jahre hinweg länger zu arbeiten, in der Regel zwischen drei und fünf Stunden in der Woche. Das einzige, was durch diese Politik gesichert wird, ist die Steigerung der Profite und die Entwertung der Arbeitskraft. Alles andere würde bedeuten: unentgeltliche Arbeit fürs Kapital sichert die Arbeitsplätze. Davon müssten die Lohnabhängigen allerdings zwischenzeitlich etwas bemerkt haben. Denn unentgeltliche Arbeit fürs Kapital ist eine kapitalistische Gesetzmäßig­keit, ohne die der Kapitalismus nicht funktio­niert.

Der Arbeitstag teilt sich danach in zwei Teile: in einen bezahlten und einen unbezahlten Teil. Wobei die Arbeiter nicht feststellen können, wann die bezahlte Arbeitszeit aufhört und die unbezahlte anfängt. Ein Vorgang, hinter dem sich die kapita­listische Ausbeutungsweise verbirgt. Karl Marx nennt hierbei die zur Ersetzung der Arbeitskraft bezahlten Arbeitsstunden „notwendige Arbeitszeit". Die unentgeltlich geleisteten Arbeitstundenbezeichnet er als „Stunden der Mehrarbeit", „welche Mehrarbeit sich vergegenständlichen wird in einem Mehrwert und einem Mehrprodukt" (Lohn, Preis und Profit, MEW Bd. 16, S. 133).

Darum sind die Kapitalisten so scharf auf unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeit. Als Quelle des Mehrwerts und des Mehrprodukts ist sie zugleich die Quelle der Milliardenprofite und des Reichtums auf der Seite der Kapitalisten und der ständig wachsenden Armut auf der Seite der Arbeiterklasse.

Der Wetteifer der Kapitalisten

Welche „Arbeitsplatzsicherheit" das Kapital den Lohnabhängigen bei der Profitmacherei zu bieten hat, beschrieb Marx bereits im April 1849 in seiner Schrift „Lohnarbeit und Kapital" mit folgenden Worten: „Wir haben oben in raschen Zügen den industriellen Krieg der Kapitalisten untereinander geschildert. Dieser Krieg hat das Eigentümliche, dass die Schlachten weniger in ihm gewonnen werden durch Anwerben als durch Abdanken der Arbeiterarmee. Die Feldherren, die Kapitalisten, wetteifern untereinander, wer am meisten Industrie-Soldaten entlassen kann."

Von diesem Wetteifer der Kapitalisten ist jeden Tag in den Wirtschaftsteilen der Presse zu lesen, wenn dort über zigtausende Entlassungen – vollzogen oder geplant – berichtet wird. So schrieb die Süddeutsche Zeitung am 27. Juni 2008 (abgesehen von Tausenden angekündigten Entlassungen in anderen Bereichen) zum Siemens Konzern: „Zwischen 2001 und 2003 fielen mehr als 30.000 Stellen im Kommunikationsgeschäft weg. Größter Posten war die damals schon prob­lembeladene Handysparte ICM mit 6600 Stellen." Bei der Einstellung der gesamten Handyfertigung verloren rund 3000 Arbeiter und Angestellte in München, Bocholt und Kamp-Lintfort ihre Arbeitsplätze. 9000 Stellen blieben bei der Ausgliederung des Siemens-Netzwerkgeschäfts in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Nokia auf der Strecke und aktuell sind 2000 Entlassungen bei Siemens Enterprise Networks angekündigt.

„Standortsicherung" gegen kapitalistische Gesetzmäßigkeiten

Vom Wetteifer untereinander wird allerdings auch aus Kreisen der IG Metall berichtet. Danach sind hauptamtliche Funktionäre, Sekretäre und/ oder Bevollmächtigte ungefragt auf der Jagd nach dem Abschluss von „Standortsicherungs-Tarifverträgen". Da sie den Kapitalisten dafür etwas anbieten müssen, verhökern sie für den Vertragsabschluss u. a. die 35-Stunden-Woche.

28 Jahre, vom 1. Januar 1967 bis zum 1. Oktober 1995 hat es gedauert, bis sie mit Lohnausgleich für die Verkürzung der Arbeitszeit durchgesetzt werden konnte. Der Kampferfolg jahrelanger Auseinandersetzungen mit dem Kapital wird für das Linsengericht einer im Ernstfall nichts geltenden „Arbeitsplatzgarantie" (s. u.) geopfert. Abgesehen von der Sogwirkung auf Arbeitsverträge und die Arbeitsbedingungen in allen nicht-tarifgebundenen Betrieben hat das mit dazu geführt, dass nach Angaben der IG Metall die 40-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie annähernd wieder erreicht ist. Die tarifvertraglich geregelte Wochenarbeitszeit ist damit um 41 Jahre, auf den Stand vom 1. Januar 1967, zurückversetzt. Dabei arbeiten Arbeiter und Angestellte für immer weniger Lohn immer länger und zwingen sich gegenseitig dazu, ihre Arbeitskraft zu immer schlechteren Bedingungen zu verkaufen. Die Konkurrenz der Kapitalisten findet hierbei auf niedrigerem Niveau, mit weniger Lohn, mit längeren Arbeitszeiten und weniger Rechten für die Ausgebeuteten statt, ohne dass dadurch auch nur ein einziger Arbeitsplatz sicherer geworden ist. Solche Verträge kann das Kapital jederzeit unterschreiben, ohne ein größeres Risiko einzugehen. Dadurch lassen sich die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Spätestens wenn die nächste Entlassungswelle vor der Tür steht, zeigt sich, was sie wert sind. Dann fliegen sie den Belegschaften und Gewerkschaften vor die Füße. Da gibt es kein Zurück zu den alten Tarifverträgen. Das sind Traumtänzereien. Dann werden die Karten neu gemischt und für Arbeiter und Angestellte beginnt das alte Spiel von vorn. Erneut sind sie vor die Frage gestellt: „Standortsicherung" wie gehabt oder noch schlechter, für das, was übrig geblieben ist – oder Änderung der Gewerkschaftspolitik!

Gegen die Gier des Kapitals –
Mobilisierung der Belegschaften und Gewerkschaften!


Darum geht es in den Betrieben und Gewerk­schaften. Gegen die Gier der Kapitalisten nach Lohnabbau und unentgeltlicher Verlängerung der Arbeitszeit: Die Mobilisierung der Gewerk­schaftsmitglieder und Belegschaften gegen weitere Zugeständnisse für die Verteidigung und Erhaltung der Tarifverträge und als Gegen­forderung Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Die Voraussetzung hierbei ist die Beibehaltung der Arbeitszeit-Tarifverträge auf dem jetzigen bzw. ursprünglichen Stand. So z. B. bei der IG Metall die 35-Stunden-Woche, bei ver.di und anderen Gewerkschaften die 37,5-oder 38,5-Stunden-Woche. Eine solche Kampagne ist notwendig, um Gewerkschaften und Gewerkschaftsmitglieder wieder für ein gemeinsames Ziel zusammenzuschließen und in eine Kampfposition gegen die Forderungen des Kapitals zu bringen. Das würde ebenso die Forderung nach gleichen Löhnen für die Leiharbeiter, für einen gesetzlichen Mindestlohn, flexible Altersteilzeit u. a. erleichtern und unter­stützen.


 
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