Der neue Volksschädling ist gefunden. Er ist blond, braunhaarig, türkisch, deutsch, männlich, weiblich und... raucht. Bist Du es? Aber sicher! Du belastest die Versicherungskassen, tötest auf brutale Weise, weil selbstsüchtig, 8000 Menschen jährlich in Deutschland, in dem Du ihnen ständig Deinen perversen Qualm in die Fresse hauchst. Womöglich noch in Deinem Auto mit einem gesunden Kind hinten, schämst Du Dich nicht? Du gehörst angezeigt, verqualmst mir die Bude, meine Kleidung, selbst meinen Teller Müsli mit den getrockneten Apfelringen. Ja, Biedermeier und Saubermann beherrschen die Szene: „Hier, ich habe einen Raucher gesehen, Herr Polizist, ich habe es genau gesehen.“
Der Artikel "denunziert wird der Wirt" von Ivan wurde in der KAZ 319 - Kommunistische Arbeiterzeitung - nachgedruckt.
Der Raucher wird zuerst in die Ecke gedrängt, mit immer höheren Steuern gequält, schief angeguckt, von den Bahnhöfen verjagt, (dabei ist es ihm nicht einmal gestattet, an diesen eisigen Bahnhöfen ein wenig Wärme einzuatmen) gejagt und schließlich denunziert. Nun kommt er in den Bußgeldkatalog. Dieser wurde schon längst geschrieben, der Fiskus frohlockt.
Eine neue Art Politesse wird geboren; das Rauchen in den Gaststätten wird - verboten. Man stelle sich vor: Der Tag eines Studis: die Mühle falsch geparkt, dann in die Ecke gepinkelt, und nun mal eine durchziehen- ab in die Kneipe, jetzt ..., ahhhhh... Von wegen- die dritte Knolle an einem Tag und die Rechnung für die Studiengebühr liegt noch im Müll der anderen Mahnungen.
Der Tag eines Arbeiters: Im Betrieb: Rauchverbot, zu Hause: Rauchverbot (wegen der Kinder), Ehestreit, wegen der leeren Haushaltskasse, schon ewig keinen Sex mehr, stattdessen, Streitereien, also: ab in die Kneipe, um mit seinesgleichen bei einer Zigarette...endlich...durchzuatmen; jetzt...zündet sich eine an; die Vereinigung von Feuer und Tabak steigt zunächst in die Nase und gibt einen Vorgeschmack auf den lang ersehnten Höhepunkt im Leben der Lunge; Pustekuchen: Erst das Klopfen auf der Schulter, dann: „hasse datt Schild nich’ geseh’n? Hier iss Rauchverbot! Ja, Rauchverbot!“
[file-KAZ319.pdf]Denunziert wird der Wirt, ihm bleiben die Gäste weg, er kann den Laden dicht machen, bei diesem miesen Job bleibt ihm selbst gar nichts anderes übrig, als ...zu rauchen! Eine Kneipe ohne Raucher ist wie Bier ohne Alkohol; fad, es fehlt was...die Seele. Doch die verdampft allmählich in der genussfeindlichen und denunziativen Volksgemeinschaft. Ja, warum Volksgemeinschaft?
Es ist eine Hatz, wir kontrollieren uns gegenseitig, der Staat kassiert ab, nicht, um die Löcher in den Mauern der Mieter zu stopfen, nicht um den Schimmel in den Schulen zu beseitigen, nicht um die Ratten aus unseren Kellern auszurotten, nicht, um das zu beseitigen, was uns wirklich krank macht und -so viele von uns- zur Zigarette greifen lässt.
Wie sagte doch neulich ein Kollege zu mir: „Das fehlt mir noch, dass ich nach diesem scheiß Leben auch noch gesund sterbe...“
Inhalt (Text, keine Bilder und Medien) als Creative Commons lizensiert (Namensnennung [Link] - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen), Verbreitung erwünscht. Weitere Infos.
Na ja, so geizig bin ich in Kneipen ja auch nicht! Aber bin eh ein untypischer Nichtraucher. Na ja, ein Glas Rotwein mit Zigarette hat auch mir schon den ein oder anderen romantischen Abend eingebracht. Zumindest mehr Romatik als, z.B. ein Pfingstgebet. Doch auch unter Männern, so Brecht, ist die Zigarette stimulierend: "Fast immer, wenn einige Männer beisammensitzen, entsteht, durch Alkohol und Tabak übrigens sehr begünstigt, Literatur." Könnt man ja fast noch zum Raucher werden...
Kommentar zum Artikel von Lars:
Freitag, 23.02.2007 - 20:49
Ein Hoch auf den Nichtraucher Ivan. Stephan, die ökonomische Seite ist doch -wie immer- die Entscheidende. Das kneipensterben greift sichtabar um sich. ersetzt wird es durch teure, gelackte Schuppen fürs zahlungskräftigere punblikum, ketten- /kapitalstärkere vertreter eben. die kneipe mit identität und kultur wird es ohne rauchen nicht mehr geben. denn -und das ist wissenschaftlich x-fach bewiesen- die raucher sind die aktiveren konsumenten. eben genussfreudigere, geniessende menschen. ein durchschnittlicher raucher gibt in dr kneipe eben mehr aus als der durchschnittliche nichtraucher und er geht durchschnittlich auch öfters hin, davon lebt der wirt. die momentan gallopierenden, gesundheitsvertreter aus der übewiegend kleinbürgerlichen ecke werden den umsatzausfall kaum ersetzen, denn sie trinken geizig wie se sind ihren rotwein daheim. stellt euch leute vor, die für sexverbot sind und ihr wisst, wen ich meine. so, also das rauchverbot ist das staatlich verordnete ende vernüftiger kneipen. zur untermauerung. die deutsche bahn hat vor jahren schon mal rauchverbot im speisewagen eingeführt (also bistro wie das jetzt heißt), worauf hin der umsatz um mehr als 50% einbrach. mit dem unfall in eschede gab es zum teil keine rauchwagen in den anschließend eingesetzten ICE-kurzzügen und man erlaubte das rauchen im speisewagen wieder. still und heimlich blieb es dann so und die kasse stimmte wieder. nu ist wieder rauchverbot und ich nicht mehr im bistro, aber auch sonst keiner wie man von außen sieht. das ist dann das beste argument den speisewagen wegen nicht-wirtschaftlichkeit ganz abzuschaffen. so läufts business. also dann, gehen wir nochmal in die kneipe, solange es sie noch gibt.
Kommentar zum Artikel von Stephan:
Freitag, 23.02.2007 - 20:37
vielleicht ist es ja auch ganz nett, wenn die Kneipe nicht verräuchert ist. Gewöhnt es Euch ab, dann habt ihr auch mehr Geld fürs Bier
Kommentar zum Artikel von hw:
Freitag, 23.02.2007 - 19:22
"Kneipen nicht rauchen ist wie Sexverbot im Bett" Also das nenn ich zitabel!
Kommentar zum Artikel von Ivan:
Freitag, 23.02.2007 - 18:20
Das ist es ja Alex, die Denunziantenerziehung findet an einem irgendwie plausiblen Sachverhalt statt. Aber rauchen ist nun mal wie trinken eine gesellschaftlich gewachsene Kultur. Ich wollte noch schreiben, wenn ich gute Luft will, geh ich in den Wald (solange wir noch keinen Eintritt zahlen müssen) oder in die Sauna, was schon teurer wird, oder ich setze mich in den Park. In Kneipen nicht rauchen ist wie Sexverbot im Bett
Kommentar zum Artikel von secarts:
Freitag, 23.02.2007 - 18:17
"Wieso unterstellst du mir derartige Intoleranz?" - Alex
Hab ich dir was unterstellt? Hab ich dich indirekt zitiert? Hab ich was gegen Intoleranz!? Doch ließ selbst:
"und auch Kneipen stell' ich mir ohne Raucher wesentlich angenehmer vor" - nochmal Alex
Wenn du dir irgendwas "wesentlich angenehmer" vorstellst, könnte man dann nicht evtl. annehmen, dass du es auch lieber so hättest? Oder ist das jetzt eine zu abwegige Schlußfolgerung?
• Kommentar zum Artikel von 127712:
Freitag, 23.02.2007 - 18:10
"In den "rauchfreien Kneipen" wirst du dann alleine hocken können. Ist's das, was du willst?"
Wieso unterstellst du mir derartige Intoleranz?
Kommentar zum Artikel von secarts:
Freitag, 23.02.2007 - 18:03
Es hat halt immer was damit zu tun, auch mal das hinzunehmen, was einem selbst nicht passt - und dafür selbst ja schließlich auch seine Freiräume, die vielleicht andere ebenso stören, nutzen zu können. Alles andere ist, und da gebe ich dem Autor definitiv recht, Blockwartmentalität, Ungeselligkeit und Genußfeindschaft. In den "rauchfreien Kneipen" wirst du dann alleine hocken können. Ist's das, was du willst?
• Kommentar zum Artikel von 127712:
Freitag, 23.02.2007 - 17:56
Aus - zugegeben - völlig egoistischen Gründen finde ich rauchfreie Gebäude echt gut. Ich kann den Gestank auf den Tod nicht ab, und auch Kneipen stell' ich mir ohne Raucher wesentlich angenehmer vor...
Was nicht heißen soll, dass ich die Art und Weise solche restriktiven Maßnahmen durchzuführen gutheißen kann. Wie schon im Artikel:
"Es ist eine Hatz, wir kontrollieren uns gegenseitig, der Staat kassiert ab, nicht um die Löcher in den Mauern der Mieter zu stopfen, nicht um den Schimmel in den Schulen zu beseitigen, nicht um die Ratten aus unseren Kellern zu bekämpfen, nicht, um das zu beseitigen, was uns wirklich krank macht und uns zur Zigarette greifen lässt."