Der Mann für Rechtsaußen, Thilo Sarrazin, weiß Rat: "Dann muss Griechenland das tun, was jeder Schuldner tut - es meldet eben Insolvenz an." Es bestehe "gar keine Notwendigkeit über Hilfen nachzudenken." Der zum Bundesbanker geadelte, verdiente Berliner Sozialdemokrat: "Griechenland hat ein Haushaltsloch in der Höhe von 25 Prozent seiner Ausgaben. Als ich 2001 in Berlin Finanzsenator wurde, hatte ich auch ein Haushaltsloch von 25 Prozent. Am Ende hatte ich nach fünf Jahren einen Überschuss." Will man Umfragen Glauben schenken, dürfte Sarrazin in etwa die Stimmung von gut zwei Drittel der Bevölkerung treffen. Man möchte schließlich nicht 15 Jahre auf Reallohnsteigerungen verzichtet, das Ausbomben des Sozialstaates und einen zunehmenden Armutssektor akzeptiert haben, um nun das Geld den faulen Griechen zu schenken. Milliarden sind an die Banken geflossen. Nicht schon wieder. So, oder ähnlich dürfte das Sentiment strukturiert sein, mit dem sich Schwarz-Gelb vor der NRW-Wahl konfrontiert sieht. Es heißt also Zeit zu gewinnen.
Das ist nicht leicht. Denn die Dinge drohen aus dem Ruder zu laufen, wenn nicht substantiell gehandelt wird. Die Zinsdifferenz, (Spread), die Griechenland im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen mehr zu zahlen hat, stieg zuletzt auf 329 Basispunkte (3,29 Prozent). Die Refinanzierungskosten klettern damit bei 10-jährigen Anleihen für Griechenland auf 6,3 Prozent, mehr als das Doppelte, was die Bundesrepublik zu zahlen hätte. Die PASOK-Regierung muss nach eigenen Angaben in diesem Jahr 54 Mrd. Euro neu beschaffen. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von 240 Mrd. stehen die Griechen mit 300 Mrd. in der Kreide. Da könnte es teuer werden. Je unkonkreter die Hilfszusagen, umso teurer. Die Weigerung der Bundesregierung die Refinanzierungsprobleme Griechenlands durch eine Euro-Anleihe zu beheben, hat die Lage nicht gerade entspannt. Sie wird auch dadurch nicht besser, dass sich die EZB, als hätte es keine Subprime-Spekulation gegeben, ungebrochen auf die Bewertungen der Rating-Agenturen stützt. Die Akzeptanz von Anleihen des Eurolandes Griechenland durch die Europäische Zentralbank hängt momentan von der Bewertung einer - privaten - US-Agentur, von Moody´s ab. Das ginge auch anders.
Zumindest EU-Kommissionspräsident Barroso scheint zu dämmern, dass Griechenland nicht irgendein Schuldner ist, der mal eben "Insolvenz anmelden" kann - will man nicht Gefahr laufen, dass die ganze Eurozone auseinander fliegt: "Wir können nicht so weitermachen wie bisher". Er bitte "die EU-Staats- und Regierungschefs dringend", seinem Vorschlag zuzustimmen. Dieser sieht schnelle bilaterale, aber koordinierte Hilfe für die Griechen vor. Dieser Vorstoß wurde umgehend von der Kanzlerin abgebügelt. Europa müsse eine Solidarität zeigen, die die Probleme an der Wurzel packe und keine Solidarität, die Europa schwäche. Sie sehe im Augenblick nicht, dass das Land Geld brauche, schwenkte sie auf die Sarrazin-Linie ein: "Griechenland ist nicht zahlungsunfähig, und deshalb ist die Frage der Hilfen auch nicht die, die wir jetzt diskutieren müssen." Berlin will das Thema beim EU-Gipfel nicht auf dem Tisch haben. Ob das klappt, wird man am Ende der Woche sehen.
Finanzminister Schäuble hat derweil den Plan eines Europäischen Währungsfonds (EWF) popularisiert. Die Idee soll von Deutsche Bank-Ökonom Thomas Mayer stammen. Die Ackermänner wären bei einer Griechenland-Pleite mit einigen Milliarden dabei. Und nicht nur sie. Würde Griechenland tatsächlich "Insolvenz anmelden" stünden neben einer Reihe teuer geretteter Banken auch weitere Krisenstaaten im Feuer. Aber es geht um mehr. Ein EWF würde die bisherige EU/Euro-Struktur erheblich verändern. Hier wären Hilfen analog der IWF-Maßnahmen möglich. Und ebenso unter drastischen Auflagen. Die nationalstaatliche Autonomie würde weiter eingeschränkt. Der Fonds solle mit einigem Geld - die Rede ist von 200 Mrd. Euro - sowie entsprechenden Wirtschafts- und finanzpolitischen "Durchgriffsrechten" ausgestattet werden. Sie sollen bis zum Ausschluss aus der Eurozone gehen. Neutral formuliert, wäre damit ein weiterer "Integrationsschritt" getan. Da das deutsche Finanzkapital sich in einem EWF die Butter nicht vom Brot nehmen lassen dürfte, erscheint in dieser Perspektive die Krise als Chance den ökonomisch wichtigsten Teil Europas auch administrativ unter seine Fuchtel zu zwingen. Der Vergleich zu Bismarcks kleindeutscher Lösung drängt sich auf. Auch in der EU scheint man zugunsten größerer Kohärenz auf Vollständigkeit zu verzichten gewillt sein. Wer dann nicht spurt, fliegt. Eben "Solidarität, die die Probleme an der Wurzel packt."
Die EWF-Idee stößt allerdings nicht gerade auf ungeteilte Zustimmung. Die Risiken, für die Folgen der eigenen Exportoffensive in die Pflicht genommen werden zu können, sind eben so ungemütlich wie die Aussicht, als Teil des Problems wahrgenommen zu werden. Die Interessen des Finanzsektors an einer harten Austeritätspolitik sind zudem andere, als die der Exportwirtschaft an einem dauerhaft kaufkräftigen Absatzgebiet. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde erdreistete sich in der Financial Times (FT) zu fragen: "können die Deutschen nicht ein klein wenig tun?" Die Aufgrund geringer Lohnerhöhungen hohen deutschen Exportüberschüsse, seien "unhaltbar" für die europäischen Nachbarn, da sie deren Wachstum schwächten. Frau Merkel konterte den "großen Schlag" (FAZ) der französischen Finanzministerin: "Dort, wo wir stark sind, werden wir unsere Stärken nicht aufgeben", das sei "die falsche europäische Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents." Deutschland habe "zwischen 2000 und 2008 seine Exporte um 65 Prozent verbessert", rechnet die FAZ vor. Das meiste davon in die Eurozone. Wo es um die "Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents" geht, kann "Stärke" doch nichts schlechtes sein.
"Absurd wäre es auch, jetzt die Gewerkschaften in hohe Lohnforderungen zu treiben", findet die FAZ. "Ob das den Griechen oder den Franzosen hilft, ist fraglich. Sicher ist nur, dass es den deutschen Arbeitern wenig hilft. Im Gegenteil: Viele verlören ihre Jobs." Da ist man in der Frankfurter Redaktion doch stolz auf seinen neoliberalismusaffinen IG-Metall-Chef Berthold Huber, der habe "den Sirenenklängen der Neokeynesianer bislang wie mit wachsverstopften Ohren widerstanden." "Ein Zurückschrumpfen der Industriebereiche, in denen traditionell die Stärke der deutschen Wirtschaft liegt, kann keine Lösung sein", habe Huber ausrichten lassen. So lange man bei den Gewinnern ist verträgt sich der Neoliberalismus doch nicht schlecht mit einer guten Portion Sozialchauvinismus.
Die haben allerdings schon die nächsten Schritte im Kopf. Für Ifo-Chef Hans-Werner Sinn sind die Löhne hierzulande noch viel zu hoch. Aus Angst vor einer "fehlgeleiteten Sozialpolitik" seien Kapital und Talente ins Ausland geflohen. Das erkläre "den hohen deutschen Exportüberschuss. Anstatt in Deutschland zu investieren, haben viele Unternehmen lieber Maschinen ins Ausland exportiert und dort die Arbeitsplätze geschaffen, deren Verlust man nun in Deutschland beklagt." Wer keine Lohnforderung stellt, kriegt als Dankeschön die Lohnkürzung.
Wesentliche Vertreter des Finanzkapitals scheinen sich keine Illusionen mehr über die substantielle Konsolidierung der gesamten Eurozone zu machen. Wie es aussieht, wollen sie die Krise als Momentum zu einer Strukturreform nutzen. Die Sanierung der griechischen Staatsfinanzen würden so zu einer taktischen Frage.