Das Bild des Imperialismus als Weltsystem, wie es die deutsche Linke sieht, ist das eines mehr oder weniger ruhigen Flusses, der sich gleichmäßig über die ganze Welt ergießt. Die Zusammenarbeit der Imperialisten scheint das Bestimmende zu sein. Das ist der Nährboden für Begriffe wie „Globalisierung“ und „TNK“1.
Seit 1990 geht es allerdings um die Neuaufteilung der Welt, hohe Wellen schlägt dieser Kampf um Einflusssphären - ökonomisch, politisch und militärisch. Die Wellen werden nicht bestritten von der Linken, aber der „eigene“ Imperialismus, der deutsche, wird als zu schwach angesehen, um eine Gefahr darzustellen. Der US-Imperialismus tritt offen aggressiv auf, also ist dieser der Hauptfeind. Was auch populär ist und in der bürgerlichen Presse so publiziert wird. Die Neuaufteilung der Welt erfolgt nach der Macht, also nach dem Kapital. Eine andere Methode gibt es nicht. Aber stimmt das noch? Das ist zu untersuchen. Die Linken räumen ein, dass es einen „EU-Imperialismus“ gäbe. Dessen Ziel, bis 2010 die USA wirtschaftlich zu überholen, sei ja formuliert.Imperialistische PartnerDie Partner in diesem Gebilde EU gehen Bündnisse ein, u. a. auch um dieses vorläufige Ziel zu erreichen. Das wichtigste Bündnis - neben anderen - ist zurzeit noch das „transrheinische“, die Achse Berlin-Paris. Der französische Imperialismus sieht darin einerseits eine Stärkung der eigenen Position gegenüber dem US-Imperialismus und will anderseits den ökonomisch stärksten Imperialismus in Europa kontrollieren. Und den gefährlichsten, wie die gemeinsame Geschichte zeigt.
Die Drohkulisse des deutschen Imperialismus ist eine alte: Er droht mit Alleingang, vorerst innerhalb Europas. Dass er das auch durchzieht, zeigt wieder die Geschichte, aber natürlich auch die Einverleibung der DDR und seine Aktivitäten auf dem Balkan. Beides wurde von den anderen Imperialisten scharf kritisiert. Chirac versuchte eine Eindämmung des agilen Partners mit der Formel vom „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, was Schäubles „Kerneuropa“ entspricht. Fischer brachte es auf den Punkt mit dem „Kern von Kerneuropa“. Eine ungleichzeitige Entwicklung wird angenommen, aber die stärksten Partner sollen schon im gleichen Trab bleiben, wenn es um die Hegemonie in Europa geht. Der Anlass des Schulterschlusses war, dass die „Achse des Bösen“, diese Kriegserklärung des US-Imperialismus, Staaten betraf, in denen die europäischen Hauptimperialisten Interessen haben: Iran und Irak. Schröder holte Chirac ins Boot. Der Deal war, Chirac sollte auf die französischen Öl-Interessen (Total-Elf) im Irak verzichten, um dafür seine Claims in Afrika abzustecken. Die deutschen Irakgeschäfte liefen zwar ganz gut, jedoch ohne Ölinteressen. Bush wurde alleine in ein Schlamassel geschickt - so wird die Welt neu aufgeteilt.
Die Achse ist brüchig[file-periodicals#35]Ein Imperialist mit neuem Programm tritt auf. Sarkozy bevorzugt eine „Gruppe der sechs Stärksten“ in Europa, um die französischen Interessen zu sichern. Als Wirtschaftsminister verkündete er, in seiner Industriepolitik kenne er „keine Freunde, schon gar keine deutschen“ (SZ 26./27.6.04). Neue zwischenimperialistische Widersprüche also, die am Beispiel EADS klargemacht werden können. Immerhin werden bei Airbus schon mehr Flugzeuge produziert als bei Boeing, wobei das Rüstungsgeschäft noch besser läuft als das zivile. Der Katalysator war der A380 als Symbol deutscher Großmachtgelüste. Mit seinen Problemen begann verstärkt das Ranking der deutschen und der französischen Monopolisten darum, wer in diesem Kartell das Sagen hat.
Nun ist die Doppelspitze bei EADS weg, es wird wieder französisch gesprochen im Vorstand, wobei ein kompliziertes „Check and Balance“ den deutschen Einfluss sichern soll – ein dünner Deckel auf den brodelnden Gegensätzen (Jetzt fliegen Insidergeschäfte auf!). Dieser „TNK“, sollte es ihn je gegeben haben, ist also geplatzt. Ebenso wenig kann vor diesem Hintergrund von einer „europäischen“ Bourgeoisie gesprochen werden. EADS braucht die jeweiligen Nationalstaaten, um die Verluste sozialisieren zu können (In diesem Kartell EADS werden übrigens die deutschen Interessen von Daimler vertreten, und nicht von staatlichen Holdings wie auf französischer, spanischer oder russischer (!) Seite.). Trotz der Verwerfungen ist EADS nach wie vor die militärische Antwort auf die Überlegenheit des US-Imperialismus, wie sie den deutschen Imperialisten während des Balkankriegs vorgeführt wurde. Nunmehr ist die Überlegenheit mehr durch die Kriegserfahrung des US-Imperialismus bestimmt als technologisch. Die transrheinische Achse ist brüchig, aber die Räder rollen gegen den US-Imperialismus.
Mit Waffenprojekten wie dem Eurofighter soll eine einheitliche technologische Basis geschaffen werden. Mit dem Vorgänger Tornado gelang der entscheidende - deutsche - Schritt zur eigenständigen Luftwaffe. Franz Josef Strauß hatte mit dem Starfighter-Know-How den Boden bereitet. Nun treten auch Lenkwaffen in Konkurrenz zu den bisher dominanten US-Herstellern. Und mit Galileo soll die Unabhängigkeit vom US-amerikanischen GPS gesichert werden. Es ist eine Stammtischparole, dass die Bundeswehr nur Schrott habe.
Der Sprung nach dem OstenDer deutsche Imperialismus war nach der Niederlage des Sozialismus der Einzige weltweit, der sein Staatsgebiet vergrößern konnte (Und sein Staatsvolk, wie sich mit dem EU-Vertrag vorteilhaft herausstellt!). Zu Beginn der 90er Jahre, wieder zum Sprung nach dem Osten geduckt, nahm er das Ziel auf, das er seit 200 Jahren verfolgt: die Dominanz in Europa.
Ein Alleingang war nicht opportun, so wurde das transatlantische Bündnis genutzt. Vor allem von Deutschland wurde anfänglich die Nato-Osterweiterung vorangetrieben, von Seiten der USA eher zurückhaltend. Rechtzeitig musste verhindert werden, dass sich die neu entstehenden Bourgeoisien mit den GUS-Staaten verbünden. Das war das Vehikel, um sich die Ressourcen der osteuropäischen abhängigen Staaten zu Nutze zu machen.
Ohne militärische Unterwerfung ist die ökonomische Abhängigkeit weit gediehen: EON und RWE bestimmen den osteuropäischen Energiemarkt, deutsche Banken kontrollieren die Kapitalströme, Metro und REWE füllen die Läden und deutsche Verlage bilden über die Zeitungen die herrschende Meinung.
Die kleinen nationalen Bourgeoisien proben den Aufstand, nachdem sie die diktierten Beitrittsbedingungen abnicken mussten. Verhandelt wurde überhaupt nicht. Schüssel (Österreich) zusammen mit dem tschechischen Regierungschef wagten 2003 den Versuch einer Koordinierung, worauf Fischer prompt mit der Drosselung der EU-Mittel drohte. Die schwachen neuen Bourgeoisien in den ehemals sozialistischen Ländern werden in die Arme des US-Imperialismus getrieben. Indizien sind die US-Pläne einer Raketenstationierung in der Tschechischen Republik oder der polnische Waffenkauf bei Lockheed statt bei EADS. Vereintes Europa? Unter dem Diktat der Monopole ist es unmöglich - oder reaktionär.
Neue Rolle in der Welt„Erst wenn Deutschland zu einem ausgewachsenen Mannsbild herangereift ist, kann es sich von den Amerikanern loslösen“ (F. J. Strauß). Das transatlantische Bündnis hat die BRD gegenüber Europa gestärkt. Die Nato hat entscheidend zum Aufstieg des deutschen Imperialismus beigetragen. (Das Kalkül des US-Imperialismus war ursprünglich ein anderes, nämlich Eindämmung des bekannt aggressiven Partners und zugleich Bollwerk gegen die Sowjetunion.) Deutschland befinde sich „ökonomisch auf Augenhöhe“, wird ihm von US-Börsenhaien konzediert. Und auf dem Rücken des US-Imperialismus ist der deutsche Imperialismus an allen Fronten dabei. Die erste Stufe des Aufstiegs, die „Normalisierung“, kann als abgeschlossen betrachtet werden. Es wird nun „internationale Verantwortung“ übernommen. Ist das Mannsbild so weit?
Der EU-Vertrag sieht eine zwangsweise Militarisierung aller Mitglieder vor. Nach Schäubles „Europapapier“ soll den Nationalstaaten die Zuständigkeiten für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entzogen werden, um sie den/dem stärksten Imperialisten zu überlassen. Darum ist der EU-Vertrag (die „Verfassung“) so wichtig für den deutschen Imperialismus. Ein nächster Schritt ist gemacht mit dem neuen EU-Außenminister - auch wenn er nicht so genannt werden darf.
Der Kamm des deutschen Imperialismus schwillt. Das Mannsbild ist konkret eine Frau und bei ihrer ersten Rede vor der UNO forderte Merkel forsch den Sitz im Sicherheitsrat. Gleich darauf zeigt sie dem US-Imperialismus, wo’s langgeht: Neue Sanktionen gegen Iran seien notwendig; die Beweislast, keine Atomwaffen herzustellen, müsse beim Iran sein. Was einen Überfall erheblich erleichtert. Es wird der offene Anspruch gestellt, die Macht des US-Imperialismus auch politisch, nicht nur ökonomisch anzugreifen.
Der US-Dollar, diese jahrzehntelang scharfe Waffe im Wirtschaftskrieg, wird zunehmend stumpf. Der Iran nimmt starke Euros fürs Öl und betreibt die Gründung einer eigenen Ölbörse, wie auch Norwegen. Präsident Chavez in Venezuela ist für die Abkehr vom Öldollar. In der OPEC regt sich Widerstand und Saudiarabien will ebenfalls von der Fahne gehen. Der Euro ist eine strategische Veranstaltung und eine weitere, unverhüllte Kriegserklärung - an den US-Dollar.
Schlaglichtartig sollte gezeigt werden, wie sich die Widersprüche zwischen den Hauptimperialisten Europas, aber auch gegenüber dem US-Imperialismus zuspitzen. Von einem einheitlichen „EU-Imperialismus“ kann keine Rede sein. Und es wurde gezeigt, welche Ziele „unser“ Imperialismus hat, nämlich ein Europa „nach deutschem Wesen“ zu schaffen. Ihm ist vor einem dritten Versuch das Handwerk zu legen. Das ist die Verantwortung der deutschen Linken vor den Völkern Europas und der Welt.
Anmerkung der Redaktion:
1 TNK = "transnationale Konzerne"