www.secarts.org bekommt gelegentlich Post - per "
E-Mail", wie der elektronische Brief so schön heißt. Im Postfach, also unserer
Mailbox, landen verschiedenste
messages, die uns manchmal
hypen, gelegentlich aber auch
dissen - in der Regel für irgendetwas, was wir in den Augen mancher unserer Leser irgendwie falsch machen. Da gibts
Designkritik, Vorwürfe der
Diskriminierung, und Anfragen nach
kostenfreien Verlinkungen. Und manchmal auch Dinge, die so abseitig sind, dass man sie eigentlich nur bei unseren "Reichsnetz"-Seiten erwartet...
Wir rufen auf: Rettet die deutsche Sprache!
Wollen Sie per "Handy" "connected" werden, um die neuesten "News" durch die "Datenflatrate" super-aktuell per "High-Speed-Download" zu bekommen? Oder im "Job-Center" Schlange stehen, um professionelllen "Support" für ihr "Life-Management" in Anspruch zu nehmen? Nein? Oder Sie wissen es nicht - weil Sie eventuell gar nicht verstehen, um was es in den obigen Sätzen geht?
Dann geht es Ihnen wie zwei Dritteln aller Deutschen, die mit der alltäglichen Sprachverhunzung unzufrieden sind. Das Einsickern von Fremdwörtern ist, da machen wir uns nichts vor, ein alltägliches Ereignis. Das "Portemonnai" kam schon im 17. Jahrhundert zu uns und bleib uns bis heute, der "Computer" hat seinen Platz ebenfalls erobert und wird schwer zu ersetzen sein. Dagegen spricht nichts: manche Dinge sind einfach besser mit dem Wort aus der Sprache auszudrücken, aus deren Kulturraum sie stammen. Die völlig sinnfreie Ersetzung alltäglicher Wörter, für die es im Deutschen (mindestens) ebenso gute Entsprechungen gibt, ist allerdings ein Phänomen, welches so noch nie da war, und langfristig großen Schaden anrichten kann...
Werbeindustrie, Kulturmodernisierer und dem "Jugendwahn" Verfallene scheinen anzunehmen, dass etwas erst dann modern und modig klingt, wenn es - so der "denglische" Fachterminus - "aufgehyped" wird. Wir sind anderer Meinung! Die deutsche Sprache ist nicht nur unser verbales Kommunikationsmittel, sondern auch untrennbarer Transporteur kultureller Identität, und nicht zuletzt auch die Sprache, in der wir denken. Die Verstümmelung unseres Sprachschatzes schafft halbe Analphabeten, schafft kulturellen Kahlschlag, schafft geistig ärmere Inhalte und geistig ärmere Menschen...
[et cetera, et cetera... Die Redaktion kürzt hier um zwei Seiten redundante Beispiele. Auch auf den in der E-Mail angegebenen Link zur Sprachpflege verzichten wir - Google tut's auch.]
...wir fordern Sie also auf, sich zu beteiligen: an der Rettung unserer, der deutschen Sprache! An der Benutzung deutscher Wörter, wo es deutsche Wörter gibt, und an der Weiterverbreitung dieses Ausrufes! [...] |
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So weit, so gut. Die deutsche Sprache ist also in Gefahr. Nicht nur die Massen-
Mail-Versender, sondern auch die gute alte Rotations
journaille hat dieses Problem erkannt: seit Jahren tobt ein Streit durch die
Feuilletons, was den Gebrauch von Fremdwörtern in Druck,
Radio und Musik anbetrifft. Die "Grünen" fordern schonmal eine "Deutsch-Quote" beim Musikprogramm unserer Rundfunksender, der "Spiegel" wittert schon mal absoluten Kulturverfall, da die in deutsch abgefassten Sätze seit den Zeiten des ollen Goethe um durchschnittlich werweißwieviel Prozent weniger Wörter enthalten. Schuld ist Werbe-Neusprech, schuld ist der Migrantenanteil und schuld sind die ICQ- und SMS-Abkürzungen. ROFL. Retten kann uns nur die Rückbesinnung auf unsere eigene schöne Sprache, die große "Deutschstunde der Nation". Denn: deutsch sprechen heißt deutsch denken. Und am Deutschen Wesen soll... Na, Sie wissen schon.
Nicht so sehr die Franzosen mit ihrem "j't aime moi non plus" und all den "Croissants" und ihrem "l’art pour l’art" sind Schuld, sondern englisch - häufigst in seiner amerikanischen Variante, dem "american english". Dementsprechend sollten wir erstmal hier differenzieren: Wir haben es a) mit "Anglizismen", also aus dem Englischen übernommenen Fachwörtern oder Wortersetzungen wie dem "Computer", b) mit "Scheinanglizismen", die sich - wie das "Handy" - zwar englisch anhören, von keinem Engländer jedoch verstanden würden, und c) mit wirklichem "Denglisch", also einer Verquickung englischer Satzbausteine mit deutschen Morphemen (z.B. "downgeloaded") zu tun. Die Frage ist also zunächst, was wirklich kritisiert werden soll.
Anglizismen-SchismenWem der Gebrauch von Anglizismen (und, weiter gefasst, allen Fremdwörtern) prinzipiell nicht passt, bleibt nur die Rückbesinnung auf einen frei gesetzten Nullpunkt:
- Ganz Radikale mögen hier auf die germanischen Wurzeln zurückgehen, und zu Hornung ihrer Minne fröhnen. Problematisch wird es da schon bei "problematisch", denn das Wort hat altgriechische Wurzeln: "problematon". Also, weg damit. Solange man nur Bänkelsang zur Julfeier betreibt, mag das alles gutgehen. Schwierig wird's beim Webauftritt, wie uns manch Sprachkapriole gerade des rechtesten Flügels immer wieder neckisch vor Augen führt: da werden dann "elektronische Briefe" an den "Netzmeister" versandt, um die völkische "Weltnetzpräsenz" immer auf dem letzten Stand zu halten, was Hetzjagden gegen Fremdvölkische, wuchtige Massendemonstrationen unter dem Schutze zehntausender Polizisten oder weiterverbreitungswürdige Pamphlete gegen die "Verjudung" anbetrifft. Das alles klingt nicht nur gut deutsch - es ist es auch.
- Unsere Kulturkleinbürger in Erscheinungsform eines Sprachpuristen, geprägt durch die Sekundarstufe-II-Rezeption von Schiller, Lessing, Kleist, sind weniger engstirnig und gestatten auch dem alten Griechisch und Latein ein Verbleibensplätzchen im gestochenen Deutsch. Eine ganze Menge Wörter, gerade auch so schöne wie "Überkompensation" oder "rektale Regression", wären schließlich unter freiwilligem Verzicht auf das entsprechende Fremd- oder Lehnwort ungleich schwieriger (und lächerlicher) auszusprechen. Faustformel für diese Gattung: was vor 1800 reinkam, darf auch drinbleiben. Alles andere, abgesehen vielleicht von entsprechungsfreien Fachwörtern (zum Beispiel "Analsadismus"), wird beargwöhnt. Hat so ein obsessives Herumreiten auf "Kultur", "Geistesgröße" und "Sprach-Disziplin" (auf's scharfe "S" betont) was mit sexueller Frustration oder Angst vor Frauen zu tun? Man weiß es nicht, doch Rückbesinnung aufs Tradierte kann auch hier helfen: Luther zum Beispiel nannte die Frau in seiner berühmten Bibelübersetzung Biblia Deudsch von 1545 "die Männin"...
Es sollte bemerkt worden sein: solches Herangehen ist schwierig. Sprache ist immer etwas Lebendiges, Heterogenes, leicht zu Beeinflussendes. Und gerade europäische Sprachen sind nicht ohne ihren Kontext, also vor allem vergangene unnd umgebende Sprach- und Kulturkreise, denkbar. Wo also wird der Strich gezogen, vor dem es gut war, und nach dem es schlecht wird? Oder sollte man eine Quote haben, zum Beispiel 10 Prozent griechische Lehnwörter, 15 Prozent lateinische, 65 Prozent Wörter germanischen Ursprungs, und der Rest englische? Zumindest einige Sprachüberwachungskommissionen, die dann in den Beiräten des Rundfunks und Fernsehens ihr überbezahltes Unwesen treiben, wären damit zu erschaffen und unproduktiv zu beschäftigen.
Die Krux mit den ScheinanglizismenDas Thema Scheinanglizismen ist schnell behandelt - es betrifft schließlich keine Fremdwörter. Auch wenn Scheinanglizismen, wie beispielsweise "Oldtimer", "Talkmaster" oder "Ego-Shooter" verdammt englisch klingen, sind sie es nicht, und ein englischsprachiger Mensch würde kein Wort verstehen. Das "Handy", wohl das bekannteste Beispiel, bezeichnet nur im Deutschen ein Mobiltelefon - der gemeine Engländer würde es "cell"- oder "mobile phone" nennen und unter "handy" in etwa "praktisch" oder "handlich" verstehen. In manchen Fällen wäre es nur peinlich, wenn der anglophone Mensch unter dem deutschen "Dressman" in seiner Not, das Wort irgendwie zu verstehen, den Transvestiten entdecken würde...
Scheinanglizismen sind also deutsche Wörter. Der Urprung mag das Englische sein, doch da diese Wörter nur im Deutschen verständlich sind, stehen sie analog zu Lehnwörtern mit griechischem oder lateinischen Urprung (z. B. "reflektieren"), die auch kein Grieche oder Lateiner, so er dann beispielsweise im ewigen Eis gut konserviert und heute aufgetaut würde, verstehen würde. Jeder, der sich darüber erbost, sei auf die holden Minnesänger zurückverwiesen. Dort bekommt er (weniger verfälschtes) Ursprungsdeutsch.
Hausmeisterrumpelkammer = "facility management Kompetenz-Center"......oder: wie drücke ich mich möglichst unverständlich aus? Keine Frage: in der professionellen Prostitution, bekanner als Medienbranche (und dort wiederum insbesondere auf dem Straßenstrich, der Werbeindustrie), grasiert ein Irrglaube: Wenn irgendwas modern klingen soll, muss es sinnfrei sein. Diese Modewelle ist unterdessen übergeschwappt, auf Fußpflegestudios ("Beauty Farm"), Universitätsbetrieb ("Goethe-Jump" mit „Unfinished Print“ und „Art after Work“) und Behörden ("Job Center"). Der Hausmeister, der jetzt "facility manager" heißt, ist dafür ein trauriges Beispiel: er kann seiner Frau nicht mehr erklären, was er eigentlich macht ("
irgendwas mit assessment und waste dismission oder so, muss mal in meinem Brainpool suchen..."), und wird dafür noch schlechter bezahlt als vorher. Damit haben wir's eigentlich auch schon: das
Job-Kompetenz-Center heißt "Job-Kompetenz-Center", weil "Arbeitslosenverwaltungsinstitut" ein wenig zu herzlos klingt und das Wörtchen "Kompetenz" vorspielt, dort könne geballte Kompetenz am Walten sein. Da dem nicht so ist, muss man es wenigstens so nennen. Und da die Leute lachen könnten, wenn sie den Schwindel bemerken, drückt man's am Besten in einer Fremdsprache aus.
Etwas anders stellt es sich mit der "Jugendsprache" dar, die direkt durch kulturelle Einflüsse aus anderen Ländern und durch den Kontakt zu neuen Techniken geprägt wird. Neben den Rap- und Slangausdrücken, die durch die Populärkultur ins Land kommen ("Checka!!"), sind dies insbesondere computeraffine Wörter ("chatten" oder "simsen", statt "kurztextnachrichtenaustauschen" und dergleichen). Gelegentlich gelingt es solchen i. d. R. kurzlebigen Wörtern, den Sprung in die Alltagssprache zu schaffen: "Hooligans" oder "Rowdys" gibt es im Deutschen schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts (mit freilich leicht wechselnder Bedeutung), der "Computer" hat sich sein Daseinsrecht erobert ("Zuserechenmaschine" klingt einfach zu gedrechselt), und "mobbing" wird noch lange ein Problem am Arbeitsplatz bleiben...
So weit, so schlecht? Keineswegs. Sprache ist Werkzeug, und insofern hat sie flexibel zu sein. Wer heute schreit, dass die (abendländische) Welt unterginge, weil nicht mehr wie zu Zeiten Goethes parliert wird, liegt schlicht falsch. Wer das Problem allmählicher Sprachverstümmelung eher in schlechter Schulbildung und bewußt kalkulierter Massenverblödung via "Deutschland sucht den Superstar" sucht, liegt richtiger. Wer jedoch denkt, dieses Unbill durch Deutsch-Quoten, Feuilleton-Appelle oder Rückbesinnung auf teutsche Werte zu lösen, ist völlig auf dem Holzweg (ein schönes Wort übrigens, kommt von den früher ins Hochmoor gelegten Wegen aus Baumstämmen zwecks Torfabtransport, die irgendwo im Nichts aufhören. Die passende Ergänzung dazu wäre "Torfkopp").
Es ist wieder ein bißchen so wie mit dem berühmten "Binnen-I": Wenn sich die Diskriminierung der Frau schon nicht durch sprachliche Korrekturen lösen lässt, wird sich auch die Verdummung der Bevölkerung nicht durch Verteidigung des Genetivs aufhalten lassen. Wichtiger wäre eine bessere Bildungspolitik, zum Beispiel. Gleiche Bildungschancen für alle, Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, endgeldfreie Schulmittel und Universitäten, dies brächte mehr als alle bildungsbürgerlichen Hilfeschreie um die gute, alte Kultur, die sowieso nur noch für ein paar besserbezahlte Wolkenkuckucksheimgelehrte verfügbar ist. Und wenn der Genetiv dann trotzdem ausstürbe, wäre es wenig schade um ihn.
Sprache ist Werkzeug, und Sprache ist Waffe. "Haltet sie scharf!", rief der große Tucholsky einmal. Dementsprechend sollte uns klar sein: Ob der Kapitalist jetzt "Expropriateur", "Betriebsgefolgschaftsführer" oder "Teamleader" genannt wird, ändert nichts an seiner Eigenschaft als Ausbeuter. Wichtig kann für uns nur sein, ihn trotzdem anzugreifen - und idealer Weise so, dass unsere Zielgruppe dies auch versteht. Gut und verständlich zu schreiben kann nur Mittel zum Zweck sein, niemals jedoch Selbstzweck.
Unseres Erachtens ist es sinnlos, in der Kritik der Zustände auf der sprachlichen Ebene hängen zu bleiben. Die Sprachreformer dürfen uns also aus dem Mailverteiler werfen, denn sonst machen wir hemmungslos von "delete" Gebrauch und schaffen sie auf die "Spam"-Liste. Den Ruf nach "gutem Deutsch" ist in etwa so zielführend wie die Kritik an der unästhetischen Farbe des ALG2-Formulars, anstatt das ALG2 an sich zu kritisieren. Und der Webmaster wird weder schlauer noch besser, wenn er sich "Weltnetzmeister" (oder, besser noch: "Weltnetzführer") nennt. Andererseits klappt's auch andersherum nicht: durch Anglizismen deutsche Großmannssucht zu exorzieren muss eben auch schief gehen, solange man bei Symptomen bleibt und keine Ursachen sehen will... So übersetzten in einer Umfrage bespielsweise über 70% aller Befragten den SAT1-Werbeslogan
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Wir, von secarts.org, bleiben also dabei: Anglizismen? Unseretwegen... Aber dann wenigstens auf Englisch!