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Die Zeitung „Junge Welt” hat die Parteidebatte in der DKP für wichtig und interessant genug gehalten, um jeweils zwei beteiligte Genossinnen und Genossen um Beiträge zu vier Themen zu bitten: Kapitalismusanalyse, Ausweg aus der Krise, Parteiverständnis und Gewerkschaftsfrage. Die UZ hat die insgesamt 8 Beiträge in ihren Ausgaben vom 30.7.2010 und in den beiden folgenden Wochen veröffentlicht. Die Webseite kommunisten.eu veröffentlichte die Beiträge von Nina Hager, Uwe Fritsch und Rainer Perschewski. Das ist begrüßenswert und sollte als Anstoß begriffen werden. Die Beiträge in der Jungen Welt fielen durch Sachlichkeit der Argumentation auf. Alle Seiten in der Partei sollten diese Art, zu diskutieren, auch im innerparteilichen Umgang pflegen. Denn das Verständnis für die Argumente ist nicht nur bei Außenstehenden, sondern auch bei den eigenen Genossen größer, wenn der Ton stimmt, in dem sie vorgetragen werden. Ebenso ist es in einer Diskussion nicht sachdienlich, wenn bestimmte Positionen gar nicht erst zu Wort kommen. Die Diskussion geht dann trotzdem weiter, nur nicht offen. Sie schwelt unter der Decke. Auf Dauer ist ein solcher Zustand nicht haltbar.

Im Programm der DKP steht: „Die Mitglieder der DKP lassen sich von dem Grundsatz leiten, dass nur ein einheitliches, von der ganzen Partei getragenes Handeln das Unterpfand ihrer Aktionsfähigkeit und Stärke ist. Voraussetzung ist die solidarische Diskussion und die Erarbeitung von Übereinstimmung”. Bis zur Verabschiedung des Programms 2006 gab es in der DKP eine intensive Imperialismusdiskussion. Danach nicht mehr. Die mit der Verabschiedung nicht überwundenen, unterschiedlichen Sichtweisen wurden nicht ausdiskutiert. Statt dessen wird das Programm in der Imperialismusfrage unterschiedlich ausgelegt.

Nicht ausdiskutierte Differenzen in der Imperialismusanalyse

Spätestens mit den umstrittenen „Thesen des Sekretariats” wird über die Imperialismusanalyse erneut offen diskutiert, meist in Form einer Kritik an den Thesen. Walter Listl gibt sich in seinem Beitrag in der „Jungen Welt” (jW 22.7.2010, UZ 30.7.2010)1 als Verteidiger des DKP-Programms. Das sehe ich anders.2 Seine Analyse geht von Positionen aus, die zwar vor der Verabschiedung des Programms kontrovers diskutiert worden sind, aber ins Programm nicht aufgenommen wurden. Walter Listl spricht von „ständigen Formationswandlungen des Kapitalismus”, das Programm von „Entwicklungsstadien des Kapitalismus” und der Herausbildung des Monopolkapitalismus als der „wichtigsten Veränderung, die nach jener Zeit eingetreten ist, als Karl Marx den Kapitalismus erforschte.” (S. 6f.) Walter Listl schließt aus der ökonomischen Struktur des heutigen Kapitalismus auf einen „kollektiven Imperialismus” - eine Sicht, die man in das Programm aus guten Gründen nicht aufgenommen hat. Seine Sicht ist aber auch empirisch nicht haltbar. Darauf möchte ich anhand von Listls „Zahlenbelegen” in 3 Punkten eingehen:
  1. DAX-Konzerne in Auslandsbesitz
  2. Worüber gibt der Transnationalisierungsindex Auskunft?
  3. Selektiver Umgang mit Daten über ausländische Direktinvestitionen (ADI)


1. Walter Listls Zahlen zu den DAX-Konzernen

"DAX-Konzerne mehrheitlich in ausländischer Hand" liest man des öfteren in der bürgerlichen Presse. Walter Listl meint, auf „fast die Hälfte” der DAX-30-Konzerne träfe dies zu. Zuerst brachte das Handelsblatt 17.12.2007 die Meldung, die dann für zwei Jahre durch die gesamte Presse geisterte. Danach waren im Durchschnitt 52,6% der Aktien der 30 DAX-Konzerne in ausländischem Besitz. Da wurde jedoch mit der falschen Zahlenbasis gerechnet. Die Angaben treffen nur auf die frei handelbaren Aktien zu. Da können sich Prozentgrößen ergeben, die nichts über die Machtverhältnisse in den Konzernen aussagen. Beispiel: Die Merck KGaA ist mit ca. 70% in Clanbesitz, nur knapp 30% der Aktien sind frei handelbar. Dennoch erscheint sie auf der Liste mit 57% Aktien im Besitz von Ausländern. Das bedeutet real 57% von 30%, also 17% in Auslandsbesitz. Doch nehmen wir mal an, die Zahlen würden stimmen. Dann wären bei einer Hauptversammlungspräsenz von 50,7% (Durchschnitt 2005-2007) und deutschen Anteilen von 47,4% (100 minus 52,6) die 30 DAX-Konzerne ziemlich fest in „deutscher Hand”, denn es ist unwahrscheinlich, dass die ausländischen Aktionäre, die sich über viele Länder verteilen, auf der Hauptversammlung geballt erscheinen und in umstrittenen Fragen (die es selten gibt) einheitlich abstimmen. Bei einer Hauptversammlungspräsenz von etwa 50% genügen 26% für Mehrheitsbeschlüsse. Tatsächlich kommt es äußerst selten vor, dass bei Firmen in Streubesitz das Management überstimmt wird. Der spektakuläre Fall der Deutschen Börse 2005, als große Hedge-Fonds den Plan einer Übernahme der London Stock Exchange vereitelten, war eine seltene Ausnahme. Konzernführungen auch anderer Aktiengesellschaften zogen aus dem Vorfall die Lehre, dass mehr Sorgfalt auf die „Pflege der Aktionärsstruktur” und auf „investors relations” (Kontakte zu wichtigen Stimmrechtehaltern) zu verwenden sei.

In der Realität sagt die breite Streuung der Aktien wenig über die Macht in Konzernen aus. Möglichst breite Streuung, auch über viele Länder, bedeutet dezentrale Rekrutierung von Kapital und geht oft mit der Zentralisierung von Macht und Kontrolle bei wenigen Haltern der Stimmrechte einher. Das Beteiligungssystem wird seit mehr als 100 Jahren genutzt, um breiteste Mobilisierung von Kapital mit zunehmender Konzentration und Zentralisation des Eigentums zu verbinden. Das Vermögen von Deutschen im Ausland ist mehr als doppelt so hoch wie das von Ausländern in Deutschland.3 Die Schlagzeile von "deutschen Firmen in fremder Hand" klärt nichts auf, sondern trägt zur Anonymisierung von Macht und Reichtum bei, in einem Land, das zu den reichsten der Welt zählt und eine hohe Milliardärs- und Millionärsdichte aufweist. Die wichtigste Vermögensquelle der deutschen Milliardäre ist in der Regel großer Anteilsbesitz an Konzernen.4
Auch die Deutsche Bank sieht Walter Listl in der Hand von Auslandseigentümern. Das scheint von Jahr zu Jahr zu wechseln, nimmt man die Aktienstreuung zum Maßstab. 2008 war die Deutsche Post Großaktionärin der Deutschen Bank und somit 55% der Aktien in "deutscher Hand". Die Post verkaufte im Sommer 2009 ihren Anteil wieder. Doch auch ohne Post wurden auf der Jahreshauptversammlung 2010 fast alle Beschlüsse des Managements mit mehr als 90% Ja-Stimmen verabschiedet, bis auf den zur Vergütung der Spitzenmanager. Der bekam nur 58% Ja-Stimen. An den Machtverhältnissen hat sich durch den Ausstieg der Deutschen Post wohl nichts geändert. Dreiviertel der Aktionäre der Deutschen Bank sind institutionelle Anleger (Versicherungen, deren Fonds, Publikums- und Spezialfonds anderer Banken, Anlegervereinigungen, Kirchen, etc.) 46% waren 2009 deutsche Investoren (2008: 55%, 2007: unter 50%). Die übrigen Aktionäre verteilen sich auf viele Länder: an erster Stelle die USA (16%), dazu die Schweiz, Luxemburg, Frankreich, GB, Spanien, Österreich, Emirate, etc. 2010 betrug die Hauptversammlungspräsenz 35,1% der stimmberechtigten Aktionäre. 18% hätten also genügt, die HV zu majorisieren. Doch niemand versuchte, die Kontrolle der Deutschen Bank dem deutschen Finanzkapital zu entwinden. Dieses kooperiert und konkurriert mit dem internationalen Finanzkapital. Dabei kann es besonders in Krisen auf die Unterstützung des deutschen Staates rechnen, wie im Fall der Bankenrettungspakete, an deren Ausgestaltung Josef Ackermann, ebenso wie seine Kollegen von der Commerzbank, dem Bundesverband deutscher Banken und dem Allianz-Konzern maßgeblich mitwirkten.

2. Walter Listl und der Transnationalisierungsindex

Der Transnationalisierungsindex (TNI) wurde von der UNCTAD entwickelt. Laut Walter Listl mißt er: Anteile von „Umsatz, Beschäftigten und Aktienstreuung außerhalb der Heimat der TNKs” im Verhältnis zu den entsprechenden Gesamtgrößen. Laut UNCTAD, die auch die Statistik über die internationalen Direktinvestitionen führt, mißt er Anteile von Umsatz und Beschäftigten im Ausland und das Auslandsvermögen (u.a. Filialen) der TNKs an den jeweiligen Gesamtgrößen.5 Der TNI enthält also keinerlei Indikator zur Aktionärsstruktur – weder zur Streuung, noch zur internationalen Verteilung. Der TNI ist daher gänzlich ungeeignet, als Beleg für eine Internationalisierung des Eigentums im Sinne einer Auflösung der nationalen "Kommandohöhen" (Hilferding) zu dienen. Diese liegen wie eh und je überwiegend (zu etwa vier Fünfteln, wenn man nach der Verteilung der Muttergesellschaften der TNKs geht) bei den Finanzoligarchien der traditionellen imperialistischen Zentren.6 Die weltweite Finanzoligarchie schwebt nicht über den internationalen Wassern.

Sie setzt sich aus den Finanzoligarchien der großen kapitalistischen Staaten einschließlich ihrer Notenbanken, Aufseher und „Wettbewerbsbehörden” zusammen, die auch ihre Delegierten in die internationalen Gremien der Finanzoligarchie, wie IWF, Weltbank, WTO und BIZ entsenden. Das Unternehmen mit dem weltweit absolut höchsten Auslandsvermögen ist der US-Konzern General Electric (GE), der Hauptkonkurrent von Siemens. GE verfügt über fast das Vierfache an Auslands-, das Sechsfache an Inlands-Vermögen, seine Umsätze im Inland wie im Ausland sind höher und seine Marktkapitalisierung ist größer als die von Siemens, die Zahl der Beschäftigten geringer. Aber GE hat nur einen TNI von 52%, gegenüber einem TNI von 73% von Siemens. Der Fall GE zeigt: Ein großer Heimatmarkt, wie der US-Markt, ist von sehr großem Vorteil in der Konkurrenz auf allen Weltmärkten. Konzerne mit relativ kleinem Heimatmarkt, wie Siemens, benötigen dagegen eher einen hohen TNI. Ein TNI von 62% bei den 100 TNKs mit dem weltweit größten Auslandsvermögen bedeutet, daß sie im Schnitt 38% der in den TNI eingehenden Aktivitäten in ihrem Heimatmarkt realisieren. Die 62% verteilen sich auf alle übrigen Länder der Welt, in denen sie ihre Töchter und Beteiligungen haben.

Die deutschen Konzerne betrachten den eigenen Binnenmarkt schon lange nicht mehr als ihr Hauptabsatzgebiet. Seit Jahrzehnten bemühen sie sich mit Produktionsstandorten in den USA oder deren Nachbarstaaten, wie Mexiko, um Präsenz im US-Markt, dem immer noch größten Binnenmarkt der Welt. Im vorigen Jahrzehnt sind Standorte in den BRIC-Staaten dazugekommen. Jeder Konzern, der mithalten muß, will heute auch in Brasilien, Rußland, Indien und China "aufgestellt sein". Siemens und Co. setzen gerade auch in der derzeitigen Krise vor allem auf die Konjunkturprogramme der USA und Chinas, während sie zugleich das Abwürgen des Binnenmarkts in der EU durch Sparprogramme der Regierungen befürworten, weil dadurch die Lohnkosten in der „Heimat” niedrig gehalten werden.

3. Selektiver Umgang mit den Daten über ausländische Direktinvestitionen (ADI)

Laut Walter Listl war der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen 2008 mit 16205 Mrd. USDollar zehnmal so hoch wie 1990. Laut UNCTAD betrug er 2087 Mrd. im Jahr 1990 und 16207 Mrd. im Jahr 2008, war also ungefähr 7,7 mal so hoch wie 1990. Doch sagen solche absoluten Zahlen wenig über eine Zunahme des Verflechtungsgrades der Volkswirtschaften aus. Das absolute Wachstum könnte einem höheren Welt-BIP zuzuschreiben sein. Gerade um den Verflechtungsgrad geht es aber bei W. Listl, der mit seinen Zahlen einen „qualitativen Sprung der Internationalisierung des Kapitals, seiner globalen Struktur” nachweisen will. Über den Verflechtungsgrad gibt jedoch nicht die absolute Zunahme der Bestände an ausländischen Direktinvestitionen Aufschluß, sondern die Zunahme ihres Anteils am ebenfalls wachsenden BIP der Welt. Der prozentuale Anteil aller Bestände an ausländischen Direktinvestitionen am Welt-BIP betrug 1990 zehn Prozent, 2008 betrug er 26,8%. Er wuchs also von 1990 bis 2008 um 168% auf das 2,7-fache.7 Das ist nicht wenig, ist aber doch weit entfernt von der Größenordnung des Zehnfachen.

Außerdem gingen 1990 mit 108 Ländern die Daten von weniger Ländern in die Erhebung ein als 2008 mit 151 Ländern, vor allem wegen der erst nach 1990 für das Kapital erschlossenen Länder Osteuropas. Die Erhebung der Daten erfolgt erst seit 1990, so dass es für frühere Jahrzehnte keine Vergleichsdaten gibt. Der Wert von 26,8% ist ein Durchschnittswert, in den so unterschiedliche Länder wie Liberia mit 479% Auslandsvermögen gemessen an seinem BIP, Luxemburg mit 148%, Bulgarien mit 2% und Ungarn mit 137% eingingen, was kaum über einen Leisten zu schlagen ist. Ein Vergleich zwischen den großen imperialistischen Ländern dürfte aufschlußreicher sein. Gezeigt wird der Anteil der eigenen Bestände an Direktinvestitionen im Ausland (out) ebenso wie der von uslandskapital im Inland (in) jeweils in Prozent des BIP nach der Tabelle der UNCTAD:



Bei den 5 Ländern zeigt sich ein sehr ungleichmäßiges Bild. Der durchschnittliche Zuwachs im Verflechtungsgrad dieser 5 Länder mit dem Ausland ist mit 191,7% größer als im Durchschnitt der Welt mit 168%. Bei ausländischen Direktinvestitionen im Inland ist er mit 134% jedoch deutlich geringer als im Durchschnitt der Welt. Die Differenz zwischen in- und ausländischem Verflechtungsgrad deutet darauf hin, dass die Expansion der TNKs dieser 5 Länder in andere Länder größer ist, als das Eindringen der TNKs anderer Länder in diese 5.8 Die Ausgangsposition der 5 Länder ist 1990 höchst unterschiedlich, ebenso Tempo und Ausmaß der Zunahme ihres Verflechtungsgrads mit anderen Volkswirtschaften. Bei den DI im Ausland ist der Zuwachs am geringsten bei den USA und Japan, wo er weit unter dem weltweiten Durchschnitt liegt. Bei den DI im Inland ist der Zuwachs am geringsten bei den USA und Großbritannien. Bei Großbritannien war jedoch 1990 die Ausgangsposition in der Verflechtung schon etwa doppelt so hoch wie bei den anderen Ländern. Umgekehrt hat der extreme Zuwachs an Verflechtung bei den inländischen DI in Japan seine Ursache in einer extrem niedrigen Ausgangsposition von 0,3% im Jahr 1990. Da die entsprechende Zahl 2008 noch immer niedrig ist (3,9%), spielt Japans Zuwachs für die Gesamttendenz der 5 Länder kaum eine Rolle.
Weltwirtschaftlich am stärksten verflochten sind Großbritannien und Frankreich. Die BRD hat durch starke Zuwächse, vor allem im Ausland, zu den USA aufgeschlossen und sie im Verflechtungsgrad leicht übertroffen. Diese „Überholspur” hängt mit dem größeren US-BIP zusammen, aber auch damit, dass TNKs mit kleineren Heimatmärkten stärker auf Expansion im Ausland angewiesen sind als TNKs mit großem Heimatmarkt (Beispiel: Siemens und GE). Dabei hat die BRD aber noch längst nicht den Verflechtungsgrad erreicht, den Großbritannien und Frankreich besitzen.

Bei den ADI-Beständen im Inland ist sie nicht einmal auf dem Niveau, das Großbritannien bereits 1990 hatte. Die bei weitem größten Zuwächse im Verflechtungsgrad verzeichnet Frankreich mit hohem Zuwachs bei den inländischen und ausländischen Beständen. Ihm folgt die BRD, deren ausländische Bestände doppelt so hoch sind wie die inländischen. Hier dürften die Exportüberschüsse als wachsende Potenz bei den Kapitalexporten wirksam geworden sein. Vergleicht man die Ziffern für Japan, als das 1990 am wenigsten verflochtene Land mit denen für Großbritannien, als das 1990 am stärksten verflochtene Land, so stieg der Verflechtungsgrad bei beiden bis 2008. Doch änderte sich dadurch weder die Rangfolge im Ausmaß der Verflechtung noch der große Abstand zwischen beiden Ländern. Auch 2008 ist Großbritannien das am stärksten und Japan das am wenigsten verflochtene Land der fünf. Bei den DI im Ausland betragen die Bestände Großbritanniens 57,5% des BIP, die Japans 13,9%. Bei den Beständen ausländischer Investoren im Inland sind es bei Großbritannien 36,8% des BIP, bei Japan 4,9%.

Es macht wenig Sinn im Hinblick auf die großen Unterschiede im Verflechtungsgrad dieser beiden Länder von einer „globalen Struktur” der Internationalisierung des Kapitals zu reden. Offenbar spielen für die Art und Weise der Internationalisierung viele Faktoren eine Rolle, darunter geografische Bedingungen, historische Traditionen, Zugang zu Märkten und Rohstoffen, Bevölkerungswachstum sowie die politischen und Klassenverhältnisse.

Ein methodisches Problem

Statt von einer „globalen Struktur” kann man sehr wohl von „einer neuen Stufe der Internationalisierung” reden, bei der es um die „Vernetzung der Produktionsprozesse und Finanzströme über den ganzen Globus” geht. Diese Formulierungen des DKP-Programms bleiben genauer und realistischer als die von Walter Listl etwas „locker” verwendeten und interpretierten Zahlen, mit denen nicht das Ganze der Entwicklung betrachtet wird, sondern die Perspektive unzulässig nur in eine Richtung eingegrenzt wird. Als Gründe für den Internationalisierungsschub und den „Wechsel im Akkumulationsmodell” nennt das DKP-Programm die Produktivkraftentwicklung und die Suche nach einem Ausweg aus den Krisenerscheinungen seit Mitte der 70er Jahre.
Die „qualitativ neuen Entwicklungen” werden im Programm auf die Produktivkräfte (Informations- und Kommunikationstechnologien, Logistik, weltweite Vernetzung der Produktion) bezogen. Wenn Listl von einem qualitativen Sprung spricht, ist zu fragen: Worauf bezieht er sich und von welcher alten in welche neue Qualität wird gesprungen? Bezogen auf bestimmte Gebiete des vor sich gehenden Prozesses sind Sprünge wahrscheinlich. Falls jedoch ein qualitativer Sprung in den Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen gemeint sein sollte, ist dieser in der Realität nicht gegeben. Die Monopolbourgeoisien der großen imperialistischen Länder haben sich nicht aufgelöst.9 Für unser Land geht auch das DKP-Programm von der Existenz einer deutschen Monopolbourgeoisie aus.

Die TNKs sind eine „strukturbestimmende Form des Kapitalverhältnisses”, wenn damit der heutige Organisationstyp der Monopole gemeint ist (im Unterschied zu früheren Formen der Monopole: Kartelle, Trusts, Syndikate, Konzerne, Multis, aus denen die TNKs erwuchsen; Lenin spricht von „internationalen Kapitalistenverbänden”). Strukturbestimmend sind die TNKs auch für die heutige internationale Arbeitsteilung, ihre weitere Ausdifferenzierung, welche oft mit Entflechtung und Verschlankung auf nationaler Ebene einher geht. (Restrukturierungen, Shareholder Value, kaleneffekte). Daneben gab und gibt es aber auch weiterhin die Clusterbildung, bei der Wertschöpfungsketten Vorteile (Synergien) aus räumlicher Nähe schöpfen. Zu den TNKs als operativen Einheiten kommt die Form der Kooperationen und Joint Ventures zwischen TNKs. Sie haben weitgehend die früheren Kartelle abgelöst und sind flexibler als Kartelle. Dabei kann sich Konzern A mit Konzern B verbünden, um auf einem bestimmten Gebiet Konzern C zu schlagen und C kann sich auf einem anderen Gebiet mit B verbünden, um A zu schlagen. Bei den Kooperationen haben wir es mit einer komplizierten, aber verbreiteten Bewegungsform des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung zu tun. Sofern es sich bei TNKs um Monopole handelt, sind sie auch strukturbestimmend im Hinblick auf die Aufteilung des Weltmarkts. Doch von den laut UNCTAD nicht weniger als 82000 TNKs können nicht alle Monopole sein. Auch Zulieferer und Nischenhersteller sind transnational geworden, bis hinein in die oberen Ränge mittelständischer Hersteller. Aus einem Verständnis der TNKs als „strukturbestimmender Form des Kapitalverhältnisses in der gegenwärtigen Etappe” kann nicht jeder Aspekt des gegenwärtigen Kapitalismus deduktiv abgeleitet werden. Das wäre Dogmatismus. Hegel definiert Dogmatismus als "die Meinung, dass das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist, oder ... der unmittelbar gewußt wird, bestehe". (Phänom. S. 31; Encykl. § 32).

Und die Staaten?

Ein Fall von schematischer Ableitung liegt vor, wenn Veränderungen der Rolle der Nationalstaaten allein aus den TNKs und der Internationalisierung des kooperativen Arbeitsprozesses erklärt werden. So, wenn W. Listl den Nationalstaaten nur noch die Rolle zuweist, „um die günstigsten Standorte für die TNKs zu konkurrieren”. Noch deutlicher sind die „Thesen des Sekretariats”: „In der Krise verschärft sich der Konkurrenzkampf der Staaten untereinander, um dem Kapital den besten Investitionsstandort zu bieten.” (Thesen, S. 12). Natürlich konkurrieren die Staaten auch als Standorte, aber nicht nur. Sie sind zugleich Verstärker der national basierten Monopole. Monopole entstehen nicht aus dem Nichts. Sie sind aus der Konkurrenz erwachsen und müssen sich im Milieu der Konkurrenz behaupten. Dabei verzichten sie nicht auf die Hilfe ihrer Nationalstaaten, weder im Heimatmarkt und erst recht nicht auf der internationalen Bühne. Bereist Kanzlerin Merkel je China oder die Golfstaaten ohne die Konzernchefs im Troß? Ein großer Teil der heutigen TNKs wurde für die Weltmarktkonkurrenz erst fit gemacht durch umfangreiche Privatisierungen (zum Beispiel in den Bereichen Telekommunikation, Logistik, Energiewirtschaft) und durch die Aufkündigung von früher eingegangenen Klassenkompromissen. Das ging nur mit der Hilfe der Staaten.

Zwischenmonopolistische Weltmarktkonkurrenz spielt sich bevorzugt auf den größten Märkten ab: Die Öffnung (Deregulierung) der Heimatmärkte nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) erfolgte durch multilaterale und bilaterale staatliche Abkommen. Staatliche Wettbewerbsbehörden fungieren als Schiedsrichter bei der Aufteilung der Märkte zwischen den Monopolen. In den großen Staaten sind die Monopolstellungen der eigenen Konzerne durch die Öffnung der Heimatmärkte aber nicht bedroht. Die Öffnung geht (in Form von Rabattschlachten und Kostendruck) primär zu Lasten der Beschäftigten. Die Öffnung forciert die „Modernisierung” der heimischen Monopole, ist eine „Frischluftkur” gegen die Stagnationstendenz. Dies pflegt die neoliberale Presse zu bejubeln, besonders, wenn es dabei um die Privatisierung früherer Staatsmonopole geht.

Die marxistische Staatstheorie ist sehr viel komplexer als es in den „Thesen” und in W. Listls „Ableitung” aus der „TNK-Struktur” erscheint. Die marxistische Theorie des bürgerlichen Staates muss zumindest vier Aspekten Rechnung tragen:
  • der bürgerliche Staat ist ideeller Gesamtkapitalist,
  • er ist Instrument der Klassenherrschaft,
  • er ist Verdichtung von Kräfteverhältnissen.
In diesen drei Aspekten spiegeln sich widersprüchliche Interessen: Die Kapitalisten haben keine einheitlichen, sondern konkurrierende Interessen und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie kann nur gesichert werden, wenn dabei auch den Kräfteverhältnissen im Klassenkampf Rechnung getragen und nach dem Prinzip „Teile und herrsche!” ein Teil der Beherrschten integriert wird. Aus den Widersprüchen folgt:
  • eine relative Selbständigkeit des Staates.
Wenn W. Listl meint, „die internationale Verflechtung des Kapitals wird zur politikbestimmenden Tendenz”, dann betrachtet er lediglich das Kapital als „automatisches Subjekt”; herrschende Klassen wie auch die Verdichtung von Kräfteverhältnissen innerhalb der Staaten bleiben ausgeblendet. Konkret historisch gibt es jedoch keinen Kapitalismus ohne die beiden Hauptklassen, Kapitalisten und Lohnarbeiter. Deren Strukturveränderungen müssen Gegenstand einer konkreten Klassenanalyse sein, aber als Klassen werden sie nicht verschwinden, solange ihre soziale Rekrutierungsbasis im Zuge der Kapitalverwertung stets aufs neue reproduziert wird. Sie gehören zu den Bedingungen der Reproduktion des Kapitals. Das gilt aber auch für die Staaten, mit ihrer Funktion, „die Hegemonie der herrschenden Klasse durch Konsens und Zwang herzustellen”, und zwar als „Herrschaftsinstrument und Feld des Klassenkampfes zugleich.” (Programm der DKP, S.10)


Anmerkungen:
1 Walter Listl, „Globalisierung des Kapitals” (Link zum Artikel in der jW)
2 Dazu habe ich in einer Synopse zu „5 Streitpunkten in der Imperialismusdiskussion der DKP” argumentiert, die unter „Texte und Material” auf der Homepage der MASCH Essen zu finden ist.
3 Laut Bundesbankstatistik betrugen die Bestände an ausländischen Direktinvestitionen in der BRD 2006 konsolidiert 439 Mrd. Euro, die BRD-Bestände im Ausland im gleichen Jahr 811 Mrd. €. Der Stern berichtet für 2005 von 390 Mrd. ausländischem Investitionsbestand in der BRD bei 840 Mrd. deutschem Investitionsbestand im Ausland. Vgl. "Wem gehört Deutschland?" Stern 6-2008 vom 31.1.2008, S. 57 und S. 69.
4 Vgl. Vermögensquellen der deutschen Milliardäre, unter: http://www.alice-dsl.net/maschessen/Texte.html
5 Vgl. WIR (World Investment Report) 2010 unter: http://www.unctad.org/Templates/WebFlyer.asp?intItemID=5539〈=1
6 Zur Verteilung der 500 größten TNKs auf die Staaten der Welt vgl.: Beate Landefeld, Europäisiert sich die Bourgeoisie? Marxistische Blätter 1-2010, Seite 33ff.
7 Das gilt für die Bestände im jeweiligen Ausland. Die Bestände von Auslandskapital im jeweiligen Inland weichen davon leicht ab. Hier stieg der Verflechtungsgrad 1990-2008 von 9,8 auf 25,4% (um ca. 160%).
8 Nach Sektoren besteht etwa die Hälfte der ADI-Bestände aus Dienstleistungen, darunter Finanz-DL.
9 Vgl. Fußnote 6



 


 
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 S Kommentar zum Artikel von SeppAigner:
Montag, 13.09.2010 - 18:41

Das trägt zwar nichts zru Diskussion bei, aber ich möchte Euch trotzdem, mitteilen, das sich mich über den Beitrag der Genossin Landesfeld sehr freue , vor allem auch, weil das zu einem wichtigen Zeitpunkt kommt - im Vorfeld des Parteitags der DKP.