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NEUÜber Die Ukraine hinaus
  [4 pics,11 files] begonnen von Dima am 20.02.2022  | 137 Antworten
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NEUER BEITRAG05.01.2023, 22:06 Uhr
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FPeregrin

Über Die Ukraine hinaus jW morgen:

»De-Westernisation«

Ende der Dominanz

Das Jahr 2022 markiert den Wendepunkt: Westen verabschiedet sich als Hauptdarsteller von der Weltbühne

Von Jörg Kronauer

Hintergrund: Vertrauen verloren

»König Dollar sieht sich einer Revolte gegenüber«: So beschrieb im Dezember die US-Nachrichtenagentur Bloomberg die weltweit zunehmenden Bestrebungen, die Dominanz der US-Währung abzuschütteln. Global gesehen ist die Vorherrschaft des US-Dollar nach wie vor ungebrochen: Er ist die meistgenutzte Reservewährung; in ihm werden die meisten internationalen Geschäfte abgewickelt. Immer mehr Staaten – die meisten in Asien – suchen ihn allerdings zu umgehen. Der Anteil des US-Dollars an den globalen Reservewährungen liegt inzwischen bei weniger als 60 Prozent. Auch beim Handel steigt eine zunehmende Zahl an Staaten auf nationale Währungen um. Russland tut dies gezwungenermaßen, aber auch China, Indien und weitere Länder sind darum bemüht. Zuweilen klemmt es – aus Bangladesch etwa wird berichtet, der Handel in Yuan scheitere oft am eklatanten Handelsdefizit des Landes gegenüber China. Allerdings beginnen inzwischen auch weitere Staaten zum Beispiel in Südostasien, den Handel untereinander in nationalen Währungen zu tätigen. Auch an Alternativen zum Zahlungssystem SWIFT wird gewerkelt.

2022 hat die Revolte stark angefacht – und zwar, weil der Westen seine Zahlungssysteme und den US-Dollar als Waffe im Kampf um die Verteidigung seiner globalen Vorherrschaft nutzt. Das Einfrieren russischer Auslandsguthaben und der SWIFT-Ausschluss russischer Finanzinstitute haben weltweit noch dem letzten Staat klargemacht, dass man auf dünnem Eis steht, wenn man sich auf die westliche Finanzstruktur verlässt. Das gilt nicht nur für Staaten, die in irgendeiner Opposition zum Westen stehen, sondern auch für solche, die lediglich mit Gegnern oder Rivalen des Westens Handel treiben: Werden diese von der Nutzung des US-Dollar ausgeschlossen, ist der Handel mit ihnen futsch. Die westlichen Russland-Sanktionen seien »eine sehr wertvolle Lektion« gewesen, erläuterte Indonesiens Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati im November am Rande des G20-Gipfels auf Bali. (jk)


War 2022 das Jahr, in dem der Ukraine-Krieg das gesamte Weltgeschehen beherrschte? Nein, das wäre wohl doch zu kurz gegriffen, meint Wang Wen, Dekan des Chongyang-Instituts für Finanzstudien an der renommierten Renmin-Universität in Beijing. Natürlich war 2022 auch das Jahr, in dem Moskau sich stark genug fühlte, dem Westen mit seinem brutalen Waffengang gegen Kiew, der sich gegen zentrale westliche Interessen richtete, die Stirn zu bieten – »Russlands radikaler Versuch, mit der Anwendung militärischer Gewalt die US-dominierte internationale Ordnung zu brechen«, wie es Wang am Dienstag in der in Hongkong erscheinenden Tageszeitung South China Morning Post formulierte. 2022 sei jedoch zugleich viel mehr gewesen: vor allem das Jahr des »beispiellosen Aufstandes nichtwestlicher Länder gegen die etablierte Ordnung«. Wenn es denn ein passendes Schlüsselwort für 2022 gebe, ein Jahr, das an Bedeutung 2001 (Anschläge vom 11. September) oder 2008 (globale Finanzkrise) weit übertreffe, dann sei es wohl »De-Westernisation«, schrieb Wang: 2022 werde in die Geschichte eingehen als das »Jahr der ›Entwestlichung‹«.

Das sich längst abzeichnende, nun wohl hereinbrechende Ende der westlichen Dominanz über die Welt wird im außenpolitischen Establishment international seit Jahren diskutiert. In Deutschland ist die Debatte bislang recht wenig entwickelt. Die Berliner Außenpolitik ist immer noch darauf fixiert – so etwa Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr in seiner Prager Europarede –, lautstark ein »weltpolitikfähiges, geopolitisches Europa« zu fordern, um »unsere Werte und Interessen weltweit durchzusetzen«. Manche erschraken fast ein wenig, als vor drei Jahren Wolfgang Ischinger in seiner Funktion als Vorsitzender der Münchner »Sicherheitskonferenz« den Munich Security Report des Jahres 2020 vorstellte: Der deutsche Spitzendiplomat hatte seinem Bericht den Titel »Westlessness« (»Westlosigkeit«) verpasst, um Tatsachen wie diejenige zu diskutieren, dass die transatlantischen Mächte die »beinahe unangefochtene militärische Bewegungsfreiheit«, die sie um die Jahrtausendwende noch genossen, verloren hatten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wurde in dem Papier mit der Feststellung zitiert: »Wir waren an eine internationale Ordnung gewöhnt, die auf der westlichen Hegemonie seit dem 18. Jahrhundert beruht hatte. Die Dinge ändern sich.«

Wang skizzierte nun in der South China Morning Post in knappen Zügen, wie sich »die Dinge« weltweit im einzelnen geändert haben. Lateinamerika, der traditionelle »Hinterhof« der Vereinigten Staaten, in dem lange Zeit allenfalls einige europäische Mächte ein wenig wildern durften? Seit dem Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien würden 80 Prozent des Subkontinents »von linken Regierungen« kontrolliert, schrieb Wang: »Sie treten dafür ein, Distanz zu den Vereinigten Staaten zu halten und größere lateinamerikanische Unabhängigkeit und Integration zu fördern.« Die Staaten des südostasiatischen Bündnisses ASEAN? Sie hätten es bisher trotz allen Drucks aus dem Westen vermocht, »die gleiche Distanz zu China wie zu den USA zu wahren«. Auch die Staaten Zentralasiens seien erfolgreich um eine »Äquidistanz zu Russland, den USA, Europa und anderen Mächten« bemüht, während die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sich in wachsendem Maß »auf ihre strategische, unabhängige Entwicklung« konzentrierten. Indien wiederum halte – auch dies gegen starken westlichen Protest – an seiner Kooperation mit Russland und China fest. Der »Rest« der Welt mache sich in wachsendem Maße unabhängig vom alten Westen.

Und der transatlantische Westen selbst? Er könne »den Trend nicht stoppen«, sagt Wang voraus. Die USA hätten im vergangenen Jahrhundert »die Welt in größere Krisen geführt«; »ihre Führung« sei allerdings inzwischen »weniger überzeugend« geworden. Der Grund? Wang verweist exemplarisch auf die Pandemie, in der die USA ein desolates Bild abgaben, auf die »beispiellosen inneren Herausforderungen«, vor denen sie stünden – vom grassierenden Rassismus über ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis zu den Problemen mit Blick auf die »politische Ordnung«. Und Europa? Der Anteil, den der Kontinent an der Weltwirtschaft halte, schrumpfe immer mehr, konstatiert Wang. Um ein Beispiel anzuführen: Die Wirtschaftsleistung Indiens übertreffe mittlerweile diejenige Großbritanniens, seiner früheren Kolonialmacht. Das Land mit den größten Auslandsinvestitionen sei 2020 zum ersten Mal keine westliche Macht gewesen, sondern China, das zudem die Nummer eins in der Industrieproduktion und im Warenhandel sei. Auch die technologische Entwicklung werde zunehmend von Ostasien vorangetrieben und immer weniger von Europa und von den USA. Damit ist die ökonomische Dominanz des transatlantischen Westens im Kern bereits vorüber.

Das Jahr 2022 hat nun in einer Hinsicht einen Durchbruch gebracht: Zwar lehnt die große Mehrheit der Staatenwelt Russlands Krieg gegen die Ukraine klar ab. Doch zieht jenseits des Westens, so sehr dieser auch tobt, fast kein Staat daraus die Konsequenz, Russland mit Sanktionen zu belegen, um es als Machtfaktor auszuschalten. Das ist der »beispiellose Aufstand nichtwestlicher Länder gegen die etablierte Ordnung«, den Wang benennt. Dass er möglich ist, liegt am erfolgreichen Streben des »Rests« der Welt nach Eigenständigkeit; das wiederum gelingt inzwischen, weil immer mehr nichtwestliche Staaten – vor allem China, aber auch Indien und südostasiatische Länder – wirtschaftlich aufsteigen, während der Westen ökonomisch schrumpft. Wang stuft die Bedeutung des Jahres 2022 als mindestens ebenbürtig mit der Bedeutung des Jahres 1991 ein, in dem mit dem Kollaps der Sowjetunion der Kalte Krieg zu Ende ging.


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NEUER BEITRAG05.01.2023, 22:09 Uhr
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FPeregrin

Ebd.:

Multizivilisatorische Welt

»Verschiebung der globalen Macht nach Osten«


Chinesischer Exdiplomat: Westen nicht anpassungsfähig an neue Konstellation

Von Jörg Kronauer

Einer aus dem internationalen Außenpolitik-Establishment, der das Ende der westlichen Dominanz über die Welt schon lange prognostiziert, ist Kishore Mahbubani. Der Diplomat aus Singapur, der sein Land von 1984 bis 1989 und von 1998 bis 2004 bei den Vereinten Nationen vertrat und in dieser Funktion zweimal, im Januar 2001 und im Mai 2002, dem UN-Sicherheitsrat vorstand, tut sich seit vielen Jahren als Publizist hervor. Sein großes Thema ist, so lautet der Untertitel eines seiner Bücher, das im Jahr 2008 erschien, »die unwiderstehliche Verschiebung der globalen Macht nach Osten«. Sie hat er über die Jahrzehnte hin penibel beobachtet und beschrieben.

Dabei hatte er, so das Vorwort zu seinem jüngsten Buch »Das asiatische 21. Jahrhundert« (2022), immer auch ein spezielles Ziel: Als »Freund des Westens« habe er sich stets nicht zuletzt bemüht, den Menschen in Europa und Nordamerika nahezubringen, dass man sich an die globale Kräfteverschiebung nach Asien anpassen müsse, um weiterhin zu prosperieren. Diese sei nicht aufzuhalten – und wenn, dann höchstens mit kriegerischer Gewalt. Es sei »ein totaler Schock« für ihn gewesen, realisieren zu müssen, dass die jahrhundertelang dominierenden Mächte des alten Westens sich als völlig unfähig erwiesen, sich an den Aufstieg Asiens »intelligent anzupassen«. Die USA etwa seien zwar theoretisch »eine offene Gesellschaft«, deren Intellektuelle »die Ansichten des Rests der Welt« mit echtem Interesse zur Kenntnis nähmen. In der Praxis seien die Vereinigten Staaten jedoch »eine offene Gesellschaft mit einem verschlossenen Geist«. Damit könne man die notwendige Anpassung an die globalen Veränderungen nicht vollziehen.

Und Europa? Mahbubani stuft den Kontinent recht ähnlich ein. Im Frühjahr 2014 hatte er, vom Auswärtigen Amt in Berlin um einen Diskussionsbeitrag zur künftigen Entwicklung der deutschen Außenpolitik gebeten, vorhergesagt, das globale Staatensystem werde sich »weg von der monozivilisatorischen Welt mit einer dominanten westlichen Kultur (…) hin zu einer multizivilisatorischen Welt mit zahlreichen erfolgreichen Kulturen« bewegen. In dieser werde »die Fähigkeit zur interkulturellen Sensibilität eine wesentliche Voraussetzung dafür sein, um führen zu können«. Mit Blick auf die deutsch-europäischen Weltmachtambitionen fügte er trocken hinzu: »Diese Sensibilität fehlt Europa.«

An Kritik spart Mahbubani bis heute nicht. Im Oktober vom Handelsblatt befragt, warum die westlichen Bemühungen, China »demokratischer« zu machen, nicht zum Erfolg geführt hätten, antwortete er: »Warum sollte ein Land wie China mit seiner 4.000 Jahre alten Kultur sagen: ›Hey komm, lass uns so werden wie der Westen‹?« In Asien frage man sich eher, wie »eine Minderheit von zwölf Prozent der Weltbevölkerung« denn »den Rest der Welt bevormunden wollen« könne. Jenseits von Ökonomie und Militär, in den Sphären sogenannter Soft Power, trägt die stetige Bevormundung denn auch wohl eher zur Abkehr vom Westen bei.


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NEUER BEITRAG06.01.2023, 19:09 Uhr
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arktika

Der Russe war’s doch nicht? Der Russe war’s doch nicht, aber wer dann? Ach, wie wär das Leben doch langweilig, ohne die zwischen- u. innerimperialistischen Widersprüche ... Jetzt zumindest scheint die Front der "Der Russe war’s"-Fraktion (betr. die Pipeline-Sprengungen) zu bröseln, und dies innerhalb der jeweiligen Staaten. Wie war das doch mit den verschiedenen Kapitalfraktionen, die sich sehr uneins sind außer im Kampf gegen die jeweilige ArbeiterInnenklasse?
Jedenfalls gibt es am 5. Jan. einen sehr interessanten Artikel auf gfp, nach dem nun auch in der BRD sowie den USA dieser Propagandalüge auch von "höheren" Personen und bürgerlich-liberalen Medien offen widersprochen wird.

Tatort Ostsee
Nord Stream-Anschläge: Druck auf die Bundesregierung, Ermittlungsresultate vorzulegen, steigt. US-Medien und Regierungsbeamte aus Europa bezweifeln russische Täterschaft.


BERLIN/MOSKAU (Eigener Bericht) – Der Druck auf die Bundesregierung steigt, erste Ergebnisse der Ermittlungen zu den Nord Stream-Anschlägen bekanntzugeben. Hintergrund ist, dass die angebliche russische Täterschaft, die Politik und Medien im Westen allgemein suggeriert hatten, inzwischen von US-Leitmedien in Frage gestellt wird. Diese stützen sich dabei auf Einschätzungen auch europäischer Regierungsmitarbeiter, laut denen kein einziger Hinweis auf etwaige russische Täter vorliegt, während Moskau Interesse am Fortbestand der Pipelines haben müsse. In deutschen Medien wurden unlängst nicht näher gekennzeichnete „Leute im Berliner Regierungsbetrieb“ mit Äußerungen zitiert, die eine ukrainische oder polnische Täterschaft zumindest in Betracht ziehen. Als mögliche Ursache für eine etwaige westliche Täterschaft benennen US-Medien russische Spekulationen, im Fall eines schweren Mangels an Erdgas, wie er im nächsten Winter als nicht unwahrscheinlich gilt, könnten die Staaten Europas sich zum erneuten Bezug von russischem Pipelinegas gezwungen sehen. Nach wie vor ist nicht geklärt, wieso sich schwedische Kriegsschiffe kurz vor den Anschlägen in der Nähe der Tatorte aufhielten.

Keine Hinweise auf Russland

Drei Monate nach den Anschlägen auf die Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 weisen zum ersten Mal Mitarbeiter westlicher Regierungen die Behauptung, Russland könne für den Sabotageakt verantwortlich sein, öffentlich zurück. Schon kurz vor den Weihachtsfeiertagen hatte die Washington Post berichtet, „zahlreiche“ Regierungsmitarbeiter vermuteten „privat“, Moskau habe mit den Anschlägen nichts zu tun. Die Zeitung zitierte einen Beamten aus Europa mit der Einschätzung, es gebe „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ keinerlei Hinweis auf eine russische Täterschaft. Diese Einschätzung gründe sich, hieß es, auf Gespräche mit 23 Quellen aus Diplomatie und Geheimdiensten.[1] Ein Beamter aus Westeuropa wird sogar mit der Aussage zitiert: „Die Überlegung, dass Russland es war, hat für mich nie Sinn ergeben.“ Wie die Washington Post berichtet, beruht die jetzt bekannt werdende Skepsis nicht bloß darauf, dass an den Tatorten keinerlei Hinweise auf russische Täter gefunden worden seien, sondern auch darauf, dass die gewöhnlich umfassende US-Spionage beim Abhören russischer Stellen bis heute keinerlei Hinweise auf eine Mitwisserschaft aufgespürt habe. Das sei recht ungewöhnlich.

Hohe Reparaturkosten

Wenige Tage später legte die New York Times nach. Die Zeitung schrieb, die Nord Stream AG, die die Pipeline Nord Stream 1 betreibe, habe begonnen, die Reparatur der Leitungen in den Blick zu nehmen. Dies habe eine Person mit detaillierter Kenntnis über die Vorgänge berichtet.[2] Zuvor hatte Moskau entsprechende Pläne zwar nicht bestätigt, sie jedoch auch nicht dementiert. Der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak hatte im Interview mit der Nachrichtenagentur Tass mitgeteilt, Spezialisten stuften die Reparatur als „technisch machbar“ ein; unklar sei aber, wie viel sie kosten würde.[3] Der New York Times zufolge beläuft sich eine Schätzung auf rund eine halbe Milliarde US-Dollar. Die Zeitung weist darauf hin, es leuchte nicht wirklich ein, dass Russland eine Erdgasleitung zerstöre, nur um sie anschließend für hohe Summen wieder instand zu setzen. Dies gelte umso mehr, als Moskau weiterhin Transitgebühren für die noch getätigten Erdgaslieferungen durch Pipelines an Land zahlen müsse – und zwar an den Kriegsgegner, die Ukraine.[4] Hinzu komme, dass Moskau mögliche Gaslieferungen durch die Nord Stream-Pipelines nun nicht mehr als Lockmittel nutzen könne.

Europas Erdgaslücke

Tatsächlich läge eine solche Nutzung im russischen Interesse. Laut jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) stehen die Staaten Europas im nächsten Jahr bzw. im nächsten Winter vor einer Versorgungslücke von rund 30 bis 60 Milliarden Kubikmetern Erdgas; wo diese herkommen sollen, ist völlig unklar.[5] Gedeckt werden könnten sie durch die Pipeline Nord Stream 1, deren Durchleitungsvolumen rund 55 Milliarden Kubikmeter jährlich erreicht. Die New York Times zitiert nun einen leitenden Mitarbeiter von Gazprom mit der Äußerung: „Warte bloß einen einzigen kalten Winter ab, und sie werden um unser Gas betteln.“[6] Die Möglichkeit, in einer akuten Notlage doch noch auf die Nord Stream-Pipelines zurückzugreifen, ist durch die Anschläge zunichte gemacht worden. Hinzu kommt, dass Branchenexperten es durchaus für möglich halten, dass die Staaten Europas in Zukunft wieder russisches Pipelinegas in größerem Umfang importieren. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, gingen bei einem Fachtreffen, das das Oxford Institute for Energy Studies Anfang Dezember organisiert hatte, nur 40 Prozent aller Anwesenden davon aus, der Ausstieg Europas aus russischem Erdgas werde auf Dauer Bestand haben. 40 Prozent waren vom Gegenteil überzeugt.[7] Der Grund: Ohne kostengünstiges Erdgas könnten zentrale Branchen der europäischen Industrie nicht überleben.


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NEUER BEITRAG06.01.2023, 19:13 Uhr
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arktika

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Sanktionen aktiviert

Würde eine Reparatur der Pipeline Nord Stream 1 die Wiederaufnahme der Lieferungen zumindest theoretisch ermöglichen, so hat Kanada entsprechenden Überlegungen Ende 2022 einen weiteren Schlag versetzt: Es hat Sanktionen wieder aktiviert, die es speziell verhindern, eine im kanadischen Montréal überholte Siemens-Turbine, die für den Betrieb von Nord Stream 1 benötigt wird, nach Russland zurückzubringen.[8] Das erhöht den Aufwand für eine Instandsetzung der Erdgasleitung ein weiteres Stück. Hätte Ottawa eine etwaige Reparatur der Pipeline nicht im Blick, ergäbe die Aktivierung der Sanktionen zum Nachteil einer zerstörten Erdgasleitung wenig Sinn.

„Eine plausible Erzählung vorlegen“

Nicht nur in führenden US-Medien wird eine russische Täterschaft mittlerweile als recht unwahrscheinlich eingestuft. Auch „Leute im Berliner Regierungsbetrieb“, so wird berichtet, stellten „unter der Hand Fragen ..., die für Unruhe in der Nato sorgen könnten“: Hätten nicht „die Ukraine und Polen mit größtem Nachdruck von Deutschland den Verzicht auf die Nord-Stream-Leitungen gefordert?“[9] Ein nicht namentlich genannter hochrangiger Militärexperte wiederum wird mit der Aussage zitiert, man möge „sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn irgendwann mitten im Krieg herauskäme, dass ein Nato-Staat bei der Bombardierung der umstrittenen Pipeline geholfen oder von entsprechenden Plänen gewusst habe, ohne sie zu verhindern“.[10] Mit Blick darauf dringt nun der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, darauf, Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen zu präsentieren, „weil die wilden Spekulationen in dieser unklaren Situation nicht ungefährlich sind“.[11] Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), verlangt, die Bundesregierung müsse „Transparenz schaffen oder wenigstens eine plausible Erzählung der Ereignisse vom 26. September vorlegen“.

Mit ausgeschaltetem Transponder

Erschwert wird die Angelegenheit durch die exzessive Geheimhaltungspraxis Schwedens, dessen Behörden laut Berichten nicht einmal die verbündeten NATO-Staaten über Resultate ihrer Ermittlungen informieren. Zu den Rätseln um die Anschläge auf die Pipelines gehört nicht zuletzt, woher die beiden großen Schiffe kamen, die laut Recherchen des Magazins Wired in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen nicht weit von den Tatorten kreuzten und dabei ihre Transponder ausgeschaltet hatten.[12] Bemerkenswert ist, dass noch niemand Belege für die Behauptung präsentiert hat, es seien russische Schiffe gewesen; die Größe der Schiffe und die Dichte der NATO-Aufklärung in der Ostsee lässt Unkenntnis über das maritime Geschehen unweit der strategisch wichtigen Insel Bornholm als nicht besonders wahrscheinlich erscheinen. Bekannt ist freilich, dass sich Kriegsschiffe der schwedischen Marine kurz vor dem Tatzeitpunkt gleichfalls in der Nähe der Tatorte aufgehalten hatten; die schwedische Marine hat dies sogar eingeräumt und als Ursache nicht näher bestimmte Maßnahmen der Seeraumüberwachung angegeben.[13] Ob dabei gewöhnlich die Transponder ausgeschaltet werden, ist nicht bekannt.


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NEUER BEITRAG07.01.2023, 14:53 Uhr
EDIT: arktika
07.01.2023, 14:55 Uhr
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arktika

Doch, der Russe ist 's! Doch, der Russe war 's und ist 's, egal was und woran ...
So wohl die Meinung des EU-Parlaments in einer Resolution gegen Rußland, wie RTdeutsch am 23.11. berichtet:

EU-Parlament erklärt Russland zum staatlichen "Unterstützer von Terrorismus"
Das EU-Parlament verabschiedete heute mehrheitlich eine Resolution, in der Russland zum "Unterstützer von Terrorismus" erklärt wird. Zugleich wurden EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. Der ukrainische Präsident Selenskij begrüßte den Schritt.


Russland sei ein "staatlicher Sponsor von Terrorismus", heißt es in einer Resolution, die am Mittwoch von einer großen Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament verabschiedet wurde. Darin wurde Russland auch als ein "terroristische Mittel einsetzender Staat" bezeichnet. Die Entschließung ist rechtlich nicht verbindlich, sondern hat vor allem eine Symbolwirkung.

Alle EU-Mitgliedsstaaten wurden dazu aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. Nach dem Willen des Parlaments soll die EU zudem eine Terrorliste für Staaten wie Russland schaffen, um diese strenger zu bestrafen.

In der Resolution heißt es, dass eine Listung eines Landes als ein "dem Terrorismus Vorschub leistender Staat" restriktive Maßnahmen auslösen und Auswirkungen auf die Beziehungen der EU zu Ländern auf dieser Liste haben könnte. Welche konkreten Auswirkungen eine entsprechende Listung für Russland hätte, ist unklar und müsste von den EU-Staaten entschieden werden.

Das Parlament forderte auch, die diplomatischen Beziehungen zu Russland weiter einzuschränken und die Kontakte zu offiziellen Vertretern Russlands auf allen Ebenen auf das absolute Minimum zu beschränken. Zudem werden in der Resolution weitere Strafmaßnahmen wie etwa ein Embargo gegen russische Diamanten gefordert. Gedrängt wird auch darauf, staatsnahe russische Einrichtungen sowie Organisationen und Verbände unter dem Schutz russischer diplomatischer Vertretungen zu schließen und zu verbieten.

Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij begrüßte die Verabschiedung der Resolution. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er:

"Russland muss auf allen Ebenen isoliert und verantwortlich gemacht werden, um seine seit langem betriebene Politik des Terrorismus in der Ukraine und auf dem ganzen Globus zu beenden."


[I welcome @Europarl_EN decision to recognize Russia as a state sponsor of terrorism and as a state which uses means of terrorism. Russia must be isolated at all levels and held accountable in order to end its long-standing policy of terrorism in Ukraine and across the globe.
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) November 23, 2022]


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NEUER BEITRAG07.01.2023, 15:04 Uhr
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arktika

Weiterer Anschlagversuch? Stand am 24. Nov. auf RTdeutsch, was dran ist, kann ich nicht einschätzen, aber da es ganz und gar auch nicht unwahrscheinlich ist, packe ich es hinzu:

FSB vereitelt Terroranschlag auf Turkish-Stream-Gaspipeline
Der russische Sicherheitsdienst FSB hat nach eigenen Angaben einen mutmaßlich durch die Ukraine vorbereiteten Sabotageakt an einem Abschnitt der South-Stream-Gaspipeline im Gebiet Wolgograd verhindert.


Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtet am Donnerstag unter Berufung auf das regionale FSB-Pressezentrum in Wolgograd, dass der russische Sicherheitsdienst FSB nach eigenen Angaben einen mutmaßlich durch die Ukraine vorbereiteten Sabotageakt an einem Abschnitt der South-Stream-Gaspipeline im Gebiet Wolgograd verhindert hat.

Der betroffene Abschnitt der South-Stream-Gaspipeline liefert Gas an die Pipeline Turkish Stream und ist damit eine der letzten verbliebenen Möglichkeiten, auch Europa mit russischem Erdgas zu versorgen.

Vier mutmaßliche Täter, allesamt russische Staatsangehörige, sollen festgenommen worden sein. Bei den Durchsuchungen wurden vier Magnetminen, vier Kilogramm Plastiksprengstoff, Verzögerungszünder, 593.000 Rubel Bargeld und "Kommunikationsausrüstung, Korrespondenz und Verhandlungen mit einem Führungsoffizier der ukrainischen Geheimdienste", welche Anleitungen für den Zusammenbau von Sprengsätzen und die Koordinaten des Anschlagsortes enthalten, sichergestellt.

Es wurde ein Strafverfahren wegen Vorbereitung eines terroristischen Anschlags, Bildung einer terroristischen Vereinigung und illegaler Lagerung von Sprengstoff eingeleitet.

Das South-Stream-Projekt sah die Verlegung einer Pipeline durch das Schwarze Meer vom nahegelegenen Anapa zum bulgarischen Hafen Warna vor. Es sollte bis 2015 fertiggestellt werden, doch dazu kam es nie. Anstelle von South Stream wurde die Route in die Türkei, Turkish Stream genannt, von der Region Anapa aus auf dem Meeresboden verlegt. Der vom geplanten Anschlag betroffene Abschnitt liefert das Erdgas zur Pipeline Turkish Stream
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NEUER BEITRAG07.01.2023, 19:37 Uhr
EDIT: arktika
07.01.2023, 19:41 Uhr
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arktika

Ukraine: Minsker Abkommen als Fehler So betrachtet der russische Präsident heute wohl die Minsker Abkommen.Ein Fehler, den er sicher nicht wiederholen wird.
Hierzu schreibt Dmitri Trenin (Mitglied des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands und des Russischen Rates für Internationale Beziehungen sowie Professor an der Moskauer Higher School of Economics und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen. Außerdem war er Direktor des Carnegie-Instituts in Moskau.) am 30 Nov. 2022 auf RTdeutsch

Der Krieg wird lang: Putin sieht Minsker Abkommen heute als Fehler – den er nicht wiederholen wird
Wladimir Putin wertete die Minsker Abkommen jüngst als einen Fehler. Das bedeutet, dass Russland im Ukraine-Krieg bis zum Ende gehen muss – denn ist die Ukraine schon für die USA eine Frage des Prinzips, so ist sie für Russland eine Frage seiner Existenz.

Wladimir Putin betrachtet heute die Minsker Vereinbarungen von 2014 und 2015 als einen Fehler. Dies erklärte der russische Präsident bei einem Treffen mit Müttern von russischen Soldaten, die an der Front des Ukraine-Krieges dienen, letzte Woche. Dieses Zugeständnis ist im Zusammenhang mit der Möglichkeit von Friedensverhandlungen zur Beendigung der Kämpfe in der Ukraine sehr wichtig.

Hier sei daran erinnert, dass Putin schon im Jahr 2014 auf der Grundlage eines Mandats zum Einsatz militärischer Gewalt "in der Ukraine" vom russischen Parlament handelte. Der ganzen Ukraine – nicht nur auf der Anfang 2014 noch ukrainischen Halbinsel Krim. Tatsächlich hatte Moskau damals auch die Städte Donezk und Lugansk vor der Überrumpelung durch die Kiewer Armee gerettet und die ukrainischen Streitkräfte geschlagen. Doch anstatt im unmittelbaren Anschluss das gesamte Donez-Becken zu befreien, hielt Russland ein – und stimmte einem unter Mitwirkung Deutschlands und Frankreichs in Minsk vermittelten Waffenstillstand zu.

Putin erklärte den Soldatenmüttern nun, dass Moskau zu diesem Zeitpunkt die Gefühle der vom Konflikt betroffenen Bevölkerung im Donbass nicht genau kannte und hoffte, dass Donezk und Lugansk unter den in Minsk festgelegten Bedingungen irgendwie mit der Ukraine wiedervereinigt werden könnten. Putin hätte dem hinzufügen können – denn seine eigenen damaligen Schritte sowie Gespräche mit dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko bestätigen dies –, dass er bereit war, der neuen Kiewer Regierung eine Chance zu geben, das Problem zu lösen und die Beziehungen zu Moskau wiederherzustellen. Bis zu einem recht späten Zeitpunkt hoffte Putin auch, dass er sich noch mit den Deutschen und Franzosen sowie mit der US-Führung hätte einigen können.

Das Eingeständnis von Fehlern ist bei amtierenden Staatsoberhäuptern selten. Es ist ein umso wichtigeres Indiz für die Lehren, die sie daraus gezogen haben. Putin zog aus dieser Erfahrung offenbar den Schluss, dass nicht die Entscheidung, die militärische Spezialoperation im Februar letzten Jahres einzuleiten, falsch war – sondern dass Moskau acht Jahre zuvor Kiew, Berlin und Paris kein Vertrauen hätte schenken dürfen und sich stattdessen auf seine eigene militärische Macht hätte verlassen sollen, um die russischsprachigen Gebiete der Ukraine zu befreien.

Mit anderen Worten: Jetzt einem Waffenstillstand im Stil von Minsk I oder Minsk II zuzustimmen, wäre eine Wiederholung desselben Fehlers. Denn es würde Kiew und seinen Puppenspielern ermöglichen, sich besser darauf vorzubereiten, die Kämpfe zu einem von ihnen gewählten Zeitpunkt wiederaufzunehmen.

Der russische Staatschef ist sich natürlich bewusst, dass viele nicht-westliche Länder, die sich der antirussischen Sanktionskoalition nicht angeschlossen haben und sich zur Neutralität gegenüber der Ukraine bekennen, ein Ende der Feindseligkeiten fordern. Von China und Indien bis hin zu Indonesien und Mexiko sehen diese Länder, die Russland im Allgemeinen freundlich gesinnt sind, ihre wirtschaftlichen Aussichten durch einen Konflikt Russlands gegen den geeinten Westen beeinträchtigt. Auch verbreiten die westlichen Medien die Botschaft, dass die weltweite Energie- und Lebensmittelsicherheit angeblich unter dem Vorgehen Moskaus leide. Russlands Argumente und gegenteilige Beteuerungen zeigen nur begrenzte Wirkung, da russische Stimmen in den nahöstlichen, asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Medienlandschaften nur von Wenigen gehört verhallen.


Wie dem auch sei: Moskau kann die Gefühle des größeren Teils der Menschheit, der in russischen Fachkreisen zunehmend als die globale Mehrheit bezeichnet wird, nicht ignorieren. Daher auch die offiziellen russischen Erklärungen, dass Moskau für einen Dialog ohne Vorbedingungen offen ist. Jede russische Delegation, die an solchen Gesprächen teilnimmt, müsste jedoch die jüngsten Änderungen der Verfassung des Landes berücksichtigen, durch die die vier ehemaligen ukrainischen Gebiete Donezk, Lugansk, Cherson und Saporoschje als Teil der Russischen Föderation bezeichnet werden. Wie Außenminister Sergei Lawrow erklärt: Russland wird nur auf der Grundlage der bestehenden geopolitischen Realitäten verhandeln. Es sei darauf hingewiesen, dass der Kreml auch die Ziele der Militäroperation in der Ukraine nicht zurückgenommen hat. Dazu gehören die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine, also die Befreiung der Ukraine als Staat und Gesellschaft von allen ultranationalistischen, antirussischen Elementen.

Kiews Position in Sachen Verhandlungsbeginn schwankt indes hin und her: Nachdem es Ende März fast ein Friedensabkommen mit Moskau erreicht hatte, änderte es daraufhin seinen Kurs und setzte die Kämpfe fort – auf Anraten des Westens, wie die Russen annehmen. Nachdem dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij im vergangenen Herbst operative Erfolge auf dem Schlachtfeld zuteilgeworden waren, ließ er alle Kontakte zum Kreml formell verbieten und formulierte extreme Forderungen als Vorbedingung für jegliche Verhandlungen – diese richtete er an Putins Nachfolger, wann immer solche auftauchen mögen. Zwar schien dies dem Westen aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit ungeschickt, und Selenskij wurde geheißen, tunlichst den Anschein zu erwecken, er sei offen für Gespräche – aber in Wirklichkeit hat sich nichts geändert.


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NEUER BEITRAG07.01.2023, 19:43 Uhr
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arktika

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Die Realität sieht so aus, dass die Hauptakteure des Ukraine-Konflikts, nämlich Washington und Moskau, weder die Gegenwart noch die nahe Zukunft als einen guten Zeitpunkt für Verhandlungen betrachten. Aus Sicht der USA ist Moskau weit davon entfernt, auf dem Schlachtfeld besiegt oder innenpolitisch destabilisiert zu sein – trotz der beispiellosen Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat, und der jüngste Rückschläge, die die russische Armee in Charkow und Cherson erlitt. Aus Sicht des Kremls kommt überhaupt jeder Waffenstillstand oder Frieden, in dessen Folge die Ukraine als ein "antirussischer", feindlicher Staat erhalten bleibt, einer Niederlage mit äußerst negativen Folgen gleich.

Stattdessen glauben beide Seiten jeweils, gewinnen zu können. Der Westen verfügt natürlich in praktisch jedem Bereich über weitaus bessere Ressourcen, die er in der Ukraine einsetzen kann. Aber Russland arbeitet daran, seine eigenen beträchtlichen Reserven zu mobilisieren, sowohl bezüglich des Militärpersonals als auch, was die Wirtschaft betrifft.

Der Vorteil Moskaus liegt in der Eskalationsdominanz. Denn schon für die USA ist die Ukraine eine Frage des Prinzips – doch für den Kreml ist die Angelegenheit schlichtweg existenziell, nichts weniger: Im Konflikt mit dem Westen geht es nicht um die Ukraine allein, sondern um das Schicksal Russlands selbst.

Es sieht so aus, als würde der Krieg bis gut ins Jahr 2023 und möglicherweise darüber hinaus andauern. Gespräche werden wahrscheinlich erst dann beginnen, wenn eine der beiden Seiten aufgrund von Erschöpfung zum Nachgeben bereit ist – oder wenn beide Parteien in eine Sackgasse geraten sind. In der Zwischenzeit wird die Zahl der Todesopfer weiter steigen, was auf die grundlegende Tragödie der Großmachtpolitik hinweist. Im Herbst 1962 war der damalige US-Präsident John F. Kennedy bereit gewesen, bis an den Rand des nuklearen Abgrunds zu gehen, um die Sowjetunion daran zu hindern, Kuba zu ihrem Raketenstützpunkt zu machen. 60 Jahre später hat Wladimir Putin eine Militäraktion angeordnet, um seinerseits sicherzustellen, dass nun die Ukraine nicht zu einem unsinkbaren Flugzeugträger für die USA wird.

Daraus lässt sich eine Lehre ziehen. Was auch immer der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow von seinem Recht gehalten hattw, von der Türkei aus auf Moskau gerichtete US-Raketen mit eigenen Waffen zu kontern, die von Kuba aus (mit Zustimmung Havannas) auf Washington und New York gerichtet gewesen waren, und was auch immer die nachfolgenden US-Präsidenten von ihrem Recht gehalten hatten, den NATO-Militärblock (auf Wunsch Kiews) auf die Ukraine auszudehnen: Für die Nichtberücksichtigung der Sicherheitsinteressen der jeweiligen Gegenmacht ist immer ein horrender Preis zu zahlen. Kuba ging als knapper Erfolg für den gesunden Menschenverstand in die Geschichte ein. Die Ukraine hingegen ist eine fortlaufende Geschichte – und deren Ausgang hängt noch in der Schwebe.


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NEUER BEITRAG11.01.2023, 21:25 Uhr
EDIT: FPeregrin
11.01.2023, 21:31 Uhr
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FPeregrin

Über Die Ukraine hinaus Eine aktuelle militärisch-politische Analyse von Rainer Rupp:

Was die Entscheidungsschlacht bei Soledar und Artjomowsk für den Westen bedeutet

11 Jan. 2023 06:45 Uhr

Schon in den nächsten Tagen, wenn nicht sogar Stunden drohen auch die verbliebenen Reste der Festungen Soledar und Artjomowsk vollkommen unter russische Kontrolle zu kommen. Damit wäre dann das Kernstück der ukrainischen Verteidigungslinie durchbrochen, was erlauben würde, die ukrainische Front von hinten aufzurollen und/oder vom Nachschub abzuschneiden. Welche Optionen verbleiben dann Kiew und dem Westen?
Was die Entscheidungsschlacht bei Soledar und Artjomowsk für den Westen bedeutet


Eine Analyse von Rainer Rupp

Trotz der alarmierenden Nachrichten über die bevorstehende Niederlage der ukrainischen Truppen in den seit acht Jahren mithilfe der USA und des restlichen Westens ausgebauten Donbass-Festungen Artjomowsk und Soledar hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij letzten Sonntag in einer realitätsfernen Rede an die ukrainische Volksgemeinschaft Zuversicht verkündet:

"Die Schlacht um den Donbass geht weiter. Und obwohl die Okkupanten ihre Kräfte jetzt auf Soledar konzentriert haben, wird doch das Ergebnis dieser schweren und langen Schlacht die Befreiung unseres gesamten Donbass sein. (…) Danke an alle Kämpfer in Soledar, die immer neue und immer härtere Angriffe der Okkupanten aushalten! Das ist sehr schwer – dort steht fast kein Stein mehr auf dem anderen. (…) Dank der Standhaftigkeit unserer Krieger dort, in Soledar, haben wir für die Ukraine zusätzliche Zeit und Kräfte gewonnen."

Selenskijs surreale Ansprache, die von Rundfunk und Fernsehen übertragen wurde, konnte jedoch nur dort empfangen werden, wo es noch Elektrizität gab, was vermuten lässt, dass seine Durchhalteparolen hauptsächlich an Anhänger seines antirussischen Regimes gerichtet waren, die sich in den vorerst noch sicheren Gebieten in der Westukraine oder im nahen Polen in Sicherheit gebracht haben.

Dennoch kommt man nicht umhin, Selenskijs Kiewer Propaganda-Clique eine gewisse Bewunderung zu zollen. Wenn es um die Kunst geht, eigene Niederlagen hübsch zu servieren und gar in Siege zu verwandeln, sind sie unschlagbar. Wie durch einen Zauberstab verwandelte sich denn auch in Selenskijs Rede der Ort Soledar, der bisher stets als "uneinnehmbare Festung" und als besonders wichtiges Kernstück der ukrainischen Verteidigungslinie gepriesen worden war, in ein "nicht besonders wichtiges Objekt", dessen Hauptaufgabe es war, der Ukraine "Zeit zu verschaffen".

Soledar und die benachbarte Stadt Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) befinden sich grob gerechnet in der Mitte der quer durch den Donbass von Nordost nach Südwest verlaufenden ukrainischen Verteidigungsline, die während der letzten acht Jahre vom Westen ausgebaut worden war. Die aktuelle Front verläuft zu einem großen Teil entlang dieser Linie, die einerseits aus einem Labyrinth von ineinandergreifenden befestigten Grabensystemen und unterirdischen Anlagen besteht und andererseits aus zwei weiteren, in die Tiefe nach hinten gestaffelten, ähnlich stark befestigten Linien, auf die sich die Verteidiger nach dem Fall der jeweils vorderen Linie zurückziehen können.

In der aktuellen Phase des Ukraine-Krieges sind Soledar und Artjomowsk deshalb von solch hoher strategischer Bedeutung, weil durch ihren Fall die ukrainischen Verteidigungslinien in Richtung Nord und Süd von hinten aufgerollt werden könnten. Weil Soledar und Artjomowsk wegen einiger besonderer Bedingungen als uneinnehmbar gegolten hatten, waren sie als Schlüsselstein der ukrainischen Verteidigungslinie gewählt worden. Tatsächlich können sie einander mit ihrer militärischen Feuerkraft teils über unterirdische Verbindungen und teils über tiefe Rinnen in der Landschaft logistisch unterstützen, wobei auch die Versorgungswege aus dem Hinterland als besonders sicher galten.

Jewgeni Prigoschin, dessen "Wagner"-Truppen vor allem in Artjomowsk eingesetzt sind und auf deren Konto die schrittweise, aber unaufhaltsame Verdrängung der ukrainischen Verteidiger geht, hatte vor einigen Tagen folgende anschauliche Beschreibung der geographischen Besonderheiten von Artjomowsk aus militärischer Sicht gegeben:

"Artjomowsk ist der zentrale Stützpunkt an der Ostfront und ein wichtiges Logistikzentrum. … Die wesentliche Besonderheit von Artjomowsk sind seine einzigartigen historischen und geografischen Verteidigungsmöglichkeiten. Dazu gehört zum einen die Aufteilung der Stadt in mehrere Abschnitte durch Wasserbarrieren. Zweitens besteht die Umgebung von Artjomowsk aus einem Komplex von Ortschaften, die ein einheitliches Verteidigungssystem darstellen. Drittens kommt die einzigartige Landschaft dazu: Täler, tiefe Anhöhen, die zusammen natürliche 'Tunnel' bilden. Und viertens, das Sahnehäubchen: das System der Bergwerkszechen von Soledar und Artjomowsk – also de facto ein Netz von unterirdischen Verbindungen. Dort, in einer Tiefe von 80 bis 100 Metern, finden nicht nur viele Menschen Platz, sondern sogar Panzer und Schützenpanzer bewegen sich dort. Zudem werden dort schon seit dem Ersten Weltkrieg Waffenbestände gelagert."

In den letzten Tagen und Stunden wird sowohl in russischen als auch in ukrainischen Internetforen zunehmend über den bevorstehenden Rückzug der ukrainischen Truppen aus Soledar diskutiert, namentlich aufgrund der hohen Verluste und ihrer Unfähigkeit, die Stadt zu halten.

Dessen ungeachtet hat der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums zur gleichen Zeit erklärt, dass nun der größte Teil der ukrainischen Armee mobilisiert sei. Dabei ging es nicht um die Unterstützung von Soledar und Artjomowsk, sondern anscheinend um den Aufbau des bereits angekündigten neuen Armeekorps, mit dem anscheinend immer noch die "Befreiung der Krim" geplant ist. Der Wahnsinn nimmt kein Ende, denn auch diese neuen, hastig und somit schlecht ausgebildeten Soldaten ohne militärische Erfahrung sollen dann mit den vom Westen noch zu liefernden, meist veralteten Waffen bis zum letzten Mann für die NATO als Kanonenfutter geopfert werden, mit dem erklärten US-Ziel, dadurch die Russen zu schwächen.

Bisher jedoch hat der US/NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine auf beiden Seiten das Gegenteil der vom Westen erhofften Wirkungen erzielt. Die russische Währung wurde nicht zu Toilettenpapier, sondern sie gehört heute zu den stärksten der Welt, im Gegensatz zum Dollar und Euro. Die Wirtschaft Russlands wurde nicht ruiniert, wie die unselige Annalena Baerbock angekündigt hatte, sondern sie brummt und wird dieses Jahr wieder kräftiges Wachstum bei stark gesunkener Inflation zeigen, im Gegensatz zu den mehr als trüben Aussichten im Westen, vor allem in der EU, wo ganze Wirtschaftszweige vor dem Ruin stehen.

Im Unterschied zu den untereinander zunehmend gespaltenen Gesellschaften der westlichen Länder, die immer mehr Vertrauen in ihre staatlichen Institutionen und in die gleichgeschalteten Medien verloren haben und weiter verlieren, steht die russische Nation geeint hinter ihrem Präsidenten. Gerade wegen der US/NATO-Lügen und deren Aggression in der Ukraine unterstützen alle Nationalitäten der Russischen Föderation mit sehr großen Mehrheiten Präsident Wladimir Putins Spezialoperation in der Ukraine.

Denn inzwischen hat auch der letzte Zweifler verstanden, dass die NATO mithilfe der Ukraine das Ziel verfolgt, in Russland politisches Chaos zu säen und mit einem Maidan-ähnlichen Putsch auf dem Roten Platz die Regierung zu stürzen, um anschließend die einzelnen Nationalitäten gegeneinander auszuspielen und Russland in verschiedene Teile aufzuspalten, um es – wie zu Boris Jelzins Zeiten – besser auszuplündern. Das sind keine Elemente einer Verschwörungstheorie, sondern elementare Bestandteile von Strategien, die von hochangesehenen und einflussreichen US-Denkfabriken wie die RAND Corporation (z. B. "Extending Russia") zur Vorbereitung politischer Entscheidungen in Washington herausgearbeitet worden sind.


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NEUER BEITRAG11.01.2023, 21:30 Uhr
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FPeregrin

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Auch militärisch steht Russland heute nicht geschwächt, sondern stärker da als zuvor. Die russischen Soldaten haben gezeigt, dass sie nicht nur kämpfen können, sondern dies auch mit großer Effizienz und Intelligenz tun und dass sie ihre neuen Waffensysteme gut beherrschen und einsetzen können. Dagegen haben sich die verschiedenen vom Westen gelieferten "Wunderwaffen" als faule Eier erwiesen.

Diese Wunderwaffen sollten nach den zunehmenden Rückschlägen der ukrainischen Armee in den letzten Monaten die Wende zum Sieg Kiews bringen. Aber von der hochgepriesenen Javelin Panzerabwehrrakete redet heute niemand mehr und auch um den US-Mehrfachraketenwerfer vom Typ M142 HIMARS ist es still geworden, denn die Russen machen diese Systeme schneller zu Alteisen, als der Westen sie nachliefern kann.

Das soll nicht heißen, dass diese neuen Waffen den Kampf der Russen nicht anfänglich erschwert hätten, aber sie haben sich darauf eingestellt und Gegenmaßnahmen ergriffen. Die Waffen sind und bleiben im besten Fall militärische Nadelstiche: Sie tun weh, haben aber keinen entscheidenden Einfluss auf das weitere Kriegsgeschehen. Die erhoffte große Wende auf dem Schlachtfeld haben diese westlichen "Wunderwaffen" jedenfalls nicht gebracht.

Zur selben Zeit hat der Westen damit seine eigenen Reserven weitestgehend aufgebraucht, und jetzt geht es um die Frage, ob die westlichen Regierungen ihre eigenen Streitkräfte entblößen und deren Waffen in die Hände von unausgebildeten ukrainischen Soldaten liefern sollen, wo sie – wie bereits ihre Vorgänger – von den Russen eine nach der anderen zerstört und zu Schrott gemacht werden. Oder werden sich die liberalen und neokonservativen Falken in Washington mit ihren Forderungen durchsetzen, US- und NATO-Soldaten gemeinsam mit ihren Waffen in die Ukraine zu schicken, um dort die Niederlage der Ukraine zu verhindern, was laut Erklärungen hochrangiger US-Politiker auch einer totalen Niederlage der "regelbasierten", US-diktierten Weltordnung gleichkäme?

Vieles wird sich in den nächsten Tagen, womöglich schon in den nächsten Stunden in Soledar und Artjomowsk entscheiden. Bis gestern abend noch klammerten sich in Soledar die Überreste der noch kampfbereiten ukrainischen Truppeneinheiten an einigen Punkten fest. Aber auf die eine oder andere Weise neigt sich die Waage nicht zugunsten der ukrainischen Streitkräfte. Nach Berichten aus dem Feld über Telegram-Kanäle kontrollieren russische Streitkräfte bereits die "Lebensader", die Straße zwischen Artjomowsk und Soledar, was bedeutet, dass die operative Versorgung der ukrainischen Soldaten maßgeblich unterbrochen ist, was dem Einschluss in einem Kessel gleichkommt. Früher oder später lautet dann das Ergebnis, dass – wie in Mariupol – die Eingeschlossenen sich entweder ergeben oder sterben werden.

Derweil mehren sich auch in den USA die Anzeichen, dass selbst führende Falken befürchten, dass im Ukraine-Konflikt die Zeit nicht auf der Seite von Kiew ist. Das umso mehr, weil Wirtschaft und Militär der Ukraine jetzt fast vollständig von der Unterstützung des Westens abhängen. Deshalb machen sich die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice (im Amt von 2005 bis 2009) und der ehemalige Pentagon-Chef Robert Gates (2006 bis 2011) in einem gemeinsamen Artikel in der Washington Post große Sorgen um das Prestige der USA, das mit einem Sieg der Ukraine auf Gedeih und Verderb verbunden ist. In dem am 7. Januar veröffentlichten Meinungsartikel stellen die beiden Autoren fest, dass, falls es dem ukrainischen Militär nicht gelingen wird, einen signifikanten Durchbruch in dem Konflikt zu erzielen, der Druck des Westens auf Kiew mit jedem Monat des militärischen Patts wachsen wird, Waffenstillstandsgespräche zu führen.

"Die einzige Möglichkeit, dieses Szenario zu vermeiden", so die Autoren Rice und Gates, besteht für Washington und seine NATO-Verbündeten darin, die militärische Unterstützung für Kiew derart zu verstärken, dass sie ausreichen würde, um eine neue russische Offensive zu verhindern und die russischen Streitkräfte im Osten und Süden zurückzudrängen. Das aber ist gelinde gesagt reines Wunschdenken, das der Tatsache zugrunde liegt, dass sich die US- und die anderen westlichen Kommentatoren einzig und allein auf die stark geschönten Kriegsberichte der ukrainischen Propaganda verlassen und somit jeder Realität entbehren. Das kann folglich zu falschen bzw. katastrophalen Schlüssen führen wie z.B.:

"Was wir jetzt brauchen, sind Entscheidungen der USA und ihrer Verbündeten, den Ukrainern zusätzliche militärische Ausrüstung zu liefern, insbesondere mobile gepanzerte Fahrzeuge", schrieben die ehemaligen Leiter des Außenministeriums und des Pentagon.

Die Dynamik des Kampfgeschehens in und um Soledar und Artjomowsk und die bereits erkennbaren, wenn auch noch vereinzelten Auflösungserscheinungen der dort kämpfenden ukrainischen Truppenteile könnten den hochtrabenden US-Plänen der vollständigen Militarisierung der Ukraine bis zum letzten Mann zuvorkommen und sie zunichte machen.

Zugleich aber haben der russische Außenminister Sergei Lawrow und andere russische Regierungsvertreter wiederholt auf die Gefahr hingewiesen, dass die vom Westen an die Ukraine gelieferten Waffen auf andere Regionen übergreifen könnten. Auch der russische Botschafter in den Vereinigten Staaten Anatoli Antonow warnte jüngst erneut, dass die Militarisierung der Ukraine durch den Westen eine direkte Bedrohung auch für die europäische und globale Sicherheit darstellt.


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NEUER BEITRAG13.01.2023, 12:18 Uhr
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Über Die Ukraine hinaus Dann kann ich direkt an den vorigen Artikel (Beitrag von FPeregrin vom 11 Jan, 21.25 Uhr) "Was die Entscheidungsschlacht bei Soledar und Artjomowsk für den Westen bedeutet" anschließen:
Soledar ist befreit! (Bis auf diejenigen, die sich ähnlich wie zu Beginn des offenen Krieges unterirdisch in Mariupol verschanzt hatten und dort mühsam aus ihren Löchern getrieben werden mußten, was auch hier das wahrscheinlichste Szenario sein wird. Aber möglicherweise/hoffentlich deutlich schneller ablaufen wird, da die ukrain. Schergen zermürbter sein dürften als damals - aber das ist alles Spekulatius.)

Zu dem Erfolg der Wagner-Armee und den zu erwartenden militärischen Auswirkungen findet sich gestern eine Analyse von Aljona Sadoroschnaja auf RTdeutsch:

Die Befreiung von Soledar wird einen Dominoeffekt im Donbass hervorrufen

Die von der russischen Wagner-Gruppe verkündete Einnahme von Soledar schwächt die ukrainische Verteidigung im Donbass erheblich. Militärexperten rechnen mit einem Dominoeffekt und einer anschließenden Befreiung des gesamten Gebietes der Donezker Volksrepublik.

Russland hat Soledar unter Kontrolle gebracht. Laut dem Gründer des Militärunternehmens Wagner, Jewgeni Prigoschin, entstand in der Stadt ein Kessel, wo gekämpft wird. Der Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung in Soledar eröffnet der russischen Armeegruppe Möglichkeiten für neue Offensiven und in der Perspektive auch für die Befreiung des gesamten Gebietes der Donezker Volksrepublik. Wie sollten die russischen Streitkräfte weiter vorgehen, um den Erfolg auszubauen?

Das ukrainische Militär hat bei den Kämpfen um Soledar im Nordosten der DVR etwa 25.000 Menschen verloren, diese Verluste sind unersetzlich. Dies erklärte am Mittwoch der ehemalige Botschafter der Lugansker Volksrepublik in Moskau, Rodion Miroschnik. Nach seiner Einschätzung habe die Ukraine für das Halten von Soledar zu politischen Zwecken einen "ungeheuren, unverhältnismäßigen Preis" gezahlt.

Die Kampfmoral des ukrainischen Militärs am Frontabschnitt im Gebiet Saporoschje sinkt vor dem Hintergrund der Nachrichten aus Soledar, insbesondere über die Einkesselung einiger Hunderte ukrainischer Militärangehöriger. Dies erklärte der Leiter der Bewegung "Wir sind zusammen mit Russland", Wladimir Rogow, gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. Der Politiker merkte an, dass sich nach dem Verlust von Soledar der Ton von öffentlichen Erklärungen Wladimir Selenskijs und des Leiters des ukrainischen Präsidialamtes, Andrei Jermak, sichtlich verändere. Den ukrainischen Soldaten würde man erklären, dass das Verlassen von Soledar und der überaus wahrscheinliche Verlust des benachbarten Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) nicht so wichtig sei, sagte Rogow.

Dabei räumte der Berater des Leiters des ukrainischen Präsidialamtes, Alexei Arestowitsch ein, dass ein Teil der ukrainischen Verbände aus ihren Stellungen in Soledar geflohen sei. Ihm zufolge schaffe die Flucht einer einzigen Kompanie von der Front eine Lage, in der der Gegner die freigewordene Stellung leicht besetzen kann.

Darüber, dass in der Nacht auf Mittwoch die Verbände des Militärunternehmens Wagner Soledar unter ihre Kontrolle brachten und die ukrainischen Truppen im Stadtzentrum einkesselten, berichtete der Gründer des Militärunternehmens, Jewgeni Prigoschin. Nach seinen Worten beteiligten sich an dem Sturm ausschließlich Mitarbeiter von Wagner.

In seinem Lagebericht sprach der offizielle Pressesprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalleutnant Igor Konaschenkow, von einem erfolgreichen Vormarsch der russischen Truppen am Frontabschnitt bei Donezk. Russische Luftlandetruppen hätten Soledar vom Norden und Süden her blockiert. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, wies seinerseits auf eine positive Dynamik im Verlauf der Sonderoperation hin.

Das amtierende Oberhaupt der DVR, Denis Puschilin, erklärte, die vollständige Befreiung von Soledar eröffne Möglichkeiten für eine Befreiung von Artjomowsk und Sewersk. Seiner Meinung nach werde die Einnahme der Stadt einen Vorstoß zu dem Ballungsraum von Slawjansk und Kramatorsk erlauben, wo eine zahlenmäßig große ukrainische Heeresgruppe versammelt ist. Ein Vorstoß in Richtung Donezk und Kramatorsk bedeute einen Wendepunkt in der Befreiung des gesamten Gebietes der Donezker Volksrepublik, so Puschilin.

Das Mitglied der Akademie für Militärwissenschaften Anexander Bartosch ist der Meinung, dass ein weiteres Vordringen der russischen Streitkräfte nur nach einer vollständigen Säuberung von Soledar möglich sei. Er erklärte gegenüber der Zeitung Wsgljad:

"Vielversprechend für weitere Vorstöße erscheinen Artjomowsk und Kramatorsk. Erst nach deren Befreiung können wir von strategischen Erfolgen sprechen."

Bartosch zufolge stünden noch viele "schwere und blutige Kämpfe bevor".


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NEUER BEITRAG13.01.2023, 12:24 Uhr
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Darauf, dass Soledar noch nicht vollständig gesäubert sei, verwies auch der Abgeordnete des Volksrats der DVR, Wladislaw Berditschewski. Er vermutete:

"Wir werden etwas Ähnliches zu Mariupol sehen. Die verbliebenen ukrainischen Verbände werden sich aktiv in Kellern und Unterständen verstecken. Ein Teil davon wird sich wohl ergeben. Doch die Mehrheit wird man mit Gewalt aus ihren Befestigungen herausschlagen müssen."

Wie der Militäranalytiker Michail Onufrienko seinerseits erklärte, könnten sich in den Salzbergwerken unter Soledar, die eine Tiefe von mehreren hundert Metern und eine Gesamtlänge von über 200 Kilometern haben, noch ukrainische Militärs verstecken. Diese Soldaten würden den Widerstand wahrscheinlich fortsetzen. Onufrienko schlug daher vor, nunmehr auf Meldungen von einer vollständigen Säuberung der unterirdischen Anlagen zu warten. In diesem Zusammenhang erklärte er:

"Die Einnahme des gesamten Stadtgebietes von Soledar bedeutet, dass diese Verteidigungslinie nach dem Fall von Sewerodonezk und Lissitschansk durchbrochen ist."

In Bezug auf taktische Möglichkeiten, die sich nach einer Einnahme von Soledar eröffnen, biete sich in erster Linie eine Einkesselung von Artjomowsk an, meinte Bartosch. Dabei sollte ein innerer und ein äußerer Einkesselungsring gebildet werde, um ukrainische Versuche einer Deblockierung zu vereiteln.

Dafür müsse Russland allerdings Militärgerät und Personal von anderen Frontabschnitten verlegen sowie die Arbeit der Luftstreitkräfte und Artillerie intensivieren. Der Militärexperte erklärte:

"Eine Einkesselung wird es erlauben, die lokale Logistik des Gegners vollständig zu zerstören und Verstärkungen, Munitions- und Verpflegungslieferungen zu unterbinden."

Berditschewski vermutete, dass das ukrainische Militär Artjomowsk nicht verlassen und die Stadt bis zu ihrer Einkesselung halten werde. In dieser Woche kündigte Selenskij eine organisierte Verlegung ukrainischer Verbände nach Artjomowsk und Soledar an. Berditschewski sagte diesbezüglich:

"Nur nachdem wir all diese Gebiete befreien werden, wird sich das ukrainische Militär bis nach Slawjansk zurückziehen. Ich schließe nicht aus, dass sie sämtliche Städte auf dem Weg dahin zerstören. Das sollte nicht verwundern – der Donbass und die einheimische Bevölkerung sind für sie fremd. Ihr Schicksal kümmert die Ukraine nicht."

Seinerseits bemerkte Onufrienko, dass die Vorbedingungen für eine Isolierung der ukrainischen Truppen in Artjomowsk bereits vorlägen. Die Straßen nach Artjomowsk seien bereits durchschnitten, Kämpfe würden um den nördlichen Stadtrand und die südliche Vorstadt geführt. Und dies wiederum werde erlauben, die Straße nach Tschassow Jar unter Beschuss zu nehmen:

"Die Versorgung der ukrainischen Truppen wird ganz problematisch werden und die Garnison von Artjomowsk in eine aussichtslose Lage versetzen."

Nach Meinung des Experten wäre es nun logisch, weiter nach Westen vorzudringen, um die im Herbst verlorenen Gebiete wiedereinzunehmen und "den Gegner zu zwingen, die Reste seiner Reserven über einen breiteren Frontabschnitt zu verteilen."

Onufrienko erklärte, dass Soledar, Sewersk, Artjomowsk, Konstantinowka, Druschkowka, Kramatorsk und Slawjansk eine ununterbrochene hufeisenförmige Befestigungskette bildeten, die von der Flusswindung des Sewerski Donez bis zu der Stadt Torezk im Süden reiche. Nach Onufrienkos Prognose wird die Einnahme von Soledar einen Dominoeffekt hervorrufen und eine Befreiung von Artjomowsk und Sewersk mit anschließendem allmählichem Vormarsch nach Kramatorsk und Slawjansk nach sich ziehen.

Die Kämpfe um Soledar hatte seit August des vergangenen Jahres angedauert. Im November erlitt das ukrainische Militär schwere Verluste, verzichtete auf Offensiven und ging zur Verteidigung über. Buchstäblich jedes Haus wurde lange und blutig erkämpft. Im Dezember verlegte Kiew Verstärkung in die Stadt, darunter ausländische Söldner mit NATO-Waffen. Doch zu Jahresbeginn begann ein massenhafter Rückzug der ukrainischen Truppen aus dem Stadtgebiet. Der Assistent des Leiters des regionalen Innenministeriums und Polizeioberst der LVR, Witali Kisseljow, erklärte Ende vergangener Woche, dass die ukrainischen Streitkräfte einen Rückzugsbefehl aus Soledar erhalten hätten.

Übersetzt aus dem Russischen, zuerst erschienen bei Wsgljad.


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NEUER BEITRAG13.01.2023, 12:42 Uhr
EDIT: arktika
13.01.2023, 12:47 Uhr
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In diesem Zusammenhang sollte vielleicht noch mal kurz erklärt werden, wieso man einen Vergleich Stahlwerk 'Asowstal' in Mariupol mit dem Salzbergwerk von Soledar (und auch Artjomowsk) ziehen kann.

Dazu Dagmar Henn am 9. Jan auf RTdeutsch:

Das Geheimnis von Soledar: Das Salzbergwerk – eine gigantische unterirdische Festung
Die Kämpfe um die Städte Artjomowsk/Bachmut und Soledar dauern bereits einige Monate. Der Grund dafür ist nicht nur, dass Kiew beständig weitere Truppen an eine Front schickt, die selbst die Ukrainer inzwischen "Fleischwolf" nennen. Der Grund liegt unter der Erde.


Es ist nicht das erste Mal seit Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs vor bald neun Jahren, dass hinter besonders lang andauernden Kämpfen um bestimmte Orte bauliche Besonderheiten stecken. So war das bereits beim Flughafen Donezk, dessen alter Teil mit mehrere Stockwerke tief reichenden Bunkeranlagen versehen war, die einst als Kommandozentrale zur Verteidigung der Sowjetunion gebaut worden waren. So war es in Mariupol, wo sich unter dem Stahlwerk "Asow-Stahl" ebenfalls tiefe Bunker verbargen.

In Soledar, eine Kleinstadt, die von 1965 bis zum Ende der Sowjetunion nach Karl Liebknecht benannt war, befindet sich eines der größten Salzbergwerke Europas, das vielleicht gerade noch vom Salzbergwerk Borth in Nordrhein-Westfalen übertroffen wird. Bis zum April des vergangenen Jahres belieferte das staatliche Unternehmen Artjomsol (dessen Name bereits verrät, dass sich die Stollen bis zur Nachbarstadt Artjomowsk – ukrainisch wieder Bachmut – hinziehen) das gesamte in der Ukraine benötigte Salz. Bis ins Jahr 2014 war ein Drittel der Produktion nach Russland gegangen. Ende Mai 2022 stellte das staatliche Unternehmen die Arbeit ein, weil die Kämpfe den Abtransport des Salzes per Bahn unmöglich gemacht hatten und große Teile der Belegschaft bereits evakuiert waren.

Das erste Salzbergwerk entstand 1881 und im Jahr 2021 belief sich die Salzproduktion von Artjomsol auf 1,9 Millionen Tonnen Salz, das vor allem als industrieller Rohstoff vertrieben wurde. Um diese Mengen zu bewegen, brauchte man täglich 120 bis 130 Güterwaggons. Die Stadt Soledar ist also, wie so viele andere Städte im Donbass, um ein Bergwerk herum gewachsen, in diesem Fall eben um ein Salzbergwerk. Nach Ansicht von Geologen wurden bisher erst 5 Prozent des gesamten Vorkommens gefördert. Neben Salz wurde noch Gips abgebaut. Der Gipsabbau wurde durch die deutsche Firma Knauf betrieben.

Die Schächte, die in Tiefen zwischen 190 und 300 Metern verlaufen, besitzen eine Gesamtlänge von etwa 200 Kilometern und durchziehen das ganze Gebiet unter Soledar und Artjomowsk. Dabei wird längst nicht mehr überall Salz abgebaut: eine große Halle mit vierzig Metern Höhe und Breite und über hundert Metern Länge wurde bereits als Konzertsaal genutzt, andere dienten als Salzgrotten zur Kur für Asthmatiker und ein Teil war ein Schaubergwerk als Touristenattraktion.

Das Salzbergwerk von Soledar spielte bereits zu Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs 2014 eine wichtige Rolle, weil in einem weiteren Teil des Bergwerks Waffen eingelagert sind, und zwar aus dem Ersten wie auch aus dem Zweiten Weltkrieg. Die gleichmäßigen Umweltbedingungen mit einer gleichbleibenden Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent und ebenso gleichbleibender Temperatur von ganzjährig 15 bis 16 Grad dürften wohl der Grund sein, warum dieser Ort dafür gewählt wurde. Zu Beginn des Aufstands im Donbass waren selbst die Waffen aus dem zweiten Weltkrieg noch eine wertvolle Beute. Damals wurden auch in vielen Ortschaften alte Panzer von den Sockeln geholt und wieder fahrtüchtig gemacht oder Flugabwehrgeschütze aus den Museen geholt, um der technisch weit überlegenen ukrainischen Armee etwas entgegensetzen zu können.

Diese Frage stellt sich bei den jetzigen Gefechten nicht mehr. Selbst die angeschlagene ukrainische Armee dürfte nicht auf die eingelagerten Museumsstücke zurückgreifen müssen. Aber die weitläufigen unterirdischen Anlagen erschweren es natürlich, die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Larry Johnson zitiert in seinem Blog dazu Jewgeni Prigoschin, dessen Wagner-Gruppe sich seit Monaten schrittweise durch Artjomowsk vorarbeitet:

"Bachmut ist der zentrale Punkt der östlichen Front und ein wichtiges Logistikzentrum. Und es ist unsere Aufgabe dort, so wenig wie möglich zu sterben und den Feind so weit wie möglich zu zerstören. Bachmuts Besonderheit sind seine einzigartigen historischen und geografischen Verteidigungsmöglichkeiten, die zuerst die Teilung der Stadt durch Wasserbarrieren in mehrere Teile umfassen. Zweitens ist in der Nachbarschaft von Bachmut ein Komplex von Siedlungen, die ein einheitliches Verteidigungssystem bilden. Drittens ist das eine einzigartige Landschaft mit Klüften und Höhlen, die natürliche Tunnel darstellen. Und das Sahnehäubchen auf der Torte ist das System der Minen von Soledar und Bachmut, tatsächlich ein Netzwerk unterirdischer Städte, in denen nicht nur auf einer Tiefe von 80 bis 100 Metern eine Ansammlung von Leuten ist, sondern in denen sich auch Panzer und Mannschaftswagen bewegen. Und in denen seit dem Ersten Weltkrieg Berge von Waffen gelagert wurden."

Ein modernes Salzbergwerk wird schließlich nicht mehr mit Spitzhacke und Schaufel betrieben. Durch die Tunnel verlaufen Bahngleise, der Abbau erfolgt durch Sprengungen und mit großen Maschinen und selbstverständlich kann man in ein Bergwerk, in das schweres Gerät mit Dutzenden Tonnen Masse gebracht werden muss, auch ebenso schwere Panzer bringen. Und wenn man betrachtet, welchen Wert die wirklich extrem defensive sowjetische Militärstrategie auf unterirdische Anlagen legte – wie das nicht nur beim Flughafen Donezk und in Mariupol erkennbar wurde, sondern in kleinerer Ausgabe bereits an den vielen Luftschutzbunkern unter Moskauer Gebäuden zu sehen ist – dürfte vermutlich ein Teil dieses Komplexes auch für solche Zwecke ausgebaut worden sein.

Der Blog Scooptrade schreibt darüber:

"Das Salzminensystem von Artjomsol wird von den Streitkräften der Ukraine bereits als unterirdische Festung genutzt. In großer Tiefe sind Munitionsdepots, Truppenunterkünfte und an manchen Stellen sogar Depots für schwere Waffen eingerichtet. Und sie von der Oberfläche aus zu 'erwischen' ist beinahe unmöglich. Das ukrainische Militär kann die unterirdischen Verbindungen auch nutzen, um Truppen zwischen Stellungen zu bewegen, und die Zugänge wie einige Eingänge zu den Schächten sind vermint und zur Sprengung vorbereitet. Was die Schwierigkeit der Erstürmung angeht, können die Bergwerke von Artjomsol mühelos mit dem bekannten Stahlwerk 'Asowstal' in Mariupol mithalten."

nzwischen hat selbst die Nachrichtenagentur Reuters einen Artikel über dieses unterirdische Hindernis verfasst, ihn aber mit einer sehr eigenartigen Interpretation garniert. Prigoschin, so zitiert der Text einen der üblicherweise anonymen Mitarbeiter des Weißen Hauses, sei daran interessiert, die Kontrolle über die Salz- und Gipsvorkommen zu übernehmen. Das sei der wahre Grund, warum die Gruppe Wagner die Kämpfe um Bachmut/Artjomowsk führe. In russischen Telegram-Kanälen führte das zu der sarkastischen Bemerkung, Prigoschin strebe wohl ein Monopol auf gipserne Lenin-Büsten an.

In Wirklichkeit dürfte auch diese Randbemerkung bei Reuters eher eine vorbeugende Reaktion auf die kaum vermeidbare ukrainische Niederlage bei diesen Kämpfen sein. Denn während vor Monaten noch die Bedeutung von Artjomowsk/Bachmut als Anker der ukrainischen Verteidigungslinien im Donbass hervorgehoben wurde, sind die westlichen Medien – seit die ukrainische Kontrolle über dieses Gebiet schwindet – immer mehr bemüht, diese Bedeutung dieser Gegend herunterzuspielen. Artjomowsk nun auch noch zur privaten Obsession von Jewgeni Prigoschin zu erklären, ist dabei nur eine der eingesetzten Varianten. Wenn die ukrainischen Streitkräfte die Kontrolle endgültig verlieren, soll zumindest das westliche Publikum überzeugt sein, dass diese Niederlage keinerlei Bedeutung besitzt.

Tatsächlich sind einige der Eingänge zum Salzbergwerk bereits unter russischer Kontrolle, so dass die Kämpfe um die unterirdischen Anlagen bereits begonnen haben dürften. Und es gibt kaum Grund für Zweifel, wie das Ende dieser Kämpfe aussehen wird, selbst wenn es noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Mine selbst dürfte kaum dauerhaften Schaden nehmen. Und wer weiß – in einer friedlichen Zukunft danach könnten die Salzbergwerke von Soledar ihren bisherigen Attraktionen auch noch eine Ausstellung über die entscheidende Schlacht zur Befreiung des Donbass hinzufügen.


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#Soledar
NEUER BEITRAG13.01.2023, 22:14 Uhr
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Zu diesem Thema auch die Schwerpunktseite der jW von morgen:

Von Jörg Kronauer

Zerstörte Pipelines
Bleiernes Schweigen
Die Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines kommen nicht voran. Offenbar, weil niemand im Westen an Aufklärung interessiert ist


War’s das bereits? Kaum war zu Jahresbeginn die Diskussion darüber aufgeflackert, wer denn nun eigentlich am 26. September 2022 die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines verübt habe, da war sie auch schon wieder zu Ende. Einige Bundestagsabgeordnete hatten sich veranlasst gesehen, sich zu den Anschlägen zu äußern; immerhin war mehr als drei Monate nach der Explosion der Sprengsätze auf dem Ostseegrund über den Stand der Ermittlungen, geschweige denn über die Täter immer noch nichts bekannt. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) war einer von denjenigen, die sich der Sache annahmen. »In einem Rechtsstaat hat die Öffentlichkeit Anspruch darauf, zu erfahren, was wirklich passiert ist«, dozierte von Notz am 4. Januar gegenüber dem Tagesspiegel: »Die Bundesregierung muss sehr bald ihr Schweigen brechen.« Dabei blieb es dann aber. Die Bundesregierung setzt ihr Schweigen beharrlich fort. Von Notz inzwischen auch.

Ausgelöst hatten den Sturm – ach was: den Hauch im deutschen Wasserglas – zwei längere Beiträge in führenden US-Tageszeitungen, in der Washington Post und der New York Times. Beide hatten kurz vor beziehungsweise kurz nach den Weihnachtsfeiertagen das bleierne Schweigen in Sachen Nord-Stream-Anschläge zum Thema gemacht. Die Washington Post hatte sich in US-amerikanischen und in europäischen Regierungskreisen umgehört. Was niemand öffentlich sage, alle aber bekräftigten, wenn man ihnen Anonymität verspreche, sei: Es gebe »zum gegenwärtigen Zeitpunkt« nicht den geringsten Hinweis auf eine russische Täterschaft. Ein Regierungsmitarbeiter in Westeuropa bekannte gegenüber der Washington Post sogar offen: »Die Überlegung, dass Russland es war, hat für mich nie Sinn ergeben.« Die New York Times wiederum hatte sich berichten lassen, die Nord Stream AG rechne gerade Möglichkeiten und Kosten einer Reparatur der Leitungen durch. Könne man denn wirklich davon ausgehen, Russland sprenge die Pipelines, um sie dann mit immensem Aufwand für mutmaßlich eine halbe Milliarde Euro instand zu setzen? Die Zeitung räumte ein: nein.

Kein Kommentar

Und in Deutschland? Die Bundesanwaltschaft ermittelt – mutmaßlich – weiter. Man weiß unter anderem, dass am 7. Oktober 2022 die deutsche Marine das Minenjagdboot »Dillingen« sowie das Mehrzweckboot »Mittelgrund« an die Tatorte vor der Insel Bornholm schickte. Beide hatten Taucher der Bundespolizei an Bord, die jedenfalls Bildaufnahmen machen, womöglich auch anderweitige Untersuchungen vornehmen sollten. Man weiß auch – die Bundesanwaltschaft hat dies bestätigt –, dass zwei Spezialschiffe namens »Atair« und »Alkor« für die Ermittlungen eingesetzt wurden. Beide gelten als eine Art »schwimmende Labore« und können unter anderem Sedimentanalysen durchführen, wohl auch Sprengstoff entdecken. Haben sie denn nun etwas gefunden? Die Antwort der Bundesanwaltschaft: kein Kommentar. Die Antwort der Bundesregierung, die mittlerweile mehrfach Anfragen im Bundestag beantworten musste: kein Kommentar. Auskünfte würden »weitergehende Ermittlungsmaßnahmen erschweren«, zudem »die international praktizierte Vertraulichkeit des Verfahrens« gefährden – sie müssten also »aus Gründen des Staatswohls« unterbleiben, schützt die Regierung regelmäßig vor.

Das Problem: Niemand glaubt das alles. Allzu oft hat man erlebt – und das schon Jahre vor dem Ukraine-Krieg –, dass die Bundesregierung, ja Politik und Medien im Westen insgesamt jede Gelegenheit nutzen, um Russland jede Schandtat anzuhängen, von der nicht bewiesen ist, dass jemand anderes sie auf dem Kerbholz hat. Als sich die Wirtschaftswoche Ende Dezember veranlasst sah, sich in Reaktion auf die Berichte der ­Washington Post und der New York Times auch einmal im Berliner Regierungsviertel umzuhören, da stellte sie fest, dass sogar dort »unter der Hand Fragen« gestellt wurden, »die für Unruhe in der NATO sorgen könnten«: Wenn denn nun kein Hinweis auf eine russische Täterschaft vorliege – hätten nicht »die Ukraine und Polen mit größtem Nachdruck von Deutschland den Verzicht auf die Nord-Stream-Leitungen gefordert?« Müsse man den Täter also womöglich unter den eigenen Verbündeten suchen? Man möge »sich gar nicht vorstellen«, zitierte die Zeitschrift einen anonymen hochrangigen Militärexperten, »was passieren würde, wenn irgendwann mitten im Krieg herauskäme, dass ein NATO-Staat bei der Sprengung der umstrittenen Pipeline geholfen oder von entsprechenden Plänen gewusst« habe, »ohne sie zu verhindern«.

Das war der Zeitpunkt, zu dem kurz eine Debatte aufflackerte und es ein wenig brenzlig zu werden drohte – zumal die wenigen bislang bekannt gewordenen Fakten für den Westen recht unangenehm sind. Trifft die Hypothese zu – sicher ist das nicht –, dass die Sprengsätze wegen ihres gewaltigen Gewichts mit großen Schiffen zu den Tatorten transportiert werden mussten: Wie muss man es dann verstehen, dass die schwedische Marine eingeräumt hat, kurz vor der Tat unweit der Tatorte mit zwei großen Schiffen präsent gewesen zu sein? Russische Schiffe sind dort nicht belegt, obwohl die westliche Aufklärung in der Ostsee als äußerst intensiv gilt, besonders vor strategisch wichtigen Inseln wie Bornholm. Belegt sind freilich zwei Schiffe mit ausgeschalteten Transpondern nahe den Tatorten kurz vor der Tat, auf die die zwei Schiffe der schwedischen Marine passen würden. Stockholm lehnt es ab, gemeinsam mit Dänemark und Deutschland zu ermitteln, die ebenfalls direkt betroffen sind; es rückt keine Ermittlungsergebnisse heraus. Was weiß oder ahnt man in Stockholm?

Hat Schweden ein Motiv?

Reaktionsschnell mischte sich der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter in die drohende Debatte ein, forderte die Bundesregierung auf, Ermittlungsergebnisse zu präsentieren – »weil die wilden Spekulationen in dieser unklaren Situation nicht ungefährlich sind«. Sein Parlamentskollege von Notz von den Grünen schloss sich an, verlangte gleichfalls, die Regierung müsse etwas tun – »wenigstens eine plausible Erzählung der Ereignisse vom 26. September vorlegen«. Als das nichts half, preschte Springers Welt vor und überschrieb am 6. Januar ein Interview mit dem schwedischen Militärexperten Kjell Engelbrekt lautstark: »Hat Schweden ein Motiv, Nord Stream zu sprengen?« Engelbrekt antwortete, wie erwartet: wohl nicht. Und er legte – begründet – nahe, man werde in absehbarer Zeit kaum auf Antworten hoffen können: Falls die schwedische Regierung irgendwann einmal »ausreichend Informationen hätte, um eine Anklage zu erheben, dann würde sie damit so lange warten, bis die Stimmung in Europa im Zusammenhang mit dem Krieg abgeflaut ist.« Ein Hinweis auf eine russische Täterschaft ist freilich auch das gerade nicht.


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NEUER BEITRAG13.01.2023, 22:17 Uhr
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arktika

DAZU:

Hintergrund: Kritische Infrastruktur

Aus Sicht der NATO haben die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines einen klaren Kollateralnutzen: Sie haben die Anfälligkeit sogenannter kritischer Infrastruktur, vor allem auch solcher, die auf dem Meeresboden liegt, mit einem Schlag einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt. Militärs beschäftigen sich schon lange mit dem Thema; so gehört etwa die Seeraumüberwachung in der Ostsee zu den Routinetätigkeiten der Bundeswehr, und es war kein Zufall, dass sie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine verstärkt wurde: Dass nicht nur Pipelines, sondern etwa auch Unterseekabel im Krieg grundsätzlich gefährdet sind, ist nun wirklich nicht neu. Dennoch hat die NATO ihre Kontrolltätigkeiten nach den Nord-Stream-Anschlägen noch einmal verstärkt. Anfang November etwa berichtete die deutsche Marine, man beteilige sich gerade aktiv am »Lagebildaufbau zum Schutz der kritischen maritimen Infrastruktur in norwegischen Gewässern« – mit drei Fregatten, einem Einsatzgruppenversorger und mehreren Lockheed-Seefernaufklärern des Typs »P-3C Orion«.

Der Hauptkollateralnutzen für die NATO liegt aber wohl darin, dass die Gründung einer NATO-EU-Arbeitsgruppe zu kritischer Infrastruktur in dieser Woche fast geräuschlos über die Bühne gegangen ist. Sie ist Teil des Beschlusses, die Kooperation zwischen NATO und EU insgesamt zu intensivieren. Die Arbeitsgruppe hat, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, die Aufgabe, »die wichtigsten Bedrohungen für unsere kritischen Infrastrukturen zu ermitteln und die strategischen Schwachstellen, die wir haben, zu untersuchen«. Sodann sollen, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mitteilte, »Maßnahmen« entwickelt werden, »um potentielle Schwachstellen zu entschärfen«. Damit erhalten das transatlantische Militärbündnis und mit ihm seine stärkste Macht, die USA, zumindest eine gewisse Kontrolle über die kritische Infrastruktur der EU. Im Fall der Verkehrsinfrastruktur haben sie das bereits, seit die EU in Sachen »Military Mobility«, also bei der Optimierung von Straßen, Schienen etc. für militärische Belange, mit der NATO kooperiert. (jk)
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