Referat von Gretl Aden und Rolf Fürst, KAZ-AG »Zwischenimperialistische Widersprüche«. Gehalten auf der VI. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land", Göttingen, Mai 2014. [ gehe zu
Teil II ]
Die Herrschenden in den imperialistischen Staaten haben mit zunehmenden Widersprüchen zu kämpfen. Der Grundwiderspruch zwischen dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Vergesellschaftung der Produktion, zwischen den Produktionsverhältnissen und der Entwicklung der Produktivkräfte, spitzt sich zu und damit alle Widersprüche. Daran ändert auch die Vision des Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Herrn Kaeser, nichts, die er in einer Anzeige anlässlich der Messe in Hannover vor kurzem vorstellte. Eine wundersame Welt im Jahre 2030 mit Wohlstand und Vollbeschäftigung für alle in Deutschland wird uns da ausgemalt, weil Siemens und seinesgleichen die ganze Welt mit den herrlichen Produkten made in germany beglücken und kluge Gewerkschaften eine kluge Tarifpolitik betreiben. Gleichzeitig kündigt er an, sich u.a. verstärkt auf das Geschäft mit der vernetzten Fabrik konzentrieren zu wollen, also hin zur sich selbst regulierenden Produktion. Doch diese Vision mit den harten Tatsachen kapitalistischer Wirklichkeit konfrontiert, zeigt, dass das nur ohne Siemens und seinesgleichen geht. Denn mit Siemens heißt das: Immer gnadenlosere Ausbeutung und Entrechtung der Arbeiterklasse, nicht nur in abhängigen Staaten wie Griechenland, sondern auch hier. Denn woher soll der Profit in diesen zunehmend menschenleeren Fabriken kommen? Was tun mit den Erwerbslosen, den Alten? Wie soll sich das Kapital weiterhin verwerten, gibt es doch jetzt schon erhebliche Probleme? Mit der Bourgeoisie bedeutet es Verschärfung der Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten, wenn die deutschen Monopole die Welt mit ihren Waren überschwemmen wollen; bedeutet es Kampf um Absatzmärkte und Kapitalanlagesphären und letztendlich Krieg und Barbarei.
Das nur, um sich wieder einmal klar zu machen, auf welchem grundsätzlichen Hintergrund die aktuellen Geschehnisse, die Krisen und Kriege an allen Ecken dieser Welt zu betrachten und nur auf diesem auch zu verstehen sind.
Aktuelle Entwicklungen: Die Krise ist vorbei!?Die Herrschenden sind sich in dieser Frage nicht ganz einig, doch der Tenor ist, es gehe wieder aufwärts. Es stimmt, es ist dem deutschen Imperialismus gelungen, sowohl ökonomisch, wie vor allem auch politisch gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen und seine hegemoniale Stellung innerhalb der Europäischen Union auszubauen. Doch es ist ihm auf Kosten der Konkurrenz in den anderen imperialistischen Staaten der EU, auf Kosten der Bourgeoisie der abhängigen Staaten und vor allem aber auf dem Rücken der Arbeiterklassen und kleinbürgerlichen Schichten gelungen. Von einer grundsätzlichen Lösung der Krise kann also keine Rede sein. Siegesmeldungen, wie die, dass der griechische Staat nun wieder am Markt Anleihen zeichnen kann, sind mehr als jämmerlich. Dass die Nachfrage groß war zeigt nur, dass die Kapitaleigner dringend nach Anlagen suchen, wo sie für ihr überschüssiges Kapital noch wenigsten 4,7 Prozent Zinsen erhalten und ansonsten hoffen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) weiter zahlt. Denn aus wem der griechische Staat die Bezahlung dieser Zinsen noch herauspressen soll, kann keiner erklären.
Die Angst vor einer Deflation geht um, das billige Geld der EZB wird nach wie vor zu wenig als Kredite an die Industrie vergeben, es wird zu wenig investiert.
Das Diagramm zeigt die Veränderung der Bruttoanlageinvestitionen in 2013 im Vergleich zu 2008 (Jahr des Krisenausbruches) in %. Bruttoanlageinvestitionen sind alle neuen Maschinen, Gebäude, technische Anlagen usw., die neu angeschafft werden. Marx definierte diese als konstantes, fixes Kapital. Die allgemeine Tendenz innerhalb des Kapitalismus ist die regelmäßige Erhöhung dieses Kapitals, weil immer mehr menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird. Die aktuelle Entwicklung ist anders und dokumentiert damit nochmals, dass die große Krise unverändert fortbesteht, insbesondere in den EU-Ländern insgesamt. Es wird zu 15% weniger investiert als vor fünf Jahren, eine seltene Entwicklung im Vergleich der letzten Jahrzehnte. Dies ist umso auffälliger angesichts der weltweit extrem niedrigen Zinsen. Niedrige Zinsen befördern tendenziell Investitionen, weil im Vergleich die Kapitalanlage in der Produktion günstiger wird. Wenn dies dennoch nicht geschieht, unterstreicht es, dass die Absatzmöglichkeiten der Produkte einfach nicht ausreichend sind, um neue Maschinen und Anlagen zu errichten.
Das deutsche Kapital hat dabei weiterhin eine abweichende Tendenz und zeigt hier, dass es auf Kosten der Konkurrenten in Europa versucht die Krise zu nutzen, um seine Vormachtstellung in der EU auszubauen.
1Der Vergleich der Gesamtentwicklung in der EU, bzw. der Eurozone mit den USA und Japan ergibt ein anderes Bild. Während die Investitionen sowohl in der EU insgesamt, als auch bei der Gruppe der Euroländer um 15% rückläufig sind, liegen diese bei den USA und Japan über den Werten von 2008. Der deutsche Imperialismus zieht sich aus dem Sumpf, indem er die schwächeren EU-Länder und auch die anderen europäischen Imperialisten (Frankreich, Italien und Großbritannien) tiefer hineindrückt, die ökonomische Entwicklung des japanischen und des US-Imperialismus wird nicht direkt davon beeinflusst.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist entsprechend den vorliegenden Statistiken der Wert für die gesamtwirtschaftliche Summe innerhalb eines Landes, meistens berechnet nach Jahren. Die Aussagekraft und Methode ist dabei nicht so umfassend wie es die bürgerlichen Medien in der Regel darstellen, gleichzeitig liegen auch keine alternativen Kennziffern zur Messung der Entwicklung vor. Mit dieser Einschränkung lässt sich auch hier erkennen, dass der Krisenverlauf innerhalb der EU unverändert ist, bzw. sich teilweise weiter verstärkt. In Deutschland ergab sich 2013 real nur noch ein kleines Plus, ebenso in Frankreich. Großbritannien hat in% ein etwas größeres Wachstum, liegt aber insgesamt immer noch hinter den Werten von 2008. Die am stärksten von der Krise betroffenen Länder haben sich 2013 nochmals zurückentwickelt und somit noch nicht einmal -trotz aller brutaler Auswirkungen- die Talsohle erreicht. Gleiches gilt für Portugal, Irland, Zypern und die meisten südosteuropäischen Länder.
Insgesamt ergab sich für das Bruttoinlandsprodukt in der EU in 2013 ein Nullwachstum, die Euroländer insgesamt waren zum zweiten Mal hintereinander rückläufig und liegen trotz der Ausweitung des deutschen Imperialismus rund 2% unter der Gesamtleistung in 2008. In Deutschland war die Änderung des BIP knapp über null, die USA und Japan verzeichneten (in den Worten früherer Jahrzehnte) »normale Wachstumsjahre«.
Insgesamt zeigen die Daten die gleiche Tendenz wie bei den Investitionen.
Die unbeendete Krise zeigt in Europa auch hinsichtlich der Erwerbslosigkeit ihr hässliches Gesicht:
Während in der gesamten EU sich die Erwerbslosigkeit seit Krisenbeginn von 7,0% auf 10,8% deutlich erhöht hat, ist sie in Deutschland um rund ein Drittel zurückgegangen. In allen anderen EU-Staaten (mit Ausnahme eines geringen Rückganges in der Türkei) stieg die Arbeitslosigkeit seit Krisenbeginn an. In den hauptbetroffenen Ländern wie Spanien und Griechenland dabei besonders, in beiden Ländern gab es seit 2008 jedes Jahr eine Zunahme der Erwerbslosigkeit, auch 2013 wieder.
In der gleichen Betrachtung der osteuropäischen EU-Länder zeigt sich, dass die Arbeitslosigkeit in allen Ländern durchweg angestiegen ist. Wurde teilweise bis 2008 noch von »prosperierenden Reformländern« geschwafelt, trifft diese die Krise ebenfalls besonders hart. Lag die durchschnittliche Erwerbslosigkeit dieser Länder in 2008 noch leicht unter dem EU-Gesamtdurchschnitt, ist diese in den vergangenen fünf Jahren um mehr als zwei Drittel angestiegen und bleibt nur noch in drei Ländern unter 10%.
Im Vergleich zu USA und Japan liegt die Erwerbslosigkeit in der EU höher. Im Euroraum ist sie wiederum nochmals höher als in der EU, lediglich in Deutschland erfolgte eine Reduzierung der Arbeitslosen. Auch wenn wir dabei die Bedingungen dieser Neueinstellungen unbeachtet lassen (Leiharbeit, sogenannter Niedriglohnsektor) drängt sich die Frage auf, inwieweit diese Entwicklung ein Grund für das Stillhalten der Arbeiterklasse in Deutschland ist, also kaum Gegenwehr vernehmbar wird. Während die Kollegen auf dem ganzen Kontinent und auch in den USA auf die Straße fliegen, reiht sich ein Teil der Arbeitslosen in Deutschland bescheiden und ruhig, oft befristet oder in Leiharbeit in die Betriebe ein.
Die Erhöhung der Erwerbstätigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland beruht bekanntlich nicht auf Inlandskonsum und hiesiger Kaufkraft, sondern auf dem im Verhältnis zu den Konkurrenten des deutschen Imperialismus extrem hohen Exportanteil. Der Warenexport des deutschen Kapitals bestimmt die Entwicklung des BIP und alles Weitere. Nach drei Steigerungsjahren 2010-2012 ging der Gesamtexport im Jahr 2013 um 0,2% zurück, entsprechend erhöhte sich das BIP nur geringfügig um 0,4%. Hier schlägt die Krise langsam ins Inland zurück. Während der Export in EU-Länder in der Spitze fast zwei Drittel ausmachte, fiel er in 2013 auf 57%.
Je krisenhafter die Entwicklung, umso notwendiger ist es für die Monopolbourgeoisie, sich möglichst große Teile der Welt untertan zu machen. Das gilt im besonderen Maße für den deutschen Imperialismus, der mittlerweile über 40% seiner Wirtschaftsleistung (BIP) exportiert, gleichzeitig aber die Konsumtionskraft sowohl der Arbeiter und kleinbürgerlichen Schichten, wie auch die Nachfrage der Bourgeoisie nach Maschinen in seinem wichtigsten Absatzmarkt, den anderen EU-Staaten, durch seine Krisenpolitik erheblich geschwächt hat. Der Absatz in anderen Ländern und Märkten muss immer auch neu erkämpft und abgesichert werden, es besteht im Export verschärfte Konkurrenz und Auseinandersetzungen:
Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage: was und wohin exportieren die deutschen Monopole denn eigentlich? Warenexport ist weltweit betrachtet vorwiegend einerseits Handel mit Industrieprodukten, andererseits die Lieferung von Rohstoffen, insbesondere von Öl und Gas als nach wie vor wesentliche Rohstoffe zur Energieerzeugung. Hier wird besonders deutlich: Export bedeutet Kampf um Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Einflusssphären als Grundlage für imperialistische Auseinandersetzungen. Mit der Vorstellung von einem friedlichen Warenaustausch hat das wenig zu tun.
Dem deutschen Imperialismus ist es gelungen seinen Rückgang im Export innerhalb der EU auszugleichen, insbesondere durch Zuwächse in China, dem übrigen Asien, den USA und einigen europäischen nicht-EU-Ländern, darunter Russland. Doch diese Exporte dürften als weniger gesichert und kontinuierlich einzustufen sein, die Position muss stärker abgesichert werden als in den näheren Ländern der EU. Auch wenn China im Vergleich zwischen 2008 und 2013 den größten Zuwachs im deutschen Warenexport ausmacht, stagniert die Entwicklung seit 2011 und China macht weiterhin nur rd. 6% aller Warenexporte aus Deutschland aus.
Der Saldo aus Ausfuhr und Einfuhr verrät zusätzlich etwas über die Struktur und Stärken des deutschen Imperialismus:
Der hohe Überschuss bei den wichtigsten und größten Exportwarengruppen steht der altbekannten Schwäche der Abhängigkeit von Energieimporten gegenüber.
Umso notwendiger ist es für die deutschen Monopole und ihrem Staat, nicht nur verstärkt in andere Märkte, wie die VR China, Russland oder die USA einzudringen, wo z.B. Siemens gerade seine Energiesparte ansiedelt, um das Geschäft mit der Gasgewinnung aus Gesteinsschichten nicht General Electric zu überlassen, sondern auch, sich weitere Absatzmärkte, Kapitalanlagesphären und Rohstoffquellen wirtschaftlich und politisch abzusichern. Dazu sollen auch die seit einiger Zeit vorbereiteten EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Moldawien, Georgien und ursprünglich auch Armenien und Aserbaidschan dienen. Dass man damit dem russischen »Partner« erheblich auf die Füße tritt ist nicht neu in der langen Geschichte deutsch-russischer Beziehungen. Doch bevor wir dazu kommen, soll kurz auf die Rolle der Ost- und Südostexpansion des deutschen Imperialismus für die Kräfteverhältnisse innerhalb der EU und hier vor allem gegenüber Frankreich eingegangen werden.
Sich im Osten stärken, um den Westen zu erpressenDie Herrschenden haben ihre heutige Stellung als mit Abstand ökonomisch stärkster und politisch führender Staat in Europa nur erreicht, in dem es ihnen gelungen ist, nach den Konterrevolutionen und der Einverleibung der DDR die über 100 Jahre alten Expansionsstrategien der deutschen Monopolbourgeoisie Schritt für Schritt im Rahmen der EG und dann EU umzusetzen. Kinkel hatte 1993 in der FAZ, durchaus auf die kriegerische Geschichte deutscher Expansion anspielend, das Ziel vorgegeben: » … nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht … Wir sind auf Grund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen.«
2 Es galt also, die Hegemonie in Westeuropa zu erreichen, um freie Hand im Osten zu haben, bzw. sich im Osten und Südosten zu stärken, um so gestärkt die Hegemonie im Westen voranzutreiben. Carl Diusberg, IG-Farben, hatte das 1931 aufgrund der damaligen Situation folgendermaßen formuliert: »Auch in Europa scheint dieses Ziel des regionalen Wirtschaftsraumes allmählich festere Formen anzunehmen … Handelspolitisch wird letzten Endes eine Verständigung zwischen Deutschland, Österreich und den südosteuropäischen Staaten die Form einer Zollunion finden müssen … Durch diese regionale Wirtschaftskombination kann das europäische Problem von der Südostecke aus aufgerollt werden.« Und weiter: » … Erst ein geschlossener Wirtschaftsblock von Bordeaux bis Sofia wird Europa das wirtschaftliche Rückgrat geben, dessen es zur Behauptung seiner Bedeutung in der Welt bedarf.«
3 Die Aufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Staaten kann eben nur »nach der Macht« erfolgen, anders geht das im Kapitalismus nicht, wie Lenin schon 1916 feststellte. Da ändern auch imperialistische Bündnisse wie die EU bzw. darin als Kern die deutsch-französische Achse nichts daran. Von daher war es keine Beliebigkeit, dass die politischen Vertreter des deutschen Imperialismus, kaum war die DDR einverleibt, begannen, Jugoslawien in verdaubare Happen zu zerschlagen und gleichzeitig die Osterweiterung der EU angingen. Der »Einklang mit den Nachbarn« war in beiden Fällen nur mit Hilfe aggressiver Erpressung durch die Drohung mit der Sprengung des Bündnisses und des allzu gut bekannten Alleinganges des deutschen Imperialismus herzustellen.
4 Es galt eben einen Wirtschaftsraum von Bordeaux bis Sofia zu schaffen, - ohne Handelsbeschränkungen für den Waren- und Kapitalverkehr, mit gleichen Rahmenbedingungen für in- und ausländisches Kapital, der viel gepriesenen »Rechtssicherheit« - und so den Weg frei zu machen weiter gen Osten. Ein solcher Wirtschaftsraum ist theoretisch natürlich für alle Kapitalisten innerhalb der EU nützlich, was ja gerade den Charme für den deutschen Imperialismus ausmacht, dessen Expansionsbestrebungen so verhüllt werden. Doch es ist auch klar, dass die Stärksten am meisten von solcher Freiheit profitieren und zusätzlich eben jene, die »aufgrund ihrer Lage und ihrer traditionellen Beziehungen« besondere Vorteile haben. So konnte die Deutsche Bundesbank bereits 2004, also dem Jahr, in dem die Osterweiterung rechtsgültig wurde, feststellen, dass Deutschland innerhalb der alten EU mit 40% aller Exporte der wichtigste Handelspartner der neuen Mitgliedsländer ist, begleitet von deutschen Kapitalexporten in Höhe von 68 Milliarden € und 46% aller ausländischen Direktinvestitionen in diese Länder.
5 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit frohlockte damals: »Noch wichtiger ist, dass die deutsche Wirtschaft ihren Weltmarktanteil … bei deutlich über 9% halten konnte«, wogegen die Weltmarktanteile der USA, Japans und Frankreichs zwischen 1993 und 2002 gefallen sind.
6Mit diesen wirtschaftlichen Kräfteverschiebungen im Rücken, konnte sich dann die Schröder-Fischer-Regierung daran machen, die »Vertiefung« der EU in Form der Europäischen Verfassung bzw. des Vertrages von Lissabon weitgehend nach deutschen Vorstellungen vor allem gegenüber dem engsten Bündnispartner Frankreich weiter voran zu treiben, also auch die politische Macht des deutschen Imperialismus weiter zu stärken. Und die Merkel-Regierung war daraufhin wiederum in der Lage, ihre Krisenpolitik auf Kosten vor allem der südeuropäischen EWU-Länder zu diktieren. Das bedeutete zwar einerseits, dass nicht nur deutsche, sondern auch französische Banken mit EU-Geldern gerettet wurden – einer der vielen zwischenstaatlichen Deals, die innerhalb der EU jenseits irgendwelcher EU-Regelungen und -Hierarchien zum Geschäft gehören - andererseits hatte das aber eine weitere ökonomische Schwächung der französischen Monopole zur Folge, die wesentlich in diese Staaten sowohl Waren, wie auch Kapital exportieren.
Insbesondere Deutschland hat seit Krisenbeginn (und auch schon seit 2004) seinen Kapitalexport massiv verstärkt. Der sehr hohe Warenexport hängt so mit dem Kapitalexport zusammen. Der Kapitalüberschuss, den das deutsche Kapital durch den Warenexport aufhäuft, fließt zu einem großen Teil als Kapitalexport wieder zurück in die Länder und fordert neue Profite. Von den 28 EU-Staaten haben 8 eine positive Bilanz des Auslandsvermögens (Kapitalexport größer als Kapitalimport). Dieser Kapitalexport umfasst dabei sowohl den Kauf von Firmen in anderen Ländern, direkte Investitionen in Produktions- oder sonstige Betriebsstätten, also auch Kapital in Form gewährter Kredite. Von der Summe Kapitalüberschuss der genannten 8 EU-Länder entfällt auf Deutschland allein 63%, einige haben nur sehr geringe Überschüsse wie z.B. Malta mit 2 Milliarden Euro.
Auf der anderen Seite stehen 20 »verschuldete« EU-Staaten mit höherem Import von Kapital in ihr Land als in die Gegenrichtung:
Wichtig ist hierbei nochmals die Betrachtung der Dynamik seit Krisenbeginn in 2008. Während Deutschland einen Gutteil seines Kapitalüberschusses in den letzten Jahren erreichte, erhöhten sich die Negativpositionen der größten Schuldnerländer und der Hauptkonkurrenten innerhalb der EU Frankreich, Italien und Großbritannien seit 2008 deutlich. In der Veränderung des Auslandsvermögens spielen die Kredite eine wesentliche Rolle. Veränderungen ergeben sich auch bei Kreditrückzahlungen, bzw. –neuvergaben. Es zeigt sich insofern, dass Großbritannien und Frankreich auch in der Krise noch weitere Mittel aufnehmen konnten, wohingegen den am stärksten verschuldeten Länder sprichwörtlich der Hahn zugedreht wurde.
GegenbündnisseNun ist es nicht so, dass die Vertreter des französischen Imperialismus nicht Gegenleistungen im Hinblick auf ihre traditionellen und wieder erstrebten Einflusszonen im Mittelmeerraum bzw. auf dem afrikanischen Kontinent forderten und z.T. auch durchsetzen konnten. So wurde 1995, wohl als Kompensation für die Osterweiterung, die Euromediterrane Partnerschaft ins Leben gerufen, in dessen Folge inzwischen Abkommen zwischen den EU-Staaten und den Mittelmeerstaaten Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien und Libanon abgeschlossen worden sind. Diese Abkommen waren jedoch nie dazu gedacht, dass diese Staaten der EU beitreten und bedeuten im Wesentlichen Handelserleichterungen. Die bis 2010 angestrebte euro-mediterrane Freihandelszone gibt es bis heute nicht. Bemühungen der französischen Regierung unter Sarkozy, ein Bündnis unter französischer Führung, außerhalb des EU-Rahmens und damit ohne Mitspracherechte der Deutschen, zu schmieden, wurden von der Bundesregierung vereitelt und dafür die Mittelmeerunion im Rahmen der EU etabliert.
Auf die Strukturen der EVP (Europäische Verteidigungspolitik) konnte der französische Imperialismus, der bei seinem Kampf um Einflusszonen zunehmend auf die militärische Karte setzt, - und damit auf den Bereich, auf dem er dem deutschen Imperialismus noch einiges entgegenzusetzen hat - bisher kaum zurückgreifen. Eine deutsch-französische Brigade mit 5000 Soldaten, stationiert in der BRD, einst im Einsatz in Bosnien, Kosovo und Mazedonien, konnte die französische Regierung auf dem afrikanischen Kontinent bisher nicht nutzen. Für französische Interessen zu kämpfen war nicht im Sinne des deutschen Staates, eine Haltung, die Kräfte wie Gauweiler bis heute vehement vertreten und damit eine Sprengung des deutsch-französischen Bündnisses in Kauf nehmen. Die Kriegsausgaben zur Sicherung seiner Einflusszonen und Rohstoffe (z.B. Uran in Mali) muss der französische Staat also alleine aufbringen (während er gleichzeitig die Maastrichtvorgaben einhalten soll), während der deutsche Imperialismus seine Einflusszonen mit Hilfe von EU-Geldern, also auch mit Steuergeldern der anderen EU-Staaten, ausdehnen konnte und nun versucht weiter auszudehnen.
Die französische Regierung reagierte ab 2009 mit einem französisch-britischen Bündnis in Rüstungsfragen, das sich 2011 dann auch in dem zunächst französisch-britischen Angriff auf Libyen manifestierte und es im vergangenen Herbst ganz so aussah, als würde sich das, zusammen mit den USA, in einem Angriff auf Syrien wiederholen. In deutschen Denkfabriken wurde dieses Bündnis durchaus als Gefahr einer Neuauflage der Entente cordiale begriffen.
7Andererseits drängte die französische Regierung immer heftiger darauf, dass französische Interventionen personell oder auch finanziell durch die EU unterstützt werden. Dies scheiterte lange an der Weigerung der deutschen Regierung - bis im Winter 2013/2014 die Umkehr erfolgte und Merkel die deutsche Unterstützung in Mali und Zentralafrika zusicherte. Was genau da hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden ist, ist nicht bekannt. Klar dürfte sein, dass dies auch der Versuch ist, das britisch-französische Bündnis zu torpedieren. Offen genannt worden ist nur, dass französische Politiker nun auch die Expansion des deutschen Imperialismus im Osten flankieren sollen. So berichtet die SZ vom 21.1.14, Außenminister Steinmeier habe von einem Gipfel die »Wahrnehmung mitgebracht« wie sehr sich Paris eher um Südeuropa und die Mittelmeerregion kümmere, während Berlin eher die Lage in Osteuropa im Blick habe. Dies solle sich nun ändern, man wolle gemeinsam auftreten. Der Dreierauftritt des deutschen, französischen und polnischen Außenminister in der Ukraine war wohl Ausdruck davon, wobei vom franz. Außenminister kaum was zu sehen und zu hören war. Und nun fahren Steinmeier und sein französischer Kollege nach Moldawien, dem nächsten EU-Assoziierungskandidaten, bei dem ein kleiner Teil dieses Landes sich nicht assoziieren lassen will. Aus Kommentaren in der bürgerlichen Presse lassen sich jedoch noch weitere Verhandlungspunkte als Gegenleistung für die deutsche »Unterstützung« erahnen, wie: kein französischer Alleingang mehr, was Interventionen betrifft oder ob Frankreichs Sitz im Sicherheitsrat noch zeitgemäß ist. Schließlich muss Deutschland führen, wie Volker Rühe Anfang dieses Jahres forderte.
Anmerkungen:
1 Eine Erhöhung der Bruttoanlageinvestitionen in 2013 gegenüber 2008 gab es bei den Euroländern nur in Österreich, daneben bei den nicht-Euroländern in der EU in Schweden, Norwegen, Türkei und der Schweiz
2 FAZ 19.3.1993
3 Aus der Rede Carl Diusbergs über »Gegenwarts- und Zukunftsprobleme der deutschen Industrie« auf der vom Bayerischen Industriellen-Verband veranstalteten Tagung »Wirtschaft in Not« am 24.März 1931, in: Reinhard Opitz (Hg.) »Europastrategien des deutschen Kapitals«, Bonn 1994, S.581
4 So drohten Schäuble und Lamers in einem Strategiepapier der CDU/CSU-Fraktion vom 1.9.(!)1994 mit dem Titel: Überlegungen zur europäischen Politik: »Ein staatsgefährdendes Vakuum, ein Zwischeneuropa darf es nicht wieder geben. Ohne eine solche Weiterentwicklung der (west)europäischen Integration könnte Deutschland aufgefordert werden, oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Stabilisierung des östlichen Europa alleine und in der traditionellen Weise zu bewerkstelligen.«
5 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Mai 2004 »Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die deutsche Wirtschaft«
6 BMWA »Außenwirtschaftliche Position Deutschlands« 12.7.2004 http://www.bmwa.bund.de/…/aussenwirtschaftspolitik,did=36846,render=renderPrint.htm
7 So ist z.B. ein Artikel der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in DGAPanalyse 10/August 2012, mit »Entente Cordiale« überschrieben, der sich mit den französisch-britischen Rüstungskooperationen der letzten Jahe befasst