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Das Massaker des Oberst Klein war keine unerwünschte Ausnahme, wie es jetzt vom Kriegsministerium dargestellt wird. Schon lange werden Bundeswehrsoldaten von höchster Stelle zu hemmungslos aggressivem Handeln ermuntert. Und ohne das Parlament zu informieren, hat die Bundeswehr im April 2009 die Vorbehalte gegen militärische Offensiven der NATO in Afghanistan - endgültig über Bord geworfen. In der Operation "Adler" versuchten im Juli deutsche und afghanistanische Soldaten die Taliban aus dem Distrikt Chahhar Darreh zu vertreiben.

Der abgesetzte Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 berichtete, "über bisher Undenkbares" nachgedacht. Über die Frage nämlich, "ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen". Was seinerzeit "undenkbar" war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind beseitigt.

Und so griff Oberst Georg Klein mit Bombern eine Gruppe von Afghanen an, die zwei geklaute, manövrierunfähige Tanklastzüge umringten. Unter ihnen konnten ja Terroristen sein, und dann ist alles erlaubt. Rund 150 Todesopfer wurden gezählt. Der zuständige Minister billigte den Massenmord sofort, so in seiner Erklärung vom 6. 9. 09. Oberst Klein hatte ihm berichtet, es sei ihm darum gegangen, die Menschen am Kundusfluss "zu vernichten". Der zurückgetretene Minister dachte ja in ähnlichen Kategorien: Wer zum Beispiel ein Flugzeug entführt, sollte, weil er ja ein Terrorist sein könnte, abgeschossen werden, ob Unbeteiligte dabei sind oder nicht. Ein mutmaßlicher Terrorist war todgeweiht, ungeachtet dessen, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Daran hielt Jung fest, obwohl das Bundesverfassungsgericht es ihm untersagte. Zwei Wochen nach dem Massaker von Kundus schrieb "Ossietzky" über Jung: "Da er zudem die Bundeswehr nicht nur in der Luft über uns, sondern auch auf dem bundesdeutschen Festland einsetzen will, darf man mit Unruhe und Angst erwarten, was er unternimmt, wenn mutmaßliche Terroristen einmal auf einer unserer Autobahnen einen Tanklastzug entführen." Für den Fall, dass Soldaten doch noch Hemmungen haben, nach Schneiderhans und Jungs Rezept zu handeln, werden sie mit permanenter Hetzpropaganda aufgestachelt. "Unter der Überschrift ´Köpfe des Terrors´ werden in der September-Ausgabe des Bundeswehr-Magazins Y am Computer produzierte Bilder von Führern der El Quaida, Taliban und Dschihad präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten Wirkung ihre Vorläufer im Stürmer haben. Als Beweis lege ich Ihnen die Faksimiles eines Stürmer-Titelbildes von 1943 bei." Das schrieb Alfred Fleischacker, der aus einer jüdischen Familie stammt und als Kind in England den Naziterror überlebte, in einem offenen Brief an den Bundesverteidigungsminister. Der Brief war in der antifa, der Zeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten, dokumentiert. Die VVN-BdA wies auf die besondere Aktualität vor dem Hintergrund des Blutbades am Kundus-Fluß hin und warf die Frage auf, "welches Menschenbild der Truppe vermittelt wird, die derartige Kriegsverbrechen begeht". http://antifa.vvn-bda.de/200909/0301.php Die Veröffentlichung in Y ist kein Einzelfall. In Publikationen, die in der Bundeswehr verbreitet werden, wird beispielsweise ein Ende der Gerichtsverfahren gegen Wehrmachtskriegsverbrecher gefordert. Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt äußerte, auch die heutigen Bundeswehrsoldaten könnten "in Situationen" geraten, in denen sie wie einst Hitlers Soldaten "überreagieren". (Siehe Ossietzky Heft 8/09) Sie müßten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb solle Schluss sein mit der Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher. In der Zeitschrift Gebirgstruppe sprang Reichardt ausdrücklich dem in München zu lebenslanger Haft verurteilten Leutnant a. D. Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes an 14 italienischen Zivilisten angeklagt war.

Auch die neue "Taschenkarte", die Minister Franz Josef Jung an die Soldaten ausgeben ließ, trägt mit ihrer aggressiven Tendenz dazu bei, dass deutsche Soldaten wieder verwendungsfähig für Kriegsverbrechen werden. Die "Süddeutsche" berichtete zwar: Ein Regierungssprecher "bestritt erneut, dass die Regierung jenseits des geltenden Bundestagsmandats eine verschärfte Afghanistan-Strategie beschlossen habe, ergänzte dann: "Die Opposition gründete diesen Verdacht darauf, dass im Juli die sogenannte Taschenkarte für die Soldaten präzisiert worden war. Die Taschenkarte ist ein vierseitiges Papier, mit dem den Soldaten im Einsatz die Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt verdeutlicht werden sollen. Demnach ist Gewaltanwendung erlaubt zur ´Verhinderung und Abwehr von Angriffen´ gegen Nato- oder Isaf-Angehörige sowie gegen afghanische Sicherheitskräfte. Angriffe können dadurch verhindert werden, ´dass gegen Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder sonstiges feindseliges Verhalten zeigen´, heißt es." (SZ 15. 12. 09) Durch diese Taschenkarte "könnte sich Oberst Georg Klein ermutigt gefühlt haben, die Bombardierung der Tanker zu befehlen." (ebenda) Einen weiteren Beleg zur Tatsachenfeststellung, dass die Bundeswehr bereits im Frühsommer 2009 endgültig auf Aggression umgestellt wurde, stellt das Juni-Heft von "Y" dar. Das Outfit des Mai-Heftes war noch geprägt von SchwarzRot-Gold und Bild mit Text: "Soldaten helfen Kindern in Not". Das Juli-Titelbild des Magazins der Bundeswehr zeigt zwar einen Milchgesichtsbubi, aber der ist angetan mit allem, was die "Soldaten-sind-Mörder"-Industrie derzeit hergibt, und das Gewehr hält er schussbereit. Die Schlagzeile lautet: "Bewährt im Einsatz", im Kriegseinsatz nämlich und dies "seit 15 Jahren". Bemerkenswert sind die Texte zum "Wettrüsten" sowie zum "Atomaren Albtraum", wobei deutlich wird, dass der Albtraum für die Bundeswehr in der Abrüstung liegt. Obama mit seinem atomaren Abrüstungsvorschlag wird als "Träumer" dargestellt. Erst nach 30 Seiten taucht in dem Heft das Wort Frieden im Zusammenhang mit der Bundeswehr auf. Und auch die Menschenrechte sind gar kein Begriff mehr für die Truppe.

Die Bundeswehr war nie die größte Friedensbewegung, wie sie sich bis 1989 gern nannte. Die Bundeswehr versteht sich als eine Armee im bewaffneten weltweiten Einsatz. Zu diesem Zweck wurde sie transformiert. In "Y", Mai 09, schreibt der Chefredakteur, "die Transformation der Bundeswehr war erfolgreich und hält an."

Die Medien der Bundeswehr, aber auch viele öffentliche Medien wehren sich gegen die Verwendung des Begriffs "Kriegsverbrechen" im Zusammenhang mit dem "Vorfall" am Kundusfluss vom 4. September. Was ist ein Kriegsverbrecher?

Kriegsverbrecher haben sich im Rahmen des Vernichtungskrieges 1939 bis 1945 an der "Ermordung und Misshandlung von Zivilisten, ihrer Verschleppung zur Zwangsarbeit, Tötung von Geiseln, mutwilliger Zerstörung von Dörfern, Misshandlung von Kriegsgefangenen und an mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen" beteiligt. So definierte es das Nürnberger alliierte Gericht 1946 im Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Von Ermordung von Zivilisten und an 8 mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen muss sicherlich im Zusammenhang mit der Untat des Oberst Georg Klein gesprochen werden.

 
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