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Von secarts

Anfang des Jahres sorgte Jürgen Elsässer, einstmals „junge Welt“- und „Neues Deutschland“-Redakteur, mal wieder für Furore mit der Gründung einer „Volksinitiative gegen Finanzdiktatur“. Diese hat nach eigenen Angaben die Initiierung einer „Volksfront“-Bewegung zum Ziel, die „neben den unteren Klassen auch die Mittelschichten umfassen sollte und darüber hinaus auch die Teile des Kapitals ansprechen will, die sich dem spekulativen Angriff des internationalen Finanzkapitals entgegenstellen“. In der Gründung dieser Initiative findet die strategische Orientierung Elsässers, die „ideologischen Scheuklappen“ zu überwinden und der „sektiererischen Klassenkampf-Orientierung“ eine Absage zu erteilen, ihren vorläufigen Höhepunkt.

Sich mit der „Volksinitiative“ zu befassen bedeutet nicht, dieser Gruppierung eine Bedeutung zuzusprechen, die sie nicht hat. Elsässers Versuch eines politischen Brückenschlags zwischen den Welten ist längst da gelandet, wo er hingehört: Im Sumpf von 9/11-Verschwörungstheoretikern, „Neuen Rechten“ und Politdesperados jeglicher Couleur.

Die Annahmen Elsässers und der „Volksinitiative“ lassen sich zu folgenden Schlussfolgerungen verdichten:
  • die derzeitige Krise sei das Ergebnis von gewagten, ja kriminellen Finanzspekulationen, also eigentlich eher eine Finanz-, denn eine Wirtschaftskrise (und damit auch, potentiell, vermeidbar);
  • insbesondere ein aggressives „anglo-amerikanisches Finanzkapital“ (oder auch nationsloses oder internationales Kapital) fördere diese Spekulation und profitiere von ihr;
  • die Zerstörung der Nationalstaaten unter dem Vehikel „Globalisierung“ sei ein nötiger Schritt für die völlige Unterjochung der Erde unter das Diktat dieses Finanzkapitals; und
  • deswegen sei die Stärkung des Nationalstaates, der alleine die Möglichkeiten zum Hinauswurf dieses internationalen Kapitals aus dem nationalen Wirtschaftsraum hätte, unabdingbar.

Nach diesem Ansatz besteht der Hauptwiderspruch unserer Zeit zwischen „internationalem“ (Finanz-)Kapital und einem breiten Block aus „nationalem“ (Industrie-)Kapital über die „Mittelschichten“ bis hin zur Arbeiterklasse. Ihr Mittel im Kampf gegen „Casinokapitalismus“ und „Spekulation“ müsse der Nationalstaat sein; nötig sei ein breites Bündnis von „Lafontaine bis Gauweiler“.

Warum wir das Kapital nicht in „gut“ und „schlecht“ trennen können

Die Trennung von „guten“ und „bösen“ Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist schon deswegen grundfalsch, weil sich „Spekulation“ und „Produktion“ nicht nur gegenseitig bedingen, sondern ohne einander im Kapitalismus schlicht nicht existieren können. Selbst die kühnsten Spekulationen, in Hoffnung auf möglichst hohen Profit, sind nicht von der so genannten „Realwirtschaft“ abgekoppelt, sondern zehren – nur! - von dem Mehrwert, der irgendwann einmal den Arbeitern abgenommen wurde – und deswegen haben wir es auch mit keiner „Blase“, die abgehoben vom realen Kapital und unabhängig von ihm existiert zu tun: die „Blase“, das ist – der Kapitalismus selbst. Nicht nur falsch, sondern gefährlich wird die Trennung in „positive“, beizubehaltende „produktive“ und „negative“, „spekulative“ Seiten des Kapitalismus, wenn der Arbeiterklasse so die Rettung des Kapitalismus verkauft werden soll. Dazu stellte Lenin (Werke, Bd. 22, S. 234) bereits 1914 fest: „Die Kapitalien der Banken teilt der Verfasser [Bankier Agahd] in „produktiv“ (in Handel und Industrie) und „spekulativ“ (in Börsen und Finanzoperationen) angelegte ein; dabei glaubt er von dem ihm eigenen kleinbürgerlich-reformistischen Standpunkt aus, man könne unter Beibehaltung des Kapitalismus die erste Art der Kapitalanlage von der Zweiten trennen und die Zweite beseitigen.“

[file-periodicals#72]Ebenso unsinnig ist es, das Finanzkapital lokal orten zu wollen. In den imperialistischen Metropolen, in der BRD also nicht anders als beispielsweise in den USA, ist das einstmalige Industrie- und Bankkapital längst zum Finanzkapital (in Form von Monopolen) verschmolzen; eine Trennung in „spekulative“ und „produktive“ Teile desselben ist nicht nur irrig, sondern geht am Kern der Sache schlicht vorbei. Schon ein simpler Blick auf Beteiligungen und Mehrheitsverhältnisse der großen Monopole untereinander illustriert dies. Festzuhalten bleibt: Die Konzentration des Kapitals in immer größeren Zusammenhängen ist ein gesetzmäßiges, unvermeidliches Ergebnis des Kapitalismus. Ebenso notwendig und gesetzmäßig werden diese Monopole von Finanzkapitalisten beherrscht. Zu behaupten, das Finanzkapital käme in erster Linie „von außen“, ist also eine Verdrehung der Realität und nur geeignet, dem Kapital ideologische Schützenhilfe bei seinem Expansionskurs zu geben. Hier wird das – deutsche! – Finanzkapital zum „weißen Ritter“ erklärt und sein Feldzug zur Unterjochung der Welt (gegen die Konkurrenz des britischen, US-amerikanischen, etc… Finanzkapitals) als ein unterstützenswerter, gar im Interesse der Arbeiter selbst liegender Verteidigungskampf gegen „internationale Zocker“ verniedlicht und gutgeheißen. Elsässer dient sich der herrschenden Klasse, speziell ihren besonders expansionistischen und reaktionären Vertretern, als Wanderprediger des Burgfriedens an.

Warum wir in dieser Nation kämpfen müssen

„Die Arbeiter haben kein Vaterland“, befanden Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest. Darin steckt dreierlei: zum einen die Vorwegnahme der kommenden klassen- und selbstverständlich auch nationslosen Gesellschaft: die proletarische Revolution, die zunächst im jeweiligen nationalen Rahmen stattfindet (und nur dort stattfinden kann), ist also mehr als eine nationale Angelegenheit. Des Weiteren die Feststellung, dass der Staat der Staat der Herrschenden ist: der bürgerliche deutsche Staat ist also der Staat der deutschen Bourgeoisie, nicht der der Arbeiterklasse – er ist Instrument der Herrschaft dieser Bourgeoisie über das Proletariat. Zum anderen die internationale proletarische Solidarität: der Sturz der jeweiligen nationalen kapitalistischen Ordnung durch das Proletariat ist Beitrag zum Sturz der kapitalistischen Weltordnung und damit praktischer Internationalismus.

Die Nation (als Gemeinschaft der Sprache, der Wirtschaft, der nationalen Kultur sowie als territoriale Einheit) ist die höchste Organisationsform der Bourgeoisie; alle übernationalen Gebilde, heißen sie nun NATO, EU oder WTO, haben temporären Bündnischarakter. Dies kann auch nicht anders sein, ist doch die staatliche Organisierung der Nation der einzige verlässliche Rahmen, über den die Bourgeoisie verfügt und auf den sie zurückgeworfen wird, wenn die Widersprüche zwischen den kapitalistischen Nationen eskalieren. Und so sehr die kapitalistische Ausbeutung für die Arbeiter real ist, ist es auch der bürgerliche Staat – nicht als „Vaterland“, sondern als Zwangsmechanismus zu ihrer Niederhaltung und Ausspielung gegen die Arbeiter anderer Länder.

Bei der Ausbeutung der nicht-imperialistischen Länder wird die eigene Arbeiterklasse teilweise zum Komplizen gemacht; immer dort, wo das Proletariat zur Befriedung der „Heimatfront“ mit sozialen Brosamen, die durch Profite aus in- und ausländischer Ausbeutung finanziert werden, ruhig gehalten wird, um so stabiler expansiv tätig werden zu können. Der Untergang des europäischen Sozialismus besiegelte jedoch das Ende dieser relativ leicht errungenen Zugeständnisse an die Arbeiterklasse der BRD – seither erleben wir eine Anpassung an „normalkapitalistisches Niveau“.

Halten wir fest: Anerkennen des nationalen Kampfrahmens der Arbeiterklasse als konkreter Aspekt der internationalen Befreiung des Proletariats hat nichts zu tun mit der Verklärung des „neutralen“ Staates, der angeblich der hiesigen Arbeiterklasse nützen könnte. Das einzige, was die Arbeiter hierzulande und in dieser Gesellschaft für sich herausholen können, wird im Kampf gegen die Bourgeoisie und ihre Institutionen gewonnen. Dieser Kampf findet nun einmal, der Natur der Sache gemäß, in der Arena statt, die die Bourgeoisie – für alle Beteiligten – aufgebaut hat. Auch der Sturz der deutschen Bourgeoisie wird und muss also das Werk des hier lebenden und arbeitenden Proletariats sein, genauso wie beispielsweise der Sturz der US-amerikanischen Bourgeoisie Aufgabe der dortigen Arbeiterklasse ist. Wir helfen ihr (und viel stärker noch den unterdrückten Klassen in den Ländern, die vom deutschen Imperialismus bedrängt werden!) am effektivsten, indem wir unseren hauseigenen Räuber, den deutschen Imperialismus, zur Strecke bringen.

Der Fall Elsässer – und die Schlussfolgerungen für uns

Den Kapitalismus zur Strecke zu bringen, das wissen wir seit Marx’ und Engels’ Zeiten, ist schwer genug. Offenkundig ist aber, wie es nicht funktioniert: verwischen des Hauptwiderspruchs, des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Wenn Elsässer seiner „Volksinitiative“ in deren Gründungserklärung schreibt „Hauptaufgabe der Linken ist der Aufbau einer Volksfront, die das national bzw. ‚alt-europäisch’ orientierte Industriekapital einschließt. Die Reduktion auf Klassenkampf [sic!] ist sektiererischer Unsinn. Hauptaufgabe der Volksfront ist die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors und die Abdrängung der anglo-amerikanischen Finanzaristokratie aus Europa, in der Perspektive ein eurasisches Bündnis“, wird die Aufgabe des Klassenkampfes nicht nur eingestanden – der ideologische Salto hin zum Apologeten der räuberischen und aggressiveren Teile des deutschen Kapitals ist perfekt. Die kühnsten Träume der deutschen Bourgeoisie, nämlich strafloses Einheimsen der ausländischen Konkurrenz, werden mit pseudolinkem Chauvinismus verquast. Ironie am Rande: die von Elsässer so bewetterte EU, die angeblich ganz im Dienste des dämonischen Finanzkapitals aus Ostküste und Wallstreet steht, ist – zumindest nach den Planungen des deutschen Kapitals – gar nicht so weit entfernt von dem, was er den deutschen Geostrategen anempfiehlt: der Versuch, mit einer „Achse Berlin-Paris“ gegen die USA mithalten zu können. Das nicht zu erkennen, spricht für den Grad von Elsässers Verblendung.

Querfrontkonzeptionen, wie sie von Elsässer und anderen vertreten werden, arbeiten mit verkappter Kapitalismus-"kritik" und sozialer Demagogie, mit Negierung des historischen Subjekts, der Arbeiterklasse und Absage an den Klassenkampf, mit hemmungslosem Antiamerikanismus – also der Verortung des (weltweiten) Hauptfeindes in den USA, die als „Welthegemon“, „Sheriff“ oder Nervenzentrum einer „globalisierten“ Welt wahrgenommen werden – und nicht zuletzt mit Leugnung der Aggressivität oder des schlichten Vorhandenseins des deutschen Imperialismus.

Es kann keine Gemeinsamkeit mit solchen sozialdemagogischen und rückwärtsgewandten Konzeptionen geben. Jürgen Elsässer hat sich aus dem linken Diskurs, aus der – bekanntlich großen – Spannbreite an diskutierbaren Meinungen verabschiedet. Dementsprechend kann und muss es Aufgabe sein, ihn und seine Proliferanten zu isolieren – und auf die wirklichen Ziele unserer Taktik und Strategie zu orientieren: antifaschistische Aktionseinheit der Linken; Orientierung auf den Hauptfeind, den deutschen Imperialismus und internationale Solidarität mit den weltweiten Befreiungskämpfen, um die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus hin zum Sozialismus zu erreichen.


Dieser Artikel erschien am 24.08.2009 in der Zeitschrift "Theorie & Praxis", Ausgabe #18, Schwerpunkt "Kapitalismus in der Krise" [zum Download].

Ein erweiterter Artikel des Autors zum Thema Elässers "Volksinitiative" und den Schnittpunkten zur "Querfront" erscheint in Kürze auf secarts.org.



 
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  Kommentar zum Artikel von Rainer:
Dienstag, 14.10.2014 - 22:53

Habe erst nach lesen des Artikels gesehen dass der schon 5 Jahre alt ist. Respekt , hat alles gestimmt !