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In der Druckindustrie ist es zu einem Abschluss zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverband Bundesverband Druck und Medien (bvdm) gekommen. Die Beschäftigen erhalten zum 1. Juli 2007 3,0 Prozent mehr Lohn, ab 1. 7. 2008 2,1 Prozent. Der Altersteilzeit-Tarifvertrag, der in 2007 ausgelaufen wäre, wird bis zum 31. 12. 2009 verlängert. Der Abschluss war nach fünf Verhandlungsrunden nur unter den Bedingungen von Warnstreiks in annährend 100 Betrieben unter Beteiligung von 10 000 Beschäftigten möglich geworden. Hier kommt die besondere Rolle dieser Auseinandersetzung zum Ausdruck: Ohne Streiks ist es in der Druckindustrie nicht möglich, gegenüber den Druckarbeitgebern gewerkschaftliche Lohnforderungen durchzusetzen. Wie bereits in der MTV-Runde 2005 setzt der bvdm prinzipiell darauf, ver.di zu schwächen. Über den Tarifabschluss gibt es eine heftige Debatte. Es wird in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Diskussion gefragt: Warum wurde ein Abschluss vereinbart, der bezogen auf die üblichen 12 Monate Laufzeit, unter drei Prozent liegt? Warum wurde eine Laufzeit von 24 Monaten unterschrieben? Warum wurde nicht auf weitere Streikaktivitäten gesetzt?

Die Gewerkschaftsbewegung hat es in den letzten Jahren mit ihrer Lohnpolitik nicht geschafft, die Lohnquote zugunsten der Arbeitnehmer/innen und zu ungunsten der Unternehmensgewinne zu stärken. Die Lohnquote sagt nicht nur etwas über die Verteilungsverhältnisse, sie sagt auch etwas über die Schwäche der Gewerkschaftsbewegung aus. Hier lag eine der Herausforderungen in der Lohnrunde 2007. Herausragend ist der Metallabschluss. Mit ihm wurde eine Marke (Lohnführerschaft) gesetzt. Kurz vorher hatte die IG BCE mit ihrem Abschluss den Ansatz der Leitführung versucht vorzulegen. Die IG Metall hat deutlich gemacht, dass Gegenwehr auch mit Gegenmacht zu tun hat. Der Metall- wie der Chemieabschluss greift auf eine boomende Branche zurück. Hier die Verteilungsfrage zu stellen, ist einfacher als in der Druckindustrie, in der Stagnation und aktuell Umsatzrückgang angesagt ist.

Neben der Frage der Lohnführerschaft, der Frage der Umverteilung gibt es eine strittige Debatte um die gesellschaftspolitische Bedeutung der Lohnpolitik in der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Zu Recht haben die IG Metall und ver.di betont, dass nicht die sektorale Lage der Branchen der Maßstab für die Lohnpolitik ist, sondern die volkswirtschaftliche. Mit der Lohnpolitik soll das Gesamteinkommen der Arbeitnehmer/innen gestärkt werden. Es geht mit der solidarischen Lohnpolitik darum, dass alle abhängig Beschäftigen teilhaben an dem Wachstum der Einkommen.

Absicht in der Lohrunde in der Druckindustrie war es, eine Reallohnsteigerung zu erreichen. Das wurde für 2007 mit dem Abschluss durchgesetzt. Die Laufzeit über 24 Monate wie die Erhöhung von 2,1 Prozent ab 1. 7. 2008 dürfte für 2008 auf dem Niveau leicht über der Preissteigerungsrate liegen können. Die Abwehr der betrieblichen Verteilung und Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage in den einzelnen Unternehmen, kann nicht hoch genug bewertet werden. Dies war eine prinzipielle Frage für die Arbeitgeber.

2009 kann der MTV in der Druckindustrie gekündigt werden. Es wird um eine grundsätzliche Auseinandersetzung gehen: Will der bvdm noch einen Tarifvertrag mit ver.di zur Regelung von Arbeitsbeziehungen oder verlässt man diesen Pfad auf Arbeitgeberseite. Dem bvdm wie den anderen Arbeitgeberverbänden ist die 35-Stunden-Woche ein Dorn im Auge wie auch eine Gewerkschaft, die die Arbeitszeitverkürzung erstreikt und 2005 durch Streiks verteidigt hat. Sie wollen andere Gewerkschaften erzwingen.

Tarifverhandlungen werden im Ergebnis nur durch eine Frage geklärt: Haben sie die Macht, die Arbeitgeber in einem Erzwingungsstreik in die Knie zu zwingen, so dass wir unsere maximalen Ziele erreichen können. Diese Situation war in der Lohnrunde 2007 nicht gegeben. In dem Ergebnis und der Laufzeit ist auch das Kräfteverhältnis zum Ausdruck gekommen.

Die Beschäftigen in der Druckindustrie sind vielfältigen Angriffen durch die Unternehmer ausgeliefert. In der schlott gruppe/print, die Nummer zwei im europäischen Tiefdruck, steht die Alternative auf Jahresleistung und Urlaubsgeld für drei Jahre zu verzichten, um einen "Sparbeitrag" von 11 Mio. Euro zu leisten. Ansonsten müssen bis zu 450 Arbeitsplätze abgebaut werden. Bei Prinovis, der Nummer eins in Europa werden über 200 Arbeitsplätze abgebaut. Im Akzidenzbereich findet eine Konzentration statt. Die Verlagsgruppe Passau hat ihre Akzidenzdruckerei an einen Finanzinvestor verkauft. Über 1 500 Arbeitnehmer bekommen einen neuen Arbeitgeber. Die Arquana Gruppe, eine deutsche Beteiligungsgesellschaft (Private Equity) geht davon aus, dass es in den kommenden Jahren im deutschen Markt bei den Akzidenzdruckereien noch 20 bis 30 Unternehmen geben wird. Im Zeitungsdruck, dem dritten industriellen Schwerpunkt der Druckindustrie gibt es ebenfalls einen Konzentrations- und Kooperationsprozess.

Die Druckindustrie ist in einer Umbruchphase die im Kern durch einen Konzentrationsprozess geprägt wird. Einige Gruppen wollen den Markt beherrschen. Eine ihrer Strategien: was am Markt nicht zu holen (Umsatz) ist, soll aus den Arbeitskosten rausgepresst werden. Manteltarifverträge und Gehaltstarifverträge müssen dafür gebrochen werden. Die Unternehmer wissen: die Technik ist im wesentlichen die gleiche. Die Produktivität, dass ist der Arbeitskräfte-Einsatz und die Fähigkeit der Beschäftigen, mit "ihren Maschinen" produktivste Leistung und Druckergebnisse zu erzielen, ist das eigentliche Interesse ihrer Begehrlichkeit. Die Druckunternehmer wissen: Nur wenn man Marktmacht hat, kann man den anderen Konkurrenten in die Knie zwingen.

Es geht nicht nur um einen reinen Strukturwandel in der Druckindustrie, der im Zentrum die Reduzierung der Arbeitskosten und die Konzentration sieht. Es geht auch darum, die Gewerkschaft mittelfristig aus den Betrieben zu verdrängen und damit die Tarifpolitik entscheidend zu schwächen.

ver.di ist herausgefordert, auf den Strukturwandel, und hier auf den ungeheuerlichen Druck auf die Arbeitskosten, mittelfristig eine Antwort zu finden. Das was heute an Gegenwehr auftritt, reicht bei weitem nicht aus, um aus der Defensive zu kommen. Gegenwehr und Gegenmacht gehören zusammen. Nur wer Gegenmacht aufbauen kann, wird in der Gegenwehr durchsetzungsstark sein.


 
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