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Diesmal möchte ich euch die Schwesterpartei vorstellen, die mich hier mit offenen Armen empfangen hat und der ich meine wahrscheinlich interessantesten Erfahrungen zu verdanken habe.

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Die CPI(M) ist die mit Abstand größte linke Kraft in Indien. Sie hat 1964 von der CPI abgespalten (zu den genaueren Geschehnissen in einem anderen Bericht) und hat seither fortlaufend an Stärke gewonnen. Sie hat ungefähr 850.000 Mitglieder, wobei die meisten davon aus den kommunistischen Hochburgen Westbengalen und Kerala stamen. Mitglied werden ist nicht einfach. Zwei Parteimitglieder müssen eine/n vorschlagen, durch einen Beschluss der “unit”(kleinste Organisationseinheit) kommt man für ein Jahr in die Beobachtungsgruppe und wenn man da bewiesen hat, dass man würdig ist, wird man aufgenommen. Mitglieder sind der Organisation Rechenschafft schuldig. Wer die Aufgaben für die Partei vernachlässigt wird ausgeschlossen. Ebenso jene, die sich eines Verbrechens oder der Korruption schuldig machen oder gar parteischädigenderweise schwer betrunken in der Öffentlichkeit gesehen werden. Der Grundbetrag von 2 Rs/Jahr (3,4 cent), den alle zahlen müssen ist leistbar, weiters müssen Besserverdienende einen einkommensabhängigen Betrag zuschiessen. Funktionäre in öffentlichen Aemtern liefern das gesamte Geld an die Partei ab und bekommen ein Parteigehalt.

DYFI – Democratic Youth Federation of India

Die Jugendorganisation der CPM, wie sie in bürgerlichen Medien vereinfacht genannt wird, hat stolze 16,8 Millionen Mitglieder im Alter von 18 – 40 Jahren. “Mit 40 fangen die Knochen an brüchig zu werden, dann hast du bei der Jugend nichts mehr verloren.” hat mir ein Genosse die hohe Altersgrenze erklärt. Es wird nicht nur politisiert, sondern auch Fussball, Cricket und anderen Sportarten gefrönt, Blutspendecamps organisiert und Strassen in Kolkata von Abschaum befreit. Genosse Rajendra hat des öfteren stolz erzählt, wie sie vor zwei Jahren in der KYD street (dort ist ihre unit zuhause), die total verseucht mit Abzockern, Drogendealern und anderem Gesocks war, aufgeräumt haben. Mit blossen Fäusten wohlgemerkt! Das klingt recht witzig, wenn ein 1.50m Riese die Geschichte erzählt.

Mediathek > Pics >

In Kerala habe ich an einem Marsch gegen die Globalisierung und die wachsende Armut teilgenommen (siehe Fotogalerie) und erhielt auch die Ehre der Menge einen Gruss von den österreichischen KommunistInnen auszurichten zu dürfen. Organisatorisch läuft es bei einem so grossen Verein ziemlich strikt ab. Nehmen wir an das states committee des DYFI beschliesst eine große Demo zu machen und setzt einen Termin an. Innerhalb von einer Woche wird der Beschluss in allen district committees, die gleich darunter kommen besprochen, dann wiederum innerhalb einer Woche in allen block committees, allen branches, und schliesslich in den units. Die Mobilisierung und Propaganda läuft dann von der untersten Ebene aufwärts. Es kommt so gut wie gar nicht vor, dass Gruppen mit einer Entscheidung eines höheren Gremiums nicht einverstanden sind. Die Mitglieder der branches, werden von den units gewählt, die wiederum die Mitglieder der block committees wählen usw. In den Gremien wird stets versucht Einigkeit zu erzielen. Wer also zB. von einem states committee Treffen zu einem district committee Treffen kommt, darf dort alle anderen überzeugen. Für den Fall, dass ein schneller Protest notwendig ist, fasst das jeweilige Organ einen Beschluss und die Mobilisierung läuft hauptsächlich über die Medien.

SFI – Students Federation of India

Der SFI kann stolz behaupten (und tut es auch) die größte Studierendenorganisation Asiens zu sein (ich nehme aufgrund dessen an auch der größte der Welt, aber wer weiss?) 4.5 Millionen Mitglieder umfassend ist er eine richtige Macht. Am Kerala Medical College, dessen Organisationsgrad ca. 60% beträgt (im SFI!), hab ich von vielen Aktionen gehört, die sich gegen die Globalisierung, das Kastensystem und andere Arten der Unterdrückung richten. Auf meine Frage hin, wie es mit den Problemen auf der Uni aussieht hat er locker gesagt: “Probleme? Welche Probleme? Sollte es eines geben, geht eine Delegation zum Rektor, sagt wir sind vom SFI, das ist das Problem, das ist unsere Lösung und so wird’s gemacht.” Da kommt man ins Schwärmen…

AIKS – All India Kisan Sabha + AIAWU – All India Agricultural Worker Union

Vielleicht die größten Massenorganisationen der CPM, ich kann euch leider momentan keine Zahlen liefern. Hierbei handelt es sich um die Interessensvertretung der Bauern und Landarbeiter, die in Kolkata manchmal Demonstrationen mit 2 Millionen Menschen organisiert. In den 3 Bundesstaaten, die das Vergnügen hatten einmal von der LeftFront unter Führung der CPM regiert zu werden, wurde wie schon erwähnt der Grossgrundbesitz abgeschafft und den armen Bauern und Landarbeitern Land zugeteilt. Die mächtige AIKS trägt Sorge dafür, dass da nichts mehr rückgängig gemacht wird. In Westbengalen (WB) wurde die letzte Grossdemonstration am 11.März abgehalten. Ca. 800.000 füllten den Stadtpark, um ihre Unterstützung für die Industrialisierungspolitik kundzutun. In Indien sind noch immer fast 60 % der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. Ein Geschäft, das wegen der WTO verschriebenen Marktöffnungen immer weniger einbringt und oft im Ruin endet. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, weshalb die CPM richtig erkannt hat, dass eine Industrialisierung notwendig ist um das Land aus der Rückständigkeit herauszuholen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Demonstration war von Nöten, weil die Opposition und auch einige Parteien der LeftFront, unterstützt von den bürgerlichen und ausländischen Medien gegen die Industrialisierung mobil machen. Die Gründe sind zumeist fadenscheinig – so wird behauptet, die Landbeschaffung für Industriegrundstücke würde den Bauern schaden. Tatsache ist, dass in WB für einen halben Hektar einfaches Land 840.000 Rs (ca. 14.000 Euro) gezahlt werden, für solches das sich mehrmals im Jahr bewirtschaften lässt 1.200.000 Rs (ca. 20.000 Euro); keine Landbeschaffung ohne Zustimmung der Bevölkerung durchgeführt wird; alle “Enteigneten” eine Arbeitsplatzgarantie erhalten und in den Regionen schon während dem Bau der Anlagen die Menschen kostenlos für den späteren Arbeitsplatz ausgebildet werden. Die am schärfsten opponierende Kraft ist die Kongresspartei (CONG), die selbst in anderen Bundesstaaten Landaquisition betreibt. Wenn man den direkten Vergleich unternimmt, stellt man fest, dass im vom CONG regierten Uttar Pradesh eine Fläche von 2000 Hektar aquiriert wird und 20 Personen eine Entschädigung erhalten und die ganzen Landarbeiter dem Hunger überlassen werden, während in WB bei 500 Hektar 1000 Familien eine Entschädigung erhalten und auch alle anderen Betroffenen von oben genannten Massnahmen profitieren.

CITU – C India Trade Union

Der Gewerkschaftsflügel. Es tut mir Leid, ich kann hier kaum Informationen liefern, weil die Genossen, die ich getroffen habe, ihre Probleme mit Englisch hatten. Die Mitgliederzahl ist natürlich überragend und kämpferisch ist die Organisation auch auf alle Fälle.

AIFFWF – All India Fishermen and Fisheries Workers Federation

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Frisch gegründet am Maerz in Trivandrum, Kerala und ich durfte die Geburtsstunde erleben. Zufällig hab ich beim Verlassen des Hotels feststellen müssen, dass die Hauptstrasse der Stadt von einem Demonstrationszug lahmgelegt wurde. Dieser wurde von AIKS und CITU gemeinsam veranstaltet, da die Fischer bis dato keine eigene Interessensvertretung hatten. Von den 2.5 Millionen sind bereits 400.000 organisiert und das, bevor die Mitgliederkampagne begonnen hat. Die Fischer leiden unter der Globalisierungspolitik besonders. Als ob es nicht gereicht hätte, dass der Tsunami die Fischbestände empfindlich dezimiert hat, erlaubt die Zentralregierung seit kurzem ausländischen Fischereikonzernen die Benutzung der indischen Gewässer. Fischer stellen nur 1% der Weltbevölkerung, aber bei den Arbeitsunfällen mit Todesfolge hällt die Gruppe 9%. Die Bezahlung reicht oft nicht zum Leben, viele schlafen ohne Dach ueber dem Kopf am Strand. Starker Wind treibt die Fischerboote in Grenzregionen oft in die Hoheitsgewaesser der Nachbarstaaten, wo die Fischer gefangen genommen und inhaftiert werden. Die Zentralregierung unternimmt nichts fuer deren Unterstuetzung und hat bis jetzt noch keinen Versuch unternommen mit den Nachbarn eine Regelung für derartige Vorkommnisse einzuführen.

AIDWA – All India Democratic Women Association

Sicher ein zentrale Massenorganisation, zu welcher der Kontakt leider schwierig herzustellen ist. Ich werde sicher noch mehr darüber schreiben können. Ich kann aber soviel sagen, dass es einen nicht wundern sollte, wenn man unter “Frauenunterdrückung” im Lexikon ein Bild von Indien findet. Nirgendwo sonst werden soviele weibliche Föten abgetrieben wie hier. Von Armut und Analphabetismus werden die Frauen ungemein schwerer getroffen als die Männer. Die in weiten Teilen des Landes noch herrschenden halbfeudalen Verhältnisse verstärken die Abhängigkeit. Aufgrund von Traditionen ist es Frauen oft nicht erlaubt zu erben!

Es gibt noch weitere Massenorganisationen, zB für die Dalits (kastenlose) u.v.m. Sie bilden die echten Eckpfeiler der Politik der CPI(M), die von der Arbeit in den Parlamenten unterstützt wird.

 
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  Kommentar zum Artikel von Sebastian:
Montag, 16.04.2007 - 16:32

"Du hast in Deinem Bericht sehr oft "Globalisierung" geschrieben, ein Begriff, den wir als österreichischen MarxistInnen-LeninistInnen eigentlich immer aus Gründen der Untauglichkeit abgelehnt. Also muss er für die indischen GenossInnen in ihrer Analyse doch eine Rolle spielen... Inwiefern?"

Grob kann man sagen, dass die "Globalisierung" die globale imperialistische Politik seit anfang der 80er Jahre meint, die durch die Konterrevolution massiv verstaerkt wurde und hauptsaechlich von den imperlialistischen Organisationen, IWF, WTO und Weltbank, aber auch von den unterschiedlichen Imperialistischen Laendern selbst forciert wird. Die Globalisierung spiegelt die Interessen der Bourgeosie wieder, die in einem moeglichst freien Kapitalfluss liegen, damit sie die weltweiten Ressourcen ungehindert ausbeuten kann. Waehrend bei uns das Augenmerk auf der Abwanderung von Arbeitsplaetzen liegt, sind die Auswirkungen in der 3.Welt weitaus verheerender. Billige und teils subventionierte Waren aus den entwickelten kapitalistischen Laendern, verdraengen die Waren heimischer Produzenten. In einem Land, wo 500 Millionen Menschen weniger als 20 Liter Wasser haben (ein/e EuropaeerIn spuelt taeglich 50 Liter die Toilette runter) zahlen Softdrinkproduzenten wie CocaCola oder Pepsi fuer Wasser nur einen Bruchteil dessen, was die Armen hinblaettern muessen. Die Entwicklung der heimischen Kleinindustrie wird behindert, waehrend marktbeherrschende Monopole wachsen. Die verordnete Exportorientierung der Landwirtschaft, erforderte Investitionen seitens der Bauernschaft, die nur mit Krediten, die von laendlichen Kredithaien oder Grossgrundbesitzern zu Wucherzinsen vergeben werden, bezahlt werden konnten. Entsprechend den Gesetzmaessigkeiten des Kapitalismus bestehen die wenigsten Kleinproduzenten den Wettbewerb und bleiben auf einem Schuldenberg sitzen. Vielen bleibt nur der Selbstmord als letzte Ausflucht. In einer buergerliche Zeitung fand sich makabererweise ein Statistik ueber Bauernsuizide in einer stark betroffenen Region. Jaenner 90, Februar 76, Maerz 98, usw.

Die Globalisierung ist im Prinzip nichts Neues, wie wir richtigerweise wissen. Die neue Situation mit der wir konfrontiert sind, hat im 20. Jahrhundert ihren Ausgang, das hier zurecht als Jahrhundert der nationalen Befreiungskaempfe bezeichnet wird.

In der weltweiten Vernetzung und der Informationsflut versucht der Imperialismus, hauptsaechlich ueber die ihm gehorchenden Medien, sich ein moralisches Antlitz zu geben. Einen offenen Kolonialismus kann sich der Imperialismus in der heutigen Welt nicht mehr leisten.

Insofern kann man sagen, ist die Globalisierung, die derzeitige strategische Ausrichtung des Imperialismus, mit ihren eigenen Besonderheiten, Mechanismen und Merkmalen, die in den verschiedenen Laendern oft ganz unterschiedlich auftreten.


  Kommentar zum Artikel von Sebastian:
Montag, 16.04.2007 - 15:37

Zuerst der einfache Teil:

"Bring bitte, wennst noch dazu kommst, Statut und Programm (gibt's auch eine populäre Kurzfassung?) der CPM mit - danke!"

Sowohl Statut, als auch Programm kannst du bereits beim Bildungsverein ausborgen. Ich hab's per Luftpost geschickt und der Alex hat sich der Buecher angenommen.




  Kommentar zum Artikel von hw:
Sonntag, 15.04.2007 - 11:07

Du hast in Deinem Bericht sehr oft "Globalisierung" geschrieben, ein Begriff, den wir als österreichischen MarxistInnen-LeninistInnen eigentlich immer aus Gründen der Untauglichkeit abgelehnt. Also muss er für die indischen GenossInnen in ihrer Analyse doch eine Rolle spielen... Inwiefern?

Bring bitte, wennst noch dazu kommst, Statut und Programm (gibt's auch eine populäre Kurzfassung?) der CPM mit - danke!


  Kommentar zum Artikel von Sebastian:
Samstag, 14.04.2007 - 17:29

Ich bin auch schwer beeindruckt, das kannst du mir glauben. So wie es in Indien momentan zugeht, hege ich grosse Erwartungen in die linken Kraefte. Die Bourgeosie beweist taeglich aufs Neue, dass sie die Probleme nicht loesen kann und auch nicht will. Das treibt die Leute regelrecht dazu sich zu organisieren.

Wenn Indien eine starke Macht in der Weltpolitik werden will, muss die buergerliche Revolution erst einmal vollendet werden - davor hat die Bourgeosie grosse Angst, weil es den Weg zur sozialistischen Revolution ebnen wuerde.


  Kommentar zum Artikel von 127712:
Donnerstag, 12.04.2007 - 11:52

Wow das ist wirklich beeindruckend was in Indien so los ist! Wenn die Leute in Europa sich da mal ein Beispiel dran nähmen...