Am Samstag, 18. 11.2006 führte die Kommission Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit des DKP-Parteivorstandes in Frankfurt am Main eine bundesweite Konferenz zur Situation in der Automobilindustrie durch. Seit der „
3. Automobilarbeiterberatung der DKP“ am 5. Dezember 1987 in Wolfsburg war dies die erste bundesweite Beratung der Partei zur Autobranche. Die TeilnehmerInnen aus Automobil- und Zuliefererbetrieben und anderen Bereichen, aus der DKP und anderen Organisationen (u.a. Linkspartei.PDS, DIDF) führten eine lebhafte, z.T. kontroverse Diskussion nicht nur über die Situation in der Auto- und Zuliefererindustrie, sondern auch und vor allem über die schwierige Arbeit von KommunistInnen im Spannungsfeld zwischen marxistischer Analyse, sozialistischen Perspektiven und betrieblicher Alltagsarbeit.
Das Einstiegsreferat von Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender bei VW-Braunschweig, über „Themen, Herausforderungen und Perspektiven des Kampfes in der Automobilindustrie“ wurde ergänzt durch Kurzreferate von Achim Bigus (BR, Karmann-Osnabrück) über „Auswirkungen der Konzernpolitik auf die Zulieferer“, von Alfred Hartung (VW Wolfsburg) über „VW und Wolfsburg: Ein Konzern regiert eine Stadt“ sowie von Ulrike Schmitz (BR, VW Braunschweig) zur drohenden Zerstückelung der Berufsausbildung durch „Modularisierung“ (s. auch Wolfgang Teuber, „Das Kräfteverhältnis verändern“, UZ, 24.11.2006). Über die vorgetragenen Analysen der Überkapazitäten, des wachsenden Konkurrenzdrucks, der Arbeitsplatzvernichtung und der Angriffe auf soziale Errungenschaften, der Auswirkungen auf Zulieferer und Kommunen, gab es kaum Diskussion, also wohl weitgehende Einigkeit.
Die Hauptthemen der Diskussion wurden exemplarisch deutlich im Beitrag eines Genossen, der bei der letzten Wahl neu in den Betriebsrat gewählt wurde. Er führte aus, viele der Betriebsräte sähen sich als „Betriebswirte“. „Vorher“ habe er als Kommunist und IGM-Vertrauensmann manche BR-Entscheidungen sehr kritisch diskutiert, jetzt sei er als Kommunist im BR an Entscheidungen beteiligt und müsse diese mittragen, die aus gesellschaftlicher/gewerkschaftlicher Sicht schon „problematisch“ sind. Die Beschäftigten erwarteten vom BR Sicherung der Arbeitsplätze in der „eigenen Bude“, dies gehe auf Kosten anderer. Wir haben gute Analysen, aber – wie kommen wir da raus und nach vorn?
Viele Beiträge versuchten Antworten auf diese Fragen. Betont wurde z.B. von Rolf Knecht (Hanau, ehemals BR-Vorsitzender Honeywell) die Notwendigkeit grundlegender Kapitalismuskritik: „Wer ja sagt zum Kapitalismus, sagt ja zur Arbeitslosigkeit“. Daraus folge die Bedeutung der Diskussion über die Eigentumsfrage und grundlegende gesellschaftliche Alternativen. Andere, so Leo Mayer und Achim Bigus, stimmten dem zu, wiesen aber darauf hin, dass die Erkenntnis der grundsätzlichen Unlösbarkeit der sozialen Probleme im Kapitalismus nicht unbedingt den praktischen Widerstand befördert, solange dieses System nicht als überwindbar angesehen wird. Die Beschäftigten erwarten von ihren Interessenvertretern, den sozialen Abstieg zumindest aufzuhalten. Leo Mayer formulierte als zentrale Aufgaben linker und kommunistischer Betriebsräte:
Kompromisse nicht „schönzureden“, sondern als Ergebnisse von Kräfteverhältnissen darzustellen und
sich selbst „Kritik von links“ aus Belegschaft und Vertrauenskörper zu organisieren gegen die Tendenz, in der BR-Funktion vom Kapital vereinnahmt zu werden.
Verhandlungsstände und –ergebnisse seien offen in der Belegschaft zu diskutieren, um ihre Beteiligung und Mobilisierung zu fördern.
Der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr betonte unter anderem, wie sehr die Frage von Erfolgen in einzelnen Betrieben abhängt von einer höheren Intensität des Klassenkampfes insgesamt. Für den Kampf gegen Sozialabbau, wie Gesundheits-„Reform“ und Rente mit 67, wird entscheidend sein, wieweit sich Konzernbelegschaften in diesem Kampf beteiligen und „die Brocken fallen lassen“.
Ein anderer Genosse meinte zur Beurteilung von Kompromissen, entscheidend sei die Frage: was lief vorher, was wurde vorher versucht? Jede Entscheidung müsse mit der Belegschaft abgestimmt werden Die Standortlogik sei zu kritisieren, dabei müsse man die Ängste der KollegInnen erst nehmen.
Zum VW-Tarifabschluss hieß es in der Diskussion, dieser werde von den meisten Beschäftigten anerkannt als „Zwischenhalt auf dem Weg nach unten“. Uwe Fritsch analysierte ihn als Ausdruck des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses – dabei sei nicht nur die Kampfkraft einzelner Belegschaften zu betrachten. Entscheidend für mögliche Kampfaktionen sei der Zeitpunkt, wo mit Kämpfen Erfolge zu erreichen sind – Niederlagen führten noch weiter in die Resignation. Das gesellschaftliche Klima 1993/94 sei noch ein anderes gewesen als 2006. Aber auch da schon sei aus der Vier-Tage-Woche bei VW keine gesellschaftliche Bewegung für Arbeitszeitverkürzung erwachsen. Diese Einschätzung unterstützten andere GenossInnen aus VW-Betrieben: Als „Insellösung“ bei VW sei die Vier-Tage-Woche nicht zu halten gewesen, „wenn die Fläche nicht nachzieht“. Das ändere nichts daran, dass dieser Abschluss gesellschaftlich in die falsche Richtung geht und nicht als „Erfolg“ bejubelt werden könne.
In diesem wie an anderen Punkten zeigt sich das Versagen der IG Metall. Diese müsste „eigentlich die Führung übernehmen“ (Rolf Knecht). Sie müsste die Konflikte in den einzelnen Betrieben und Konzernen bündeln zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Nur so ließe sich dem Ausspielen von Standorten gegeneinander, das in mehreren Beiträgen anschaulich beschrieben wurde, etwas entgegensetzen. Aber genau diese Aufgabe erfüllt sie heute nicht oder unzureichend.
Dazu kommt das veränderte Rollenverständnis vieler Betriebsräte, wenn sie z.B. die Renditeziele der Kapitalseite übernehmen. Selbst wenn die IGM-Führung in bestimmten Konflikten mobilisieren will, spielen viele Betriebsräte, vor allem in den Konzernbetrieben, nicht die glücklichste Rolle.
Mehrere Beiträge betonten, die notwendige Kampfbereitschaft der Beschäftigten sei dann zu entwickeln, wenn die verantwortlichen Funktionäre Vorarbeit und Aufklärung leisten. Das übliche Schwarze-Peter-Spiel, wonach viele KollegInnen sagen, „die Gewerkschaft macht nichts“, und viele Funktionäre, „die Kollegen wollen nicht“, müsse und könne durchbrochen werden. „Die Kollegen sind bereit zu kämpfen, wenn sie in Entscheidungen eingebunden werden“, so ein Kollege von VW-Kassel.
Dabei zeigt sich die Bedeutung langfristiger politischer Arbeit. So gab es in Wolfsburg keine sichtbare Reaktion der Belegschaft, als VW androhte, es werde kein Golf mehr in Wolfsburg gebaut. In Braunschweig dagegen, wo die DKP-Betriebsgruppe seit Jahrzehnten kontinuierlich in Diskussionen mit den Beschäftigten, in den Gremien der Interessenvertretung und mit der Betriebszeitung „Roter Käfer“ Aufklärungsarbeit leistet, führte die Ankündigung „Braunschweig wird verkauft“ sofort zu Aktionen der Belegschaft.
Ulrike Schmitz stellte fest, wir hätten gute Analysen und eine langfristige gesellschaftliche Perspektive, täten uns aber schwer mit den nächsten Zwischenschritten. Darum schlug sie vor, für die Autobranche wieder ein „Aktionsprogramm“ zu entwickeln.
Insgesamt war die Konferenz eine sehr lohnende Veranstaltung. Es bleibt zu wünschen, dass wir als DKP dran bleiben an der Aufgabe, konkretere Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten für die größte deutsche Industriebranche zu entwickeln.