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In den letzten Wochen ging es heiß her im „erneuerten“ Deutschland der Berliner Groko, kein Tag verging ohne rhetorische „Höhepunkte“. Im Vorfeld zum nachgespielten Fall der Mauer fielen erneut alle Hemmungen. Die Streiks von GdL und Cockpit wurden von den Mietschreibern der Monopolpresse in die Nähe eines potentiellen Staatsstreiches gerückt. Es fehlte nur noch, dass von interessierter Seite der Begriff der „kriminellen Vereinigung“ ins Wortgefecht geführt wurde. Das dafür erforderliche Ausführungsgesetz liegt bereits in der Schublade.

Unter dem Trommelfeuer einer extrem gewerkschaftsfeindlichen Berichterstattung wehrte sich der Vorsitzende der GdL, Claus Weselsky, ebenfalls mit „starken“ Worten und ließ mit seinem Behinderten-Vergleich1 erkennen, wes’ Geistes Kind er wirklich ist. Er kämpft um die formale Anerkennung aus den Reihen dieser Ausbeutergesellschaft, will also Teil dieser Gesellschaft sein. Rechtzeitig zum inszenierten „Mauerfall“ wurde der bis Montag angesetzte Streik bereits am Samstag (8. November – 18:00 Uhr) abgebrochen.

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Wenn die Geschichte sich wiederholt, dann als Farce, hatte schon Hegel angemerkt. In Gesprächen und Debatten unter Kollegen und Freunden wurde das Jahr 2007 wieder lebendig. Der Streik wurde überwiegend als Beginn betrachtet, aber wohin sollte er führen, wenn nicht zur bloßen Wiederholung herbeigeschriebener „Rituale“? Diese Frage erhitzte die Gemüter und brachte eine gewisse Bewegung in die erstarrte Wahrnehmung bundesdeutscher Verhältnisse. Die Frage „Was tun?” muss deshalb wieder Grundlage von Theorie und Praxis werden und damit mehr sein als eine historisch gewordene Abhandlung von Lenin.

Nun hat die GdL ihr Ziel erreicht – durch zwei richterliche Instanzen bestätigt –, dass ihr Streik rechtmäßig, die Streikziele nicht rechtswidrig waren und ihr Handeln nicht unverhältnismäßig. Sie tritt in Verhandlungen ein, ohne dass sie dabei mit der aktiven Unterstützung der übergroßen in der EVG2 organisierten Mehrheit der Bahnkollegen rechnen kann. Falls sie den Streik überhaupt noch einmal aufnehmen will.

Währenddessen kündigt sich bei amazon eine mögliche Entwicklung an, die genau das befördert, was in der jetzigen Situation bei einem Streik dringend erforderlich ist: Ausweitung ohne „Rücksicht“ auf das Weihnachtsgeschäft und Einbeziehung aller bei amazon Beschäftigten: Schüler, Studenten, dauerarbeitslose Gelegenheitsarbeiter und andere „Schwervermittelbare“, Organisierte und (noch) Nicht-Organisierte.3

Eine Rückblende

In der KAZ 3224 schrieben wir 2007: „Selbst die Begrenztheit der Streiks und die Auflagen der Gerichte, die die GdL-Führung übrigens peinlichst beachtet hat, konnten nicht verhindern, dass eines deutlich wurde: wie einfach es ist, die Warenströme des ,globalisierten Kapitalismus’ zu unterbrechen. Wie einfach es ist, alle Profitkalkulationen von einem Tag auf den anderen in wertloses Papier zu verwandeln. Wie einfach zumindest ein zweifellos komplizierter Kampf zur Einschränkung dieses brutalen Profitsystems begonnen werden kann. ... Die GdL-Führung hat Erwartungen geweckt, die sie nie bedienen wollte und aufgrund ihrer organisatorischen Beschränktheit auch gar nicht bedienen kann. ... Hier zeigt sich, dass auch bei der GdL-Führung ,der Hammer dort hängt’, wo er bei der Transnet bereits gehangen hat. Nämlich an der Garderobe zum Verhandlungsraum, in dem die Arbeitsgemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit erneut besiegelt werden wird.“

Damals drohte die transnet, ihren Flächentarifvertrag in lauter Einzelverträge aufzulösen, die Ziele der GdL-Führung damit noch übertreffend. Der damalige Vorsitzende Hansen wörtlich zu dem möglichen „Nachgeben“ des Bahn-Vorstandes: Es handele sich um einen „ganz klaren Vertrauensbruch. Dann würden wir den heutigen Tarifvertrag in einen Rahmentarifvertrag mit vielen Anlagen aufdröseln; dann wäre der Grundkonsens innerhalb der Tarifgemeinschaft nicht mehr zu halten“.5

Das Ende vom Vertrauenslied: Hansen kommentierte den Anfang Dezember 2007 zusammen mit der GDBA abgeschlossenen nachverhandelten Tarifvertrag, Lohnerhöhungen von mindestens 10 Prozent seien auch ohne Streik zu erreichen. Und signalisiert dem damaligen Bahn-Chef Mehdorn, dass er es weiterhin billiger machen will – nicht nur in Lohnfragen. Die GdL-Führung setzte den Streik bis in den Januar 2008 aus und akzeptierte Einmalzahlungen für bereits 2007 geleistete Arbeit. Und signalisierte damit, dass sie über Fragen des Lohnes und die ihre Eigenständigkeit betreffenden nicht hinausgehen wollte – falls Mehdorn bereit sei, sich nicht allzu „dumm“ und „stur“ anzustellen.

Die GdL spaltet erneut ...

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© by Ergebnis der Sozialparnerschaft zwischen „Arbeitgeber“-präsident Ingo Kramer, Arbeitsministerin Andrea Nahles und DGB-Vorsitzendem Werner Hoffmann (v.l.n.r.): Ein falscher Mindestlohn, ein falsches Rentengesetz, eine falsche Gewerkschaftseinheitspolitik Großbildansicht thumb_Sozialpartnerschaft_01-1.png (72.1 KB)
Teile und herrsche – die Übertragung dieses bürgerlichen Prinzips auf die Arbeiterbewegung ist der Anfang vom Ende jeden klassenorientierten Handelns und eines erfolgreichen Kampfes gegen die Willkür der DB AG, der Lufthansa wie des Kapitals überhaupt. Einer Fusion der GdL mit den mitgliederstärkeren DGB-Gewerkschaften stehen nicht nur die Fehler der EVG im Wege. Es ist der eigene überkommene Standesdünkel, der eine Annäherung verhindert. Und die von der GDL geübte Betonung der beruflichen Besonderheiten ist damit nichts anderes als das Kennzeichen einer reaktionären Standesorganisation, die der Einheitsgewerkschaft feindselig gegenübersteht.

Nun wären wir ja mit dem Klammerbeutel gepudert, würden wir die Tatsache ausblenden, dass gerade im Leiharbeitsbereich bei Firmen wie Telekom, Post, Bahn AG und insbesondere der Automobilindustrie als wichtigster „Exportfaktor“ die Lage der Leiharbeiter besonders dramatisch ist. Den kurzfristigen Anfangserfolgen bei der Gründung von Minigewerkschaften steht aber die Tatsache gegenüber, dass gerade sie die besten Verbündeten der Konzerne bei der Einführung lohnsenkender und Gewerkschaftsrechte beseitigender „Haustarifverträge“ waren. Die verzweifelte Hinwendung vieler Kollegen zu diesen Miniorganisationen zeigt handgreiflich den Fehler der IG Metall auf, die Zeitarbeit „mitgestalten“ zu wollen, anstatt für ihr Verbot zu kämpfen.

So ist die – von der GdL geforderte – fortschrittliche Kombination einer Prozentforderung mit einem festen Sockelbetrag in der Lohnfrage eben keine mehr, wenn sie nur für GdL-Mitglieder gefordert wird. Sie ist zudem ein Mittel, Mitglieder aus der DGB-Einheitsgewerkschaft herauszubrechen und vertieft die vorhandene Spaltung. Sie stützt, benützt und verstärkt die reformistische Borniertheit in der EVG, über deren Erscheinungsformen im folgenden noch die Rede sein wird. Frau Merkel und Herrn Gabriel wird‘s freuen, wird ihre reaktionäre – weil dem Kapital dienende – Politik weiter aus der eigentlich zu führenden Debatte gehalten.

... der DGB „protestiert“ von der Reservebank

In der auf dem „Kleinen Gewerkschaftstag“ der EVG am 4. November in Fulda verabschiedeten Resolution forderten die Delegierten ihren Bundesvorstand auf, „die erfolgreiche Tarifpolitik der EVG im Eisenbahnbereich auch unter den geänderten Rahmenbedingungen unbeirrt fortzusetzen. ... Polarisierung und Spaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lehnen wir entschieden ab. Deshalb steht die EVG mit allen DGB-Gewerkschaften für Tarifeinheit in den Unternehmen“. Diese habe Deutschland über 60 Jahre geprägt und sei „Teil des Erfolgsmodells der Sozialpartnerschaft“.6

Der von Arbeitsministerin Nahles vorgelegte Gesetzesentwurf wird nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern wegen des im Entwurf verwendeten Betriebsbegriffs kritisiert. In der Konsequenz bedeutet dieser, dass bei der DB AG künftig die Mehrheitsgewerkschaft in jedem einzelnen der mehr als 300 deutschen DB-Betriebe ermittelt werden muss. Da aber Zugbegleiter und Lokführer unterschiedlichen Betrieben zugeordnet sind, würden auf diese künftig unterschiedliche Tarifverträge angewendet – je nachdem, welche Gewerkschaft im jeweiligen Betrieb die Mehrheit hat. „Solidarische Tarifarbeit wird so für uns unmöglich gemacht“, kritisierte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner, die Gewerkschaften im Eisenbahnbereich würden damit zum „Häuserkampf (!) um jeden einzelnen Betrieb“7 gezwungen.

In der zuvor stattgefundenen Debatte hatte der DGB mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gewerkschaften gefordert. „Konkurrierende Arbeitnehmervertretungen und tarifpolitische Zersplitterung schaden nur“, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann der Wirtschaftswoche. Seien mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb aktiv, sollten diese kooperieren. Dann aber gab er klein bei und räumte – das Prinzip der Einheitsgewerkschaft preisgebend – der GdL und den anderen Ständevertretungen das Recht ein, weiter für ihre tarifpolitischen Interessen zu kämpfen. „Es gab früher Tarifgemeinschaften oder sogenannte Anerkennungsverträge zwischen Gewerkschaften. Warum soll das nicht wieder und weiter funktionieren?“8

Am 18. November hat sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann dann auch noch positiv zum Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Nahles geäußert. Er erwähnte lediglich, dass drei Mitgliedsgewerkschaften, ver.di, NGG und GEW, Bedenken haben, wonach der Gesetzentwurf einen Eingriff in das Arbeitskampfrecht darstellen könne, zumindest „in der Folgewirkung über die Rechtsprechung bei Tarifvertragskollisionen“. Näher ging er auf die Kritik der drei Organisationen, die annähernd die Hälfte der Mitglieder des DGB vertreten, nicht ein.9

Die SPD rückt weiter nach rechts und setzt faktisch das Streikrecht außer Kraft

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© by Der angeklagte frühere Ford-Arbeiter Gaby Colebunders (Mitte) bei einer Solidaritätskundgebung am 20. Oktober in Köln Großbildansicht thumb_Ford-Arbeiter_02.png (70.7 KB)
Die Ergebnisse der Agenda 2010, das Modell des Lohndumpings, der Ausweitung des Niedriglohnsektors, der profitbeschleunigenden Flexibilisierung innerhalb bestehender Tarifverträge, das dem Kapital in den letzten Jahren enorme Konkurrenzvorteile verschafft hat, sollen mit allen Mitteln erhalten und ausgeweitet werden. Bereits 2007, als die GdL-Führung ihre befristeten Streiks auf den Güterverkehr ausdehnte, packte „Arbeit­geber“-Präsident Dieter Hundt die Gelegenheit beim Schopf und formulierte seine Forderung nach einem gesetzlichen Streikverbot in bestimmten Fällen (notstandsähnliche Situationen).

Hier wird deutlich: Streikverbot und Tarifeinheit ergänzen und bedingen sich gegenseitig. Wer ein Streikverbot nicht will, kann angeblich nicht anders, als der Tarifeinheit zuzustimmen. Wer der Tarifeinheit zustimmt, kann mit der Forderung nach Konkretisierung durch ein zumindest partielles Streikverbot rechnen wie mit dem Amen in der Kirche. Was beide nämlich letztlich verbindet, ist die „(un)vermeidbare“ Sozialpartnerschaft – also eine Ideologie, die uns gar nichts und dem Kapital alle Vorteile bringt.

Im Sommer 2010 hob das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung – ein Betrieb, ein Tarif – auf, es gab der Spaltungspolitik der Spartengewerkschaften den legalen Rahmen. Sie wurden so gegenüber den DGB-Gewerkschaften in Stellung gebracht, es konnten weiterhin in Unternehmen mehrere Tarifverträge nebeneinander bestehen. Selbst die vergleichsweise kleine FAU bekam beim Kleinstbetrieb „Kino Babylon” in Berlin den richterlichen Segen, als „Gewerkschaft“ agieren zu können.

DGB und Bundesverband der Arbeitgeberverbände reagierten im „sozialpartnerschaftlichen“ Duett. Gemeinsam stellten sie einen eigenen Gesetzentwurf vor, in dem der „Grundsatz der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip“ in Gesetzesform gegossen werden soll. Dieser Grundsatz regelt, dass in Firmen im Normalfall nur ein Tarifvertrag gilt. Die Einschränkung sollte zunächst für Marburger Bund (Klinikärzte), GdL (Lokführer), Cockpit (Piloten) oder Ufo (Flugbegleiter) gelten. Ein Streik unter den Bedingungen eines bestehenden Tarifs einer DGB-Gewerkschaft hätte für diese katastrophale Folgen. Das betroffene Unternehmen könnte auf Schadensersatz klagen und durch Gerichtsbeschlüsse die streikende Gewerkschaft finanziell vernichten – ein besseres Argument gegen die Gewerkschafts„vielfalt“ gibt es nicht. Die Durchsetzung des Gesetzesvorhabens scheiterte in der damaligen CDU/FDP-Koalition an einigen CDU-Abgeordneten, die gleichzeitig Funktionäre beim Beamtenbund, Marburger Bund bzw. der GdL waren und auch an der FDP.

Nun versucht es die SPD im Rahmen der Groko erneut unter veränderten Bedingungen. Wiederum auf Drängen des DGB hatten sich CDU und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen auf ein Gesetz zur Neuregelung der Tarifeinheit verständigt. Ein erstes Eckpunktepapier wurde im Sommer aber wieder verworfen.

Parallel zum EVG-Gewerkschaftstag am 4. November hatte am sogenannten Arbeitgebertag der Verbandspräsident Ingo Kramer in Berlin ein „Belastungsmoratorium“ verlangt. Er versprach einen Schub für Investitionen und Wachstum, sollten die Forderungen des Kapitals von der großen Koalition erfüllt werden. Ursachen für die Abschwächung der Konjunktur wollte er neben den weltweiten Krisen und der schleppenden EU-Wirtschaftsentwicklung auch in den Koalitionsentscheidungen wie der zur Rente mit 63 oder zum Mindestlohn erkannt haben. Damit formulierte er seine Kriegserklärung an alle Gewerkschaften, selbst hinter diese faulen Kompromisse zurückgehen zu wollen. Dabei möchte man die Ständeorganisationen gleich mit erledigen. Sie haben ihre Funktion zwar erfüllt, werden jetzt aber zum Hindernis für die weiteren politischen und wirtschaftlichen Aufräumarbeiten.

Ende Oktober machte Bundesarbeitsministerin Nahles einen erneuten Anlauf und legte einen überarbeiteten Gesetzentwurf vor. Mit diesem erfüllte sie die Forderung der Kapitalseite nach einer Beschränkung des Streikrechts, ohne das zuzugeben. Stattdessen schwadronierte sie über Möglichkeiten konkurrierender Gewerkschaften zur Beförderung einer „Konsenskultur“. Neu eingefügt wurde ein Absatz, in dem ausdrücklich auf die Befriedungsfunktion eines Tarifvertrags hingewiesen wird. Dies wird eine Rolle spielen, wenn Gerichte darüber zu entscheiden haben, ob der Aufruf einer „Minderheitsgewerkschaft“ zum Arbeitskampf verhältnismäßig ist, wenn es bereits einen Tarifvertrag der „Mehrheitsgewerkschaft“ im selben Betrieb gibt.

Wer das ist, wird „klassenneutral“ von einem Notar festgestellt. Doch es ist das Kapital – im Besitz der Produktionsmittel –, das zunächst die Spielregeln bestimmt und daher üblicherweise festlegt, was als Betrieb gilt. Und sie werden es unter den gegebenen Bedingungen so zu arrangieren versuchen, dass die handzahmsten Belegschaftsvertreter das Sagen haben. Für die damit verbundenen Praktiken gibt es schon jetzt unzählige Beispiele insbesondere bei Krankenhaus-Dienstleistern und im Handel. Da werden Betriebe, sobald sich ein Betriebsrat bildet oder ein Tarifvertrag durchgesetzt wird, rasch zergliedert, aufgespalten, neu strukturiert.

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© by Streik bei amazon – Stower kommt aus dem Englischen „stow“ (= verstauen, verpacken) Großbildansicht thumb_amazon_02.png (75.1 KB)
Neben der Tatsache, dass das Streikrecht am besten durch seinen Gebrauch innerhalb der Einheitsgewerkschaft geschützt wird, geht es gerade jetzt angesichts der angekündigten Krise um die Verhinderung spontaner Streiks. Als die saarländische Stahlindustrie in den 1980er Jahren wegen zu geringer Renditen teils verscherbelt, teils dem Erdboden gleichgemacht wurde, kam es in der Drahtzieherei Heckel in Saarbrücken-Burbach zur Betriebsbesetzung. Die IG Metall ließ die Kollegen hängen, wäre aber erheblich in die Zwickmühle geraten, wenn das Signal der Heckel-Kollegen auf andere Betriebe und Bereiche übergesprungen wäre. Ein weiteres Beispiel aus dieser Zeit ist die Besetzung einer Autobahnbrücke durch demonstrierende Stahlarbeiter in Rheinhausen, die damit die Grenzen des bloßen Protestes überschritten hatten. Nicht anders sah es bei der Stilllegung des Ausbesserungswerkes (AW) der Bahn AG in Nürnberg 2001 aus. Als die von Entlassung bedrohten Eisenbahner laut über „wilde“ Streiks nachdachten, trat der transnet-Vorsitzende Hansen auf den Plan und warnte vor „illegalen“ Aktionen. Wie hätten er und andere Vertreter des reformistischen Opportunismus da gestanden mit ihren „Warnungen“, wenn die Kollegen den Kampf gewagt hätten?

Die Stahlindustrie im Saarland und im Ruhrgebiet existiert nicht mehr oder nur noch in geschrumpfter Form, das AW Nürnberg wurde dichtgemacht. Der Vorschlag von Nahles würde hier eine legale Basis schaffen, solche Aktionen im Keim zu ersticken. Die ganze Palette vom Gewerkschaftsausschluss bis hin zur Kriminalisierung von Streiks wäre somit von Gesetzen abgedeckt.

Streik – im Interesse der Arbeiterklasse!

Einer ARD-Umfrage vom April 2014 zufolge lehnten 68 Prozent der Befragten eine gesetzliche „Tarifeinheit“ und eine damit verbundene Einschränkung des Streikrechts ab. D.h. hier wird eine grundsätzliche Solidarität für und unter Menschen sichtbar, die sich gegen Arbeitshetze und Lohndumping wehren. Denn fast alle wissen entweder aus eigener Erfahrung oder aus ihrem sozialen Umfeld, was es heißt, im Niedriglohnbereich und als Zeitarbeiter zu malochen. Wer kämpft und streikt, findet grundsätzlich Respekt. Bei aller Vorsicht gegenüber solchen Umfragen, hier sind wieder einmal diejenigen blamiert, die so gerne über die mangelnde Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse räsonieren, ohne den großen Hemmfaktor zu benennen – die sozialdemokratische Sozialpartnerschaftsideologie.

In einem Interview sagte der Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler: „Niemand kann zum Beispiel die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL) dazu zwingen, zusammenzuarbeiten, wenn sie das nicht wollen. Es gehört nun einmal zur Gewerkschaftsfreiheit, dass man sich Partner aussuchen kann, aber auch, dass man stattdessen sagt: Wir machen es alleine besser. Alles andere ist ein Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit.“01

Wir können doch die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Streikes nicht dem Finanzkapital und dem von ihm usurpierten Staatsapparat samt seiner Justiz und ihrer Rechtsauslegung überlassen. Das Bedürfnis, einheitlich handelnd über die Grenzen des Betriebes hinauszugehen, wird vom bürgerlichen Denkmodell der individuellen Freiheit (des eigenen Koalitions- und des eigenen Streikrechts, des eigenen Gewerkschaftsvereins) ebenso unterlaufen wie von der sozialdemokratischen Forderung nach Unterwerfung unter die Verwertungsbedingungen des Kapitals. Mehr zum Thema „Man schlägt den Sack (GdL) und meint den Esel (Einheitsgewerkschaft)“ findet sich im jW-Interview mit Detlef Hensche.11

Ein Beispiel für das Vorgehen gegen Arbeitsniederlegungen und Proteste außerhalb des „schützenden“ Rahmens von Tarifauseinandersetzungen ist der Prozess gegen den belgischen Ford-Arbeiter Gaby Colebunders vor dem Amtsgericht Köln am 5. November. Von der Anklage blieb nur eine Verwarnung auf Bewährung wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz übrig. Er hatte zwei Jahre zuvor mit etwa 250 Beschäftigten des belgischen Autobauers vor der Europazentrale des Konzerns in Köln gegen die Werksschließung in Genk und damit gegen die Vernichtung von rund 10.000 Arbeitsplätzen demonstriert. Neun weitere Verfahren gegen andere Kollegen sind 2015 anhängig.

Die Kriminalisierung von Aktionen gegen Werksschließung und Arbeitsplatzvernichtung ist ein weiterer Versuch, Widerstand zu brechen. Arbeitsniederlegungen gelten nur dann als zulässig, wenn Beschäftigte sich in Tarifauseinandersetzungen befinden. Öffentlichkeitswirksame Protestaktionen sind ein wirksames Mittel, gegen den Stellenabbau zu kämpfen. Insbesondere wenn sich Unternehmen nicht an gegebene Zusagen halten, wie es beim Ford-Werk in Genk der Fall war. Der „Solikreis 7. November“ wies darauf hin, dass der Konzern eine Standortgarantie bis zum Jahr 2016 gegeben hatte. Im Gegenzug hatte sich die Belegschaft mit einem zwölf Prozent niedrigeren Einkommen abgefunden. Doch dieser Lohnverzicht rettete die Arbeitsplätze nicht. Im Jahr 2012 verkündete die Konzernleitung die Schließung des Standortes Ende 2014.

In Köln „steht die Produktion des Modells ,Fiesta’ ab dem Jahr 2017 zur Disposition. Die Geschäftsführung hat bereits mehrfach angekündigt, dass diese danach ins Ausland verlagert werde. Das würde die Vernichtung von 4.000 Arbeitsplätzen in der Domstadt bedeuten. Damit die Produktion an dem Standort weitergeführt werden könne, sollten zu Lasten der Mitarbeiter demnach 300 Millionen Euro ,gespart’ werden, unter anderem durch die Streichung einer noch unbekannten Zahl von Stellen und von Sonderzahlungen. Wieviel solche Zusagen der Konzernleitung zur Fortsetzung der Produktion allerdings wert sind, mussten die Arbeiter bei ihren belgischen Kollegen in Genk miterleben.”12

Als die Spartengewerkschaften in ihrer ersten Tarifrunde durch Arbeitskampf bessere Ergebnisse als ver.di erzielten, war das beim zweiten Mal oft nicht mehr der Fall – weil ver.di ebenfalls zu härteren Kampfmaßnahmen griff. Der richtige Grundsatz, dass Einheit stark macht, gilt eben nicht, wenn die Einheit missbraucht wird, um uns ruhigzustellen. Wir brauchen die Gewerkschaftseinheit nicht zum Stillhalten, sondern weil wir im Kampf gemeinsam stärker sind. Zeigen wir also Kampfkraft, auch um die Spartengewerk­schaften wieder zurückzuholen. Von einer Einheitsgewerkschaft, die die Sozialpartnerschaftsillusion auf den Müll wirft und der Realität des Klassenkampfs ins Auge schaut, braucht sich niemand abspalten, denn aus Kampfkraft kann wieder Einheit entstehen.

Das Vorhaben der Groko in Berlin wäre für die Arbeiterklasse eine dreifache Niederlage, begründet mit einem falschen Mindestlohn, einem falschen Rentengesetz und einer falschen Gewerkschaftseinheitspolitik.


Deshalb:

Macht die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen der Arbeiterklasse!

Antwort der Einheitsgewerkschaft zur Verteidigung des Streikrechts: Streik!

Beendet am 21.11.14
Karlchen (Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“)



Anmerkungen:
1 Auf dem Aktionstag der GdL am 12. November in Fulda bezeichnete er die DGB-Gewerkschaft EVG und den Bahn-Konzern als „zwei zusammen im Bett“. Dann sagte er: „Wenn sich zwei Kranke miteinander ins Bett legen und ein Kind zeugen, da kommt von Beginn an was Behindertes raus!“ (Quelle: http://www.bild.de/geld/wirtschaft/weselsky-claus/lokfuehrer-chef-empoert-mit-behinderten-vergleich-37446818.bild.html)
2 Die heutige Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist ein im November 2010 vollzogener Zusammenschluss der DGB-Gewerkschaft transnet und der Mehrheit der Beamtenbundgewerkschaft GDBA und umfasste damals rund 240.000 Mitglieder. Zu diesem Zeitpunkt waren 34.000 Mitglieder – überwiegend Lokführer – in der GdL organisiert.
3 jW 11.11.2014, amazon: „Das wäre ein historischer Sieg, ein Signal“
4 KAZ 322 vom Dezember 2007, S. 12 f, Alles auf eine Karte gesetzt!?
5 Yahoo-Nachrichten vom 20.8.2007.
6 jW 4.11.2014, EVG Gewerkschaftstag: Nur die Form stört.
7 Ebenda.
8 jW 7.10.2014, Einheitsgewerkschaft zum Streikrecht.
9 jW 18.11.2014, Grundrechte Nebensache.
10 jW 31.10.2014, Tarifeinheit – „Karlsruhe wird die Sache kassieren“.
11 jW 12.11.2014, Koalitionsfreiheit unter Beschuss.
12 jW 10.11.2014, Protest gegen Jobvernichtung: „Gesichtsverlust der Klassennjustiz“.



 
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