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Statt „Be­frie­dung“ der Ge­werk­schaf­ten durch „Ta­rif­ein­heit“ – Kampf­kraft ge­gen das Ka­pi­tal ge­win­nen durch Ar­bei­ter­ein­heit!
Mit einem Gesetz zur Tarifeinheit will die große Koalition es verbieten, dass Berufsgewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) oder Cockpit Tarifverträge für sich erkämpfen dürfen, wenn in dem Betrieb bereits ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten existiert. Um besser zu verstehen, worum es bei dieser Auseinandersetzung geht, hier ein Blick auf die Vorgeschichte dieser „Tarifeinheit“ und ihren Inhalt. Sie beginnt nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus mit der gewerkschaftlichen Forderung: Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag! (siehe Kasten „Der Geburtsfehler des DGB“) Außerdem mit der in den 1950er Jahren beginnenden Rechtsprechung der Arbeitsgerichte im Fall von Tarifstreitigkeiten in Betrieben, wo für zwei oder mehrere Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG 9.4.1949) Tarifbindung bestand bzw. besteht – im Fachjargon: „Tarifpluralität“. Bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) haben die Gerichte dabei das Prinzip: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag wie unten erklärt als Rechtsgrundlage für ihre Urteilsprüche angewendet.

Der Geburtsfehler des DGB
Der DGB wurde 1949 in Westdeutschland gegen den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) gegründet, der seit 1946 im Osten Deutschlands existierte und dessen Ziel einer einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbewegung mit der DGB-Gründung durchkreuzt wurde. Der FDGB in Berlin wurde durch eine „Unabhängige Gewerkschaftsopposition“ bekämpft und in den Westsektoren zerstört, in denen sich anschließend auch der DGB etablierte.
Die Kommunisten (die in Westdeutschland und Westberlin) sahen es dennoch von Anfang an als ihre Aufgabe an, den DGB zu stärken und ihn zu einer Kampforganisation der Arbeiterklasse zu machen. Immerhin war eine Lehre aus der Schwäche der Gewerkschaftsbewegung der Weimarer Republik gezogen worden: Es handelt sich wenigstens der Satzung nach um eine Einheitsgewerkschaft (d.h. es können sich dort Arbeiter verschiedener politischer Meinung und Weltanschauung organisieren) und das Industriegewerkschaftsprinzip wurde festgelegt, das heißt: in jedem Betrieb ist nur eine Gewerkschaft, damit sich die Gewerkschaften in den Betrieben nicht gegenseitig bekämpfen und Konkurrenz machen.
Wie sehr viele Arbeiter aus eigener Erfahrung wissen, kann man dieses Prinzip der Industriegewerkschaft in der heutigen Praxis in der Pfeife rauchen. Arbeiter aus Zeitarbeitsfirmen, für die ver.di zuständig ist, arbeiten in Metall- oder Chemiebetrieben oder auf dem Bau, wer nach der Schule erwerbslos ist, kann in irgendeine Gewerkschaft eintreten, wie ihm der Sinn steht, wer nur ständig kurzfristige Verträge bekommt, könnte ständig sein Gewerkschaftsbuch wechseln, für die outgesourcte Putzkolonne in einem Chemiebetrieb ist plötzlich nicht mehr die IG BCE zuständig... Es gibt sogar schon Unstimmigkeiten in den höheren Gewerkschaftsetagen, weil sich in manchen Betrieben die Gewerkschaften gegenseitig die Mitglieder abjagen. Dieser Streit geht bis zu Gerichtsprozessen, bei welchen entschieden werden soll bzw. wird, welcher Gewerkschaft das einzelne Gewerkschaftsmitglied – auch mehrere oder Gruppen – zuzuordnen ist/sind. Dieses Chaos führt, abgesehen von anderen Faktoren, zur Schwächung der gewerkschaftlichen Organisation in den Betrieben.
Der Grund dafür ist, dass der DGB – im Gegensatz zum FDGB – von Anfang an keine zentralisierte Organisation, sondern ein loser Zusammenschluss autonomer Industriegewerkschaften war. Das hat in den ersten Jahrzehnten bis heute den großen Schaden gebracht, dass sich die DGB-Vorsitzenden und DGB-Vorstände, so als ob sie die persönlichen Besitzer der Gewerkschaften wären, ungeheuerliche politische Eigenmächtigkeiten erlauben konnten und erlauben. Z. B. die berüchtigte Audienz, die F.J. Strauß dem DGB-Vorsitzenden Vetter gab, oder der Schulterschluss des DGB mit der Bundeswehr, und noch sehr aktuell, 2013 das Treffen Sommers mit dem Kriegsminister der Merkelregierung sowie das beschriebene Bündnis des DGB mit den BDA-Kapitalisten.
Bereits in den achtziger und ganz massiv in den neunziger Jahren ist durch die Untergrabung des Prinzips der Industriegewerkschaft, der nichts entgegengesetzt wird, weiterer Schaden entstanden. Abgesehen von der Entstehung der o.g. und seit Jahren existierenden Spartengewerkschaften, gehören dazu die Zusammenschlüsse in der IG Metall (Holz, Textil), in ver.di, in der IG BCE und in der IG BAU, die diese Konkurrenzsituation eher noch verschärft haben.
Da sich von oben nichts tut, muss sich von unten was tun: Wir müssen alles versuchen, um das Prinzip ein Betrieb – eine Gewerkschaft zu halten. Das heißt nicht nur, dass wir versuchen müssen, uns im Betrieb auf eine Gewerkschaftszugehörigkeit zu einigen. Das heißt auch z.B. Leiharbeiter, Outgesourcte, Werksvertragsarbeiter etc. in die Gewerkschaftsarbeit einbeziehen. Das heißt vor allem: den gemeinsamen Kampf anstreben, selbst dann, wenn nicht alle in der gleichen Gewerkschaft sind. Wenn wir die Praxis der Industriegewerkschaft nicht durchsetzen, besteht die Gefahr, dass das kleinbürgerliche Gehabe der Konkurrenz unter den Gewerkschaften auch in hundert Jahren noch nicht beendet ist.
„Das Bundesarbeitsgericht (BAG) vereinfachte diese Rechtslage für den Arbeitgeber bislang in der Weise, dass es nur denjenigen Tarifvertrag zur Anwendung kommen ließ, der dem Betrieb, räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht. Dieser speziellere Tarifvertrag verdrängte somit alle anderen, im Prinzip ebenfalls auf den Betrieb bzw. seine Arbeitnehmer anwendbaren Tarifverträge. Eben dies ist besagt der Grundsatz der Tarifeinheit.“ (Arbeitsrecht Aktuell.//10/34)

Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht diesen Grundsatz aufgehoben. Dabei haben die BAG-Richter festgestellt, dass die jetzt so viel beschworene und geltend gemachte „Tarifeinheit“ ein rein „gewerkschaftliches Ordnungsprinzip“ ohne Rechtsgrundlage ist. Dementsprechend heißt es in der 48seitigen Urteilsbegründung (4 AZR 549/08 (A) u. a.: „Die Verdrängung eines von einer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrages nach dem Grundsatz der Tarifeinheit stellt sowohl einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft als auch in die individuelle Koalitionsfreiheit des an diesen gebundenen Gewerkschaftsmitgliedes dar.“

Das Kapital, aber auch die große Mehrheit der üblicherweise fast an ihrer Gesetzestreue, am eigenen Legalismus erstickenden Gewerkschaftsführer, wollen, dass es bei der als falsch festgestellten Rechtsprechung, also bei der „Verdrängung vonTarifverträgen“ und „nicht gerechtfertigten Eingriffen in dasKoalitionsrecht“ bleibt.

Und das wollen die Gewerkschaftsführer ausgerechnet mit denjenigen regeln, gegen die sich im kapitalistischen System der Streik zwangsläufig richten muss. Das ist Ziel und Inhalt ihrer unten angesprochenen und aktuell wieder auf die Tagesordnung gesetzten „gemeinsamen Gesetzesinitiative“ von 2010 (s. Kasten „Die Gesetzesintiative von BDA und DGB“). Danach soll die „Tarifeinheit“ mit o.g. „Verdrängungs- und Eingriffsmöglichkeiten“ über eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das nennen Kapital und DGB Hand in Hand: „Wiederherstellung der vor der BAG-Entscheidung gültigen Rechtslage“. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, hat im Dezember 2013 gegenüber der Thüringer Allgemeine Zeitung dazu erklärt, dass dafür das Streikrecht „angepackt“ werden muss und festgestellt: „Ohne gesetzliche Regelungen des Arbeitskampfs sind einheitliche Tarifvereinbarungen für alle Beschäftigten eines Betriebs nicht machbar.“

„Man kann nur staunen, mit welcher Selbstverleugnung DGB-Gewerkschaften ein Streikverbot unterstützen“

Die Gesetzesintiative von BDA und DGB
Sie war bereits 2010 die Reaktion vom „Bund Deutscher Arbeitgeber“ (BDA) mit den Gewerkschaftsführern auf das Bundesarbeitsgerichtsurteil. Einschließlich des vom 16. bis 20. Mai 2010 tagenden DGB-Bundeskongress wurde dabei die gewerkschaftliche Basis nach dem bewährten Prinzip, „zuerst Fakten schaffen, dann reden“, vom „konsensorientierten Vorgehen“ des DGB mit den Kapitalisten vollkommen ausgeschlossen und vor vollendete Tatsachen gestellt. Losgelöst von jeder innergewerkschaftlichen Diskussion zog DGB-Vorsitzender Sommer am 4. Juni 2010 eine offensichtlich von den Gewerkschaftsvorständen mit den Kapitalvertretern hinter verschlossenen Türen ausgekungelte längerfristig vorbereitete „gemeinsamgetragene Gesetzesinitiative“ aus der Tasche. Die Rechnung, mit diesem Überraschungscoup Kritik und Diskussion in den Gewerkschaften darüber nach Möglichkeit zu verhindern bzw. auf ein Mindestmaß zu begrenzen, ist nicht ganz aufgegangen. Das gilt insbesondere für die Gewerkschaft ver.di. Ihr Vorstand mit dem Vorsitzenden F. Bsirske wurde aufgrund massiver Proteste gegen das Vorgehen des DGB 2011 gezwungen, sich aus diesem Bündnis zu verabschieden. Später legte dann auch die DGB-Führung ihre Unterstützung für die gemeinsame Gesetzesinitiative mit dem Kapital offiziell auf Eis. Doch am 6. November 2013 trafen DGB-Vertreter mit dem BDA und Vertretern von SPD, CDU und CSU erneut im Arbeitsministerium zusammen. Kurz darauf verkündeten die Parteien der großen Koalition ihr Projekt zur Tarifeinheit.
(Siehe www.taz.de/Berufsgewerkschaften-in-Bedraengnis/!127938)
Das stellt Detlef Hensche, der ehemalige Vorsitzende der IG Medien (bis 2001), im Januar diesen Jahres in einem Aufsatz fest, in dem er die Auswirkung der angeblichen Rückkehr zur alten Rechtslage untersucht. Dazu erklärt er: „Nein, was hier treuherzig als Rückkehr zur früheren Rechtsprechung eingefordert wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als veritables Streikverbot. Der Kern der BDA-Initiative liegt nicht in der Tarifeinheit, sondern darin, dass die aus dem dominierenden Tarifvertrag folgende Friedenspflicht auch auf die konkurrierende Gewerkschaft erstreckt werden soll. Das ist neu und stellt nicht etwa die frühere Rechtsprechung wieder her. Diese hatte nämlich die Einheitsdoktrin aus guten verfassungsrechtlichen Gründen nicht etwa dahin überdehnt, dass sie der konkurrierenden Gewerkschaft auch noch das Streikrecht beschnitten hätte. Genau dies aber soll in Zukunft geschehen.“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/januar/schwarz-rotes-streikverbot)

Entmachtet werden sollen dabei die seit Jahren bestehenden und tarifvertragsfähigen Gewerkschaften der Lokführer (GDL), der Ärzte, Marburger Bund (MB), der Piloten, Vereinigung Cockpit (VC), der Gewerkschaft der Flugsicherer (GDF), des Journalistenverbandes (DJV) und der seit 1992 existierenden Unabhängige Flugbegleiterorganisation (UFO).

Damit sie nicht immer wieder aus der Reihe tanzen können und dabei fürs Kapital, für den deutschen Imperialismus wichtige Schlüsselpositionen lahm legen, sollen sie, wie Hensche oben feststellt, an die Kette der „Friedenspflicht“ des „dominierenden Tarifvertrages“ und damit an das für die „Mehrheitsgewerkschaft“ geltende Streikverbot gelegt werden.

Die Verantwortung für die gewerkschaftliche Zersplitterung tragen die DGB-Gewerkschaften

„Kurzsichtig, so etwas zu fordern“
Gegen die von SPD und Union anvisierte gesetzliche Tarifeinheit regt sich Protest. „Durch solch ein Gesetz würde in Konsequenz immer das Streikrecht beschnitten, weil es den Minderheitsgewerkschaften verweigertwird“, sagte der Jurist Wolfgang Däubler, Professor an der Universität Bremen, der taz. „Ich kann mich nur wundern, warum auch die meisten DGB-Gewerkschaften so kurzsichtig sind, so etwas zu fordern“, so Däubler.
„Man kann nur hoffen, dass die Koalition nicht daran denkt, deswegen auch die Verfassung zu ändern.“
siehe http://www.taz.de/Berufsgewerkschaften-in-Bedraengnis/!127938/
Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir über die Gründung dieser Gewerkschaften nicht erfreut sein können, das ist eine reaktionäre Entwicklung. Damit ist wieder aufgelebt, was nach Kriegsende 1945 unter allen Umständen vermieden werden sollte und gemeinsame Forderung in den Gewerkschaften war:

Keine erneute Spaltung der Arbeiterbewegung durch Organisierung der Lohnabhängigen in Berufsverbänden und/oder Standesorganisationen, die sich untereinander Konkurrenz machen, um sich, wie es unten IGM-Justiziar Klebe formuliert, „Sondervorteile“ gegenüber der Mehrheit der Arbeitenden zu verschaffen. Aber: Soweit es hierbei im ökonomischen Kampf um die Durchsetzung höherer Löhne geht, schaden sie uns nicht, sie schmälern nur die Profite der Kapitalisten und nicht die Löhne anderer Arbeiterinnen und Arbeiter.

Nein, bei der Entstehung dieser Organisationen sind die „Sondervorteile“, die die DGB-Gewerkschaften, ganz mit vorne dran die IGM, dem Kapital insbesondere durch Streik- und Lohnverzicht und sonstige Zugeständnisse verschaffen, die wesentliche Ursache. Mit dieser Politik stärken sie seit Jahren dem deutschen Imperialismus als „Sondervorteil“ die „Wettbewerbsfähigkeit“ gegenüber der internationalen Konkurrenz. Dabei feiern die Gewerkschaftsführer den Streikverzicht als Tariferfolg, statt der Armut und Verelendung in der Klasse durch gewerkschaftlichen Kampf entgegenzuwirken. Das wäre nicht nur dringend notwendig, um Kapital und Regierung zu zeigen, wo es lang geht, sondern um damit in der Gesellschaft ein Zeichen zu setzen, das anderen Mut macht. Nur auf einem Weg, der auch den Lokomotivführern, Piloten, Ärzten und anderen zeigt, dass ihre Interessen in den DGB-Gewerkschaften gut aufgehoben sind und sie nicht bei jeder Gelegenheit der „Gesamtheit der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (s. u.) geopfert werden, ist Standesorganisationen das Wasser abzugraben. Dadurch, dass der DGB ihnen gemeinsam mit dem Kapital (abartig) das bisschen Streikrecht abnimmt/abnehmen will, schädigt er nur sich selbst und alle Gewerkschaftsmitglieder.

„Tarifeinheit soll Gewerkschaften befrieden“
Die SPD steht zum „Eindämmen“ und „Befrieden“ bereit
Dafür hat ihre Führungsspitze der Merkel-Regierung bereits 2010 ihre Unterstützung zugesagt. Wahrscheinlich, um damit vorausschauend ihre Eignung zum erneuten Abbau von Arbeiterrechten – in diesem System, eines der Ziele einer großen Koalition – zu signalisieren. Und das zu einem Zeitpunkt, als Merkel ausgerechnet mit einem entsprechenden Gesetzesvorhaben am Widerstand der FDP gescheitert ist, der dieses Eisen offensichtlich zu heiß war. Im März 2012 sind die Sozialdemokraten dann auch mit ihrem zweiten Versuch, den o. g. Gewerkschaften einen über die Rübe zu zimmern, im Bundestag abgeblitzt. Bei einer von ihnen beantragten aktuellen Stunde fielen sie mit dem Geschrei von angeblicher „Tarifzersplitterung“ und „Unterminierung der Tarifeinheit“ dem Streik von 200 auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens beschäftigter Arbeiterinnen und Arbeiter in den Rücken. Dabei mussten die Sozis sich selbst von der FDP sagen lassen, dass die Zahl der Streiktage in Deutschland trotz Spartengewerkschaften nicht gestiegen wären, sondern sich im Verhältnis zu 2010 halbiert hätten. Und die Sprecher der Linken stellten fest, die SPD wolle mit ihrem Vorstoß das Streikrecht einschränken, notwendig sei aber seine Ausweitung bis hin zu politischen Streiks. Was dabei von den opportunistischen Gewerkschaftsführern zu erwarten ist, haben wir immer wieder in Artikeln der KAZ geschildert. Z.B. in der KAZ 315: „Die besondere Rolle der deutschen Sozialdemokratie, gezeigt am Beispiel des Massenstreiks“
Unter diesem Titel hieß es im obigen Sinne vor der Bundestagswahl im September 2013 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ 16. 9. 2013): „Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt geht davon aus, dass sich Union, SPD und FDP bei der Eindämmung von Spartengewerkschaften einig sind.“ Und im Interview dazu hat Hundt erklärt: „Unabhängig davon, wie die Bundestagswahl ausgeht, setze ich auf eine zügige gesetzliche Regelung zu Beginn der kommenden Legislaturperiode.“ Mit Ausnahme der Führung von ver.di setzen darauf auch die Vorstände der übrigen DGB-Gewerkschaften einschließlich des DGB-Vorsitzenden Sommer und der als sein Nachfolger vorgesehene Reiner Hoffmann von der IG BCE. Bei ihren Annahmen und Forderungen berufen sich Kapital- und DGB-Vertreter auf entsprechende Aussagen in den Wahlprogrammen von CDU/CSU und SPD und auf die diesbezügliche Absichtserklärung in der Koalitionsvereinbarung. Kapitalistenvertreter Hundt hat es dabei besonders begrüßt, dass die SPD bei der „zügigen gesetzlichenRegelung“ gemeinsame Sache mit der Reaktion macht (s. Kasten: Die SPD steht zum „Eindämmen“ und „Befrieden“ bereit).

Positionen der IG Metall: Kein Zugeständnis – kein Streikrecht!
Auf diese Feststellung kommt man zwangsläufig, wenn man das Positionspapier der IGM zum Bündnis mit den Kapitalisten liest. Darin lässt die IGM-Führung ihr Mitmachen von ihrem Justiziar, Thomas Klebe, zu einem Akt der Solidarität mit den anderen DGB-Gewerkschaften erklären. Im gleichen Zusammenhang teilt sie, unberührt von der durch das BAG festgestellten komplikationslosen jahrelangen Praxis, ihre Befürchtungen hinsichtlich der Existenz mehrerer Tarifverträge im Betrieb mit und malt folgendes Szenario an die Wand: „Würden mehrere Tarifverträge, wie das BAG entschieden hat, nebeneinander gelten, wären Sanierungstarifverträge deutlich schwieriger. Weigerte sich eine Gewerkschaft, die von der Mehrheitsgewerkschaft gemachten Zugeständnisse zu unterzeichnen, würde der Betrieb ohne den Beitrag der Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft saniert. Sie könnte sich schlicht zurücklehnen und die Zeche durch die Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft zahlen lassen.“
Um welches Sanierungs-Zugeständnis der „Mehrheitsgewerkschaft“ es hierbei aktuell geht, erklären die IGM-Führer mit der Aussage: „Auch wenn die IG Metall in ihrem Organisationsbereich davon nicht betroffen ist, kann sie die damit verbundene Begrenzung des Streikrechts von Spezialistengewerkschaften zugunsten einer solidarischen Tarifpolitik mittragen: Wir sind der Meinung, dass sich Spezialistengruppen keine Sondervorteile zu Lasten der großen Mehrheit der Beschäftigten verschaffen sollten ...“
Was die IGM-Führer hier von sich geben, ist so unglaublich, wie das DGB-Bündnis mit dem Kapital ungeheuerlich ist. Da wird dem in den o. g. „Minderheitsgewerkschaften“ organisierten Teil der Lohnabhängigen in aller Offenheit das Streikrecht abgesprochen. Das ist Vertiefung der vorhandenen Spaltung statt alles zu tun, um die Einheit durch gemeinsamen Kampf wieder herzustellen und Zumutungen wie „Sanierungs-Zugeständnisse“ zurückzuweisen. Alles andere heißt Plattmachen. Eine Gewerkschaft ohne Streikrecht kann einpacken. Bei dieser Art „solidarischer Tarifpolitik“ kann sich das Kapital getrost „zurücklehnen“ und auf den nächsten Sanierungsbeitrag der DGB-Führer vertrauen. Die angeblichen „Sondervorteile“ werden hierbei einschließlich des Streikrechts der „Spezialistengruppen“ der Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Imperialismus geopfert. Wie bereits oben festgestellt, zahlt die Zeche dafür dann aber nicht nur die „Mehrheitsgewerkschaft“, sondern die gesamte Arbeiterbewegung, indem sie möglicherweise wieder für die Durchsetzung von Kapitalinteressen verheizt wird.
Kommt es dazu, was zu befürchten ist, wird mit der Aberkennung des Streikrechts für die o.g. Gewerkschaften ebenso dem Durchsetzungsvermögen der Gewerkschaften und der Kampfkraft der Arbeiterklasse insgesamt schwerer Schaden zugefügt. Mit der Unterstützung der opportunistischen Gewerkschaftsführer im Rücken, könnte die große Koalition das als Einverständniserklärung zu weiteren Angriffen auf die Arbeiterklasse begreifen. Auf diese Weise ließe/lässt sich die jeweils fürs Kapital notwendige „Rechtsgrundlage“ herstellen, um lästige Hindernisse beim Profitmachen nach Möglichkeit „verfassungskonform“ und „legal“ aus dem Weg zu räumen. In einer Situation, in welcher der geschäftsführende Ausschuss des Kapitals, die Koalitionsregierung in Berlin, die Ausweitung der Übernahme „deutscher Verantwortung in der Welt“ lautstark verkünden lässt, ist das Mitmachen der Gewerkschaften von besonderer Bedeutung. Die haben sich in dem Sinne in ihrer mit den Kapitalisten vereinbarten Gesetzesintiative bereits von „Sozial- auf Verantwortungspartnerschaft“ gesteigert und den Gewerkschaften sozusagen die Mitverantwortung für das Funktionieren des kapitalistischen Ausbeutungssystem übergestülpt. Entsprechend wird darin u. a. erklärt: „Die Verantwortungspartnerschaft der Tarifpartner erfordert, die Gesamtheit der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen der Betriebe zu berücksichtigen.“ Was hierbei von der Regierung mit Verantwortung gemeint ist, wurde in nicht misszuverstehender Offenheit in den vergangenen Tagen z. B. von ihren Sprachrohren Gauck, von der Leyen u. a. erklärt. Im Klartext: Vor allem auch militärisch mehr tun, um dem deutschen Imperialismus Einfluss- und Absatzgebiete sowie Rohstoffquellen nicht nur zu sichern, sondern die Zugriffsmöglichkeiten darauf auszudehnen, wenn nötig mit Waffengewalt. Um dieses Programm möglichst ungestört durchziehen zu können, ist „Ruhe und Akzeptanz an der Heimatfront“ immer noch eine notwendige Voraussetzung. In dieses Konzept könnte es wie die Faust aufs Auge oder erste Probe passen, die an Schaltstellen sitzenden „Spezialisten“, wie Lokomotivführer, Piloten, Bodenpersonal am Flughafen, Ärzte u. a. vorausschauend (mit der Option zur „Dienstverpflichtung“) als Risikofaktoren zu entrechten, indem man sich über ihr Streikrecht hermacht bzw. es in die Hände erprobter „Mehrheitsgewerkschaften“ legt.
Das sogenannte Streikrecht in der BRD
Die gerade in den Gewerkschaften oft gemachte Aussage bzw. geäußerte Annahme, das Streikrecht sei im Grundgesetz festgelegt und verankert, trifft so nicht zu. Wäre das der Fall, könnte es nicht immer wieder bei allen sich bietenden Gelegenheiten (betrieblichen und gewerkschaftlichen Streiks) vom Kapital angegriffen und danach von Arbeitsrichtern immer wieder neu ausgelegt bzw. ausgerichtet werden. Zu diesem Sachverhalt hat die oben bereits zitierte Arbeitsgerichtspräsidentin in einer Presseerklärung zum genannten BAG-Urteil festgestellt: „Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist nicht freiwillig in die Rolle des Ersatzgesetzgebers geschlüpft, sondern nur deshalb, weil es Konflikte, aber keine gesetzlichen Regelungen für Arbeitskämpfe gibt.“
Also ist klar, es gibt die gesetzliche Regelung des Streikrechts nicht. Seit dem Bestehen der BRD wird es der Arbeiterbewegung in diesem Lande durch Urteile der Klassenjustiz als sogenanntes Arbeitskampfrecht diktiert – folgt man dabei der Frau Präsidentin: unfreiwillig! Hierbei ist im Grundgesetz nicht von Streiks, sondern von Arbeitskämpfen die Rede, die „zur Wahrung- und Förderung der Wirtschaftsbedingungen ... geführt werden.“
(Gesetzestext unten)
Zu diesem Recht gehört dann auch, durch Urteile bestätigt, das Recht des Kapitals komplette Belegschaften als Abwehrmaßnahme gegen einen Streik „zur Förderung seiner Wirtschaftsbedingungen“ durch Aussperrung auf die Straße zu jagen. Hierzu gehört ebenso das Recht der Kapitalisten anzugreifen, daher kommt der Begriff der „Angriffsaussperrung“. Was das dann für ein Streikrecht sein soll, kann sich jeder ausmalen. Die Gesetzeskommentierungen und die Arbeitshefte der Gewerkschaften dazu füllen einige Regale. Doch zurück zum Streik. Tatsache ist, dass sich Gewerkschaften wie Arbeitsrichter in der Frage auf den Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz berufen. Der ist im Zusammenhang mit dem Kampf klassenbewusster Arbeiter gegen die Notstandsgesetzgebung auf Betreiben der SPD ins Grundgesetz aufgenommen worden, weil die Arbeiter befürchteten, dass ihnen das Recht zu streiken genommen wird. Auf diesem Wege ist die falsche Annahme, das Streikrecht sei im Grundgesetz verankert, entstanden und der Artikel 9 Absatz 3 wird deswegen auch häufig als der „Streikparagraph“ bezeichnet.
Art. 9 GG

  • (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

  • (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

  • (3) Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.


Mit Unterstützung dieser ständig die Kapitalinteressen bedienenden Politik, in diesem Fall Streikbruch und Schwächung der eigenen Kampfkraft im großem Stil, befinden sich die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer wieder auf dem Weg, bei dem ihre Vorgänger durch die Zusammenarbeit mit dem Kapital sich selbst und die gesamte Gewerkschaftsbewegung in den letzten 100 Jahren ans Messer geliefert haben. Im ersten imperialistischen Weltkrieg, zu dessen hundertstem Jahrestag in diesem Jahr viele Veranstaltungen stattfinden, haben die damaligen Gewerkschaftsführer nicht nur das Streikrecht eines Teils der Lohnabhängigen geopfert, sondern gleich die gesamte Arbeiterklasse mitsamt Streikrecht. Das als „Burgfrieden“ bekannte Stillhalteabkommen wurde vereinbart zur Unterstützung des deutschen Imperialismus beim Überfall auf andere Völker. Zu dieser Geschichte gehört das Verhalten der opportunistischen Gewerkschaftsführer genauso wie ihre Ablehnung zum Aufruf des Generalstreiks, um 1933 die Machtübertragung an die Hitlerfaschisten zu verhindern. Stattdessen machten sie den Faschisten noch Angebote zur Zusammenarbeit, als schon längst die eigenen Leute umgebracht wurden, sozialdemokratische Politiker auf Kühen gebunden durch die Dörfer getrieben und z.B. im Konzentrationslager Dachau Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, Priester und andere demokratisch gesinnte Menschen ermordet wurden.

Detlef Hensche spricht von Selbstverleugnung (s.o.), das ist der ständige Verrat der eigenen Klasseninteressen. Ein großer Teil der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer – allen voran die IGM-Spitze – hat es dabei zur Selbstverständlichkeit gemacht, die Gewerkschaften zur Durchsetzung von Kapitalinteressen („Standortsicherung“, Sicherung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Imperialismus) zu missbrauchen – einem Zweck, zu dem sie nie gegründet wurden. In diesem Sinne geht kein Weg daran vorbei, sich an der gewerkschaftlichen Basis, in Betrieben und Verwaltungen ein Bild davon zu machen, wohin diese Politik geradezu zwangsläufig wieder führen muss. Der oben angesprochene Jahrestag – Beginn des ersten Weltkrieges – im Zusammenhang mit der Unterstützung der Gewerkschaftsführer für das o. g. Streikverbot, bieten Anlass genug, um das z. B. mit dem Thema: „Gemeinsam aus der Geschichte lernen“ in den Gewerkschaften (dringend) zur Diskussion zu stellen. Soweit es hierbei um die sogenannte „Tarifeinheit“ oder „solidarische Tarifpolitik“ geht, kann es dabei nur um die Solidarität und Wiederherstellung der gewerkschaftlichen Einheit mit den angegriffenen Kolleginnen und Kollegen in den „Minderheits“-Gewerkschaften, mit Lokomotivführern, Piloten, Ärzten und allen anderen, die genannt sind, gehen. Das ist mit eine Voraussetzung dafür, um eventuell die Diskussion über eine andere Gesellschaftsordnung wieder beginnen zu können und die gewerkschaftsschädigende Politik der Gewerkschaftsführer zu beenden, bevor der Rest gewerkschaftlicher Kampfkraft vollends ruiniert ist und die Gewerkschaften komplett an die Wand gefahren werden.

Ludwig Jost


 
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