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So hieß die im Oktober 2009 im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP gegen gewerkschaftliche Forderungen gerichtete Vereinbarung. Gemeinsam mit ihren Helfern aus CDU/CSU und FDP hat die Kanzlerin im Auftrag des Kapitals darauf seit Jahren landauf, landab mit den lautstark als Grundsatz hinausposaunten Feststellungen geantwortet: „Wir wollen keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn“ bzw. „mit der Union wird es flächendeckende, gesetzliche Mindestlöhne nichtgeben“.

Bei diesen Absagen hat sich Merkel immer wieder hinter der Tarifautonomie verschanzt und erklärt, das sei nicht Aufgabe der Gesetzgebung, sondern der Tarifvertragsparteien. Den Gewerkschaftsführern hat sie dabei ihre mit dem Kapital abgeschlossenen und evtl. nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemeinverbindlich erklärten Branchentarifverträge über Mindestlöhne um die Ohren geschlagen (lt. IGM z. Z. 14 in der BRD). Was mit etwas anderen Worten heißt: „Was wollt ihr denn, wenn ihr uns mit Tarifverträgen die Steilvorlagen gegen eine gesetzliche Regelung liefert, kann es auch so bleiben.“
Jetzt steht der gesetzliche Mindestlohn und eine zu seiner Überprüfung ab Mitte 2017 arbeitende Kommission (siehe unten) in der Koalitionsvereinbarung (s. Kasten). Sozusagen als Lockmittel, um den Sozialdemokraten, aber auch den Gewerkschaftsführern den letzten Widerstand gegen das Bündnis mit der Reaktion auszutreiben und zum Weiterregieren gegen die Interessen der Arbeiterklasse und breite Schichten der werktätigen Bevölkerung mit ins Boot zu holen.

In der Frage Mindestlohn geht es hierbei mit Tarifverträgen weiter. Sie bilden zumindest in den nächsten drei Jahren die Grundlage für Ausnahmeregelungen von 8,50 € Stundenlohn. Dementsprechend wird unter Punkt 2.2 der Koalitionsvereinbarung festgestellt: „Die tarifvertraglich vereinbarten Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG) haben sich bewährt. Deshalb werden wir den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetz über die bereits dort genannten Branchen für alle Branchen öffnen.“

Rechtsverordnung und/oder Allgemeinverbindlichkeit statt gesetzlicher Mindestlohn!

Aus der Koalitionsvereinbarung, Punkt 2.2.
„Zum 1. Januar 2015 wird ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € brutto je Zeitstunde für das ganze Bundesgebiet gesetzlich eingeführt. Von dieser Regelung unberührt bleiben nur Mindestlöhne nach dem AEntG.
Tarifliche Abweichungen sind unter den folgenden Bedingungen möglich:
Abweichungen für maximal zwei Jahre bis 31.Dezember 2016 durch Tarifverträge repräsentativer Tarifpartner auf Branchenebene.
Ab 1.Januar 2017 gilt das bundesweite gesetzliche Mindestlohnniveau uneingeschränkt.
Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Koalitionsverhandlungen geltende Tarifverträge, in denen spätestens bis zum 31. Dezember 2016 das dann geltende Mindestlohnniveau erreicht wird, gelten fort.
Für Tarifverträge, bei denen bis 31. Dezember 2016 das Mindestlohnniveau nicht erreicht wird, gilt ab 1. Januar 2017 das bundesweite gesetzliche Mindestlohnniveau.“

Hans-Böckler-Stiftung, Auszug aus einer aktuellen Auswertung des WSI vom 6.11.2013
„Mindestlohn: 8,50 Euro pro Stunde sind kein europäischer Spitzenwert”
Entgegen anderslautenden Medienberichten würde Deutschland mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € pro Stunde keinen europäischen Spitzenplatz einnehmen. Zu diesem Ergebnis kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in einem aktuellen Vergleich der Mindestlöhne in Europa.
Nach Analyse des WSI-Mindestlohnexperten Dr. Thorsten Schulten „läge Deutschland mit einem Mindestlohn 8,50 € pro Stunde noch deutlich unterhalb des Mindestlohnniveaus in anderen westeuropäischen Staaten. Dies gilt erst recht, wenn man die entsprechende Kaufkraft des Mindestlohns berücksichtigt. Auch gemessen am Medianlohn, dem mittleren Stundenlohn, den Beschäftigte erhalten, stellen 8,50 € keineswegs einen ungewöhnlich hohen Wert dar“, betont Schulten.
Von den insgesamt 21 EU-Staaten, die über einen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, liegt dieser in fünf Staaten oberhalb von 8,50 €. Hierzu gehören Luxemburg mit einem Spitzenwert von 11,10 €, sowie Belgien, die Niederlande und Frankreich mit Werten zwischen 9,07 und 9,43 €. Selbst im krisengeplagten Irland liegt der Mindestlohn mit 8,65 noch oberhalb der in Deutschland derzeit diskutierten Marke.
Der Vergleich gesetzlicher Mindestlöhne gemessen in Euro wird zudem teilweise durch starke Wechselkursschwankungen verzerrt. Dies gilt insbesondere für Großbritannien, dessen nationale Währung gegenüber dem Euro in den letzten Jahren um mehr als 30 Prozent abgewertet hat. Ohne diese Abwertung würde der britische Mindestlohn heute ebenfalls bei mehr als 9 € liegen.
Für die Beurteilung der Höhe eines Mindestlohns muss darüber hinaus berücksichtigt werden, welche Kaufkraft mit dem Mindestlohn verbunden ist. Um die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Europa zu berücksichtigen, hat das WSI die Mindestlöhne auf der Grundlage von Kaufkraftparitäten neu berechnet. Ein Mindestlohn von 8,50 € würde demnach in Deutschland einem Kaufkraftstand (KKS) von 7,14 entsprechen. Der kaufkraftbereinigte Mindestlohn in Deutschland würde damit etwa auf dem Niveau des Mindestlohns in Großbritannien und deutlich unterhalb der Mindestlöhne in Frankreich, den Beneluxstaaten und Irland liegen.
Ein Beispiel dafür sind die für die „Branche Leiharbeit“ jahrelang von der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit mit den Arbeitskraftdealern von BAP, dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ) unterhalb gesetzlicher Mindestbedingungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes AÜG abgeschlossenen Tarifverträge. Der zuletzt abgeschlossene Vertrag ist noch jungen Datums und am 1. November 2013 in Kraft getreten. Danach gelten für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in der BRD neue bzw. geänderte tarifliche Bestimmungen in Entgeltrahmen- und Manteltarifverträgen, die nach drei Jahren, erstmalig zum 31.12.2016 kündbar sind. Ab dem 1. Januar 2014 gehören dazu prozentuale Erhöhungen der in neun Entgeltgruppen (E 1-9) festgelegten und noch bis zum 31.12.2013 zu zahlenden Löhne (siehe unten).

Dazu haben DGB-Tarifgemeinschaft, BAP und iGZ in Punkt 5 des Tarifvertrages erklärt: „Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass ein Mindestlohntarifvertrag vereinbart werden soll, dessen Mindestlohnhöhen jeweils identisch sind mit in diesem Tarifabschluss für die Entgeltgruppen E 1 West und Ost festgelegten Beträgen. Die Parteien werden dem BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, d. Red.) gemeinsam vorschlagen, diese Mindestlöhne als Lohnuntergrenzen in einer Rechtsverordnung verbindlich festzusetzen.“
Der Hauptgeschäftsführer des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ), Werner Stolz, hat dabei zum Tarifabschluss festgestellt: „Probleme löst man am besten, indem sich die Streitpartner an einen Tisch setzen und mit Sachverstand branchenspezifische Lösungen erarbeiten“.

Um solche Lösungen geht es auch in der oben bereits angesprochenen und beim Koalitionsschacher vereinbarten Kommission. Nach den bis zum Redaktionsschluss der KAZ bekannten Presseberichten und der Koalitionsvereinbarung werden dazu die „Streitpartner“ Gewerkschaften und Kapitalisten mehr oder weniger faktisch durch Gesetz gezwungen, „sich an einen Tisch zu setzen“. Hierbei sollen die jeweils drei mit genügend Sachverstand ausgerüsteten Gewerkschaftsvertreter gemeinsam mit drei Kapitalverbandsstrategen – wenn sie wollen, unterstützt durch einen „Wissenschaftler” – möglicherweise die eigenen Forderungen ins Gegenteil verkehren und die Mindestlöhne erstmalig ab Mitte 2017 jährlich überprüfen bzw. ihre Höhe neu festsetzen. Sie haben dabei u. a. die Aufgabe, gegebenenfalls Ausnahmen von einer Steigerung des Mindestlohns für Branchen und/oder Regionen zu erarbeiten. Das war eine von der CDU/CSU gestellte Bedingung, von deren Erfüllung sie ihre Zustimmung zu 8,50 € Mindestlohn, frühestens ab Mitte/Ende 2016, abhängig gemacht hat. Um die SPD-Verhandlungsführer in diesem Sinne unter Druck zu setzen und gefügig zu machen, wurden dabei – unterstützt von Kapitalvertretern – Phantasiezahlen über die angebliche Vernichtung von Arbeitsplätzen durch einen gesetzlichen Mindestlohn in die Welt gesetzt. Was dabei herauskommt, heißt dann „Lohnverzicht sichert Arbeitsplätze“. Die Übersetzung dafür lautet in der Koalitionsvereinbarung: „Produktivität und Lohnhöhe müssen miteinander korrespondieren, damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten bleibt. Diese Balance stellen traditionell die Sozialpartner über ausgehandelteTarifverträge her.“ Eine Botschaft, die sich vor allem an die erfahrenen Balancierer in den Gewerkschaftsvorständen richtet, in deren Bezirken (z.B. IGM) nach wie vor hunderte Lohnverzichtstarifverträge zur angeblichen Sicherung von Arbeitsplätzen aktuell sind und teilweise neu abgeschlossen werden.

„Die Bildung einer großen Koalition wird auch schwierige Kompromisse in sich tragen“,

hat IGM Bezirksleiter Mitte, Armin Schild, erklärt: „Das kennen wir als Metaller. Im Prinzip schließen wir ja bei jedem Tarifabschluss auch eine große Koalition auf Zeit.“
Schild ist ehrenamtliches SPD-Vorstandsmitglied und mit bei den Koalitionsverhandlungen dabei (Infodienst der IGM 14/2013).
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Sensationeller Fototermin: Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, übergibt Unterschriften für einen Mindestlohn von 8,50 Euro an SPD und CDU (zur fachgerechten Entsorgung?).
Mit seiner Aussage will er die Metallerinnen und Metaller möglicherweise schon darauf vorbereiten, dass sie für das Bündnis mit der Reaktion weitere Opfer zu bringen haben. Wobei das dann für die mit der neuen Erkenntnis verbunden sein dürfte, dass nach oben zitierter Aussage unsere Kampfinstrumente wie z.B. Streiks für mehr Lohn, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen endgültig beiseite zu legen sind. Stattdessen sollen wir mit den Kapitalisten, mit unseren Ausbeutern die „große Koalition auf Zeit“ schmieden. Und so wie bei der großen Koalition CDU/CSU der Herr und die SPD der Hund ist, so sollen wohl bei der „großen Koalition auf Zeit“ durch Tarifverträge die Arbeiter das Hündchen des Kapitals sein? Was nun bei den Verhandlungen von CDU, CSU und SPD die „schwierigen Kompromisse“ angeht, von welchen Schild oben spricht, heißt das bei der heutigen „Koalitionsbildung“ und den oben genannten Kommissionsaufgaben: Der jetzige Flickenteppich unterschiedlicher Mindestlöhne und die damit verbundene Spaltung der betroffenen Lohnabhängigen, wie z. B. im Leiharbeitstarif zwischen West und Ost festgelegt, bleibt mindestens für drei Jahre noch so, wie er ist. Die jeweilige Regierung wäscht hierbei ihre Hände in Unschuld. Abhängig davon, ob sie für sich ein gesetzliches Vetorecht festlegt, beschließt sie nur durch Rechtsverordnung oder über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes, auf welche Mindestlöhne sich Gewerkschafts- und Kapitalvertreter geeinigt haben. Was bedeutet, der momentane Zustand kann – abgesehen von den 8,50 € versprochenen Mindestlohn ab 2015 bzw. 2017 – auf Jahre hinaus immer wieder neu festgeschrieben werden. Dabei steht heute schon fest, den kleinen gesellschaftlichen Rechtsfortschritt, den gegenüber dem Kapital einklagbaren Rechtsanspruch für alle Lohnabhängigen auf einen einheitlichen und flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, gibt es frühestens ab dem 1. Januar 2017.

Der „Neue Mindestlohn“ für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter

Der in der untersten Entgeltgruppe (E 1) tariflich vereinbarte Mindestlohn liegt dabei im Westen bei 8,19 € und im Osten bei 7,50 €. Nach dem neuen Tarifvertrag steigt der Westlohn von 8,19 Euro in der E 1 ab dem 1. Januar 2014 um 31 Cent auf 8,50 €. Sie wurden unmittelbar nach Tarifabschluss von der DGB-Tarifgemeinschaft und besonders von der IGM als „Neuer Mindestlohn“ hochgejubelt. Dem entsprechend heißt es im November IGM-Tarifinfo „Für alle Metallerinnen und Metaller in der Leiharbeit“: „Unter 8,50 € mindestens geht künftig nichts mehr!“

Mindestlohn im Osten frühestens 2017
Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, stellte fest, dass nach der Koalitionsvereinbarung der Mindestlohn von 8,50 € „im Osten frühestens 2017“ wirkam würde.
Dazu heißt es in einem Kommentar im Neuen Deutschland (28.11.2013):
„Das ist zwar drastisch formuliert, doch tatsächlich sind solche Niedrigtarife im Osten viel verbreiteter als im Westen. Laut WSI-Tarifarchiv gab es Ende 2012 in Ostdeutschland 178 tarifliche Vergütungsgruppen unterhalb von 7,50 und 82 zwischen 7,50 und 8,50 € Bruttostundenlohn. Stolze 26 Prozent der Tariflöhne im Osten lagen damit unterhalb von 8,50 €, 18 Prozent sogar unter 7,50 €.
Alle diese Niedriglöhne dürfen einstweilen weitergelten. Gerade im Osten, wo eine Besserung so dringend notwendig wäre, ist der Weg zu einem effektiven Mindestlohn damit noch weit.“
Equal Treatment
In der 2008 verabschiedeten EU-Richtlinie über Leiharbeit ist der Grundsatz Equal Treatment verankert, der Leiharbeitsbeschäftigten die gleichen Arbeitsbedingungen einschließlich des gleichen Arbeitsentgelts (Equal Pay) wie der Stammbelegschaft im Entleihbetrieb gewährleistet. Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz beinhaltet die Grundsätze Equal Treatment und Equal Pay in Form des Gleichstellungsgrundsatzes.
Schwarzbuch Leiharbeit der IGM im März 2012 1. Auflage
Dabei legt der neue Tarifvertrag fest, dass es trotzdem „künftig“ noch länger darunter geht, denn die 8,50 € gelten ab dem 1. Januar 2014 nur in den Tarifbezirken im Westen. Ab 1. April 2015 wird er dort auf 8,80 € und ab dem 1. Juni 2016 auf 9 € erhöht. Bei der vereinbarten 35-Stunden-Woche wird hierbei im Juni 2016 ein Monatsbruttolohn von 1364 € erreicht, der gemäß Tarifvertrag bis zum 31.12.2016 gilt.
In den Ost-Tarifgebieten steigt der „alte Mindestlohn“ von jetzt noch 7,50 € ab 1.1.2014 um 36 Cent auf den „neuen Mindeststundenlohn“ von 7,86 €. Die werden nach der vereinbarten Entgelttabelle nach 15 Monaten, ab dem 1. April 2015, um 34 Cent auf 8,20 € und nach weiteren 14 Monaten Wartezeit, ab dem 1.6.2016, um 30 Cent in der Stunde erhöht. Für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im Osten bedeutet das: Sie müssen zuerst noch 2,5 Jahre fürs Kapital, für die Entleiher schuften, um für den Verkauf ihrer Arbeitskraft an die Arbeitskrafthändler von BAP und iGZ die 8,50 € zu bekommen, die seit Januar 2014 als „Neuer Mindestlohn“ West gelten. Auf der Basis der 35-Stunden-Woche entspricht das einem mtl. Bruttolohn von 1288 €. Der Mindestlohn Ost liegt damit immer noch 50 Cent in der Arbeitsstunde unterhalb der ab dann in den Tarifgebieten West geltenden 9 €. Und bis zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen geltende Tarifverträge, durch die bis Ende 2016 die 8,50 € Mindestlohn erreicht werden, gelten darüber hinaus fort. Bis Ende 2016 soll damit auch 26 Jahre, nachdem sich der deutsche Imperialismus die DDR einverleibt hat, die in Gesetzen, Verordnungen usw. nach wie vor vorhandene Benachteiligung und Diskriminierung (z. B. Strafrenten u. a.) der dort lebenden Menschen mit Unterstützung solcher Tarifverträge zementiert werden, ebenso wie die Spaltung der Arbeiter in Ost und West.

„Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ á la IG Metall-Führung

Mit dem obigen Tarifvertrag hat sich die DGB-Tarifgemeinschaft gleichzeitig über die innergewerkschaftliche Kritik an den Tarifabschlüssen mit den Arbeitskrafthändlern von BAP und iGZ hinweggesetzt. Unter anderem hatte der in den Gewerkschaften bestens bekannte Professor für Arbeitsrecht an der Uni Bremen, Wolfgang Däubler, dazu festgestellt: „Seit zehn Jahren sorgen Tarifverträge – auch die der DGB-Gewerkschaften – dafür, dass Leiharbeiter enorme Zumutungen hinnehmen müssen. Ich kann nicht erkennen, dass ein neuer Tarifvertrag diese Situation wesentlich verbessern würde. Mindestlohn und Branchenzuschläge sind kein Problem mehr, wenn Equal Pay gilt, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist.“ (Bericht in KAZ 343) 
In der metallzeitung Oktober 2013 hat der IGM-Vorstand auf Seite 7 auf diese Aussagen und Kritik reagiert. Dort wird unter der Überschrift „Gute Gründe für einen Tarifvertrag“ erklärt: „Der Tarifvertrag schafft Klarheit. Das Gesetz sagt nicht aus, was gleiche Bezahlung im Betrieb heißt. Für Beschäftigte wäre nicht transparent, welche Ansprüche sie haben. Zudem gilt Equal-Pay auch nicht für verleihfreie Zeiten.“

Offensichtlich hat das der IGM-Spitze zur Rechtfertigung der Tarifabschlüsse mit den Arbeitskrafthändlern noch nicht ausgereicht. Deswegen haben sie im November 2013 Stefan Schaumburg, den Leiter des IGM-Tarifbereichs, im oben bereits genannten Tarifinfo nochmals kräftig nachlegen lassen. Der erklärt dort in einem Kommentar zum Tarifergebnis: „Es gab im Vorfeld auch Kritik. Am besten wären keine Tarifverträge, weil dann Equal Pay gelte. Das ist nicht unser Weg. Denn von einem abstrakten Rechtsgrundsatz wie Equal Pay kann man sich nichts kaufen. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Leiharbeit haben mehr verdient.“

Koalition bringt Gewerkschaftsführer ins Schlottern – statt umgekehrt!
Die bei den Koalitionsverhandlungen diskutierten Rechte und Zuständigkeiten der Kommission haben neben IGM-Bezirksleiter Schild auch den bis vor wenigen Wochen noch amtierenden 1. Vorsitzenden der IGM, B. Huber, auf den Plan gerufen. Sie befürchten, dass die Kommission zu viel Macht bekommt und ihnen ins Handwerk pfuscht. Worum es hierbei geht, hat Schild am 18.11.2013 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ wie folgt erklärt: „Ich bin nicht der Auffassung, dass die Kommission den Auftrag erhalten sollte, in einer jährlichen Simulation von Tarifverhandlungen eine Erhöhung der gesetzlichen Untergrenze auszuhandeln“ und „es sollte nicht dazu kommen, dass sich die turnusmäßigen Empfehlungen zur Anhebung des Mindestlohns in der Praxis zu einer Art allgemeiner Lohnleitlinie für Tarifverhandlungen entwickeln“.
Huber sah sich in dem Zusammenhang dazu gezwungen, der SPD-Verhandlungsführerin „in der Arbeitsgruppe Familie, Manuela Schwesig, einen Brief zu schreiben, in dem er darauf hingewiesen hat, dass diese Pläne die Tarifautonomie beeinträchtigen.“ (Stuttgarter Zeitung, 20.11.2013).
Da haben die IG-Metall-Führer lange Jahre gewerkschaftliche Macht verschenkt, auf Forderungen und Streiks verzichtet. Und jetzt haben sie Angst, dass sie durch das bisschen schäbigen Mindestlohn (zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig) an Macht verlieren könnten! Dabei wäre das alles kein Problem – damit alle Arbeiter mehr bekommen als diesen Knochen, den uns die künftige (?) Große Koalition hinschmeißt, bräuchte man ja nur die gewerkschaftliche Kampfkraft wieder zu entwickeln und würde damit auch wieder Macht gewinnen. Und dann müsste man auch keine Bettelbriefe an die SPD schreiben.
Das kann man nur bejahen, das gilt vor allem für diejenigen, die im Osten von Leiharbeit betroffen sind und wie alle anderen Lohnarbeiter dort noch immer durch Tarifverträge unterschiedlich behandelt und benachteiligt werden. Auskunft darüber gibt ein Vergleich der tariflichen Mindestlöhne in der Leiharbeit im Verhältnis zu den untersten Gruppen der in den Betrieben geltenden Entgelttarifverträge. Über die Jahre der Tarifvertragslaufzeiten gerechnet (s. Däubler), kommen hierbei Millionen, wenn nicht einige Milliarden € an Lohnbeträgen zusammen, die das Kapital eingesackt hat. Arbeitslohn, der an Zigtausende den Arbeitskraftdealern in die Hände getriebene Lohnabhängige für den Verkauf ihrer Arbeitskraft hätte gezahlt werden müssen. „Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Leiharbeit“ hätten sich davon gemeinsam mit ihren Familien eine Menge kaufen können, wenn die Gewerkschaftsführer den oben von Schaumburg entstellten Text des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nicht mit Tarifverträgen untergebuttert hätten. Nur noch einmal zur Erinnerung, hierbei geht es darum, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter hinsichtlich der für die Stammbelegschaft beim jeweiligen Entleiher-Kapitalisten „geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts“ bei vergleichbarer Arbeit gleich zu behandeln sind. Worum es hierbei geht, weiß jeder Betriebsrat und jede Kollegin und jeder Kollege. Wenn z.B. der Schlosser der Stammbelegschaft für den Verkauf seiner Arbeitskraft 15 € in der Stunde erhält, hat der Schlosser vom Arbeitskrafthändler darauf den gleichen einklagbaren Rechtsanspruch, wenn er die gleiche Arbeit macht. Was nichts Anderes heißt, als die nach dem AÜG zumindest gesetzlich mögliche Durchsetzung der Forderung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung: Gleiches Geld für gleiche Arbeit, oder wie das heute vielfach in den Betrieben und in der Öffentlichkeit unter dem englischen Begriff Equal Pay bekannt ist. Und das wird von Schaumburg als „abstrakter Rechtsbegriff“ abgetan (siehe oben). Damit verleugnet die IGM-Führung ihre eigene in ihrem Schwarzbuch von März 2012 zur Leiharbeit abgegebene Erläuterung. Darin heißt es: „Equal Pay bedeutet, dass Leiharbeitsbeschäftigte für die gleiche oder gleichwertige Arbeit das gleiche Entgelt erhalten müssen wie die Stammbelegschaft im Entleiherbetrieb

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Unsere Kampfkraft darf nicht in einem Stapel Unterschriften versacken: Nicht betteln und bitten, nur mutig gestritten!
Arbeitsverträge, die das für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter als gesetzliche Mindestbedingung nicht zum Inhalt haben, sind ein Gesetzesverstoß und nach § 9 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) rechtsunwirksam. Die Behauptung der IGM-Führung, das sei nicht transparent und/oder abstrakt, soll verdecken, dass sie statt Pflöcke für den gesetzlichen Mindestlohn einzuschlagen, wie die übrigen DGB-Gewerkschaftsführer zum Unterlaufen des nach dem AÜG geltenden Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Tarifverträge „Ja” gesagt hat. Nach dem Motto, was sowieso nicht genutzt wird, kann auch abgeschafft werden, haben CDU/CSU und SPD diese Frage jetzt auf ihre Art und Weise geregelt und mehr oder weniger eine Bewährungs- bzw. Probezeit vereinbart. In ihrem Koalitionsvertrag erklären sie: „Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeiter künftig spätestens nach 9 Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitern gleichgestellt werden.“ Was für die große Mehrheit aller in der Leiharbeit Beschäftigten bedeutet, der vor allem immer wieder von den Gewerkschaftsführern großmäulig verkündete Grundsatz Equal Pay wird zu Gunsten des Kapitals auf den St. Nimmerleinstag verschoben.

Grund genug, die oben erwähnte Kritik von fortschrittlichen Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften erneut aufzugreifen und dabei zu versuchen, die Forderung nach einem Verbot der Leiharbeit mehrheitsfähig zu machen. Dazu gehört dann allerdings die an der Gewerkschaftsbasis zu führende Diskussion über die Durchsetzungsmöglichkeiten gesetzlicher Forderungen – wie u.a. gesetzlicher Mindestlohn und/oder Arbeitszeitverkürzung – durch Massenstreik gegenüber der Regierung als dem geschäftsführenden Ausschuss des Kapitals.

Früher hieß es auf Gewerkschaftsseminaren „Rechtsfortschritt durch gewerkschaftliche Gegenmacht“. Bei der heutigen „Gegenmacht“ haben sich die Gewerkschaftsführer aufs Bitten und Betteln festgelegt und das Schreiben von Briefen und Unterschriftensammeln an diejenigen, die uns in der Regel das Fell über die Ohren ziehen, immer mehr zu ihrer Spielwiese gemacht. Vorbild dafür ist die IGM mit ihren Fairness-, Fairteilen-, Kurswechsel- und sonstigen Unterschriftskampagnen, über die wir immer wieder in Ausgaben der KAZ berichtet haben. In der metallzeitung von Oktober verweist IGM-Vorsitzender Huber auf 500.000 Unterschriften, die von der IGM in die Koalitionsverhandlungen eingebracht werden oder wurden. In dem Zusammenhang ist ein Bild durch die Presse gegangen, das Frank Bsirske, den Vorsitzenden von ver.di, der zweitgrößten DGB-Gewerkschaft, bei der Übergabe von Unterschriften für den branchenübergreifenden flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 € an Generalsekretärin Nahles von der SPD und CDU-Arbeitsministerin von der Leyen zeigt. Dabei stellt sich im Angesicht der Tatsache, dass beide Gewerkschaften allein über fast 4,5 Millionen Mitglieder verfügen, die Frage, wie lange wir es als Gewerkschaftsmitglieder noch zulassen wollen, dass Berge von Papier der einzige Ausdruck unserer „Gegenmacht“ sind und wir dabei tatenlos zusehen, wie sie samt unserer Forderung, in dem Fall der gesetzliche Mindestlohn, von den Empfängern in die nächste Tonne gekloppt werden. Hierbei wird es, wie oben bereits angesprochen, zur Verpflichtung für jede fortschrittliche Gewerkschafterin und jeden fortschrittlichen Gewerkschafter, dieser Entwicklung in den Gewerkschaften entgegenzutreten. Dazu gehört dann auch die Diskussion darüber, dass es uns nicht, wie das unsere Gewerkschaftsführer rauf und runter fordern, um eine Neuordnung des Arbeitsmarktes gehen kann, sondern um eine neue Gesellschaftsordnung und damit Neuordnung durch die Abschaffung des kapitalistischen Ausbeutungssystems.


Ludwig Jost

 
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