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FRANKFURT AM MAIN/BERLIN (20.09.2011) - Eine aktuelle Buchpublikation aus einem der einflussreichsten deutschen Zeitungsverlage fordert den Übergang zu "weniger Demokratie". Das aktuelle Regierungshandeln sei zu stark vom "lähmenden Einfluss der 'Stimme des Volkes' (...) und des alles anzweifelnden emanzipatorischen Zeitgeists" geprägt, heißt es in der Verlagsankündigung für die Schrift. Der Autor fordert deshalb "Systemkorrekturen" ein, um die "Politik effizienter zu machen". Diese "Korrekturen" müssten in einem Rückbau demokratischer Partizipation bestehen. Das Buch, das unlängst unter dem Titel "Weniger Demokratie wagen" veröffentlicht worden ist, wird intensiv von Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beworben, etwa vom sozialdemokratisch geprägten Westdeutschen Rundfunk (WDR). Die Forderung nach dem Rückbau der Demokratie in Deutschland wird seit geraumer Zeit in einflussreichen Zirkeln der deutschen Eliten erhoben. Das jetzt publizierte Buch trägt die Debatte in eine breitere Öffentlichkeit.

Der Band "Weniger Demokratie wagen" ist im August im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen, einer der einflussreichsten Tageszeitungen in der Bundesrepublik. Autor ist der Büroleiter und Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Südafrika, Laszlo Trankovits. Trankovits war zuvor für dpa in Washington tätig - dem Verlag zufolge als "Journalist und Korrespondent im Weißen Haus".1 Der Buchtitel spielt auf die gesellschaftliche Modernisierung an, die in den 1960er Jahren eingeleitet wurde und oft mit einer Forderung aus der Regierungserklärung von Kanzler Willy Brandt (SPD) vom Oktober 1969 beschrieben wird: "Mehr Demokratie wagen".

Funktionstüchtige Führung

Einer Fortführung dieser Entwicklung stellt sich nun Trankovits entgegen. Ihm zufolge stehen Politik und Wirtschaft derzeit vor gewaltigen Problemen, die durch Partizipationsforderungen aus der Bevölkerung à la "Stuttgart 21" noch weiter verschlimmert würden. Häufige Wahlen erhöhten zudem den Druck auf Politiker, von notwendigen schmerzhaften Einschnitten Abstand zu nehmen, um ihre Wahlchancen nicht zu verschlechtern. Enthüllungen im Internet à la WikiLeaks trieben die Schwierigkeiten der Politikgestaltung auf die Spitze. Letztlich sei, schreibt Trankovits, "das Funktionieren und die Effizienz in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft" bedroht, wenn "alle überall mitbestimmen und partizipieren können".2 Man benötige daher "Überlegungen, wie die Systeme von Führung, Planung und Zukunftsgestaltung funktionstüchtig bleiben können". Dabei gerate man allerdings, erläutert Trankovits, mit der "Politischen Korrektheit" in Konflikt, die "in der Regel jede Forderung (...) nach einer maßvollen Begrenzung von Partizipation und Transparenz" verbiete.

Weniger Wahlen, mehr Machtkonzentration

Ungeachtet dessen tritt Trankovits in seinem neuen Buch mit einer Reihe von Forderungen an die Öffentlichkeit, durch welche die demokratische Mitbestimmung in Deutschland reduziert werden soll. Er verlangt: "Weniger Wahlen. Längere Legislaturperioden." Für die Regierung fordert er: "Mehr Zentralisierung. Mehr Machtkonzentration. Mehr Kontrolle." Mit Blick auf die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder angerufen wird, weil die Verfassungsgemäßheit neuer Gesetze häufig in Frage steht, schreibt Trankovits: "Auch die immer stärkere Einbindung des Bundesverfassungsgerichts führt in eine falsche Richtung."3 In der "Praxis des Regierens" seien anstelle von Mitbestimmung "Kompetenz, Entschlussfreudigkeit und Führungskraft" vonnöten. Es dürfe keinesfalls suggeriert werden, "in einer demokratischen Gesellschaft ließen sich Ungleichheit beseitigen und soziale Gerechtigkeit herstellen". Von den Eliten fordert Trankovits, selbst Mitglied des elitären Rotary-Clubs, ein "Bekenntnis zu Kapitalismus und Profit"; für die Vermittlung politischer Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung verlangt er "intelligente Formen politischer PR". Die Forderung nach mehr "Transparenz" hingegen sei "für die Effizienz jeglicher Regierungsarbeit (...) oft kontraproduktiv und lähmend", erklärt Trankovits; sie müsse deshalb zurückgewiesen werden.

Das Überlegenheitsgefühl der Demokraten

Hintergrund der Forderung nach einem Rückbau demokratischer Mitbestimmung ist offenkundig der weltpolitische Einflussverlust des Westens gegenüber der Volksrepublik China. Wie Trankovits schreibt4, seien "Spitzenmanager in Deutschland (...) oft völlig hingerissen, wenn sie von den gewaltigen Entwicklungssprüngen in China berichten". Aus den "westlichen Demokratien" sei man es ja gewohnt, "Jahre, wenn nicht Jahrzehnte für den Bau eines neuen Kraftwerks, Flughafens oder Bahnhofs streiten" zu müssen. Der wirtschaftliche Erfolg Chinas rufe "Zweifel an der Superiorität der Demokratie" hervor; "das traditionelle Überlegenheitsgefühl der Demokraten" schrumpfe. Dies führt demnach zu Bestrebungen nach einer Neuformierung der westlichen Gesellschaften, um im globalen Konkurrenzkampf wieder die Führung übernehmen zu können.

Ein klein wenig Diktatur

Dies entspricht Einschätzungen, die letztes Jahr in der Zeitschrift Internationale Politik getätigt wurden.5 Dort hieß es ebenfalls, der Aufstieg Chinas habe "den Wettbewerb der Systeme neu entfacht". Vor allem "Manager und Industrielle" hofften, "schneller zum Zuge zu kommen", wenn man die demokratische Teilhabe beschränke. Beklagt würden, hieß es über entsprechende Debatten in den Eliten, vor allem die Schwerfälligkeit demokratischer Entscheidungsprozesse und größere "Mängel in der Auswahl des politischen Personals". Daraus ergebe sich der Wunsch nach einem "sachorientierten, entpolitisierten Verwaltungshandeln", tendenziell der "Wunsch nach 'ein klein wenig Diktatur'". In der Tat werde im Berliner Establishment bereits über diktatorische Praktiken diskutiert. Der NS-Kronjurist Carl Schmitt habe einst zwischen einer partiellen ("kommissarischen") und einer totalen ("souveränen") Diktatur unterschieden. "Wenn heute verschiedentlich von diktatorischen Befugnissen und Maßnahmen die Rede ist, dann zumeist (! d. Red.) im Sinne dessen, was Schmitt als kommissarische Diktatur bezeichnet hat", berichtete die Zeitschrift, die allerdings auch gewisse Probleme bei der Realisierung erwähnte (german-foreign-policy.com berichtete6): "Es gibt bloß kein Verfassungsorgan, das sich auf das Risiko der Einsetzung eines kommissarischen Diktators einlassen will."

Öffentlich-rechtliche Starthilfe

Trankovits' aktuelles, vom Verlag der Frankfurter Allgemeinen publiziertes Buch führt die in der Zeitschrift Internationale Politik beschriebene Debatte fort. Vor allem öffentlich-rechtliche Rundfunksender werben für die Schrift. Beim sozialdemokratisch geprägten Westdeutschen Rundfunk (WDR) etwa heißt es, Trankovits habe in seinem Buch "sorgfältig analysiert, warum zu viele Umfragen, zu viel Mitbeteiligung und zu viel Bürgernähe Deutschland lahmlegen könnten".7 Beim Hessischen Rundfunk (HR) ist zu hören: "Sein Buch wendet sich gegen die Verdrossenheit an der Politik (und den Politikern) und macht jedem von uns Mut."8 Beide Sender gewähren dem Autor und seiner Publikation viel Raum und eine durchweg positive Würdigung - öffentlich-rechtliche Starthilfe beim Versuch, die Debatte über Schritte zur Entdemokratisierung in die breite Öffentlichkeit zu tragen.


Anmerkungen:
Eine Rezension zu "Weniger Demokratie wagen" von Laszlo Trankovits finden Sie hier.

1 Die Obama-Methode; www.faz-institut.de
2, 3, 4 Laszlo Trankovits: Weniger Demokratie wagen! Wie Politik und Wirtschaft wieder handlungsfähig werden, Frankfurt am Main 2011 (Frankfurter Allgemeine Buch)
5, 6 Internationale Politik Mai/Juni 2010. S. dazu Ein klein wenig Diktatur
7 Die Stimme des Volkes; www.wdr2.de
8 "Weniger Demokratie wagen!" - Laszlo Trankovits im Gespräch; www.hr-online.de



 
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