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Die III. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" - Schwerpunkt "'Heim ins Reich'? - Deutsche Volksgruppenpolitik" wurde von www.secarts.org veranstaltet und fand vom 02. bis zum 05. Juni 2011 in Göttingen statt.
Dieser Text wurde als Referat auf der III. Konferenz gehalten. Weitere Referate der III. Konferenz werden im Laufe der Zeit verschriftlicht sowie als Audiodateien zum Download bereitgestellt.



Wenn ich nun im Folgenden zum zweiten Abschnitt meines Referats übergehe, und mich mit den geopolitischen Konstellationen in der Region befasse, dann muss hierbei dieser geschilderten peripherern Stellung Osteuropas Rechnung getragen werden. Es gilt zu berücksichtigen, dass die Außenpolitik dieser mittelosteuropäischen Staaten nicht die selben Handlungsfreiheiten besetzt, wie sie etwa die deutsche Hegemonialmacht innehat. Neben dem im westlichen Besitz befindlichen Mediensektor, der zur Durchsetzung westlicher Interessen missbraucht werden kann, fehlt diesen Staaten zumeist eine nennenswerte Bourgeoisie, die ihr ökonomisches Eigeninteresse auch in Konfrontation mit dem Westen durchsetzen könnte. Ich werde später noch auf einen Ausnahmefall in der Region eingehen, wo grade die Etablierung einer solchen Bourgeoisie vom Staat forciert wird. Dennoch kann schon für Mittelosteuropa allgemein konstatiert werden, dass hier im großen Ausmaß diese ökonomische Abhängigkeit vom Westen die prowestliche Politik der einzelnen Staaten präformiert. Etwaige Versuche, eine Politik des Ausgleichs zwischen dem Westen und Russland zu etablieren, wie sie etwa in der Slowakei Meciars betrieben wurde, sind spätestens nach der Nato-Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien eingestellt worden.

Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass es generell eine riesige Übereinstimmung in der geopolitischen Zielsetzung zwischen den Funktionseliten der meisten mittelosteuropäischen Staaten und den westlichen Großmächten gibt. In den baltischen Staaten, Polen, Tschechien, Ungarn oder Rumänien wurde die bedingungslose Westintegration niemals von einer relevanten politischen Kraft in Frage gestellt. Die Zielsetzung einer NATO- und EU-Mitgliedschaft genoss in diesen Ländern eine konsensartige Zustimmung. Diese bedingungslose Unterordnung unter das westliche Bündnis- und Militärsystem galt als beste Garant dafür, auch künftig nicht wieder unter russische Hegemonie zu fallen. Doch selbstverständlich bemühen sich die schmalen politischen Eliten der meisten Mittelosteuropäischen Staaten darum, auch eine totale deutsche Dominanz zu verhindern – auch wenn dieses Faktum offen nur von der politischen Rechten Polens oder Tschechiens ausgesprochen wird. Generell sind diese Länder, die vor wenigen Jahrzehnten noch sowjetische Satellitenstaaten waren, um eine weitestgehende Beibehaltung staatlicher Souveränität bemüht – dies vielleicht auch als Kompensation für die ökonomische Ohnmacht, die zwischen Baltikum und schwarzen Meer herrscht.

Trotz begeisterter Zustimmung zur EU und NATO Mitgliedschaft, leisteten Warschau und Prag etwa Widerstand gegenüber einer weiteren europäischen Integration, sobald staatliche Souveränitätsrechte bedroht waren. Die rechtskonservative polnische Regierung unter Jaroslaw Kaczynski und Tschechiens konservativer Präsident Vaclav Klaus opponierten gegen den Lissabon-EU-Vertrag. Diese Neuauflage der gescheiterten EU-Verfassung brachte einen enormen Machtzuwachs für Deutschland, und konnte erst nach zwei Abstimmungen in Irland ende 2009 durchgesetzt werden. Vor allem der hartnäckige Widerstand Polens führte zu einer mehrjährigen Phase angespannter Beziehungen zu Berlin. Klaus und Kaczynski stimmten darin überein, daß auch in einer neuen EU-Verfassung die meisten Entscheidungen nach dem Einstimmigkeitsprinzip gefällt werden sollten. »Die EU setzt sich weiterhin aus unabhängigen Staaten zusammen. Wir müssen klar sagen, daß es Linien gibt, die man nicht überschreiten kann,« so etwa Kaczynski in 2009.
Die antideutsche Achse Warschau-Prag konnte aber schließlich aufgebrochen werden, nachdem Kaczynski seinen Widerstand im Gegenzug für umfangreiche Investitionszusagen aus dem Westen aufgab (Laut Zeitungsspekulationen soll sogar der Bau einer französischen Autofabrik in Polen auf diese Kapitulation zurückzuführen sein). Vielleicht wird an dieser Episode aus dem Jahr 2009 am besten deutlich, dass periphere Staaten ohne eigenes ökonomisches Rückgrat zu einer dauerhaften eigenständigen Geopolitik kaum in der Lage sind.
Dabei gibt es für nahezu alle Staaten Mittelosteuropas ein geopolitisches Horrorszenario, das zu verhindern fast schon zur Staatsräson aller dieser Länder zählt. Dieses Horrorszenario besteht aus einer Allianz zwischen der europäischen Hegemonialmacht Deutschland und Russland. Bei der Etablierung einer Achse Berlin Moskau fürchten die Staaten der Region, erneut einer Einflusssphäre zugeschlagen zu werden und wieder auf den Status eines Satellitenstaates herabzusinken. Für Warschau bildete die Realisierung der Ostseepipeline zwischen Russland und Deutschland ein regelrechtes Schockmoment.

Wenn die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Rußlands Präsident Dmitri Medwedew zu den häufigen Gipfeltreffen zusammenkommen, dann wird dies in Washington und in vielen Hauptstädten Mittelosteuropas äußerst skeptisch beäugt. Die Kooperation beider Großmächte erstreckt sich tatsächlich auf zahlreiche Wirtschaftssektoren, die laut Definition des Kreml strategisch bedeutend sind.
Das Wachstum der deutsch-russischen Freundschaft wird aber vor allem an der BRD-Exportoffensive ersichtlich – und der damit einhergehenden Expansion des bilateralen Handels beider Volkswirtschaften. So stieg der bilaterale Handel auf ein Volumen von rund 68 Milliarden Euro in 2008. Zum Vergleich: Ende 98 belief sich das bilaterale Handelsvolumen auf nur 15 Milliarden Euro. Die Struktur dieser asymmetrischen Partnerschaft dürfte für Rußland auf längere Zeit nachteilig sein: Aus dem Osten kommen Rohstoffe und Energieträger, dorthin werden vor allem technisch hochwertige Industrieprodukte verkauft. An die 5000 deutsche Unternehmen sind bereits damit beschäftigt, ihre Produkte auf dem russischen Markt abzusetzen.
Erlaubt mir hier einen kurzen Exkurs zum Charakter dieser potentiellen Achse Berlin-Moskau. Diese Annäherung darf nicht eindimensional wahrgenommen werden. Es handelt sich eher um eine Art konfrontativer Kooperation zwischen Moskau und Berlin. Deutschland ist einerseits bemüht, besonders enge, bilaterale Beziehungen auf dem Feld der Energiepolitik mit Moskau zu unterhalten. Die Ostsee-Pipeline, die gegen den verbissenen Widerstand Polens, der baltischen Länder und Schwedens realisiert wurde, ist hier ein Vorzeigeprojekt. Diese an Intensität gewinnende energetische Kooperation zwischen Moskau und Berlin wird im gesamten Mittelosteuropa mit zunehmendem Unbehagen wahrgenommen. Auch amerikanische Think-tanks sprechen von einer regelrechten Verflechtung der Energiesektoren Deutschlands und Rußlands, die nun in Gang gekommen sei, da die deutschen Konzerne E.on und BASF an russischen Gasfeldern beteiligt werden, während Gasprom im Gegenzug Anteile an der deutschen Erdgas-Infrastruktur erwarb.
Doch zugleich tritt Berlin im postsowjetischen Raum – der vom Kreml als traditionelle Einflußsphäre reklamiert wird – in Konfrontation mit den Interessen Moskaus. So unterstützt auch Deutschland das »Osteuropäische Partnerschaftsprogramm« der EU, das ehemalige Sowjetrepubliken vermittels wirtschaftlicher Durchdringung enger an Brüssel zu binden trachtet. Schließlich bemüht sich Deutschland auch darum, die Vorherrschaft Rußlands beim Energietransport in Zentralasien zu brechen. Wähend E.on und BASF mit Moskau kooperieren, beteiligte sich RWE an der Nabucco-Pipeline, die zentralasiatisches Erdgas an Russland vorbei über die Türkei bis zur Europäischen Union befördern sollte.

Berlin betreibt also bei seiner Energiepolitik ein doppeltes Spiel, eine Art »konfrontativer Kooperation« gegenüber Moskau, bei der es offensichtlich darum geht, in möglichst vielen energiepolitischen Projekten vertreten zu sein – unabhängig davon, ob sie von Moskau oder gegen Moskau vorangetrieben werden. Die deutsche Geopolitik ist bemüht, alle Vorteile einer engen Kooperation mit Rußland für sich zu nutzen, während zugleich eine vorsichtige, allmähliche Ausweitung der eigenen Interessensphäre im postsowjetischen Raum forciert wird.
Diese widersprüchliche Freundschaft zwischen Moskau und Berlin weckt in vielen kleineren mittelosteuropäischen Ländern alte Befürchtungen. Wie gesagt: Die Osteuropäer befürchten schlicht, bei einer innigen deutsch-russischen Umarmung zerquetscht zu werden.
Hier liegt auch der Grund für die scheinbar irrationale Bündnistreue vieler osteuropäischer Staaten zu den USA. Polen und Tschechien sahen gerade in diesem Bündnis mit Washington eine Möglichkeit, die hegemonialen Bestrebungen Deutschlands und Russlands zu konterkarieren. Der stellvertretende tschechische Ministerpräsident Alexander Vondra erläuterte diese geopolitischer Positionierung seinerzeit vor der konservativen Heritage Foundation: »Für uns in der tschechischen Republik, die zwischen Deutschland und Rußland liegt, ist die Präsenz einiger amerikanischer Soldaten eine gute Sache.«
Die Unterordnung unter deutsche oder russische Hegemonie wollten Polen und Tschechien also durch die bedingungslose Unterordnung unter die amerikanische Hegemonialpolitik verhindern. Den ersten großen Schritt zur Konfrontation mit Deutschland wagten diese osteuropäischen Staaten im Vorfeld der US-Aggression gegen den Irak. Deutschland, das sich aus Kalkül dieser Aggression verweigerte, wurde von den Osteuropäern blamiert, die offensiv den amerikanischen Überfall auf den Irak unterstützten.

Hiernach eskalierten die Spannungen mit Russland rund um das Projekt der Raketenabwehr in Osteuropa. Die USA wollen in Polen zehn Abfangraketen und in Tschechien die dazugehörige Radarstation aufbauen.. Dieses Vorhaben wurde von Moskau als Bedrohung seiner nuklearen Abschreckungsfähigkeit wahrgenommen und aufs schärfste abgelehnt; Skepsis äußerten auch etliche westeuropäische Staaten, hier vor alle Deutschland. Die Realisierung dieses Vorhabens scheiterte an der Abwahl der Regierung Kaczynski in Polen, wie auch an dem Wahlsieg von Barack Obama in den USA. Die Rechtsliberale polnische Regierung um Donald Tusk war dem Projekt gegenüber skeptischer und hat die Forderungen zur Realisierung des amerikanischen Raketenschutzschild nach oben geschraubt. Zugleich war die Obama-Administration bemüht, das kostspielige Raketenprojekt in Osteuropa im Rahmen ihrer Annäherung an Moskau möglichst schnell auf Eis zu legen. Letztendlich musste sich Warschau mit ein paar amerikanischen Raketenattrappen zufrieden geben, die in einem rein symbolischen Akt in Polen aufgestellt wurden.
Die derzeitige polnische Regierung hat den Kurs offener Konfrontationen Gegenüber Berlin und Moskau aufgegeben. Warschau ist derzeit eher bemüht, sich mit Russland und Deutschland zu arrangieren, während die Bedingungslose proamerikanische Politik der Kaczynski-Administration längst der Vergangenheit angehört. Die Kooperation zwischen Warschau und Washington kommt über das Stadium symobilscher Gesten nicht mehr heraus. Bei seiner letzten Polen-Visite hat etwa Präsident Obama die Entsendung von 20 US-Soldaten auf einen polnischen Luftwaffenstützpunkt angekündigt. Ministerpräsident Tusk sagte auf einer Pressekonferenz mit Obama, es sich sehr wohl um eine ‘bedeutsame Geste’.

Hinhaltender Widerstand gegen Euro-Einführung

Ein aktuelles Politikfeld, auf dem Spannungen zwischen Deutschland und dessen osteuropäischen Hinterhof auftraten, bildet die Währungspolitik. Die Krise der Europäischen Einheitswährung ließ die einstmaligen Beitrittsambitionen im Osten der EU erlahmen. Teilweise gingen einige dieser Staaten zu einer Verzögerungstaktik über. Zugleich forcierte Berlin seine Bemühungen, Osteuropa möglichst schnell in die Eurozone zu nötigen. Dabei überwiegt inzwischen sogar in den meisten osteuropäischen Ländern die Euro-Skepsis. In der Slowakei etwa, die Anfang 2009 der Eurozone beitrat, führte die Griechenland-Krise zum endgültigen Meinungsumschwung. Die Regierung in Bratislava weigerte sich im August 2010 sogar, 800 Millionen Euro zum Rettungspaket für Athen beisteuern. Im Dezember sorgte dann der slowakische Parlamentssprecher Richard Sulik für Schlagzeilen, als er sich in einem Zeitungskommentar für die Implementierung eines geldpolitischen „Plan B“ aussprach: „Es ist höchste Zeit, dass die Slowakei damit aufhört, blind den Führern der Eurozone zu vertrauen und einen Plan B vorbereitet, eine Rückkehr zur Slowakischen Krone.“
Die Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat tschechischen Zeitungsberichten zufolge die Regierungschefs Polens und Tschechiens seit Herbst 2010 bei etlichen Gelegenheiten zu einem baldigen Beitritt zur Eurozone gedrängt. Doch es durfte gerade das Beispiel der ausartenden Leistungsbilanzdefizite der südeuropäischen Euro Länder gegenüber Deutschland gewesen sein, das Prag und Warschau zu Absatzbewegungen gegenüber der Eurozone bewegte. Bei einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Christian Wulff erklärte der tschechische Präsident Vaclav Klaus im November 2010, dass derzeit „niemand in Tschechien den Euro einführen“ wolle. Tschechiens Premier hingegen erklärte schlicht, dass eine Übernahme des Euro zu diesem Zeitpunkt eine „ökonomische und politische Dummheit“ darstellen würde. Den Unwillen der polnischen Regierung, die weitaus diplomatischer formuliert, brachte hingegen der Zentralbankpräsident Marek Belka auf den Punkt: Der Euro sei ein „ambitioniertes aber unfertiges Projekt“. Die Ablehnungsfront gegenüber den Euro ist in Polen laut Umfragen von 38 Prozent auf 45 Prozent angewachsen. Inzwischen haben auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien ihre Pläne für einen baldigen Beitritt zu Eurozone auf Eis gelegt.

Polen und Tschechien weigern sich bisher standhaft, einen festen Terminrahmen für einen Eurobeitritt zu nennen. Diese Weigerungshaltung dürfte auch durch die jüngsten Krisenerfahrungen bestärkt werden. Die Währungen dieser beiden Volkswirtschaften erfuhren im Krisenverlauf eine substantielle Abwertung um bis zu 30 Prozent, was zur Stützung der heimischen Wirtschaft beitrug, da hierdurch vor allem deutsche Importe verteuert wurden. Diese Möglichkeit der Währungsabwertung gegenüber der auf deutschen Exportmaschinerie war den südeuropäischen Krisenländern durch den Euro gerade verbaut.

Ungarns wirtschaftlicher Nationalismus

Dennoch kann hier nur noch von einem hinhaltenden, passiven Opponieren gegenüber Deutschland gesprochen werden, bei dem deutsche Expansionspläne durch eine Verzögerungstaktik hintertrieben werden. Mit einer einzigen Ausnahme haben alle Regierungen Mittelosteuropas die aktive, gegen das westliche Zentrum gerichtete Politik aufgegeben. Diese Ausnahme bildet die rechtskonservative ungarische Partei Fidesz, die seit April 2010 im ungarischen Parlament über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt. Diese neue ungarische Rechtsregierung um Ministerpräsident Viktor Orban scheint den Kurs eines „wirtschaftlichen Nationalismus“ eingeschlagen zu haben, bei dem Budapest auch in Konflikt mit etlichen deutschen Kapitalfraktionen geriet. Um bestimmte Wirtschaftszweige an den Krisenkosten zu beteiligen, führte Fidesz sogenannte Krisensteuern ein. Dabei agierte die ungarische Regierung durchaus geschickt, da von den neuen Sondersteuern nur Großunternehmen aus der Energiewirtschaft, der Telekommunikation, der Finanzbranche, dem Versicherungswesen und dem Einzelhandel betroffen sind. In diesen Branchen, die fest an den ungarischen Markt gekoppelt sind, ist eine Verlagerung der Unternehmenstätigkeit ins Ausland kaum möglich. Betroffen sind etliche deutsche Konzerne, wie etwa die Telekom und die Allianz, die sich in einem Brandbrief an die EU-Kommission gewandt haben.

Bei der Ausgestaltung ihrer Krisensteuer scheinen sich Ungarns Rechtsausleger auch an der Unterscheidung zwischen dem „guten schaffenden“ und dem „bösen raffenden“ Kapital orientiert zu haben, wie sie auch in faschistischer Propaganda üblich ist: nur „der produktive Kapitalismus“ sei wertvoll, die Spekulanten hingegen seien unnütz, tönte Orban während einer Grundsatzrede Mitte 2010. In der Tat ist beispielsweise die in Ungarn tätige Automobilbranche von der Krisensteuer ausgenommen. Die deutschen Autobauer können hingegen bei Neuinvestitionen mit Staatssubventionen in Höhe von fünf bis zehn Prozent der Investitionssumme rechnen. Die Maßnahmen der ungarischen Regierung könnten somit auch als ein nationalistischer Versuch gewertet werden, finanzpolitische Handlungsspielräume zu gewinnen und eine eigenständige nationale Bourgeoisie zumindest in einzelnen Wirtschaftssegmenten zu etablieren – während zugleich die Rolle als verlängerte Werkbank westlichen Kapitals akzeptiert wird.

Es wäre aber für die westeuropäische Linke fatal, diesem ungarischen Wirtschaftsnationalismus eine objektiv fortschrittliche Tendenz andichten zu wollen. Wie ausgeführt, finden sich in dieser klar reaktionären Politik auch Elemente faschistischer Ideologie. Zudem forciert Fidesz die reaktionäre Umgestaltung der ungarischen Gesellschaft, bei der auch die ärmsten Bevölkerungsschichten immer stärker belastet und marginalisiert werden, um die Herausbildung einer ungarischen Mittelklasse und Bourgeoisie zu befördern. Als Stichwort sei hier nur die Einführung einer Flat-Tax genannt.
Abschließend muss aber doch konstatiert werden, dass generell der Widerstand gegen die deutsche Dominanz in der Region erodiert und Berlin sich in den meisten Auseinandersetzungen letztendlich durchsetzen konnte, wie etwa bei der Ostsee-Pipeline, dem Zentrum gegen Vertreibungen, der Raketenabwehr, oder dem Lissabon-Vertrag. Neben der fehlenden ökonomischen Basis dieser Region, muss auch der imperiale Abstieg der USA als ein weiterer Faktor benannt werden, der Deutschlands Hegenomialstellung in Mittelosteuropa verfestigt. Enge Allianzen mit dieser absteigenden Weltmacht werden für viele Staaten Osteuropas illusionär, wenn nicht gar gefährlich.


Dieses Referat wurde auf der III. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen LAnd", Göttingen 2011, gehalten.

Der erste Teil des Referatstextes erschien am Samstag, den 6. August, auf www.secarts.org.


 
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  Kommentar zum Artikel von Marcel: Webseite
Donnerstag, 11.08.2011 - 20:58

Mit Ungarn gibt es noch eine Besonderheit: das Land scheint sich zur Europa-Zentrale der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China zu entwickeln. Budapest hat seit lagem eine recht große chinesische Community und beim Besuch von Wen Jiabao Ende Juni sind Grundlagen für sehr enge Beziehungen zwischen Ungarn und China gelegt worden. Das könnte sogar auf lange Sicht klappen, denn China hat die notwendige wirtschaftliche Kraft, um Ungarn eine Perspektive jenseits von Deutschland, USA und Russland bieten zu können.