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NAYPYIDAW/BERLIN (17.11.2010) - Nach der Aufhebung des Hausarrests für die Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi hält Berlin den öffentlichen Druck auf Myanmar aufrecht. Die Regierung in Naypyidaw müsse "den nächsten Schritt in diesem Prozess" tun und politische Gefangene freilassen, verlangt der deutsche Außenminister. Myanmar, das gemeinsame Grenzen sowohl mit Indien als auch mit China hat und als Rohstofflieferant wie auch als Transitgebiet für Erdöl und Erdgas eine bedeutende Rolle spielt, steht seit langem im Zentrum geostrategischer Planungen der USA sowie der EU-Staaten. Insbesondere die engen, aber nicht spannungsfreien Beziehungen Myanmars zur Volksrepublik China stellen für die westlichen Mächte einen Grund zur Sorge dar: Die seit Jahrzehnten verhängten westlichen Boykottmaßnahmen scheiterten regelmäßig - auch aufgrund der wirtschaftlichen Verbindungen des Landes zu China. Neue, wirkungsvollere Strategien werden deshalb verstärkt diskutiert. Berliner Regierungsberater schlagen vor, Entwicklungshilfegelder zu nutzen, um die myanmarischen Eliten zu spalten und Teile der herrschenden Schichten mit Hilfe ihrer ökonomischen Interessen an den Westen anzubinden.

Vom Westen isoliert

Myanmar, die ehemalige britische Kolonie Burma, erlangte 1948 staatliche Unabhängigkeit. Seit einem Machtwechsel im Jahr 1988 befindet sich das Land in außenpolitischer Isolation; insbesondere die USA haben eine bis heute andauernde rigorose Sanktionspolitik gegen Myanmar betrieben. Die EU-Staaten beteiligen sich nur noch bedingt an diesem Boykott; im Gegensatz zu den USA werden niederschwellige Kontakte (auf "ministerieller Ebene") gepflegt.1 Engste außenpolitische Stütze Myanmars ist die Volksrepublik China, die in erster Linie Stabilität an der gemeinsamen, über 2.000 Kilometer langen Grenze anstrebt. Die Bevölkerung Myanmars kennt über 100 Nationalitäten; insbesondere in den Grenzregionen zu Indien und China leben Sprachminderheiten, die sich - teilweise seit Jahrzehnten - in bewaffneten Konflikten mit der Zentralregierung befinden. Diese Konflikte, die auswärtigen Interessenten Angriffspunkte bieten, unterminieren die Zentralgewalt und schaffen unsichere Zustände für die Transitrouten, die insbesondere für den Erdölpipeline-Bau von Interesse sind. Seit einigen Jahren intensiviert auch Indien seine Beziehungen zur Zentralregierung Myanmars und tritt als direkter Konkurrent um Rohstoffe und Transitrouten gegen die VR China auf.

Ökonomisches Potenzial

Insbesondere die verstärkten indischen und chinesischen Aktivitäten in Myanmar, das zur geostrategisch wichtigen "Greater Mekong Subregion" (GMS) gezählt wird, rufen in Berlin und der EU das Interesse an einer außenpolitischen Kurskorrektur hervor. Die vor allem durch die USA vertretene harte Sanktionslinie wird als "erfolglos" und "kontraproduktiv" eingestuft2; zu ihr müssten Alternativen gefunden werden, heißt es nach dem Scheitern verschiedener Umsturzbemühungen in den vergangenen Jahren (german-foreign-policy.com berichtete3). "Nach wie vor" werde das "enorme ökonomische Potential dieses Landes größtenteils vergeudet und nicht systematisch ausgeschöpft", urteilt die "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP). Zur Realisierung einer engeren wirtschaftlichen Anbindung Myanmars an die Interessenssphären Deutschlands müsse die bisherige Sanktionspolitik geändert werden. "Die EU und andere internationale Akteure können hierzu wichtige Beiträge leisten", heißt es bei der SWP, "wenn sie ihre Unterstützung Birmas nicht länger von politischen Vorgaben abhängig machen, sondern nach dem Grundsatz agieren, dass wirtschaftliche Konsolidierung eine wesentliche Voraussetzung politischer Transformation sein kann".

Spaltungspläne

Dazu schlägt die SWP Pläne zur Spaltung der Eliten Myanmars vor. Man dürfe, schreibt der vom Bundeskanzleramt finanzierte Thinktank, "das Regime in Birma nicht länger allein als einen monolithischen Block von Machthabern" wahrnehmen, "dem die unterdrückten Volksmassen gegenüberstehen". Vielmehr müssten Anstrengungen unternommen werden, um innerhalb der herrschenden Schicht "die wirtschaftlichen Akteure zu identifizieren, die ein vitales Interesse haben, innovative Entwicklungen anzustoßen, weil sie dadurch ein höheres Maß an Unabhängigkeit von den bestehenden Machtstrukturen erlangen". Diese Fraktionen der aktuellen Militärregierung "sollten ohne weitere politische Konditionierungen als Partner europäischer Entwicklungspolitik gestärkt werden".4

Konkurrenten

Die Spaltungspläne der SWP gehen mit Überlegungen über einen Kurswechsel in Bezug auf Verbündete und Rivalen einher. So schlägt der Berliner Thinktank vor, ergänzend zum Start einer Kooperation mit Teilen der Eliten Myanmars "auf politischer Ebene eine Abstimmung mit Beijing" vorzunehmen; anders als während der vormaligen Umsturzplanungen sei "eine Verschlechterung der chinesisch-burmesischen Beziehungen nicht unbedingt wünschenswert".5 Damit würde der real erstarkte chinesische Einfluss faktisch anerkannt. Zugleich identifiziert die SWP als direkte Konkurrentin Deutschlands im Kampf um Einfluss in Myanmar nicht nur die VR China, sondern auch die Vereinigten Staaten: "China und die USA sind potentielle Konkurrenten um regionalen Einfluss, aber auch um Ressourcen". Die bislang enge Kooperation mit den USA würde damit zurückgestuft.

Kritischer Dialog

Offiziell hält Berlin den Druck gegenüber der Regierung Myanmars aufrecht. So beklagt das Auswärtige Amt in einer Stellungnahme zu den Wahlen "erhebliche(...) Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen zu Lasten der demokratischen Opposition".6 Außenminister Guido Westerwelle verlangt, "endlich den Weg des Respekts für Menschenrechte", den Weg "echter demokratischer Reformen und nationaler Versöhnung einzuschlagen". Der bislang vom Westen stets mit Vorrang behandelten Forderung, den Hausarrest der Oppositions-Anführerin Aung San Suu Kyi aufzuheben, ist die Regierung in Naypyidaw inzwischen allerdings nachgekommen - und hat damit einen zentralen Konfliktgegenstand beseitigt. Ob der von der SWP vorgeschlagene Kurswechsel in absehbarer Zeit eingeleitet wird, muss sich zeigen. Berlin hält sich dies zumindest offen: Wie das Auswärtige Amt mitteilt, bemüht es sich "um einen kritischen Dialog mit der myanmarischen Regierung". Beim "kritischen Dialog" handelt es sich um einen Standardbegriff, der oft die Überleitung von einer Politik der offenen Konfrontation zu vorsichtiger Kooperation begleitet.


Anmerkungen:
1 Bernt Berger: Burma und China. Bilaterale Beziehungen am Scheideweg? SWP-Aktuell November 2009
[2 Christine Schuster, Gerhard Will: Birma jenseits der Wahlen; SWP-Aktuell Oktober 2010
3 s. dazu Prestigeträchtig, Mit langem Atem und Offen oder verdeckt
4, 5 Christine Schuster, Gerhard Will: Birma jenseits der Wahlen; SWP-Aktuell Oktober 2010
6 Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist frei; www.auswaertiges-amt.de 13.11.2010


 
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