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Kosovo und Kaukasus haben zunächst einmal geographisch nichts miteinander zu tun, und ich werde sie auch erstmal im wesentlichem getrennt behandeln. Aber sie sind natürlich Bestandteil einer neuen deutschen Großraum-Politik, wie sie sich herausgebildet nach der Konterrevolution, insbesondere nach der Einverleibung der DDR.
Ich will vielleicht vorweg sagen, dass ich mich auf die Hauptakteure beschränken werde, nämlich Deutschland, USA und Russland. Das Ganze ist natürlich um einiges komplizierter, z.B. muss man auch die innereuropäischen Widersprüche einbeziehen, von denen hier weitestgehend abgesehen wird.

Wir schreiben das Jahr 1991: Die DDR ist einverleibt, im Pentagon kommt eine Studie zur Neubewertung der Weltlage heraus, in der Deutschland als „new global enemy“ (neuer globaler Feind) bezeichnet wird. Es geht dabei um den Aufstieg Deutschlands, der zu erwarten ist nach der Einverleibung der DDR. Brzeszinski gibt ein Memorandum heraus, wonach die Eindämmung Deutschlands in Zukunft eine zentrale, strategische außenpolitische Orientierung der USA sein müsse - neben zahlreichen anderen Kriegsschauplätzen, die man anvisiert. Es handelt sich geografisch um den so genannte eurasischen Bogen, von Mitteleuropa aus über das Schwarze Meer bis zum Kaspischen Meer, Zentralasien bis nach China, der als neu zu ordnende hegemoniale Sphäre angesehen wird. Wir haben spiegelbildlich dazu vom deutschen Imperialismus, namentlich dem damaligen Generalinspekteur Naumann, das Diktum von 1992 - noch bevor die Verteidigungspolitischen Richtlinien in die Welt gesetzt wurden - wonach Deutschland sich nun sicherheitspolitisch neu orientieren müsse, konkret: das Einflussgebiet müsse von Marokko bis Indonesien reichen. Es handelt sich dabei, wenn man sich die Karte anschaut, ungefähr um den gleichen eurasischen Bogen, an den man sich da machen will.
Das ist auch das Wesentliche, was die beiden Kriegsschauplätze miteinander verbindet: Es sind relativ kleine Staaten, die wir uns hier anschauen, der eine auf dem Balkan, der andere im Kaukasus. Beide sind sie die Pforte zu Vorder- und Zentralasien, also Kosovo in erster Linie natürlich zur Türkei und zum Nahen Osten und der Kaukasus zu Zentralasien bis nach China.
Beim Kosovo muss ich ein bisschen historisch ausholen, das hängt damit zusammen, dass die zentralen Aussagen der deutschen Strategen, unter anderem des damaligen Verteidigungsministers Scholz, getätigt auf einer Tagung in Fürstenfeldbruck 1991, die die Bundeswehr gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband veranstaltet hat, Jugoslawien als eine besonders kritische Region bezeichnen, weil es hier gelte, nicht nur den Zweiten Weltkrieg zu bewältigen, sondern auch den Ersten.

Ich zitiere das einmal im Original, das hört sich so an: „Der Jugoslawienkonflikt hat unbestreitbar fundamentale gesamtdeutsche Bedeutung. Wir glauben, dass wir die wichtigsten Folgen des Zweiten Weltkriegs überwunden und bewältigt hätten [Einverleibung der DDR – A.S.], aber in anderen Bereichen sind wir heute damit befasst, noch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu bewältigen. Jugoslawien ist, als eine Folge des 1. Weltkrieges, eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsrecht nie vereinbar gewesene Konstruktion.“
Also – Jugoslawien hätte es eigentlich nie geben dürfen. Warum nicht, fragt man sich.
Kosovo als zentrale Region auf dem Balkan, das so genannte Kosovo Polje, das Amselfeld, spielt nicht nur historisch als Kriegsschauplatz eine wesentliche Rolle, sondern bereits eine strategische Rolle bei der Auseinandersetzung zwischen Ost- und West-Rom. Da hat sich nämlich im 14. Jahrhundert ein relativ großes Fürstentum eingenistet, die so genannte Nemanjiden-Dynastie, die es geschafft hat, die Widersprüche zwischen Ost- und Westrom zu ihren Gunsten auszunutzen und sich - obwohl slawisch - vom katholischen Papst bestätigen zu lassen, d.h. der erste Zar hat die Krone aus der Hand der katholischen Kirche bekommen. Damit war das Fürstentum zugleich autokephal, kirchlich unabhängig von der byzantinischen Orthodoxie.

In der Region war es das in dieser Zeit höchst entwickelte Land – reich mit den Trepḉa-Minen, die heute noch eine Rolle spielen und damals schon ziemlich viele Erze geliefert haben, darunter Gold und Silber. Damit konnte man schon gut handeln und sich ökonomisch entwickeln.
Die Schlacht auf dem Amselfeld war dem Vormarsch des Osmanischen Reiches geschuldet. Ihm fiel auch dieses Fürstentum zum Opfer. Das Osmanische Reich hat sich über mehrere Jahrhunderte hinweg ausgedehnt und die Region weitestgehend islamisiert. Bis auf eben das Kosovo bzw. Serbien. Serbien ist auch weiterhin religiös unabhängig geblieben und hat seinen wirtschaftlichen Status weitestgehend beibehalten können. Das Osmanische Reich hat schließlich seine Grenze gefunden am Habsburger Reich, entschieden nach der Schlacht um Wien Ende des 16. Jahrhunderts. Das Habsburger Reich hat sich daraufhin auch auf dem Balkan ausgebreitet und in der Grenzregion zwischen Ungarn und Serbien - der so genannten Krajina - serbische Bauern angesiedelt, um ein Bollwerk gegen das Osmanische Reich zu bilden.

In der weiteren Auseinandersetzung tritt dann vor allem das russische Zarenreich auf den Plan sowie das Königreich England. Im 18. und 19. Jahrhundert wird die gesamte Region im Wesentlichen beherrscht vom so genannten Great Game - das heißt, England und Russland streiten sich um die zentralasiatischen Regionen, und das Osmanische Reich und Russland streiten sich um den Balkan. Die Folge: Es gibt 8 Kriege zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, in dem sich nach dem achten Krieg die ersten Zerfallserscheinungen zeigen. Der Ansturm des Zarenreiches war also insofern erfolgreich, als sich auf dem Balkan daraufhin einige Staaten für unabhängig erklären konnten. Dazu muss man berücksichtigen, dass das ganze Osmanische Reich aus kleinen Reichen bestand, die relativ selbständig waren. Der Sultan hat im so genannten Pfründe-Feudalismus Land vergeben, solange die einzelnen Reiche loyal waren, konnten sie sich im wesentlichen selbst verwalten.

Diese Selbstverwaltung schlug dann um in den Drang nach Nationenbildung. Die hat den Engländern nicht so gut geschmeckt, weil sie zunächst davon ausgingen, dass dieser Prozess wiederum die slawische Herrschaft vergrößert, über Zentralasien hinaus. Und daher hat man den Newcomer, damals der deutsche Imperialismus, am Ende des 19. Jahrhunderts auf den Plan gerufen – bzw. der deutsche Imperialismus hat sich rufen lassen und Bismarck zur Berliner Konferenz 1883/84 eingeladen, vier Jahre nach dem Frieden von San Stefano (das war nach dem letzten Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Russland), der diese autonomen Republiken hervorgebracht hat, und Bismarck sollte die jetzt absegnen. Hintergrund war der Widerspruch zwischen Russland und England, und Bismarck war klug genug, diese Widersprüche auszunutzen. Er hat sich gesagt (sinngemäß): Prima, es soll auf dem Balkan diese Staaten geben, und wir stellen auch gerne das Führungspersonal zur Verfügung. Es war dann tatsächlich so, dass die Hohenzollern und die von Sachsen-Gotha in Rumänien und Bulgarien die neuen Fürsten stellten, und für das emporstrebende Albanien mit emporstrebendem Nationalbewusstsein hat man auch einen König gefunden, einen bis dato unbekannten Prinz Wilhelm von Wied aus dem Hut gezaubert und damit signalisiert, erstens: Der Balkan entwickelt sich nicht ohne uns, und zum zweiten wollen wir auch nicht, dass Russland bis ans Mittelmeer vorstößt.

Das hier veröffentlichte Referat wurde auf der I. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" im Jahr 2009 in Göttingen gehalten. Es ist - neben den anderen Referaten der Konferenz in der Dokumentation zur I. Konferenz enthalten.

Die Dokumentation enthält die Referate:
  • Entwicklung der deutschen Bourgeoisie / des deutschen Imperialismus seit dem deutschen Bauernkrieg
  • Der deutsche Imperialismus und die EU
  • Kriegsschauplätze Kosovo und Kaukasus
  • Der deutsche Imperialismus und Afrika
  • China und der deutsche Imperialismus
  • „Finanzkrise“ und Neuaufteilung der Welt
  • Was ist proletarischer Internationalismus?

Bestellungen unter der Adresse info@gegen-denhauptfeind.de; Download u. a. via www.gegen-den-hauptfeind.de oder www.secarts.org. [PDF, ca. 5,4 MB]


Die Russen ihrerseits haben den serbischen Staat unterstützt und Deutschland, wie gesagt, damals Albanien, um Russland auf dem Balkan eine Grenze zu setzen. So weit, so gut. Der Erste Weltkrieg sortiert allerdings die Situation neu: Das Habsburger Reich wird zerschlagen – es hatte ja eine Grenze, die in der Krajina lag, und hatte auf der Berliner Konferenz auch noch etwas dazu bekommen, nämlich Bosnien; England hatte dort Zypern bekommen, und auch die anderen Imperialisten gingen nicht ganz leer aus. Nach dem Ersten Weltkrieg war das aber dann obsolet, zumindest die Verlierer hatten Pech gehabt: Österreich-Ungarn wurde aufgelöst, und statt dessen wurde ein jugoslawischer Staat geschaffen. Damals hieß er noch „Staat der Slowenen, Kroaten und Serben“. Die Slowenen, Kroaten und Serben haben jenen Staat gebildet, dessen Territorium dann auch im wesentlichen dem des nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Jugoslawien entsprach, nur etwas kleiner im Süden (ohne Montenegro und Mazedonien).
Und das war Ausdruck der neuen Kräfteverhältnisse, Jugoslawien als – wie der erste Ministerpräsident des damaligen Staates der Slowenen, Kroaten und Serben, Pasic, sagte – als „Bollwerk gegen den deutschen Drang nach Osten“.

Mit dem zweiten Revancheakt, dem Faschismus, wurde an der Stelle wieder aufgeräumt: Jugoslawien wurde durch die Besetzung zerschlagen und Albanien den Italienern zugeschustert, zusammen mit dem Kosovo. Deutschland konnte an seine Geschichte anknüpfen, nämlich den albanischen Nationalismus zu unterstützen, und hat dort mit der SS-Division Skanderbeg den albanischen Nationalismus erneut angeheizt. Wir kennen auch das Schlachten der Serben über die kroatische Ustascha – als Rache, Rache für diesen Bollwerk-Gedanken. Aber über die Rache hinaus war es auch ein Signal an die konkurrierenden Mächte, dass Deutschland sich zurückgemeldet hat und den Balkan „aufrollt“.

Genau diese Situation galt es nun, nach der Wiedervereinigung wiederherzustellen. Jugoslawien als „Völkergefängnis“, dessen Völker befreit werden müssen. Natürlich hat man nicht offiziell gesagt, man müsse mit den Folgen des Ersten Weltkriegs aufräumen, man hat nicht gesagt, man müsse endlich die Macht auf dem Balkan behaupten, und zwar diesmal nachhaltig, sondern „natürlich“ ging es darum, die Völker zu befreien. Ihr kennt alle die Geschichte, wie das dann ging: 1991 wurde als erstes Slowenien anerkannt, einseitig von Deutschland. Deutschland hat die EU unter Druck gesetzt, hat ein Junktim gesetzt mit den Verhandlungen über Maastricht und die Währung. Wie wir heute Morgen schon gehört haben, hatte die Aufgabe der D-Mark ihren Preis: Der Preis war die Anerkennung von Slowenien und Kroatien. Ein Jahr später, auch noch zum Jahrestag des faschistischen Überfalls auf Jugoslawien, wurde auch Bosnien anerkannt. Mit diesen einseitigen Aktionen ist eine Kettenreaktion, eine Brandstiftung in Gang gekommen, die den ganzen Balkan in einen Kriegsschauplatz verwandelt hat und die schließlich dann auch die USA auf den Plan gerufen hat. Spätestens dann empfanden die USA die Politik Eisenhowers, keine militärischen Stützpunkte auf dem Balkan zu errichten, als schweren Fehler.

Wir wissen, dass die USA das Heft in die Hand bekommen konnten, zunächst mit dem Vance-Owen-Plan, der die neue Grenzziehung entlang des ethnischen Flickenteppichs in Bosnien vorgesehen hatte. Den haben aber die Serben nicht mitgetragen, statt dessen wurde die merkwürdige Zwei-Staaten-Lösung erfunden und durchgesetzt, im Vertrag von Dayton, 1995.
Der nächste Kandidat war dann Serbien. Serbien-Montenegro galt nun als „Restjugoslawien“ und hat genau drei Jahre lang existiert. Für Deutschland ging es bei Serbien auch wieder nicht nur um Rache, sondern es ging vor allem darum, dass man mit Bosnien und Dayton das Heft hatte an die USA übergeben müssen, und das ging nicht. Man konnte das nicht akzeptieren.
Also hat man in Albanien das dortige korrupte Berisha-System errichtet und gestützt, hat es hoch bewaffnet – mit Waffen aus der DDR, Altbeständen - und hat dann von da aus die UCK aufgerüstet, systematisch, um die Wühlarbeit im Kosovo gegen Serbien anzuheizen. Zum damaligen Zeitpunkt, 1995, stand die UCK noch auf der Terrorliste der USA, während die Rugovas, die Haradinajs und die Thacis sich in Berlin schon die Klinke in die Hand gegeben haben und mit Geld versorgt worden sind. Sie stellen heute die politische Elite im Land, obwohl die ganze Welt weiß, dass sie sich zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht haben.

Kosovokrieg: Da wisst ihr Bescheid, das brauche ich nicht im einzelnen zu erklären, wie der Krieg gelaufen ist, wie Rambouillet gelaufen ist. Für Deutschland war es der erste offene Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Es wurden alle möglichen Verträge gebrochen, das Grundgesetz, der Zwei-plus-Vier-Vertrag und die KSZE-Akte, alles über den Haufen geworfen.
[Zwischenruf: auch NATO-Richtlinien!]
Auch NATO-Richtlinien, richtig, für die NATO war es auch ein Novum; ich komme später darauf zurück, wenn ich über den Kaukasus rede. Die Frage stand damals um die Existenzberechtigung der NATO: NATO „out-of-area oder out-of-business“, da wählte man lieber den out-of-area-Einsatz, der insofern „nötig“ war, weil Russland den Krieg nicht mittragen wollte. Man musste den Krieg also zunächst ohne Russland führen.
Die Friedensverhandlungen allerdings gingen dann wieder einseitig von Deutschland aus, weil eine Bodenoffensive hauptsächlich von den USA geführt worden wäre. Das wollte man auf gar keinen Fall, denn dann hätten die USA nicht nur den Krieg gewonnen, sondern auch die Nachkriegsordnung bestimmt. Geschickter Weise hat man dann Russland für eine UN-Resolution ins Boot geholt und ihnen eine Rolle in der Nachkriegsordnung angeboten. Das war den Russen ganz recht so, und dann kam es zu folgender Situation: Russland war ja ebenfalls in Bosnien im Rahmen der so genannten S-FOR Befriedungsmission stationiert. Einen Tag nach Friedensschluss fuhren russische Panzer in den Kosovo ein, auf denen das „S“ mit einem „K“ übermalt war, weil die K-FOR Truppen bereits mit 50.000 Soldaten einfuhren und Russland bei dieser Mission dabei sein wollte. Der K-FOR-Chef, damals ein U.S.- Amerikaner, meinte, man müsse die ohne Absprache einrollenden russischen Panzer angreifen. Darauf sagte sein britischer Kollege, der das Feuer freigeben sollte, er riskiere keinen Dritten Weltkrieg.

Es war also eine ziemlich heikle Situation. Die Russen haben sich dann auch ziemlich bald zurückgezogen – das war noch in der Jelzin-Zeit, das darf man nicht vergessen, da war die russische Regierung noch ein bisschen spontaneistischer mit ihren Entscheidungen. Sie hat sich dann zunächst herausgehalten, weil man es sich mit den Amerikanern dann doch nicht all zu sehr verscherzen wollte.
Kosovo wurde dann umgewandelt in ein UN-Protektorat und war als UN-Protektorat damit auch schon halb in deutscher Hand. Aufgeteilt in fünf Besatzungszonen, haben die imperialistischen Hauptländer USA, Deutschland, Frankreich und Italien alle eine eigene Besatzungszone bekommen - bis auf Großbritannien. England hat in der Region keinen Stich mehr gemacht seit dem 19. Jahrhundert. Und dann gab es noch die fünfte Besatzungszone für die Kleinen, da durften sich dann die Tschechische Republik, Schweden etc. aufstellen. Soweit die Aufteilung zu den Besatzungszonen gemäß Resolution 1345 des UN-Sicherheitsrats. Die so genannte administrative Seite, der administrative Überbau, wurde von den „Hohen Repräsentanten“ der UNMIK geleitet. Diese UN-administrative Konstruktion wurde abwechselnd von den Besatzungsländern, darunter allein dreimal von einem Deutschen, geleitet - also auch hier schon war die Tendenz sichtbar, dass es in Richtung deutscher Hegemonie geht. Die vierte Säule dieser UNMIG, neben den drei Säulen Justiz und Politik, politische Verfassung, Parlament und Verwaltung, war das sogenannte „Institution Building“. Dieser Institutionsaufbau mit Kommunalverwaltungen sowie dem Aufbau der lokalen Polizei oblag der OSZE.



Nachdem ich mir das mehrfach immer wieder angeschaut habe, wer was wo zu sagen hat, bin ich auf folgende, sicherlich vereinfachte, Strukturierung gekommen: Man kann davon ausgehen, dass die NATO für eine US-dominierte „Mission“ steht. Eine „Mission“ unter dem Dach der UNO ist hingegen der Versuch, Russland einzubeziehen und die imperialistischen Widersprüche zunächst abzupuffern. Wenn Entscheidungsgewalt übergeht auf die OSZE, dann geht es in erster Linie darum, Russland einzubeziehen, aber die USA möglichst herauszuhalten, und wenn letztlich die EU übernimmt, ist es tatsächlich eine deutsche bzw. eindeutig deutsch dominierte Aktion. Und der deutsche Imperialismus hat es tatsächlich geschafft, über all diese Strukturen, diese innerimperialistischen Widersprüche auszunutzen, plötzlich die USA zu reduzieren auf Camp Bondsteel in Ferizaj im Kosovo. Interessanterweise wird auf dieses Camp Bondsteel in erster Linie – auch in der Linken – die Aufmerksamkeit gelenkt, wenn es um Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan geht. Man muss aber sehen, dass sich darauf der US-Einfluss im wesentlichen beschränkt, während Deutschland nicht nur zum ersten Mal seine eigene Besatzungszone bekommen hat, sondern auch beim „zivilen“ Nationbuilding an vorderster Front mitmischt – insbesondere jetzt als einer der ersten Kosovo als eigenen Staat anerkennt, nachdem der Ahtisaari-Plan gescheitert ist, und mit EULEX als rein europäischer Initiative die Führung übernimmt und im Wesentlichen die Verwaltung bestimmt. (Der Ahtisaari-Plan war, nebenbei bemerkt, der Versuch, in Übereinstimmung mit Russland eine Art Protektorat, Dauerprotektorat, zu schaffen, also in Ablösung der UNO und mit Unterstützung von Russland.) Russland hat dem Ahtisaari-Plan nicht zugestimmt, und dann wurde alternativ der EULEX Plan entwickelt, wonach 2000 Richter und Verwaltungsbeamte durch schiere Selbsternennung der EU - da gab es überhaupt keinen UNO Beschluss, Resolution etc. - nach dem Tag der Unabhängigkeit entsendet wurden.

Man kann auch sagen, der Kosovo ist das erste offizielle Protektorat, das heute Deutschland gehört. Man kann den Einwand machen, natürlich ist es nicht „reindeutsch“, weil immer noch Franzosen mit dabei sind und andere europäische Länder. Aber wenn man sich die Dokumente dazu anschaut, die strategischen Dokumente deutscher Denkfabriken (SWP, IP, CAP), hat man doch den Eindruck, der Anspruch ist nicht nur da, sondern auch ein Stück Wirklichkeit geworden. Da heißt es unter anderem in einer Studie, die das IP von der Bundeswehr übernommen hat: „Der Kosovo ist das unzweifelhaft zentrale sicherheitspolitische Handlungsfeld Deutschlands. Deutschland ist dabei nicht nur der wichtigste Truppensteller auf dem Balkan, dem eine erhebliche Verantwortung beim Schutz eigener ziviler und militärischer Kräfte sowie der lokalen Zivilbevölkerung zufällt, sondern verkörpert obendrein die bedeutendsten Geldgeber für den regionalen Wiederaufbau, was nahezu zwangsläufig ein aktives Interesse am Gelingen der internationalen Stabilisierungsbemühungen mit sich bringt.“ „Wir“ zahlen, „wir“ sagen, was gespielt wird. Ein anderes Zitat, das den Hauptwiderspruch zu den USA verdeutlicht: „Kosovo als zentrales Experimentierfeld der ESVP (europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Es geht um die einzigartige Chance zur Weiterentwicklung gemeinsamer europäischer Fähigkeiten sowie der Vernetzung ziviler und militärischer Krisenmanagementakteure, da faktisch alle sicherheitspolitischen Kompetenzbereiche betroffen sind. Dies gilt insbesondere für das Kosovo, welches sich angesichts wachsender Interessenkonflikte mit den USA und Russland zunehmend zu einem Prüfstein für die EU entwickelt.“ Soweit zunächst zum Kosovo. Man muss anschauen, wie sich das tatsächlich weiterentwickelt.

Ob jetzt noch weitere Staaten in der Region „unabhängig“ werden dürfen, die Minderheitenprobleme haben wie etwa Rumänien oder Ungarn, oder Mazedonien, Albanien, wer auch immer da noch Ansprüche hat, sich zu verändern. Oder Ansprüche haben könnte, die man ihm nahe legt. Entscheidend ist, dass ein zentrales Pipelineprojekt mit dem neuen Status Quo ganz gut abgesichert ist, auch strategisch, nämlich die Nabucco-Pipeline - die vor allem Gas aus Turkmenistan und Öl aus dem Iran über das Kaspische Meer und das Schwarze Meer bis nach Österreich transportieren soll. Das Konsortium steht unter offizieller Führung der österreichischen OMV, wobei aber RWE einer der zentralen Geldgeber und Mitmischer ist. So lief sogar der turkmenische Präsident im letzten Jahr bei Frau Merkel auf, der ihr versichert hat, dass man von der Liefertreue seines Staates ausgehen darf. Damit sind wir eigentlich schon hinübergerutscht nach Zentralasien und zum Thema Kaukasus.
Diese Pipeline hat nämlich auch den Zweck, Russland zu umgehen. Wie ihr wisst, gibt es seit den 70er Jahren eine zentrale Versorgung Deutschlands mit russischem Gas und russischem Öl über Röhren, die damals von Mannesmann geliefert worden sind in der Sowjetzeit. Damit wurden zwei Ziele verfolgt: Zum einen wollte man von der Abhängigkeit vom Nahen Osten wegkommen, Stichwort Ölkrise, zum anderen die Sowjetunion unterwandern, ökonomisch unterwandern mit Handelsbeziehungen und -verpflichtungen. Aber noch viel wichtiger war, die DDR zu umgehen, zu übergehen als Transitland, das man erst gar nicht fragt.

 
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