Im Mai 2008 wurden in einem Stadtteil von Neapel, in Ponticelli, fünf Roma-Barackenlager abgefackelt. Die 500 vorher dort lebenden Menschen verließen fluchtartig das Viertel. Keiner der an den Ausschreitungen Beteiligten wurde festgenommen. Seither ist Ponticelli "Roma-frei".
Im Vorfeld der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit vom 8. Februar 2009 wurde in der schweizerischen Öffentlichkeit der Hass auf die Roma geschürt, Die Schweizerische Volkspartei, die Schweizer Demokraten und die Lega Ticinesi warnten vor einer bevorstehenden "Roma-Schwemme", vor rumänischen Diebesbanden und vor kriminellen "Roma-Sippen", welche nach einer Öffnung der Grenzen brandschatzend durchs Land ziehen würden.
Das Stereotyp des vergewaltigenden, stehlenden, falschen Roma teilt die Extreme Rechte ganz Europas und mit ihr breite Bevölkerungsschichten von Gibraltar bis Moskau. Ein Stereotyp, das rechtskonservative und rechtsextreme Gruppen und Parteien geschickt für eigene, innenpolitische Anliegen zu nutzen wissen.
Lange Tradition der DiskriminierungDie Roma dienen als Projektionsfläche diffuser Ängste breiter Bevölkerungsschichten. Ihre Stigmatisierung hat eine lange Tradition. Seit dem Frühmittelalter - so lange liegt die Einwanderung ihrer Vorfahren ins heutige Europa zurück - sind die Roma mit dem Etikett des "gefährlichen Fremden" behaftet. Das Bild des herumstreunenden "Zigeuners", der Kinder stehle und die Arbeit verweigere, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe und Spionage betreibe, hält sich hartnäckig und bildet bis heute den Nährboden für die Diskriminierung, Vertreibung und Ermordung von Roma.
Auffällig sind dabei die Parallelen zum Antisemitismus. Der Hass gegen die Roma setzt sich - ähnlich wie beim Antisemitismus - aus religiösen, sozialen und rassistischen Vorurteilen zusammen. Juden wie Roma wurden bereits im Mittelalter für den Ausbruch von Pest, Cholera und Rattenplagen verantwortlich gemacht.
Beide Mythen, derjenige des "ewigen Juden" und des "herumziehenden Zigeuners", beruhen auf dem Vorwurf einer antichristlichen "Erbschuld". Die Diskriminierung aufgrund rassistischer Merkmale erreichte während des Zweiten Weltkriegs einen traurigen Höhepunkt. Im NS-Regime galten Sinti und Roma als "minderwertige Rasse" und angebliche Komplizen des "jüdischen Bolschewismus", weshalb sie systematisch verfolgt und ermordet wurden.
KinderraubViele Vorurteile gegen Roma sind Jahrhunderte alt und halten sich in immer neuen Ausführungen bis heute. So auch die Legende vom Kinderraub. Dieses Märchen führte in Neapel jüngst zu pogromartigen Zuständen: In der Nacht zum 13. Mai 2008 wurde eine Roma-Siedlung in Neapel von aufgebrachten Anwohnerinnen und Anwohnern mit Molotow-Cocktails angegriffen. Die Roma wurden so massiv bedroht, dass diese unter Polizeischutz in Sicherheit gebracht werden mussten. Die verlassenen Baracken wurden anschließend vom wütenden Mob in Brand gesteckt. Vorausgegangen war diesem rassistisch motivierten Pogrom eine politische und mediale Hetze gegen die Roma in der Stadt. So behauptete eine italienische Frau in Zeitungen und Fernsehen, eine 16-Jährige Romni hätte versucht, ihr Neugeborenes aus der Wohnung zu entführen. Diese Geschichte wurde von den Medien aufgebläht und skandalisiert.
Damit wurde ein Klischee bedient, das seinen Ursprung bereits in der Zwangsassimilierungspolitik der österreichischen Erzherzogin und Kaiserwitwe Maria Theresia (1717-1780) hat. Eine Verordnung sah damals vor, dass Roma-Kinder der Aufsicht ihrer Eltern entzogen und der Obhut "christlicher Pflegeeltern" übergeben wurden. Wenn Roma-Familien ihre Kinder zurückzuholen versuchten, wurden sie des Kinderdiebstahls bezichtigt. Dass den Roma die Kinder gestohlen wurden - und nicht umgekehrt - war auch in der Schweiz lange eine gängige Praxis. Bis in die 1970er Jahre wurden den "Fahrenden" die Kinder entrissen, um diese zu Sesshaften zu machen. Hinter der Kindswegnahme stand das "Hilfswerk für die Kinder der Landstraße", das 1926 unter dem Dach der Pro Juventute gegründet worden war. So wurden den Romas systematisch die Kinder geraubt und gleichzeitig wurden sie Opfer des Vorurteils, Kinderräuber zu sein.
Kultur des HassesDer Pogrom von Neapel im Mai 2008 ist ein Übergriff unter vielen. Er reiht sich ein in eine lange Kette von Diskriminierung, Ghettosierung, Gewalt, Vertreibung und Ermordung der Roma in Europa.
In Italien ist die öffentliche Hetze spätestens seit dem Wahlkampf 2008 zu einem wichtigen innenpolitischen Programm der Berlusconi-Regierung geworden. "Null Toleranz gegenüber kriminellen Ausländern" lautet die Devise. Gezielte Durchsuchungen von Roma-Siedlungen in Rom, Verona und anderen Großstädten schüren das Bild des "kriminellen Zigeuners" weiter. Einige dieser Siedlungen - in denen slumähnliche Zustände herrschen - werden geräumt und dem Erdboden gleichgemacht. Seit Juli 2008 werden dort systematisch die Fingerabdrücke der Roma gespeichert; auch die der Kinder. Damit soll angeblich die "Straßenkriminalität und illegale Einwanderung" besser bekämpft werden können. Diese Maßnahmen entbehren jeder rechtsstaatlichen Grundlage, sie sind diskriminierend und schüren nur weitere Ängste. So werden auch rechtsextreme Bürgerwehren und Schlägertrupps immer häufiger. Diese ziehen des Nachts als vermummte Truppen durch die Stadtrandviertel und überfallen mutmaßliche Roma mit Baseballschlägern und Messern. Sie sind die Speerspitze eines breiten gesellschaftlichen Konsens in Italien, der Roma als Problem wahrnimmt, das es drakonisch auszumerzen gilt.
Eine Diskriminierung der Roma existiert in ganz Europa; dies gilt insbesondere für osteuropäische Staaten. Dort werden viele Roma in ihrem Alltag direkt an Leib und Leben bedroht. So etwa in Ungarn, wo in den letzten zwei Jahren mindestens acht Roma ermordet worden sind. Diese Morde glichen regelrechten Hinrichtungen. So wurde im Februar 2009 das Haus einer Roma-Familie in Tatarszentgyörgy südlich von Budapest angezündet. Als der 27-jährige Vater mit seinem vierjährigen Sohn aus den Flammen flüchtete, erschoss einer der Täter die beiden Flüchtenden mit der Schrotflinte. Zwei Monate später wurde eine 45-jährige Roma-Frau von unbekannten Tätern im Ort Kisleta erschossen. Sie wurde im Schlaf mit Schüssen aus einer Doppelflinte hingerichtet, ihre dreizehnjährige Tochter beim Angriff durch Schüsse schwer verletzt. Innerhalb zweier Jahre kam es in Ungarn zu 54 schweren Angriffen gegen Roma wobei in siebzehn Fällen Molotow-Cocktails geworfen wurden. Der Philosoph und frühere antikommunistische Bürgerrechtler Gaspar Miklos Tamas stellt angesichts solcher Verbrechen eine düstere Diagnose: "Das Eis der Zivilisation ist in Ungarn dünn. Es bricht gerade ein." (WOZ, 11. 6. 2009) Gaspar Miklos Tamas meint damit auch den Aufstieg der "Ungarischen Garde" (Magyar Garda) in Ungarn.
Diese paramilitärische Truppe wurde 2007 von der rechtsextremen Partei Jobbik ("Bewegung für ein besseres Ungarn") als "Kulturorganisation" ins Leben gerufen. Sie marschierte uniformiert durch Roma-Siedlungen, hetzte gegen Juden und Homosexuelle und trug das Emblem der faschistischen Pfeilkreuzler als Symbol. Trotzdem oder gerade deshalb - genoss diese Bewegung einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung und hatte zwei Jahre nach ihrer Gründung bereits über 5 000 Mitglieder. Die Partei Jobbik erzielte bei den Wahlen fürs Europaparlament 2005 15 Prozent der Stimmen und entsandte damit drei Abgeordnete nach Strasbourg. Im Juli 2009 wurde die Ungarische Garde nun rechtskräftig verboten, was die Betroffenen aber nicht davon abhielt sich auch weiterhin zu organisieren und Aufmärsche durchzuführen.
Soziale Probleme der RomaIn Europa leben rund acht Millionen Sinti und Roma, die Mehrheit davon im östlichen Mittel- und Südosteuropa. Roma-Gemeinschaften in ganz Europa leiden unter massiver Diskriminierung. Es werden ihnen ihre Rechte auf Wohnen, Arbeit, medizinische Versorgung und Ausbildung verweigert. In der Slowakei etwa beträgt die Arbeitslosigkeit unter Roma in manchen Regionen bis zu neunzig Prozent. Armut ist weitverbreitet und treibt viele in die Kriminalität, den Drogenhandel und die Prostitution. Oft werden sie Opfer von Zwangsumsiedlungen und Misshandlungen durch die Polizei. In manchen Ländern wird den Roma auch die Staatsbürgerschaft verweigert und sie haben keine Dokumente, die ihnen Zugang zu Sozialleistungen ermöglichen. Roma-Kinder werden nicht oder schlecht ins öffentliche Schulsystem integriert, was ihre Zukunftsperspektiven massiv schmälert und eine Chancengleichheit unmöglich macht. Eine erfolgreiche soziale Integration kann nur über die Gleichberechtigung im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt gelingen.